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5.

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Ich entschied mich, Yuka aufzusuchen, obgleich ich vor diesem Schritt etwas zurückschreckte. Er bedeutete wieder etwas Unbekanntes, vielleicht ein neuer Abschnitt in meinem Leben. Ich brauchte immer ziemlich lange, bis ich mich an unbekannte Sachen oder Leute rantraute. Ich hatte mir zwar schon oft vorgenommen, das zu ändern, aber bis jetzt hatte es nur selten hingehauen.

Ich raffte mich endlich auf und nahm wieder den Bus. Diesmal fuhr ich gezwungenermaßen schwarz, weil ich einfach keinen losen Buck mehr hatte. Die Fahrt endete in einem Bezirk, den ich ziemlich genau kannte.

Hier in der Nähe hatte ich mal fast ein Jahr mit Winnie zusammengewohnt. Die Erinnerung daran löste immer ein beklemmendes Gefühl in mir aus, das ich nicht abschütteln konnte. Auch jetzt kam es wieder hoch, als ich die Gegend wiedersah und durch die einigermaßen leeren Straßen ging - es war Essenszeit. Damals hatte ich noch in diesem abscheulichen Prunkbau namens Universität studiert. Damit gehörte ich zu einer privilegierten Schicht, die mal was Besseres werden sollte. Der Staat war eben stolz auf seine Studenten, sorgfältig ausgesiebte Nummern, denen die herrschende Ideologie behutsam und geschickt eingetrichtert wurde. Schließlich sollten sie diese Ideologie später vertreten und anwenden.

Mein Alter wollte, dass aus mir ein tüchtiger, ordentlicher, fleißiger Beamter wurde - und ich wollte es auch - damals. Nun, es war nichts draus geworden und er konnte das nicht begreifen. Wie sollte er auch?

Es war drei Jahre her, seit ich hier gewohnt hatte. Ich kannte Winnie da schon zwei Jahre und ich kannte fast ausschließlich sie. Das beruhte aber auf Gegenseitigkeit. Also zogen wir zusammen.

Damit ließen wir zwar unser Elternhaus räumlich hinter uns, aber in uns selbst lebte es fleißig weiter. Woher sollten wir auch eine andere Lebensweise nehmen, wir kannten ja nichts anderes. Man hörte zwar ab und zu von irgendwelchen Outsidern, die angeblich versuchten, eine andere Lebensart zu praktizieren, aber wir hielten das meiste davon für Spinnerei und hatten auch keine Möglichkeit, diese Gerüchte zu überprüfen, da wir einfach nicht in Kontakt mit solchen Leuten waren.

Winnie und ich fochten zusammen und gegeneinander die erbitterten Kämpfe einer eingegrenzten Beziehung aus, die Eifersuchtsszenen, die Wunschträume, die Versöhnungen, die Unterdrücker-Sexualität und vor allem, die alles abstumpfende zäh dahinfließende Gewohnheit. Es war ein einziges Gerangel um Liebesbeweise, eine ewige Konkurrenz, wer was besser wusste oder konnte, furchtbare Angst vor Liebesentzug, da wir glaubten, wir seien aufeinander angewiesen. Wir kamen praktisch gar nicht dazu, uns außer mit unserer Arbeit bzw. dem Studium und unserem häuslichen Kram noch mit anderen Sachen auseinanderzusetzen - eine sehr wichtige Funktion, die eine solche Beziehung damit für die Regs spielt.

Alles lastete noch immer wie ein großer schwerer Schatten auf mir, ein Teil einer bedrückenden Vergangenheit, Fortsetzung und Höhepunkt aus Kindheit, Schule und allem, was dazugehört. Und eine Erfahrung, die mich auch jetzt noch in meinen Handlungen gehörig beeinflusste, sowohl positiv als auch negativ.

Dann, unerwartet, traten Leute wie Lucky und Flie in mein Blickfeld. Es war reiner Zufall, dass ich sie kennengelernte. Winnie und ich hatten mal wieder Streit gehabt. Es ging darum, ob ich mich zum Militär melden sollte oder nicht. Ich hielt nichts davon, zu kämpfen und auf andere zu schießen. Außerdem hatte ich Angst, dass ich da total untergebuttert würde. Winnie vertrat die Ansicht, dass es praktisch meine Pflicht sei, mich zu melden, und ich außerdem keine Chance hätte, ohne Militärzeit sehr hoch in der staatlichen Hierarchie zu kommen. Da die Militärs Zulauf genug hatten, war die Entscheidung jedem selbst überlassen, das heißt, Winnie konnte sich letzten Endes nicht durchsetzen.

