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Sünden, Verführung, Aberglaube

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Das Leben wäre ununterbrochenes Glück, wenn nicht Aberglaube, Verführung und Sünden die Menschen des möglichen und ihnen zugänglichen Glückes beraubten. Sünde – ist Nachgiebigkeit gegen leibliche Begierden; Verführung – falsche Vorstellung, die man von seinem Verhältnis zur Welt hat; Aberglaube – falsche Lehren, die für wahr gehalten werden.

Das wahre Leben liegt nicht im Körper, sondern im Geist

„Sünde“ nennt man im Russischen beim Pflügen, wenn der Pflüger den Pflug nicht festhält, so dass er aus der Furche springt und die Scholle nicht fasst. Dasselbe ist im Leben der Fall. Sünde ist, wenn jemand den Körper nicht in der Gewalt hat, so dass er aus dem Geleise springt und nicht das tut, was er muss.

Junge Leute, die das wahre Ziel des Lebens, Vereinigung in Liebe nicht kennen, setzen sich als Lebensziel die Befriedigung leiblicher Begierden. Es wäre gut, wenn dieser Irrtum sich auf den Verstand beschränkte; leider greift die Befriedigung leiblicher Begierden auch auf die Seele über und beschmutz sie, so dass der Mensch die Fähigkeit verliert, sein Glück in der Liebe zu suchen. Das ist gerade, wie wenn jemand, um sich reines Trinkwasser zu verschaffen, das Gefäß verunreinigt, mit dem er Wasser schöpfen muss.

Du willst deinem Körper möglichst viel Vergnügen verschaffen? Aber wie lange lebt denn der? Sich um sein leibliches Wohl bekümmern ist gerade, wie ein Haus auf Eis bauen. Welche Freude kann solches Leben mit sich bringen und welche Ruhe? Muss man nicht beständig fürchten, dass früher oder später das Eis auftaut – dass man früher oder später seinen toten Körper verlassen muss?

Baue dein Haus auf festen Grund – arbeite an dem was nicht stirbt: reinige deine Seele, befrei sie von Sünden, Anfechtung und Aberglaube.

Das Kind fühlt noch nicht die Seele in sich; deswegen geschieht mit ihm nicht, was Erwachsenen widerfährt, wenn gleichzeitig zwei verschiedene Stimmen zu ihnen sprechen: die eine sagt: iss selbst auf; die andere: gib dem, der dich bittet. Eine sagt: glaub an das, was man sagt; die andere: denk selbst nach. Und je älter man wird, umso deutlicher hört man diese beiden verschiedenen Stimmen: die des Körpers und die geistige. Wohl dem, der auf die geistige Stimme hört.

Die einen setzen ihr Leben an Bauchdienst; die anderen an geschlechtliche Liebe; die dritten an Macht; die vierten an Menschenruhm, und vergeuden damit all ihre Kräfte. Man muss stets nur auf eins bedacht sein: seine Seele zu entwickeln. Nur sie gibt den Menschen wahres Glück, das niemand ihnen nehmen kann.

Niemand kann zweien Herren dienen: entweder wird er einen hassen und den andern lieben, oder er wird einem anhängen und den andern verachten. Man kann nicht Gott und dem Mammon dienen. (Matthäus VI,24)

Man kann sich nicht gleichzeitig um sein Seelenheil und um weltliche Güter bemühen. Wer diese erwerben will, muss auf seine Seele verzichten; wer die Seele bewahren will – auf weltliche Güter. Sonst gerät man in Zwiespalt und erhält keins von beiden.

Die Menschen wollen Freiheit erlangen, indem sie ihren Körper vor alledem bewahren, was ihm hinderlich sein kann. Das ist ein großer Fehler. Das, wodurch die Menschen ihr leibliches Dasein vor allen Beschränkungen bewahren: Reichtum, vornehmer Stand, Ansehen – gibt nicht die gewünschte Freiheit, sondern beschränkt noch mehr. Um Freiheit zu erlangen, bauen die Menschen aus Sünden, Verführung und Aberglauben ein Gefängnis und sperren sich selbst hinein.

