Читать книгу Der Lebensweg - ein Werk von Leo Tolstoi - Franz Gnacy - Страница 5

Gott

Оглавление

Außer allem Körperlichen an uns und in der ganzen Welt kennen wir noch etwas Unkörperliches, das unserem Körper Leben gibt und mit ihm verbunden ist. Dieses Körperlose, das mit unserem Körper verbunden ist, nennen wir Seele. Dasselbe Körperlose, sofern es mit nichts verbunden ist und allem Leben gibt, nennen wir Gott.

Der Mensch erkennt Gott in sich

Die Grundlage jedes Glauben besteht darin, dass außer dem, was wir in unserem Körper und in dem anderer Wesen sehen und fühlen, noch etwas Unsichtbares, Körperloses existiert, das uns und allem Sichtbaren und Körperlichen Leben gibt.

Ich weiß, dass in mir etwas ist, ohne das nichts wäre. Das ist dasjenige, was ich Gott nenne.

Jeder Mensch, der darüber nachdenkt, was er ist, muss bemerken, dass er nicht das Ganze sondern ein besonderer, einzelner Teil von etwas ist. Wer das begriffen hat glaubt gewöhnlich, dieses Etwas, von dem er ein Teil ist, sei die materielle Welt, die er sieht, die Erde, auf der er lebt und seine Vorfahren lebten; der Himmel, die Sterne, die Sonne, die er sieht.

Sobald man aber tiefer hierüber nachdenkt, oder sich klar wird, wie die Weltweisen darüber denken, kommt man dahinter, dass dieses Etwas, von dem man sich als ein Teilchen fühlt, nicht die materielle Welt ist, die sich ohne Grenzen nach allen Seiten im Raum und ebenso ohne Grenzen in der Zeit erstreckt – sondern etwas anderes. Wer hierüber tiefer nachdenkt und sich klar wird, wie Weltweise hierüber gedacht haben, der begreift, dass die materielle Welt, die nie begonnen hat und nie endet, und die gar kein Ende haben kann, nicht etwas Wirkliches, sondern nur unser Traum ist, und dass deshalb auch jenes Etwas, als dessen Teilchen wir uns fühlen, weder Anfang noch Ende im Raum und in der Zeit hat, sondern immateriell, geistig ist.

Eben dieses Geistige, das der Mensch als seinen Ursprung bezeichnet, ist dasjenige, was alle Wesen Gott nannten und nennen.

Erkennen kann man Gott nur in sich. Solange man Ihm nicht in sich findet, findet man nirgends.

Es gibt keinen Gott für den, der Ihn nicht in sich kennt.

Ich kenne in mir ein von allem getrenntes geistiges Wesen. Ebensolches von allem getrenntes geistiges Wesen kenne ich auch in anderen Menschen. Wenn ich dieses geistige Wesen aber in mir und in anderen kenne, muss es unbedingt auch an und für sich existieren. Dieses an und für sich existierende Wesen nennen wir Gott.

Nicht du lebst: was du dein Ich nennst, ist tot. Was dich belebt, ist Gott.

Glaub’ nicht, Gott durch Werke zu dienen; vor Gott sind alle Werke nichts. Nicht verdient machen muss man sich vor Gott, sondern Er sein.

Wenn wir mit den Augen nicht sähen, mit den Ohren nicht hörten, mit den Händen nicht fühlten, wüssten wir nichts von unserer Umgebung. Wenn wir Gott in uns nicht kennten, würden wir uns selbst nicht kennen und in uns nicht Den, Der die Umwelt sieht, hört und fühlt.

Wer nicht Gottes Sohn zu werden versteht, bleibt im Finstern.

Wenn ich ein weltliches Leben führe, kann ich ohne Gott auskommen. Ich brauche aber nur darüber nachzudenken, woher ich bei der Geburt gekommen bin, und wohin ich im Tode gehe, so muss ich merken, dass ich von etwas gekommen bin und zu etwas gehe. Ich muss merken, dass ich von etwas mir Unbegreiflichem in diese Welt gekommen bin und zu etwas mir Unbegreiflichem gehe.