Sie schloss sich schimpfend im Schlafzimmer ein, und ich rannte vor Wut kochend auf die Straße in der Absicht, mich irgendwo sinnlos zu besaufen. Ich ging in die erstbeste Kneipe in der City und bestellte ein Bier nach dem anderen. Ich kannte keinen Menschen hier, da wir selten in Kneipen gingen und schon gar nicht in solche. Irgendwann im Lauf des Abends fing sich alles um mich herum an, zu drehen. Ich schaffte es nicht mehr, nach draußen zu kommen und kotzte voll über den Tisch. Das passte anscheinend zwei Typen nicht, und ich sah verschwommen, dass sie Anstalten machten, mich zu verprügeln. Dann kam ein anderer dazwischen. Ich kriegte nur noch mit, wie er versuchte, die beiden zu beruhigen, dann wurde mir so schlecht, dass ich ganz vom Stuhl kippte. Ich wusste nicht mehr, wie ich in Luckys Bude gekommen war, aber er hatte mich den ganzen Weg geschleppt! Den nächsten Tag ging ich auch nicht nach Hause, weil es da nur weiteren Ärger gegeben hätte und Lucky mich im Augenblick weitaus mehr interessierte als Winnie. Bald darauf packte ich meine Klamotten und zog aus. In der ersten Zeit traf ich mich noch öfter mit Winnie, dann nur noch zufällig und jetzt hatte ich sie bestimmt ein paar Monate nicht gesehen. Unsere Lebensweisen hatten sich im Lauf der Zeit so voneinander entfernt, dass wir uns nur noch schwer verständigen konnten, und es auch einfach nicht wollten, da nichts dabei rauskam. Soweit ich wusste, lebte sie seit ungefähr einem Jahr wieder mit einem Typen zusammen in unserer alten Wohnung. Ich kannte ihn nicht.

Die Denkanstöße, die ich damals bekam, der Strudel der Ereignisse der mich mitriss - alles änderte mein Leben von Grund auf. Ich verstand die Gedanken, Worte und Taten eigentlich erst richtig ne ganze Zeit später, und auch meine Änderung und die Richtung, in die sie zielte, wurde mir erst später bewusst. Auf jeden Fall führte es weg von Studium, Gleichgültigkeit und Winnie.

Plötzlich stand ich vor Yukas Haustür. Ich musste schon länger hier stehen, war aber so in Gedanken gewesen, dass ich es gar nicht wahrnahm. Ich hatte irgendwie etwas anderes erwartet, aber es war ein Wohnblock wie alle anderen auch. Zögernd stieg ich die Treppen rauf. Sie wohnte schon in der dritten Etage. Ich klopfte. Es dauerte ne Weile, und dann stand sie vor mir mit nassen Haaren und lachte mich an.

»Komm rein. Ich bin gerade fertig mit Haare waschen.«

Sie brachte mich in ein großes Zimmer, das unheimlich gemütlich eingerichtet war. Mit dicken bunten Teppichen und selbstgemalten Bildern an der Wand. Ich stellte meine Tasche in die Ecke und setzte mich auf den Boden. Sie setzte sich mir gegenüber. Ihre Haare trieften vor Nässe.

»Du siehst ja nicht gerade sehr fröhlich aus.«

»Bin ich auch selten in letzter Zeit. Leider.«

»Man hat auch nicht viel Grund dazu«, meinte sie verständnisvoll.

Ihr schien es nicht viel auszumachen, dass ich nicht gerade in bester Laune war. Dann sprang sie wieder auf.

»Komm mit in die Küche. Ich zeig dir alles und mach erst mal Kaffee.«

Ich hatte den Eindruck, dass sie ständig in Bewegung sein musste. Irgendwie versucht man wohl immer, sich gleich zu Anfang ein Bild zu machen. Ich musste mich bloß davor hüten, sie nicht in irgendeine Kategorie einzuordnen. Aber das würde mir bei ihr auch bestimmt schwerfallen.

Auch die Küche war bunt und bequem. Alles in allem passte die Wohnung überhaupt nicht in diesen trostlosen Block.

»Wie wollen wir das mit dem Zimmer machen?«, fragte ich vorsichtig, während sie Kaffee machte.

»Ach, es ist ja groß genug. Und wenn wir Ruhe voneinander haben wollen, muss eben einer in die Küche ausweichen.«

»Na ja, ganz so einfach wird es nicht sein.«

»Wir werden ja sehen. Du machst dir Gedanken über Sachen, die du nicht vorausplanen kannst.«

Das stimmte. Ich machte das immer. Und es kam natürlich immer anders, als ich gedacht hatte.