Unsere Aufgabe in diesem Leben ist eine zweifache. Einmal müssen wir die Seele in uns entwickeln; zweitens, Gottes Reich auf Erden begründen. Beides geschieht auf dieselbe Art: dadurch, dass wir das göttliche Licht in uns, in unsere Seele befreien.

Der rechte Weg ist frei und gerade; wer ihn wandelt, stolpert nicht. Sobald du fühlst, dass deine Beine sich in Mühen und Sorgen verwickeln, bis du vom rechten Wege abgekommen.

Was sind Sünden?

Nach buddhistischer Lehre gibt es fünf Hauptgebote. Das erste lautet: Töte vorsätzlich kein lebendes Wesen. Zweitens: eigne dir nicht an, was ein anderer für sein Eigentum hält. Drittens: Sei keusch. Viertens: sag nicht die Unwahrheit. Fünftens: Berausch dich nicht durch Getränke, noch durch Rauchen. Als Sünden gelten deswegen bei den Buddhisten: Mord, Diebstahl, Unzucht, Trunkenheit, Lüge.

Nach evangelischer Lehre gibt es nur zwei Gebote der Liebe. Als der „Schriftgelehrte“ Ihn versuchte und sprach: Meister, welches ist das vornehmste Gebot im Gesetz? Sagte Jesus zu ihm: Du sollst Gott deinen Herrn lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Das ist das vornehmste und größte Gebot; das zweite aber ist dem gleich: du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Deswegen ist nach christlicher Lehre Sünde alles, was mit diesen beiden Geboten nicht übereinstimmt.

Die Menschen werden nicht für ihre Sünden bestraft, sondern durch die Sünden selbst. Und das ist die schwerste und sicherste Strafe.

Es kommt vor, dass ein Betrüger oder Beleidiger sein ganzes Leben in Reichtum und Ehren verbringt und ebenso stirbt. Das heißt aber durchaus nicht, dass er der Strafe für seine Sünden entgangen ist. Diese Strafe erfolgt nicht irgendwo im Jenseits, wo noch niemand war, und niemand sein wird – sondern sie erfolgt hier. Der Betreffende wird schon hier dadurch bestraft, dass er sich durch jede neue Sünde immer weiter vom wahren Glück, von der Liebe entfernt, und immer weniger seines Lebens froh wird. Gerade wie ein Trunkenbold (einerlei, ob die Menschen ihn wegen seiner Trunkenheit verachten, oder nicht) außer durch Kopfschmerzen und Kater sicher schon dadurch bestraft wird, dass je häufiger er trinkt, umso elender ihm körperlich und geistig zumute wird.

Wenn jemand glaubt, sich in diesem Leben von Sünden befreien zu können, so irrt er sehr. Man kann mehr oder weniger sündig sein, aber niemals ganz sündlos sein, weil in der Befreiung von Sünden das ganze menschliche Leben besteht und nur in ihr das wahre Lebensglück liegt.

Verführung und Aberglaube

Die Aufgabe des Menschen in diesem Leben besteht darin, den Willen Gottes zu erfüllen. Gottes Wille ist, dass der Mensch die Liebe in sich vermehrt und sie zum Vorschein bringt. Was kann der Mensch aber tun, um die Liebe zum Vorschein zu bringen? Nur eins: alles beseitigen, was ihr im Wege ist. Was ist ihr aber im Wege? Sünden, die sie am erscheinen hindern.

So muss der Mensch, um Gottes Willen zu erfüllen, nur eins tun: sich von Sünden befreien.

Sündigen ist menschlich; Sünden rechtfertigen: teuflisch.

Solange jemand keine Vernunft besitzt, lebt er wie ein Tier; ob es ihm gut geht oder schlecht, - er ist nicht schuld daran. Es kommt aber eine Zeit, wo der Mensch beurteilen lernt, was er tun muss und was nicht. Dann verwendet er, anstatt zu begreifen, dass seine Vernunft ihm zur Erkenntnis des Guten und Bösen gegeben ist, - diese oft darauf, das Schlecht, das ihm angenehm ist und an das er sich gewöhnt hat, zu rechtfertigen. Auf diese Weise entstehen Verführungen und Aberglaube, unter denen die Welt am meisten leidet.