Dieses Unbegreifliche, von dem ich gekommen bin und zu dem ich gehe – nenne ich Gott.

Man sagt, Gott ist die Liebe, oder die Liebe ist Gott. Man sagt auch, Gott sei die Vernunft, oder die Vernunft sei Gott. Alles das ist nicht ganz richtig. Liebe und Vernunft sind die Eigenschaften Gottes, die wir in uns kennen; was Er an und für sich ist, können wir nicht wissen.

Gott fürchten ist gut; besser, Ihm lieben. Das Allerbeste aber: Ihn in sich zum Leben erwecken.

Der Mensch bedarf der Liebe. Richtig lieben kann aber nur der, in dem nichts Schlechtes ist. Deswegen muss es etwas geben, woran nichts Schlechtes ist. Solches Wesen ohne alles Schlechte gibt es nur eins: Gott.

Wenn nicht Gott sich selbst in dir geliebt hätte, könntest du nie weder dich, noch Gott, noch deinen Nächsten lieben.

Wenngleich die Menschen bisweilen verschieden über Gottes Wesen urteilen, wissen doch alle, die fest an Gott glauben, stets, was Gott von ihnen will.

Gott liebt die Einsamkeit. Er zieht nur dann in dein Herz, wenn Er allein in ihm ist, wenn du nur an Ihn allein denkst.

Es existiert folgende arabische Erzählung: Als Moses in der Wüste umherzog, hörte er, wie ein Hirt zu Gott betete. Der Hirt betete so: „O Herr, wie gelange ich zu Dir und werde Dein Knecht! Wie gern würde ich Dir Schuhe anziehen, Deine Füße waschen und küssen, Dein Haar kämmen, Deine Kleider reinigen, Deine Wohnung aufräumen und Dir Milch von meiner Herde darbringen! Mein Herz sehnt sich nach Dir“

Als Moses solche Worte hörte, wurde er böse auf den Hirten und sagte: „Du bist ein Gotteslästerer. Gott hat keinen Körper – Er braucht weder Kleidung noch Wohnung, noch Dienerschaft. Du redest übel.“

Da wurde der Hirt traurig. Ohne Körper und leibliche Bedürfnisse konnte er sich Gott nicht vorstellen; konnte nun nicht mehr zu Ihm beten und Ihm dienen und geriet in Verzweiflung. Da sagte Gott zu Moses: „Warum hast du Mir meinen getreuen Knecht entfremdet? Jeder Mensch hat seine eigenen Gedanken und Worte. Was für den einen schlecht, ist für den andern gut; was für dich Gift, ist dem andern süßer Honigseim. Worte bedeuten gar nichts. Ich sehe denen, die sich an mich wenden, ins Herz.“

Die Menschen sprechen verschieden über Gott, fühlen und verstehen Ihn aber alle gleich.

Der Mensch muss an Gott glauben, wie er auf zwei Beinen gehen muss. Dieser Glaube kann sich ändern, kann ganz erstickt werden; der Mensch kann aber ohne Ihn sich selbst nicht verstehen.

Wenn jemand noch nicht weiß, dass er Luft einatmet, weiß er doch, dass, wenn er erstickt, ihm etwas fehlt, ohne das er nicht leben kann. Dasselbe ist mit dem der Fall, der Gott verliert, wenn er auch nicht weiß, worum er leidet.

Ein vernünftiger Mensch muss an Gott glauben

Die Leute sagen, Gott lebt im Himmel. Sie sagen auch, Er lebe im Menschen. Beides ist richtig. Er lebt sowohl im Himmel, d.h. in der unendlichen Welt, wie in der Seele des Menschen.

In seinem abgesonderten Körper ein geistiges ungeteiltes Wesen – Gott wahrnehmend und denselben Gott in allem Lebenden erblickend, fragt sich der Mensch: warum hat Gott das geistige, einheitliche, unteilbare Wesen, nämlich Sich in getrennte Körper, in mich und andere Wesen eingeschlossen? Weshalb hat ein geistiges einheitliches Wesen sich gleichsam in sich selbst geteilt? Warum ist das Geistige, Unteilbare geteilt und körperlich geworden? Warum hat das Unsterbliche Sterblichem sich vereint?