»Hast du Hunger?«, fragte sie.

Ich musste zugeben, dass ich ganz schrecklichen Hunger hatte. Andererseits gefiel es mir nicht, dass ich mich wie ein Gast bedienen lassen musste. Aber ich wusste nicht, wo die Sachen waren und konnte es nicht ändern. Aber das würde mit der Zeit auch anders werden.

Später saßen wir lange zusammen in dem einzigen Zimmer und langsam wurde mir warm. Ich merkte, dass ich mich hier wohlfühlen konnte. Die Gegenstände würden mir vertraut werden und eine Bedeutung für mich bekommen. vielleicht konnte ich mich hier zuhause fühlen.

Yuka wurde mir schon an diesem Abend vertrauter. Wir sprachen über alles Mögliche, schmusten herum, versuchten uns kennenzulernen und näherzukommen. Es war ein guter Anfang, mal sehen, was draus wurde. Dann gingen wir zusammen ins Bett, und ich wusste, dass wir morgen zusammen aufstehen, essen und zur Arbeit gehen würden.

Die nächsten Tage wurden ziemlich schwer für mich. Ich musste mich an die Arbeit gewöhnen, und das war reichlich hart. Sie bestand hauptsächlich darin, dass ich den ganzen Tag in riesigen, dreckigen Maschinen rumkriechen musste. Hier putzen und da kratzen, mit Pulvern und Lösungen, die mir fast die Haut verbrannten. Es war wie in einem dunklen Dschungel aus Metall und Plastik. Ich hatte immer Angst, irgendwo steckenzubleiben oder mich ernsthaft zu verletzen. Einige Maschinen waren so groß wie ein vierstöckiges Haus, andere waren zwar kleiner, aber ich musste sie vollständig auseinandernehmen. Da alle in einem bestimmten Turnus gereinigt werden mussten, hatte ich immer alle Hände voll zu tun. Ich hatte den Eindruck, als hätten sie nur auf mich gewartet, weil niemand diese Sauarbeit erledigen wollte. Die Sonne bekam ich selten zu sehen, obwohl ich auf einer offenen Baustelle arbeitete. Dafür schwitzte ich tierisch und fühlte mich jeden Tag wie gerädert.

Zu allem kam ein Höllenlärm, wenn die Maschinen in Betrieb waren und ein furchtbarer Gestank.

Ich muss zugeben, dass ich den Job nach drei Tagen hinschmeißen wollte, aber das Geld hielt mich zurück. Ich verdiente ganz gut. Außerdem hatte ich Yuka gegenüber sowieso schon ein schlechtes Gewissen, da ich bis zur ersten Abrechnung auf ihre Kosten lebte und sie verdiente auch nur das Nötigste.

Menschen bekam ich wenig zu sehen. Ein Obertyp, der mir sagte, was ich als Nächstes zu tun hatte, ein paar Techniker, die die Maschinen neu programmierten und mir dauernd vorwarfen, ich würde sie nicht ordentlich warten, und einige Handlanger wie ich für den Abfall. Pausen teilte der Boss nach Belieben ein. Oft gab's gar keine und angenehm war's nur, wenn er ab und zu mal besoffen war. Mit den anderen Typen konnte ich leider auch nicht viel anfangen. Sie sprachen kaum miteinander und schon gar nicht mit mir und hatten anscheinend keine anderen Probleme und Gesprächsthemen, als dass die Zeit zu langsam verging. Was sie sonst machten, erfuhr ich nie, und wenn ich anfing zu reden, zeigten sie mir ziemlich deutlich, dass sie mit mir lieber nichts zu tun haben wollten.

Yuka sah ich immer erst zu Feierabend. Zum Glück hatten wir zur gleichen Zeit Schluss. Zwischen uns beiden lief es zu der Zeit ganz gut und außer ein paar Reibereien um Kleinigkeiten kamen wir gut zurecht auch in einem Zimmer.

Anfangs war ich abends total kaputt und konnte überhaupt nichts mehr machen. Ich fragte mich nur immer wieder, ob das jetzt so mein ganzes Leben lang weitergehen sollte. Andererseits wusste ich genau, dass ich das bestimmt nicht durchhalten konnte und wollte. Ich konnte mir aber auch keine Alternative vorstellen, jedenfalls nicht praktisch. Es war einfach alles verbaut.