Schlimm, wenn jemand glaubt, er sei ohne Sünden und brauche nicht an sich zu arbeiten. Ebenso schlimm, wenn jemand glaubt, er sei in Sünden geboren, würde in Sünde sterben, und es hätte deswegen gar keinen Zweck an sich zu arbeiten. Beide Irrtümer sind verderblich.

Schlimm, wenn jemand, der unter sündigen Menschen lebt, weder seine Sünden noch die anderer Leute wahrnimmt; noch schlimmer aber, wenn der Betreffende die Sünden anderer wahrnimmt, seine dagegen nicht.

In der ersten Lebenszeit wächst im Menschen nur der Körper und man hält sich nur für einen Körper. Selbst wenn das Bewusstsein im Menschen erwacht, gibt er dennoch den Anforderungen des Körpers nach, die den seelischen zuwider laufen, fügt sich dadurch Schaden zu, irrt und sündigt. Je länger jemand aber lebt, um so lauter spricht die Stimme im Innern und umso weiter gehen leibliche und geistige Wünsche auseinander. Es kommt eine Zeit, wo der Körper alt und schwach wird und immer weniger verlangt; das geistige Ich aber immer mehr zunimmt. Dann erfinden Leute, die gewohnt sind, ihrem Körper zu dienen, um dem früheren Leben nicht entsagen zu müssen, Verführung und Aberglaube, die es ihnen ermöglichen, in Sünden zu leben. Wie sehr man sich aber auch bemüht, den Körper vor dem geistigen Ich zu schützen – dieses trägt stets den Sieg davon, wenn auch erst in den letzten Augenblicken des Lebens.

Jeder Fehler, jede Sünde, die du begehst, umgarnen dich. Tust du sie zum ersten Mal, so umgarnen sie dich zart, wie Spinnweben. Wiederholst du die Sünden, so werden die Spinnweben zum Faden, dann zur Schnur. Hierauf bindet dich die Sünde, die du wiederholst, wie mit Stricken und schließlich wie mit Ketten.

Zunächst ist die Sünde in deiner Seele fremd; denn ist sie Gast, und schließlich Herr im Hause.

Ein Seelenzustand, in dem der Mensch sich des Bösen, das er tut, nicht bewusst wird, tritt dann ein, wenn man entweder sein Verhalten nicht vernünftig prüft, oder, noch schlimmer, wenn man die Vernunft dazu verwendet, seine Handlungen zu rechtfertigen, die der Verführung und dem Aberglauben entsprungen sind.

Wer zum ersten Mal sündigt, fühlt stets seine Schuld; wer aber dieselbe Sünde häufig wiederholt, der unterliegt, besonders wenn seine Umgebung in derselben Weise sündigt, der Verführung und fühlt die Sünde nicht mehr.

Junge Leute, die zu leben beginnen, betreten neue unbekannte Bahnen und finden rechts und links glatte, verlockende, amüsante Seitenwege. Man braucht sie nur zu betreten, so erscheint auf ihnen zunächst alles so amüsant und nett, dass man immer weiter geht. Will man dann aber auf den alten bekannten Weg zurück, so weiß man nicht mehr, wie man umkehren soll; geht immer weiter und gerät schließlich ins Verderben.

Wenn jemand eine Sünde begangen hat und das begriffen hat, stehen ihm zwei Wege offen: der erste ist, seine Sünde eingestehen und darüber nachdenken, wie man eine Wiederholung vermeidet. Der zweite: seinem Gewissen nicht trauen, sich danach erkundigen, wie die Leute über die begangene Sünde denken, und wenn die sie nicht verurteilen, weiter sündigen, ohne sich etwas dabei zu denken.

„Warum soll ich nicht dasselbe tun wie andere; sie machen’s ja alle so!“

Sobald jemand auf diesem glatten abschüssigen Wege angelangt ist, bemerkt er nicht mehr, wie er sich vom Guten entfernt.

