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Lebenswichtiges


Manchmal nenne ich meine Frau eine Erleuchtete. Sie weiß einfach alles über mich. Ihr etwas vorzumachen ist schier undenkbar. Sie liest ein wenig auf meiner Nasenspitze und konfrontiert mich dann mit dem, was ich gerade so denke. Das war nicht immer so. Als ich sie kennen lernte, konnte ich ihr noch etwas vormachen. Und wie. Ich hatte gerade meine Bundeswehrzeit hinter mich gebracht und nahm mir anderthalb Jahre Auszeit, um mir in aller Ruhe über meine Zukunft klar zu werden. Nun, ich war nicht komplett untätig in dieser Zeit. Mit meinen Kumpels nächtelang um die Häuser zu ziehen zum Beispiel, hat mich auch viel Kraft gekostet. Dafür hielt ich mich aber tagsüber vom Alkohol fern und joggte viel durch die Wälder; so konnte ich einiges kompensieren. Ich brauche ein zweites Standbein, dachte ich irgendwann und fing an, mit meinem besten Freund Paul zu musizieren. Was hatten wir für einen Spaß! Doch der Erfolg wollte sich nicht schnell genug einstellen. Um der Bourgeoisie ein Alibi zu geben, ging ich nebenbei wieder zur Schule. In dieser Zeit lernte ich Tina kennen. Ich erzählte ihr von meiner Karriere als Schlagersänger (gelogen) und meinem Plan, nebenbei noch das Abitur nachzuholen (nicht gelogen) und hatte sie in drei Sekunden dermaßen beeindruckt, dass es bis heute für insgesamt siebzehn glückliche Jahre und zwei glückliche Kinder gelangt hat. Doch Tina brauchte gar nicht erst ihr seherisches Talent zu bemühen, um schon bald herauszufinden: Unseren gemeinsamen Lebensweg würden keine Schlagermillionen pflastern. So hat sie getan, was alle ehemaligen Groupies und zukünftigen Musikerfrauen tun sollten, um sich und ihren kreativen Bohemiens das nackte Überleben zu sichern: Sie studierte Lehramt für Deutsch und Sport. Mittlerweile bin ich ein glücklicher, musikalisch begabter Hausmann und kümmere mich um Haus und Hund, um Einkäufe und Erledigungen. Ach ja, und um unsere beiden Kinder!


Aber in Italien erwacht der Italiener in mir und das heißt für meine Frau: Vai in Cucina - ab in die Küche!

So, noch schnell den Tisch decken, dann widme ich mich wieder dem Grübeln, Denken und Sinnieren. Gerne auch in anderer Reihenfolge.

Unterdessen steht Louis am Weg unserer Nanobehausung und echot die Begrüßungsformeln der Passanten, die ganz hingerissen sind von soviel blonder Cleverness. Jedem gibt er brav ein „bondschorno“ zurück. Das geht einige Minuten lang so, als er sich abrupt umdreht und fragt: „Papa, die alle hier bondschorno heißen?“

In der Zwischenzeit sind auch Davide und Katja mit ihren Kindern vom Strand eingetroffen, um ihr „pranzo“ zu bereiten, ihr Mittagessen. Bei Italienern fällt das ja immer etwas mager aus. Der schlaue Spruch unserer Großeltern, „Morgens wie ein Kaiser, mittags wie ein König und abends wie ein Bettler“, scheint hier ins Gegenteil verkehrt. Das italienische Frühstück noch als ärmlich zu bezeichnen wäre, stark untertrieben. Mittags gibt es das Gleiche, nur warm. Aber abends, da kennt die Gar-Phantasie der italienischen Mamas keine Grenzen. Da werden gleich mehrgängige Menüs auf den Tisch gezaubert, wobei auf die gewichtigen Nachteile mehrfach gesättigter Fettsäuren keinerlei Rücksicht genommen wird. Da durchzieht das ätherische Pinienwaldklima von Punt’Ala für einige Stunden ein herrlich duftender Mix aus Rostwurstbraterei und gehobenem Gourmetrestaurant. Erlesene Meeresfrüchte finden ihren finalen Weg auf die vor glühender Erwartung knackenden Holzkohlegrills und der Duft des maritimen Grillguts seinen Weg in unsere staunenden Nasen. Das Zischen und Triefen der fleischlichen Variante solch kulinarischen Glücksempfindens vermengt sich mit beherzten Lachern und aufgeregten Gesprächsfetzen der hungrig Wartenden zu einer Festszene eines lukullischen Mahls. Italienische Kinder spielen in aufgeregter Vorfreude über das nächtliche Spektakel; auch dies ein herausragender Unterschied zwischen der italienischen und der deutschen Kultur: Die Kinder speisen genau so lange, wie die ganze Sippe. Das kann manchmal bis spät in die Nacht gehen.

Auf diesem Campingplatz allerdings nicht. Hier hören selbst hartgesottene Italiener spätestens um 20:30h mit dem Essen auf. Denn eine halbe Stunde später beginnt die obligatorische Urlauberkinderanimation, die genauso zu diesem Land gehört wie Chianti und Spaghetti Bolognese. Dann ziehen alle in einer großen Vergnügungsprozession zum „profeta del divertimento“ und freuen sich bei Ohren betäubender Beschallung an den strahlenden Gesichtern ihrer tanzenden Kleinen.


Wie zu erwarten, hat Katja ihre Zwischenmahlzeit schneller auf den Tisch gebracht als wir. Meine geliebte Frau müht sich indes immer noch in der kleinen Küche ab, um uns ein ordentliches Mittagessen zu zaubern. Und das bei Temperaturen, die denen in einer Großküche ziemlich nahe kommen. Draußen wie drinnen. Dafür zieht aber schon ein recht verführerischer Duft durch unsere Nasen, der buchstäblich dafür sorgt, dass uns das Wasser im Munde zusammenläuft; sozusagen ein olfaktorisches Hors-d‘œuvre.

Während wir also noch auf die Magen füllende Erlösung warten, sind unsere Turiner Freunde bereits beim „caffè“. Ihr Sohn Ricardo intoniert mit pavarottesker Gebärde die italienische Nationalhymne und ich tue, was alle Papis gerne tun: Ich erkläre meinen Kindern die Welt. Thema heute: Unsere Nationalsymbole. Natürlich bin ich als guter Lehrer Vorbild und gebe sogleich ein praktisches Beispiel zum Besten: das Deutschlandlied (selbstredend die dritte Strophe). Leider in Ermangelung des visuellen Pendants. Macht aber nichts. Statt die Fahne hoch, zieht Louis nämlich die Hose runter und entblößt seine mit der Deutschlandfahne bestickte Unterhose. Und mit einem fruchtig-frechen Lächeln auf den Lippen und einer Hand in der Unterhose zischt er ab und läuft zwischen den Bungalows hin und her. Dabei ruft er: „Ducken mal her alle, i haben ein geheimes Bonbon in meiner Hand“.

Nun, in seinem Alter kann man schon mal Buchstaben verwechseln. Aber eine Süßigkeit mit einer Kleinigkeit? Das Grinsen auf den Gesichtern von Davide und Katja gibt uns zu verstehen: Hosenbonbons gibt es auch in Italien.

Urlaub oder Leben

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