Читать книгу Kontrolle - Frank Westermann - Страница 7

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And if you can't be with the one you love

Love the one you're with

Crosby, Stills, Nash & Young - »Love The One You're With«

1.

Als ich die polternden Schritte hörte, war mein erster Gedanke, dass ich mit der Alarmleine wohl Mist gebaut hatte. Dass ich trotzdem aufgewacht war, verdankte ich nur der Gleichgültigkeit der staatlichen Ordnungshüter. Ich entschuldigte die Panne vor mir selber damit, dass ich eben keine Erfahrung in solchen Vorsichtsmaßnahmen hatte.

Ich hatte aber auch keinen Grund, in Panik zu verfallen. Die Bullen hatten kein besonders großes Interesse daran, jemanden wie mich zu schnappen. Denn das bedeutete für sie nur Arbeit und Scherereien.

Ich raffte also meine paar Klamotten zusammen - auch die Bücher und das kleine Abspielgerät - ließ die Taschenlampe kurz aufleuchten und schwang mich aus dem Fenster. Außer Abfall lag jetzt nichts mehr in dem verlassenen Gebäude.

Ich rappelte mich hoch und rannte einige Schritte über den steinigen Hof, bis ich die Straße erreichte. Die Cops würden wohl noch einige Zeit damit verbringen, die Ruine zu durchsuchen, in der ich die letzten Tage und Nächte verbracht hatte. Ich sah den Gleiter in einiger Entfernung stehen. Der Fahrer hatte sich lässig im Sitz zurückgelehnt und paffte irgendein Halluzinogen. Ich hatte keine Angst, dass er mich entdecken könnte.

Andererseits war ich ziemlich sauer, dass sie mein Versteck aufgespürt hatten. Denn in der Stadt fand man wohl kaum noch so ein Quartier. Und dabei handelte es sich um eine reine Routinekontrolle! Wieso mussten sie da gerade auf diesen Sektor verfallen?

Scheiße! Und ich hatte so ein Glück gehabt. Sonst wurde man draußen oft von alten Pennern belästigt, oder irgendwelche Banden machten die Gegend unsicher. Hier war es wenigstens ruhig gewesen.

Es war stockduster. Die paar Straßenlampen funktionierten natürlich nicht. Entweder waren sie sowieso kaputt oder sie waren von allen möglichen Geschossen außer Betrieb gesetzt worden. Mond und Sterne schienen heute den gleichen Bedingungen zu unterliegen.

Ich packte mir den Beutel mit meinen Sachen über die Schulter und schlug die Richtung zur Stadt ein. Zumindest vermutete ich sie in dieser Richtung. Ich hatte Mühe, nicht über den herumliegenden Müll zu stolpern. Dass es auch noch andere Hindernisse gab, merkte ich schon nach fünf Minuten.

Ich fiel der Länge nach auf die Fresse. Die Straße hatte hier ein Loch. Ich verfluchte den letzten Krieg und mit ihm wieder mal die ganze verdammte Gesellschaft mit allem, was dazugehörte. Ich war mir nun auch gar nicht mehr sicher, dass ich den richtigen Weg zur Stadt eingeschlagen hatte. Die Außenbezirke kannte ich nur wenig, weil es gefährlich war, sich hier herumzutreiben.

Die letzten Tage hatte ich fast ausschließlich in der Häuserruine verbracht - mit lesen, Musik hören, zeichnen und überlegen. Zu essen hatte ich genug dabei. Die Dosen erwärmten sich von selbst. Ich konnte noch nicht abschätzen, ob mir die Zurückgezogenheit was gebracht hatte. Das würde sich wohl erst später zeigen.

Ich ging also noch vorsichtiger weiter. In die Stadt wollte ich schon, da ich absolut keine Lust hatte, mir die Nacht irgendwo draußen um die Ohren zu schlagen. Zum Glück war es einigermaßen warm und es regnete nicht, obwohl ich wusste, dass hier draußen die Wetterkontrolle oft ausfiel.

Ich wollte gerade meine Marschroute ändern, als ich in der Ferne die Lichter der Stadt entdeckte. Aber das beruhigte mich auch nicht besonders, im Gegenteil. Ich konnte die Stadt nicht ausstehen. Ich spürte den Lärm und die Hektik bis hierher. Aber ich hatte eben keine andere Wahl. Ich ging etwas schneller, damit ich nicht in letzter Minute noch auf irgendwelche unliebsamen Nachtwanderer traf.