Irgendwann zwang ich mich dazu, weiter in dem Buch zu lesen, das ich mir von Lucky geliehen hatte, damit ich es ihm schnell zurückgeben konnte. Es war wirklich eine merkwürdige Story: das Buch zeigte ziemlich genau auf, wie unsere Gesellschaft organisiert war, und wie wir lebten. Wenn es bekannt wäre, hätte es deswegen sicher auf der Liste gestanden. Der Schluss des Buches überraschte mich vollkommen, denn der Verfasser verließ plötzlich die reine Beschreibungsebene. Er machte einen Schritt in die Zukunft und skizzierte einen neuen Weltkrieg, der das System von einer Scheindemokratie in eine offene Diktatur umwandelte. Das Ganze war ziemlich absurd, und ich konnte mir auch nicht vorstellen, was damit beabsichtigt war. Es schien mir sogar so, als würde der Autor mit diesem diktatorischen Zustand sympathisieren. Schließlich kam ich sogar auf den Gedanken, dass der Inhalt eigentlich ziemlich beliebig war und es auf was ganz anderes ankam. Kurz und gut, ich wusste überhaupt nicht mehr, was ich davon halten sollte.

Als ich Lucky das Buch zurückgab und mit ihm darüber sprechen wollte, benahm er sich reichlich cool und sagte nur, er hätte dazu keine Lust, er müsse sich das Buch erst noch mal durchlesen. Ich nahm einfach an, dass er einen schlechten Tag erwischt hatte, denn so abweisend kannte ich ihn nicht.

Indem ich mich an die Arbeit gewöhnte, mehr Leute zu Besuch kamen, und ich auch wieder öfter wegging, vergaß ich die Sache mit dem Buch eigentlich recht schnell, bis Flie eines Abends ganz aufgeregt hereinstürzte. Yuka war auf Achse, und wir setzten uns bei ner Tasse Tee zusammen.

»Speedy, ich weiß nicht, wie ich anfangen soll«, fing sie an. »Mit Lucky ist der Teufel los. Er spricht kaum noch mit mir, schließt sich in sein Zimmer ein, und wenn er rauskommt, rast er wie wild in der Wohnung rum. Er ist dauernd aggressiv, tut nichts mehr zuhause und geht auch kaum noch zur Arbeit.«

»Das ist ja ne ganze Menge. Hast du mal mit ihm darüber gesprochen?«

»Ich habe es versucht, aber er hat es immer abgeblockt. Ich sollte ihn in Ruhe lassen. Er könnte eben nichts dazu sagen … Alle in der Wohnung reden permanent über ihn und er lässt sich nicht mal blicken!«

Stimmt. Auch ich hatte ihn wochenlang nicht gesehen. Als ich ihn mal besuchen wollte, sagte mir jemand aus der WG, er wäre krank und wollte mit niemand sprechen.

»Als ich ihm das Buch zurückgegeben habe, reagierte er auch schon so komisch«, erinnerte ich mich.

»Wir überlegen schon, ob wir ihn rausschmeißen sollen«, fuhr Flie fort. »Denn so kann man es wirklich nicht aushalten. Und es wird immer schlimmer. Gestern hat er nen Wutanfall gekriegt, nur weil Arno ihn fragte, ob er nicht auch mal abwaschen wollte.«

»Vielleicht ist das Ganze nur ne vorübergehende Phase. Er hat irgendwas, kann darüber aber nicht sprechen, weil er vielleicht selbst überhaupt nicht durchblickt.«

»Die Phase dauert aber schon ganz schön lange.«

»Dann weiß ich auch nicht, was ihr machen könnt.«

»Ich dachte, du könntest vielleicht mal mit ihm reden, auf ner ganz anderen Ebene. Du bist irgendwie sehr fest mit ihm verbunden.«

Sie fing an zu weinen, und ich fühlte eine dumme Hilflosigkeit, weil ich mir die Lage nicht so recht vorstellen konnte. Aber die Geschichte klang wirklich zum Heulen, und ich verspürte ganz von selbst den Drang zu prüfen, was mit Lucky wirklich los war. Flie beruhigte sich dann wieder etwas.

»Das Schlimmste ist, dass ich nicht weiß, was eigentlich bei Lucky anliegt. Es kam alles so plötzlich und ich konnte keinen äußeren Anlass erkennen. Er muss irgendwas Besonderes erlebt haben.«

»Mal sehen. Ich werd mal zu ihm hingehen. Ich kann es mir nicht vorstellen, dass er sich nicht mit mir unterhält. Schließlich kennen wir uns lange genug und wissen, was wir voneinander zu halten haben. Er hatte noch nie irgendwelche Privatgeheimnisse. Er muss ja mal mit jemand drüber reden, sonst kommt er ja selbst auch nicht weiter.«

Ich konnte Flie mit dem ganzen Gerede aber nicht beruhigen und mich selbst auch nicht. Ich machte mich dann gleich am nächsten Abend auf den Weg.