Verführung und Aberglaube umgeben den Menschen auf allen Seiten. Der Lebensweg inmitten dieser Gefahren ist gerade so, wie ein Sumpf, in den man beständig versinkt und sich dann wieder herausarbeitet.

„Es muss Ärgernis in die Welt kommen“, sagte Christus. Ich denke, der Sinn des Ausspruches ist folgender: Erkenntnis der Wahrheit genügt nicht, um die Menschen vom Bösen abzuhalten und sie an das Gute zu gewöhnen. Um diese Wahrheit zu erkennen, müssen die meisten Menschen durch Sünden, Verführung und Aberglauben bis äußerste Ende der Verirrung und der aus ihr entspringenden Leiden gelangen.

Sünden rühren vom Körper her; Verführung von der Meinung der Leute; Aberglaube vom Misstrauen gegen eigene Vernunft.

Jemand, der reine Schuhe anhat, geht vorsichtig um eine Pfütze herum; sobald er aber einmal fehlgetreten ist und die Schuhe beschmutz hat, ist er weniger vorsichtig; und wenn er sieht, dass die Schuhe schmutzig sind, patsch er dreist im Dreck herum und beschmutzt sich immer mehr.

So hütet man sich auch in der Jugend, wenn man noch rein ist, vor schlechten und abscheulichen Dingen; sobald man aber ein – oder zweimal gefehlt hat, denkt man bereits, ob man sich nun in acht nimmt oder nicht – es kommt ja doch, was kommen muss, und lässt allen Lastern freien Lauf. Handle nicht so. Hast du dich beschmutzt – reinige dich und sei in Zukunft vorsichtiger; hast du gesündigt – tu Buße und hüte dich in Zukunft vor der Sünde.

Leibliche Sünden lassen mit den Jahren nach; Verführung und Aberglaube aber lassen nicht nach, sondern werden mit den Jahren stärker.

Das Hauptlebenswerk des Menschen besteht in der Befreiung von Sünden, Verführung und Aberglaube

Man freut sich, wenn der Körper aus der Gefangenschaft oder aus dem Gefängnis befreit wird. Wie soll sich jemand nicht freuen, wenn er von Sünden, Verführung und Aberglaube frei wird, die seine Seele gefangen hielten?

Wenn man sich ausmalt, dass die Menschen nur ein tierisches Dasein führen und ihre Leidenschaften nicht bekämpfen würden – wie schrecklich wäre dann das Leben, welcher Hass aller gegen alle würde dann wüten, und welche Sittenlosigkeit und Grausamkeit würde herrschen. Nur dadurch, dass die Menschen ihre Schrecken und Leidenschaften kennen, und ihre Sünden, Verführung und Aberglauben bekämpfen, wird ein Zusammenleben möglich.

Den Geist, der im Körper lebt, bindet dieser Körper. Der Geist dringt aber mehr und mehr durch den Körper hindurch und macht sich frei. Darin besteht das Leben.

Ob man will oder nicht – das Leben führt zu stets fortschreitender Befreiung von Sünden. Wer das begreift, unterstützt durch Bemühungen, was durch sein Leben geschieht. Das Leben solcher Menschen ist leicht, weil es mit dem übereinstimmt, was in ihm geschieht.

Kinder sind noch nicht an Sünden gewöhnt; jede Sünde ist ihnen zuwider. Erwachsene unterliegen bereits der Verführung, sündigen und merken es gar nicht.

Wer seine Sünden nicht eingesteht, kann wie ein fest verkorktes Gefäß nicht das in sich aufnehmen, was ihn von Sünden befreit. Sich demütigen, bereuen, heißt das Gefäß öffnen, sich zur Befreiung von Sünden tauglich machen.

Buße tun heißt seine Sünden eingestehen und sich um Kampf mit ihnen rüsten. Deswegen ist Buße dann gut, wenn man noch Kraft besitzt.

Öl muss man nachgießen, wenn der Docht noch nicht erloschen ist.