Die Antwort hierauf kennt nur derjenige, der den Willen Dessen erfüllt, Der ihn ins Leben gesandt hat.

„Das geschieht zu meinem Heil“, sagte der Betreffende, „Ich bin dafür dankbar und frage nicht weiter.“

Das was wir Gott nennen, sehen wir am Himmel und in jedem Menschen.

Da blickt man im Winter nachts zum Himmel auf, sieht die Sterne, Sterne über Sterne ohne Ende. Und wenn man dann bedenkt, dass jeder von diesen Sternen viel, vielmal größer ist als die Erde, auf der wir leben und dass hinter den Sternen, die wir sehen, noch Hunderte, Tausende, Millionen ebensolcher und noch größerer Sterne sind, und dass weder Sterne noch Himmel ein Ende haben – so begreift man, dass es etwas gibt, was wir nicht erfassen können.

Wenn wir aber in unser Inneres blicken und das sehen, was wir unser Ich, unsere Seele nennen, etwas, was wir ebenfalls nicht zu begreifen vermögen, dabei aber besser als alles andere kennen, und durch das wir alles Existierende erkennen - : so sehen wir in unserem Inneren etwas noch Verständlicheres und Größeres, als das, was wir am Himmel wahrnehmen.

Eben das, was wir am Himmel sehen und das, was wir in uns in unserer Seele erkennen, nennen wir Gott.

Zu allen Zeiten, bei allen Völkern hat der Glaube an eine unsichtbare Macht gelebt, die die Welt erhält.

Die alten nannten diese Macht: Weltvernunft, Natur, Leben, Ewigkeit; Christen nennen sie: Gott, Vater, Herr, Vernunft, Wahrheit.

Die sichtbare, veränderliche Welt ist gleichsam der Schatten dieser Macht.

Wie Gott ewig ist, ist es auch die sichtbare Welt – Sein Schatten. Sie ist aber nur ein Schatten. Wirklich existierend ist nur die unsichtbare Macht: Gott.

Es gibt ein Wesen, ohne dass weder Himmel noch Erde wäre. Dieses Wesen ist ruhig, körperlos; seine Eigenschaften heißen: Liebe, Vernunft, das Wesen selbst hat keinen Namen, es ist das Allerentfernteste und Nächste.

Jemand wurde gefragt: woher er wüsste, dass Gott existiere? Er erwiderte: Ist Licht zur Morgenröte nötig?

Wenn jemand etwas für groß hält, heißt das, dass er die Dinge nicht von der Höhe Gottes ansieht.

Es ist möglich, dass man an die Unendlichkeit der Welt und an die sich selbst erkennende Seele nicht denkt; sobald man aber darüber nachdenkt, muss man zu dem kommen, was wir Gott nennen.

In Amerika lebt ein blind und taubstumm geborenes Mädchen. Sie lernte durch Tasten Lesen und Schreiben. Als die Lehrerin ihr erklärte, was Gott sei, sagte das Mädchen, sie habe Ihn schon immer gekannt und nur nicht gewusst, wie Er genannt würde.

Gottes Wille

Wir erkennen Gott weniger mit dem Verstande, als dadurch, dass wir uns in seiner Macht fühlen, in der Art eines kleinen Kindes auf dem Arm der Mutter.

Das Kind weiß nicht, wer es hält, wärmt und nährt; weiß aber, dass jemand tut – ja, weiß es nicht nur, sondern liebt das Wesen, in dessen Macht es sich befindet. Dasselbe ist mit großen Menschen bei Gott der Fall.

Je mehr jemand Gottes Willen erfüllt, umso besser kennt er Ihn.

Jemand, der Gottes Willen gar nicht erfüllt, kennt Ihn gar nicht, selbst wenn er Ihn zu kennen behauptet und zu Ihm betet.