Ich hatte die Brücke schon erreicht - ein Symbol der Trennung der Stadt von draußen - und die ersten Wagen zischten an mir vorbei, als ich von hinten einen Stoß bekam, der mich fast zum zweiten Mal in dieser Nacht zu Fall gebracht hätte.

»Haste Feuer?«, fragte mich ein Typ, als ich mich umgedreht hatte.

Ich verneinte. Ich hatte furchtbare Angst. Meine Beine schlotterten, und ich lehnte mich gegen das Brückengeländer. Dabei sah ich mich vorsichtig nach allen Seiten um, weil ich erwartete, dass er nicht allein gekommen war. Gleichzeitig schielte ich zum anderen Ende der Brücke, wo die ersten bewohnten Häuser standen, um eine Fluchtmöglichkeit auszuspähen.

»Hey, ich will dir nichts tun, Brother«, versuchte der andere mich zu beruhigen.

Er hatte ne komische Mütze auf und trug reichlich zerfledderte Klamotten. Sein Gesicht hielt er geschickt aus dem Licht der Brückenlampen, sodass ich kaum etwas erkennen konnte.

»Wo willst du hin?«, fragte er neugierig.

»In die Stadt«, antwortete ich einsilbig. Er schien mir nun doch harmloser zu sein, als ich zuerst angenommen hatte. Jedenfalls sah es nicht so aus, als wollte er mir eins über den Schädel ziehen.

»Okay. Ich komme ein Stück mit runter, obwohl ich die Gegend nicht gut ab kann.«

Ich fand, dass er einen merkwürdigen Slang sprach, den ich nicht richtig einordnen konnte. Seinen Vorschlag fand ich natürlich überhaupt nicht toll, und er wusste das auch, denn ich bemerkte, dass er grinste. Für einen kurzen Moment sah ich sein Gesicht, und es schien mir so verschwommen und undeutlich wie die ganze Gestalt. Ich brummte was vor mich hin und ging weiter, er neben mir her.

»Sei doch nicht so trottelig!«, fuhr er mich an. »Ich will ja nur mit jemand reden.«

»Ja, schon. Ich dachte nur erst, du wärst irgendein Typ mit dem Jolly in der Hinterhand.«

»Quatsch! Du kennst dich hier wohl nicht aus. Niemand geht hier allein auf Beute. Der andere könnte schließlich cleverer sein.«

Ich fasste allmählich etwas mehr Zutrauen, wobei auch mein Bedürfnis, endlich mal wieder mit jemandem zu sprechen, eine Rolle spielte. Ich erzählte ihm, dass ich nur drei Tage draußen gewesen war, und mir die Regeln hier tatsächlich ziemlich fremd waren.

»Da hast du ja ne ganze Portion Glück gehabt«, meinte er. »Wenn man draußen nicht Bescheid weiß, …«

Er hielt mich plötzlich fest. Wir waren am anderen Ende der Brücke angelangt.

»Ich geh nicht weiter«, sagte er aufgeregt. Ein andermal vielleicht. Ich hab heut kein Glückstag, siehst du …«.

Er fischte irgendetwas aus seiner Jackentasche und warf es in die Luft. Als er es wieder auffing, zitterte er.

»Negative Gefühle. Das wusste ich.«

Ich verstand zwar nichts, aber egal. Ich wusste nur, dass er umkehren wollte. Er nahm mich plötzlich in die Arme und drückte mich, dass mir fast die Luft wegblieb. Ich hatte das Gefühl, als würde ich in einen Strudel gerissen. Instinktiv wehrte ich mich, und er ließ mich ebenso schnell wieder los.

»Wir sehen uns!«, rief er.»Irgendwo, irgendwann …«

Und als ich noch erstaunt und starr wie ein Stück Beton dastand, verschwand er unter der Brücke.

Ich musste zugeben, dass mir die Begegnung ganz schön zugesetzt hatte. Um mich zu erholen, setzte ich mich auch für eine Weile unter die Brücke. Der Fluss war schon lange verpufft und hier gab's nur Gestank und Abfall.

Ich spürte, dass ich am liebsten mit dem Typ gegangen wäre und nun saß ich reichlich bedeppert hier herum. Es musste ungefähr Mitternacht sein. Meine Uhr war beim Sturz vorhin kaputt gegangen. Über mir hörte ich das Brummen der Wagen und Gleiter, die von der Kreuzung aus Hightown kamen. Ich konnte mich auf nichts konzentrieren, geschweige denn das Erlebnis irgendwie verdauen. Ich rappelte mich also wieder auf, steckte ein Stück Plog zwischen die Zähne und marschierte weiter, dem bunten Lichterdschungel entgegen.

Kontrolle

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