Zu einem Greise kamen zwei Frauen, um sich belehren zu lassen. Die eine hielt sich für eine große Sünderin. Sie hatte in ihrer Jugend ihren Gatten betrogen und machte sich deswegen beständig Vorwürfe. Die andere aber hatte ein ordentliches Leben geführt, maß sich keine besondere Schuld bei, sondern war mit sich zufrieden.

Der Alte fragte beide Frauen nach ihrem Leben. Die eine gestand ihm unter Tränen ihre große Sünde. Sie hielt sie für so groß, dass sie keine Vergebung erwartete; die andere sagte, sie sei sich keiner Schuld bewusst.

Da sagte der Greis zu der ersten:

„Magd Gottes, geh hinter den Zaun, such einen großen Stein, so schwer du ihn heben kannst und bring ihn mir . . . Du aber,“ wandte er sich an die andere, die sich keiner großen Sünde bewusst war, „bring mir auch Steine, so viele du tragen kannst, aber lauter kleine.“

Die Frauen machten sich auf den Weg und taten, was ihnen der Alte geheißen. Die eine brachte einen großen Stein, die andere einen Sack voll kleiner Steine.

Der Greis betrachtete die Steine uns sagte:

„Jetzt tut folgendes: Tragt die Steine zurück und legt sie an dieselbe Stelle, wo ihr sie fortgenommen habt. Wenn ihr damit fertig seid, kommt wieder zu mir.“

Die Frauen vollzogen den Befehl des Alten. Die erst fand bald die Stelle, von der sie den großen Stein geholt hatte und legte ihn wieder genau an seinen Platz; die andere wusste nicht mehr all die Stellen, von denen sie die Steine geholt hatte und kehrte schließlich, ohne den Auftrag erledigt zu haben, mit ihrem Sack zum Alten zurück.

„Seht ihr, “ sagte der Alte, „genau so ist es mit den Sünden. Du hast den großen schweren Stein wieder an Ort und Stelle gebrach, weil du wusstest, wo du ihn hernahmst. Du aber konntest nicht damit zurechtkommen, weil du nicht mehr wusstest, woher du die kleinen Steine geholt hattest.

Genau so ist es mit den Sünden.

Du bist dir deiner Sünde bewusst; hast die Vorwürfe der Menschen und deine Gewissensbisse ertragen, in Demut alles auf dich genommen und bist deshalb von den Folgen der Sünde befreit.

Du aber“ – wandte sich der Greis an das Weib das die kleinen Steine gebracht – „hast lauter kleine Sünden begangen, sie nicht im Gedächtnis behalten, nicht bereut, dich an ein Leben in Sündern gewöhnt, verurteilst die Vergehen anderer und versinkst dabei immer tiefer in Sünde.“

Der Mensch wird in Sünden geboren. Von Körper kommen allen Sünden; im Menschen lebt aber der Geist und kämpf mit dem Körper. Das ganze menschliche Leben ist der Kampf des Geistes mit dem Körper. Wohl dem, der sich in diesem Kampf nicht auf Seiten des Körpers stellt, der sicher besiegt wird, sondern auf Seiten des Geistes, der sicher siegt, wenn auch erst im letzten Augenblick des Lebens.

Es ist ein großer Fehler, anzunehmen, dass man sich durch Glauben oder Verzeihung der Menschen von Sünden befreien könne. Von Sünden kann man sich überhaupt nicht befreien. Man kann sie nur erkennen und sich bemühen, ihre Wiederholung zu vermeiden.

Gib niemals einer Sünde nach, sag nicht: ich muss sündigen, bin daran gewöhnt, bin schwach. Solange du lebst, kannst du stets gegen die Sünde kämpfen und sie bezwingen; wenn nicht heute, so morgen, oder übermorgen, oder überübermorgen und ganz sicher vor dem Tode. Wenn du aber von vornherein auf jeden Kampf verzichtest, verzichtest du auf das Hauptwerk deines Lebens.