Wie man jedes Ding nur erkennt, wenn man nahe herantritt, so erkennt man auch Gott nur, wenn man sich Ihm nähert. Sich Ihm nähren kann man aber nur durch gute Werke. Je mehr jemand sich daran gewöhnt, ein gutes Leben zu führen, umso näher lernt er Gott kennen. Und je näher man Gott kennen lernt, umso mehr gewinnt man die Menschen lieb. Eins fördert das andere.

Gott können wir nicht kennen. Das einzige, was wir von Ihm wissen, ist Sein Gebot, Sein Wille, wie er im Evangelium ausgedrückt ist. Daraus, dass wir Sein Gebot kennen, folgern wir, dass Derjenige existiert, Der das Gebot erlassen hat. Ihn selbst aber können wir nicht kennen. Wir wissen sicher nur, dass wir im Leben das von Gott gegebene Gebot erfüllen müssen und dass unser Leben umso besser ist, je genauer wir Sein Gebot erfüllen.

Jeder Mensch muss fühlen, dass durch sein Leben etwas geschieht, dass er jemandes Werkzeug ist. Wenn er aber jemandes Werkzeug ist, existiert auch jemand, der mit diesem Werkzeug arbeitet. Dieser Jemand, der mit dem Werkzeug arbeitet, ist Gott.

Wunderbar, dass ich früher die einfache Wahrheit nicht habe erkennen können, dass hinter dieser Welt und unserem leben in ihr jemand, etwas ist, das weiß, wozu diese Welt existiert und wozu wir in ihr sind, wie Blasen im Wasser an die Oberfläche steigen, zerplatzten und verschwinden.

Ja, es geschieht etwas in dieser Welt mit allen Lebewesen, auch mit mir und meinem Leben. Wozu wäre sonst die Sonne, der Frühling, Winter, und wozu diese Leiden, Geburt, Tod, Wohltaten, Missetaten, - wozu all diese Einzelwesen, die augenscheinlich für sich keinen Sinn haben und doch mit aller Kraft leben, an ihrem Leben hängen, Wesen, in denen das Leben fest verankert ist. Das Leben dieser Wesen überzeugt mich am meisten davon, dass alles das für ein vernünftiges, gutes, mir allerdings nicht zugängliches Werk erforderlich ist.

Mein geistiges Ich ist meinem Körper nicht ähnlich; folglich weilt es im Körper nicht durch meinen, sondern durch einen höheren Willen.

Dieser Wille ist das, was wir unter Gott verstehen und so nennen.

Gott kann man weder verehren noch loben. Über Gott kann man nur schweigen und Ihm dienen.

Solange jemand singt, schreit und vor allen Leuten sagt: O Gott, Gott! – hat er Gott nicht gefunden. Wer Ihn gefunden hat, der schweigt.

In bösen Augenblicken fühlt man Gott nicht, zweifelt an Ihm. Die Rettung liegt stets in einem sicheren Mittel: nicht mehr an Gott denken, sondern nur an Sein Gebot, und dieses erfüllen. Alle lieben – dann enden sofort die Zweifel, und man findet Gott wieder.

Mit dem Verstande kann man Gott nicht erkennen

Gott in sich fühlen kann man. Das ist nicht schwer. Aber erkennen, was Er ist – das ist unmöglich und unnötig.

Man kann nicht mit dem Verstande begreifen, was Gott und die menschliche Seele sind; ebenso kann man nicht begreifen, dass es keinen Gott und keine menschliche Seele gibt.

Warum bin ich von allem übrigen getrennt; warum weiß ich, dass alles das existiert, wovon ich getrennt bin, und warum kann ich nicht begreifen, was alles das ist? Warum ändert mein Ich sich unaufhörlich? Das kann ich nicht begreifen. Ich kann aber nicht anders, als annehmen, dass in alledem ein Sinn liegt – dass es ein Wesen gibt, für das alles das verständlich ist, das weiß, wozu alles das da ist.

