Читать книгу Urlaub oder Leben - Franz L. Huber - Страница 8

Оглавление

Am Strand


Am nächsten Tag fühle ich mich schon deutlich besser. Mit einer sich zunehmend normalisierenden Darmtätigkeit kommt auch meine Unternehmungslust wieder in Gang. Ich packe in aller Früh schon mal alles für einen langen Strandtag zusammen, noch bevor sich Tina aus den Federn rupft. Anschließend sorge ich für ein landestypisches Frühstück: Brioche und caffè, wie die Einheimischen den Espresso nennen.

Ich habe nämlich keine Lust mehr auf Otto, weder auf den flotten noch auf seinen stählernen Kumpel!

Dafür erfreue ich mich an den Gesichtern meiner Lieben beim Anblick der warmen Brioche. Bei so viel Frohsinn fällt es mir gar nicht so schwer, Vollkornbrot zu essen. Ohne Butter, natürlich. Fett stopft. Dazu verspeise ich aber gleich mal die ersten beiden von vielen Feigen, die ich wegen ihrer Verdauung anregenden Komponente bereits schätzen lernen durfte. Für einen von Erfolg gekrönten Toilettenbesuch ebenfalls nicht mehr wegzudenken ist Birnensaft, den ich mir gleich literweise zuführe; so kann ich mir das Abführen sparen. Leider gibt es Birnensaft in Italien nicht pur, allenfalls eine stark überzuckerte Wassermischung mit mageren 50 % Fruchtanteil dafür aber 100% Kindertauglichkeit. Egal, der Zweck heiligt die Mittel. Und immerhin hat mir meine selbst verordnete Kur wieder zu mehr Bewegungsfreiheit verholfen. Auch innerlich. Ich freu mich auf den Strand!


*


Rimini hat uns also wieder! Nein, nicht das legendäre teuto-adriatische Touristenmonstrum im süd-östlichen Italien. Sondern, quasi metaphorisch, das „eigene“ Rimini, wobei der Name des Ortes dabei ja immer für das in dem jeweiligen Ort Erlebte steht. Etwa wie „die Ehe mit ihm war mein Vietnam“ oder „mit meiner ersten Frau habe ich mein persönliches Waterloo erlebt“. Nicht, dass wir hier schon mal schlimme Tage verbracht hätten. War’n ja in den letzten Jahren gar nicht da. Geschweige denn überhaupt im Urlaub. Doch der erste Eindruck hier, schmeckt nach den unzähligen Rimmini-Reiseberichten von Freunden und Bekannten und handelt lediglich von einem einzigen Superlativ: Überfüllung.

Einer bunten Armada überdimensionierter, verkehrt herum aufgestellter Kinderkreisel gleich, reihen sich unzählige Sonnenschirme zu einer undurchdringlichen Wand. Wie eine bunt pulsierende Riesenraupe, die sich behäbig auf dem Strand wälzt. Und unter den farbenfrohen Sonnenpilzen findet reges Strandleben statt. Kinder wühlen durch den Sand, mal darüber mal darunter, und geben so ihrer unendlichen Lebenslust Gestalt. Erwachsene Männer wühlen in ihren Kindheitserinnerungen und geben ihnen in Form von Burgen, Formel 1-Autos und anderen scharfen Kurven eine sandige Gestalt. Frauen wühlen in Kekstüten und geben so ihren weichen Kurven mehr Gestalt.

Eben „Rimini“. Allerdings nur hinsichtlich der enormen Dichte von Urlaubern und deren Sonnenschirmen. Denn diese wunderbare Bucht in Sichtweite Elbas verdient ob ihrer einzigartigen Lage und dem angrenzenden herrlichen Pinienwald ausschließlich lobende Worte. Und das Beste: Bis etwa zum 20. August gibt es hier fast ausschließlich italienische Urlauber.

Das ist auch gleichzeitig ein schöner Vorteil, denn hier lernt man von seinen Strandnachbarn kein schnödes Kölsch, sondern eine Sprache, mit der man im heimischen Pizzarestaurant auch mal was anfangen kann. Für mich eine tolle Gelegenheit, ein paar neue Italienischvokabeln zu lernen und meine Kleinkind-Grammatik peu à peu auf den Stand eines Erwachsenen zu bringen.


Die Wellen lecken bereits in mittäglicher Behäbigkeit an den Füßen eines Strandläufers, der trotz der hoch stehenden Sonne beherzt auf seine Kokosnüsse aufmerksam macht: „Co-co-bel-looo, Vi-ta-mi-neee, allez allez!“ Wir quetschen unsere Strandmuschel zwischen unsere italienischen Bungalow-Nachbarn Davide und Katja und ihren Kindern und eine Großfamilie aus Palermo, was dieser ebenfalls nichts auszumachen scheint. Großfamilie ist in diesem Fall wörtlich zu nehmen: Die sind alle dermaßen fett, dass mich augenblicklich ein Sardinen-Gefühl überkommt. Eine von den „mammas“ schaut mich mit glänzenden Augen an. Ich glaube nicht an Kannibalismus in Italien; die letzte „Fressattacke“ fand 1990 während der Fußballweltmeisterschaft statt (Italien spielte nur um den dritten Platz und wir wurden Weltmeister!). Die Dickste dieser adipösen Gesellschaft - sie allein beansprucht den ganzen Schatten eines Sonnenschirms - wälzt sich auch gleich zu mir und bietet mir aus einer kleinen Tupperschale Antipasti an.

Ich muss ja ein elendes Bild abgeben, dass ich bei fremden Frauen sogleich den Fütterreflex auslöse. Allerdings ist das Angebot schon sehr verlockend: Melanzane, Zucchini, Paprika, Zwiebeln, alles mit Rosmarin und Thymian in Olivenöl eingelegt. Doch noch bevor ich meine Hand auch nur einen Zentimeter in Richtung der triefenden Versuchung heben kann, knurrt mein Magen gefährlich wie ein Deutscher Schäferhund; ich bin wohl noch nicht so weit. Die feiste Dame jedoch missversteht meine Körperregung als Hunger und schaut Tina mit einem strafenden Blick an, der sagt: „La donna tedesca gibte diese uomo molto sympatico nichte genug zu esse! Gukke ma, iste sich dünn, wie eine Spaghetti.“

Dankend lehne ich ab und glätte die Wogen der Verständnislosigkeit mit einem kurzen Monolog – auf Italienisch. Die macht vielleicht Augen!

„Marisa, guarda, iste sich diese Mann eine von uns, un ragazzo italiano!“ Die Blicke, die Tina jetzt vom Schlemmerclan treffen, und das ächzende Zurückrollen des Doppel-Whopper, lassen den Strand erbeben. Ich schaue erschrocken auf das Wasser, aber es zieht sich nicht zurück. Glück gehabt! Ob es im Mittelmeer überhaupt Tsunamis gibt?

Davide und Katja schauen der Szene belustigt zu; sie kennen die teilweise unersättlichen Knabbergewohnheiten ihrer Landsleute gut.

Die beiden stammen aus Turin und ihre Kinder sind etwa im gleichen Alter wie unsere. Das gibt natürlich tolle Anknüpfungspunkte und wir finden viele an diesem Tag. Den Kindern geht es ebenso und einer drückt sich zum Beispiel in Form von Gummibärenwettessen aus. Rechtzeitig, bevor unsere Kinder auch dem Äußeren nach wie Gummibärchen aussehen, stoppen wir die wilde Völlerei und kehren dem Strand für die Mittagszeit den Rücken.

Urlaub oder Leben

Подняться наверх