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4. Die plurale Gesellschaft und die Kirchengebäude
ОглавлениеFür die jüngere Vergangenheit und für die Gegenwart ist die vorgeführte Erklärung, warum ein Kirchengebäude an einem bestimmten Ort errichtet worden ist, ohne Bedeutung. Kirchengebäude sind vorrangig unter den Aspekten der Angemessenheit für Gottesdienstfeiern und der topographischen Lage geplant errichtet worden. In der Gegenwart jedoch kommt überkommenen Kirchengebäuden im Stadtbild der säkularen Stadt ein besonderer Charakter zu.
Den Hinweischarakter, der christlichen Kirchengebäuden in unserer Zeit eigen ist, hat der Soziologe H.-G. Soeffner besonders herausgestellt: Kirchengebäude sind nach wie vor „Freiräume, die Menschen von der Pragmatik der Sach- und Alltagszwänge zumindest teilweise entbinden können. Allerdings, in unserer Gesellschaft wird diese Leistung auch von den Moscheen, Tempeln, Synagogen und Gemeindezentren anderer Religionen erbracht – und nicht nur von ihnen, sondern auch von Museen, Theatern, Kinos, Diskotheken und Freizeitzentren: den ‚Kultorten‘ der Lebensstile.“33
Zu den Spezifika christlicher Kirchengebäude in der Gegenwart führt Soeffner aus:
– Kirchengebäude sind nicht die Wohnungen eines Gottes, sondern monumentale Verweise auf etwas, was den Alltag transzendiert. Sie signalisieren in ihren heutigen Gestalten zuallererst ihre Besonderheit gegenüber den pragmatisch genutzten Funktionsräumen.
– Kirchengebäude sind Identifikationszeichen für den christlichen Glauben und einer besonderen Tradition gegenüber anderen Religionen und Traditionen.
– Kirchengebäude „sind sichtbar herausgehobene Nischen einer bestimmten Glaubensvorstellung innerhalb der ‚Angebotslandschaft‘ und der Messestände von Weltanschauungen unserer Zeit“34.
– Kirchengebäude sind Erinnerungszeichen. Sie ziehen auch die an, die das Kollektiv meiden oder ihm misstrauen. Die individuelle Religiosität lässt sich nicht in die Amtskirche, auch nicht in die Gemeinde binden – wohl aber an die Dokumentation von Erfahrungen anderer. „Jeder Bau repräsentiert auf seine Weise, selbst in architektonischen und künstlerischen Fehlleistungen oder Geschmacksverirrungen, die Wege, auch Neben- und Irrwege, christlicher Glaubensvorstellungen. Die Geschichte des Kirchbaus ist Teil der Erfahrungs- und Vorstellungsgeschichte des christlichen Glaubens.“35
Der Theologe F. Steffensky betont die Notwendigkeit der Sichtbarkeit und deutlichen Erkennbarkeit von Kirchengebäuden in den Städten. „Die Kirchen sollen zur Verfügung stehen mit ihren Gebäuden, mit ihrer Sprache, mit ihren alten Gesten für die Zeiten, in denen Menschen sie brauchen … Damit aber die Kirche zur Verfügung stehen kann, muss sie deutlich und sichtbar sein, deutlich innen und deutlich nach außen.“36