Gott fühlen kann jeder, Ihn kennen – niemand. Deswegen bemühe dich nicht, Ihn kennen zu lernen, sondern bemühe dich, Seinen Willen zu tun, Ihn immer lebhafter in dir zu fühlen.

Gott, den wir begriffen haben, ist schon nicht mehr Gott: der Gott, den man begriffen hat, ist ebenso endlich, wie wir selbst. Gott kann man nicht begreifen. Er ist stets unbegreiflich.

Wenn deine Augen von der Sonne blind werden, sagst du nicht, es gäbe keine Sonne. Du wirst auch nicht sagen, es gäbe keinen Gott, weil dein Verstand irre wird und schwindet, da du Anfang und Grund des Alls begreifen willst.

„Warum fragst du nach meinem Namen!“, sagt Gott zu Moses. „Wenn du hinter dem, was sich bewegt, das sehen kannst, was stets war, ist und sein wird, so kennst du Mich. Mein Name ist ebenso wie mein Wesen. Ich bin. Bin das, was ist.

Wer meinen Namen wissen will, der kennt Mich nicht.“

Die Vernunft, die man begreifen kann, ist nicht die ewige Vernunft; das Wesen, das man nennen kann, nicht das höchste Wesen.

Gott ist für mich das, wonach ich strebe. In diesem Streben besteht mein Leben; deswegen ist Er für mich, ist aber so, dass ich Ihn nicht begreifen, nicht nennen kann. Wenn ich Ihn begreife, würde ich zu Ihm gehen; dann hätte mein Streben ein Ende und es gäbe kein Leben mehr für mich. Ich kann ihn aber nicht begreifen und nicht nennen, und kenne Ihn dabei doch, kenne die Richtung zu Ihm, ja, von all meinen Kenntnissen ist diese die sicherste.

Sonderbar, dass ich Ihn nicht kenne, dass mir aber gleichzeitig schrecklich ist, wenn ich ohne Ihn bin und nur dann Ruhe habe, wenn Er bei mir ist. Noch sonderbarer, dass, Ihn näher und besser zu kennen, als ich Ihn in meinem jetzigen Leben kenne – für mich gar nicht nötig ist. Mich Ihm nähern kann ich und will ich – in dieser Annäherung besteht mein Leben; die Annäherung vermehrt aber nicht, kann nicht vermehren meine Kenntnisse von Ihm. Jeder Versuch einer Vorstellung von Ihm (z.B. Er sei Schöpfer, oder barmherzig, oder etwas Ähnliches) entfernt mich von Ihm, beschränkt meine Annäherung an Ihn. Sogar das Fürwort „Er“ in Bezug auf Gott beeinträchtigt schon Seine Bedeutung. Das Fürwort „Er“ verkleinert Ihn gleichsam.

Alles, was man über Gott sagen kann, ist Ihm nicht ähnlich. Mit Worten kann man Gott nicht ausdrücken.

Über den Unglauben

Der vernünftige Mensch findet in sich einen Begriff für seine Seele und die Weltseele – Gott; er bleibt in der Erkenntnis seines Unvermögens, diese Begriffe ganz klar auszudrücken, ergeben vor ihnen stehen und rührt sie nicht an.

Es gab und gibt Leute mit verfeinertem Verstand und Wissen, die durch Worte den Gottesbegriff erklären wollen. Ich verurteile diese Leute nicht. Sie haben aber Unrecht, wenn sie sagen, es gäbe keinen Gott. Ich gebe zu, dass schlaue Machenschaften Menschen eine Zeitlang überzeugen können, es gäbe keinen Gott; aber diese Gottlosigkeit kann nicht lange dauern; so oder so bedarf der Mensch stets Gottes. Würde die Gottheit uns in noch größerer Klarheit erscheinen als jetzt, so, bin ich überzeugt, würden Gottes Widersacher neue Listen ersinnen, um Ihn zu leugnen. Die Vernunft ordnet sich den Forderungen des Herzen stets unter.