Du kannst dich nicht, zur Liebe zwingen. Dass du aber nicht liebst, heißt nicht, dass dir keine Liebe innewohnt, sondern, etwas in dir ist, was die Liebe hindert. Wie du die Flasche auch umdrehst und wie du sie auch schüttelst – wenn der Pfropfen festsitzt, kommt nichts heraus, bis du ihn entfernt hast. Ebenso ist es mit der Liebe. Deine Seele ist voll von ihr; sie kann aber nicht zum Vorschein kommen, weil deine Sünden sie nicht herauslassen. Befrei deine Seele von dem, was sie verschließt, so gewinnst du alle lieb, sogar diejenigen, die du Feinde nanntest und hassest.

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Wehe dem Menschen, der sagt, er sei sündenlos.

Sündlos ist der, in dem kein Bewusstsein des mit Gott und allem Lebenden vereinten Geistes vorhanden ist. Deswegen sind Tiere, Pflanzen sündlos.

Der Mensch dagegen erkennt in sich gleichzeitig das Tier und Gott und kann deswegen nicht sündlos sein. Wir nennen Kinder sündlos – das ist unrichtig. Ein Kind ist nicht sündlos. In ihm sind weniger Sünden als in Erwachsenen, aber es sind schon welche da. Ebenso ist der allerheiligste Mensch nicht sündenfrei. In ihm sind weniger Sünden, aber vorhanden sind welche – ohne Sünden gibt kein Leben.

Um uns an den Kampf gegen die Sünde zu gewöhnen, müssen wir von Zeit zu Zeit aufhören, das übliche Lebenswerk zu tun, um zu fühlen, dass wir Herr über unseren Körper sind, und nicht dieser über uns.

Bedeutung der Sünden, Verführung, Aberglauben und falscher Lehren für das geistige Leben

Leute, die glauben, dass Gott die Welt geschaffen, fragen oft: Warum hat Gott die Menschen so geschaffen, dass sie sündigen müssen, gar nicht sündlos sein können? – Diese Frage ist gerade so, wie die, warum Gott die Mütter so geschaffen hat, dass sie, um Kinder zu haben, sich quälen, gebären, die Kinder nähren und aufziehen müssen? Wäre nicht einfacher, wenn Gott den Mütter gleich fertige Kinder, ohne Wehen, ohne Nähren, ohne Mühen, Sorgen und Angst gäbe? Keine Mutter fragt so, weil das Kind ihr gerade deswegen teuer ist, weil sie es unter Schmerzen geboren hat und in dem Nähren, dem Aufziehen und den Sorgen für die Kinder ihre beste Lebensfreude liegt.

Ebenso ist es mit dem Menschenleben: Sünden, Verführung und Aberglauben, im Kampfe mit ihnen und Sieg über sie – darin liegt der Sinn und die Freude des Lebens.

Es ist schwer, seine Sünden kennen zu lernen; dafür macht es große Freude, wenn man sich von ihnen befreit. Gäbe es keine Nacht, so würden wir uns über das Sonnenlicht nicht freuen. Gäbe es keine Sünden, würde man die Freude der Rechtschaffenheit nicht kennen.

Wenn der Mensch keine Seele hätte, würde er die Sünde nicht kennen; und wenn es keine Sünde gäbe, würde er nicht wissen, dass er eine Seele hat.

Seitdem es Menschen, vernünftige Wesen gibt, haben sie das Gute vom Bösen unterschieden und Nutzen aus dem gezogen, was andere vor ihnen in dieser Unterscheidung geleistet – haben mit dem Bösen gekämpft, den besten Weg zur Wahrheit gesucht und sind langsam, aber unaufhaltsam auf diesem Wege vorgedrungen. Und stets sind vor den Menschen Verführungen, Aberglaube und falsche Lehrer erschienen, die den Weg versperrt haben und sagten, das brauche man nicht zu tun; man brauche nichts zu suchen; es ginge so gut, man brauche nur so weiter zu leben.

Sünden, Verführung und Aberglaube bilden das Erdreich, das den Samen der Liebe bedecken muss, damit dieser aufgehen kann.

Der Lebensweg - ein Werk von Leo Tolstoi

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