Ich kam an und er war auch zu Hause. Er erzählte mir, dass ich wieder gehen sollte, er wäre müde und hätte noch was zu tun. Normalerweise wäre ich auch sofort abgehauen, aber diesmal wusste ich, dass was anderes dahintersteckte.

Lucky sah aus wie eine wandelnde Leiche, blass und kaputt, als hätte er nächtelang nicht geschlafen. Sein Gesicht war ne Mischung aus Hass, Trotz und Resignation.

Ich machte also einfach die Tür hinter mir zu und setzte mich auf sein Bett. Das fiel mir allerdings unheimlich schwer, denn es kam mir vor, als wollte er sich gleich auf mich stürzen. Wenn er nur endlich irgendwas Vernünftiges sagen würde!

Doch stattdessen brach er total zusammen. Er fiel vor mir auf den Boden und fing an zu schreien wie wahnsinnig. Irgendwas von Schmerzen und seinem Kopf. Ich war vollkommen perplex, als er sich da herumwälzte, und bekam furchtbare Angst. Er musste irgendwie krank sein. Endlich sprang ich auf, um Flie oder jemand anders zu holen. Ich fühlte mich der Situation echt nicht gewachsen Doch da setzte Lucky sich hin und hielt mich fest.

»Bleib hier!«, rief er. Schweiß und Tränen liefen ihm in die Augen.

»Was ist los, Lucky? Was ist bloß los mit dir?« Ich zitterte ebenfalls.

Er war völlig erschöpft und kraftlos und brachte kein Wort heraus, obwohl er es versuchte. Ich setzte mich neben ihn, streichelte ihn und redete leise auf ihn ein. Es schien ihn zu beruhigen, denn das Zittern hörte nach einiger Zeit auf. Er lehnte sich an mich und strich sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht. Irgendwann ging er zum Waschbecken und hielt seinen Kopf unter Wasser, dass ich dachte, er würde ertrinken. Er setzte sich wieder neben mich, jetzt einigermaßen gefasst und begann hastig zu sprechen.

»Irgendwie hast du es geschafft, Speedy. Ich wäre da allein nicht rausgekommen. Aber ich kann nicht sagen, wie lange dieser Zustand anhält.«

»Wie bist du überhaupt in alles reingeraten?«

»Es liegt an dem Buch.«

Zuerst wusste ich gar nicht, was er meinte.

»Welches Buch?«

»Na, das ich dir geliehen hatte. Es hat irgendeine psychische Wirkung in mir ausgelöst. Ich lese es immer wieder und es treibt mich fast zum Wahnsinn. Ich weiß oft gar nicht, was ich tue. Ich spüre immer einen Drang, dass ich irgendwo hingehen soll, aber ich will nicht. Und wenn ich versuche, mit jemand darüber zu sprechen, bekomme ich diese entsetzlichen Kopfschmerzen.«

»Und das alles soll mit dem Buch zusammenhängen?, fragte ich ungläubig.

»Ja ich weiß, das klingt verdammt irre, aber du kannst es nur entweder glauben oder nicht.«

Ich war so verdutzt, dass ich bestimmt zehn Minuten nichts sagen konnte. Gegen Glauben hatte ich jedenfalls schon immer was gehabt.

Danach schmiss Lucky mich raus. Er glaubte, dass er wieder durchdrehen würde, wenn ich länger bliebe und er wollte sich nicht mit mir prügeln. Außerdem könnte er mir sowieso nicht mehr sagen.

Ich schlich mich aus seinem Zimmer, total fertig und ging rüber zu Flie. Sie wartete schon und sah mich gespannt an. Ich erzählte ihr alles. Zum Schluss hielten wir uns gegenseitig fest und starrten uns an.

»Das gibt es nicht«, murmelte sie. »Das gibt es einfach nicht. vielleicht sollten wir einen Arzt holen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich glaube, das hat alles nichts mit krank sein zu tun, auch nicht psychisch. Komischerweise neige ich dazu, ihm zu glauben, so blöd das auch klingt. Wieso weiß ich auch nicht.«

Ich hatte irgendwie das Gefühl, als würde mir der Boden der Realität unter meinen Füßen weggezogen, als würde ich in einen dunklen Abgrund fallen. Mir wurde schwindlig, und ich legte mich hin. Ich hatte Angst, verrückt zu werden.

Kontrolle

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