Der Glaube, dass es keinen Gott gibt, ist nach Lao-Tse gerade so wie die Annahme, dass wenn jemand mit Pelz die Luft bewegt, der Wind von Pelz ausgeht und nicht von der Luft, und dass der Pelz auch da Wind erzeugen könnte, wo keine Luft ist.

Wenn Menschen, die ein schlechtes Leben führen, sagen, es gäbe keinen Gott, haben sie Recht. Gott ist nur für die da, die nach Ihm hinschauen und sich Ihm nähern. Wer sich aber von Ihm abgewandt hat und sich von Ihm entfernt – für den gibt es keinen Gott, kann es keinen geben.

Zwei Menschenarten kennen Gott: solche mit frommem herzen, einerlei ob sie klug oder dumm sind – und wahrhaft Verständige. Nur Hochmütige und Menschen mit Durchschnittverstand kennen Gott nicht.

Es ist möglich, Gott nicht zu nennen, dieses Wort nicht auszusprechen; Ihn aber nicht anerkennen ist unmöglich. Nichts ist, wenn Er nicht ist.

Nur für den gibt es keinen Gott, der Ihn nicht sucht. Such Ihn, so wird Er sich dir offenbaren.

Moses sprach zu Gott: „Wo soll ich Dich finden, Herr?“ Gott antwortete: „Du hast Mich schon gefunden, wenn du Mich suchst.“

Wenn dir der Gedanke kommt, alles, was du über Gott gedacht, sei unwahr, es gäbe keinen Gott – so gerate darüber nicht in Bestürzung, sondern wisse, dass das mit allen Menschen der Fall war und ist. Glaub’ aber nur nicht, dass, wenn du nicht mehr wie früher an Gott glaubst, das daher rührt, weil kein Gott existiert. Wenn du nicht mehr an denselben Gott wie früher glaubst, so rührt das daher, dass an deinem Glauben etwas verkehrt war.

Wenn ein Wilder nicht mehr an seinen Holzgötzen glaubt, heißt das nicht: es gibt keinen Gott, sondern nur: Gott ist nicht Holz. Begreifen können wir Gott nicht, wir können Ihn aber mehr und mehr erkennen. Wenn wir also einen rohen Gottesbegriff über Bord werfen, dient uns das zum Nutzen. Es geschieht, damit wir immer besser erkennen, was wir Gott nennen.

Gottesbeweise! Beweisen, dass Gott ist! – Kann es etwas Dümmeres geben? Gott beweisen, ist gerade so wie das Leben beweisen. Wem beweisen? Wodurch? Wozu? Wenn kein Gott ist, ist gar nichts. Wie kann man Ihn beweisen?

Gott ist. Wir brauchen das nicht zu beweisen. Gottesbeweise sind Blasphemie; Gottesleugner: Irre. Gott lebt in unserem Gewissen, im Bewusstsein der ganzen Menschheit, im ganzen Weltall. Unter dem gestirnten Himmel, am Grabe teurer Angehöriger, oder beim Tode eines Märtyrers; Gott leugnen kann nur ein sehr elender oder ein sehr verdorbene Mensch.

Die Liebe zu Gott

„Ich verstehe nicht, was Liebe zu Gott heißt? Wie kann man etwas Unbegreifliches, Unbekanntes lieben? Lieben kann man seinen Nächsten, das ist verständlich und gut; dagegen: Gott lieben, sind nur leere Worte.“ So sprechen und denken viele. Die aber so sprechen und denken, sind in einem rohen Irrtum befangen, verstehen nicht, was es heißt, seinen Nächsten lieben – nicht angenehmen und uns nützlichen Menschen, sondern gleichmäßig jeden, selbst wenn dieser der unangenehmste und feindlichste Mensch ist. So seinen Nächsten lieben kann nur, wer Gott liebt, den Gott, der in allen Menschen einer ist. So ist also unverständlich nicht die Liebe zu Gott, sondern die Liebe zum Nächsten ohne Liebe zu Gott.

Der Lebensweg - ein Werk von Leo Tolstoi

Подняться наверх