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ICH UND DER REST DER WELT

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Menschen sind, wie alle Tiere, Egoisten. Im strikt soziobiologischen Sinn bedeutet Egoismus jedes Verhalten, das die reproduktive Eignung, also den Fortpflanzungserfolg auf Kosten anderer erhöht. Voraussetzung für die erfolgreiche Reproduktion ist, klarerweise, das Erreichen des fortpflanzungsfähigen Alters. Um aber zumindest bis dahin am Leben zu bleiben, benötigt jedes Lebewesen Ressourcen: Raum und Nahrung. Damit sind Wettbewerb und Konflikte programmiert. Da die Natur kein Schlaraffenland ist und Ressourcen oft knapp sind, versuchen Tiere auf unterschiedlichste Weise, ihre Artgenossen auszutricksen, sie zu „belügen“ und zu „betrügen“. Der Mensch ist dabei keine Ausnahme. Allerdings zwingen ihn soziale beziehungsweise kulturelle Normen, die er sich selbst verordnet hat, dazu, auf andere Rücksicht zu nehmen und sie sogar zu unterstützen. Aber auch diese Normen haben einen tiefen biologischen Unterbau.

Schon einfache und oberflächliche Beobachtungen verdeutlichen, dass in der Tierwelt neben egoistischem auch kooperatives und altruistisches Verhalten vorkommt. Altruismus bedeutet, wieder im strengen Sinn der Soziobiologie, die Erhöhung des Fortpflanzungserfolgs anderer auf eigene Kosten. Wie passt das nun mit der Allgegenwart des Egoismus zusammen? Wie konnte sich in einer vom Egoismus beherrschten Welt uneigennütziges Verhalten entwickeln? Die Antwort ist einfach: weil sich solches Verhalten für den Einzelnen durchaus auszahlt. Das Individuum genießt in seiner Gruppe bestimmte Vorteile. Um sich diese aber dauerhaft zu sichern, ist es gezwungen, mit anderen zu kooperieren, die Hilfe, die es von anderen empfängt, bei Gelegenheit auch zurückzuzahlen. In tierischen Gesellschaften regeln sich diese Dinge ganz von selbst, ohne dass bestimmte „Gruppennormen“ vorgegeben wären. Wölfe etwa jagen im Rudel und arbeiten sozusagen zusammen, weil das jedem von ihnen mit höherer Wahrscheinlichkeit Nahrung sichert als die Jagd im Alleingang. Die Jagdgesellschaften prähistorischer Menschen kann man sich analog dazu vorstellen.

Aber auch die heutigen kleinen Menschengruppen sind gewissermaßen mit Jagdgesellschaften vergleichbar. Sie werden durch ein Band von Sympathie und gemeinsamen Interessen zusammengehalten, auch wenn sie nicht miteinander auf Beutefang gehen. Und manchmal bilden sie tatsächlich noch Jagdgesellschaften im buchstäblichen Wortsinn, die wiederum auch dem Knüpfen sozialer Bande dienen können. Auf den (ganzen) Rest der Welt zu pfeifen, kann sich ohnehin kaum jemand leisten, wenn er nicht in völliger Vereinsamung enden will. Aber wer will das schon!

Freilich ist heutzutage, in unserer Ellbogengesellschaft, ein Phänomen nicht zu übersehen, das im Gegensatz zum „gesunden“ als „pathologischer“ Egoismus bezeichnet werden kann. Der gesunde Egoist ist ein guter Sozialingenieur. Er weiß, dass er andere für die Realisierung seiner eigenen Vorhaben braucht, ab und an von anderen Hilfe in Anspruch nehmen muss, und ist daher im Allgemeinen seinerseits zuvorkommend und hilfsbereit. Er weiß, dass sich Freundlichkeit auszahlt, und folgt dem uralten Prinzip des Nehmens und Gebens. Zwar ist er mit sich selbst zufrieden, schöpft aber diese Zufriedenheit auch aus dem freundlichen und freundschaftlichen Umgang mit anderen. Insgesamt ein netter Kerl also, der aber durchaus seine persönlichen Ziele im Auge behält. Dem pathologischen Egoisten hingegen fehlt jedes Gespür für die Bedürfnisse der anderen, er glaubt, niemanden zu brauchen und daher auch niemandem seine Hilfe anbieten zu müssen. Nichts kennzeichnet den pathologischen Egoismus besser als der dumme Werbeslogan „Geiz ist geil“. Er spiegelt die Einstellung einer Gesellschaft wider, welche dabei ist, ihre eigenen Grundlagen zu zerstören.

Der Mensch ist also von Natur aus egoistisch; doch als vergesellschaftetes Lebewesen auch mit der Anlage zur Kooperation und gegenseitigen Hilfe ausgestattet. Wo diese Anlage nicht gefördert, sondern zerstört wird, dort läuft er Gefahr, altbewährte Mechanismen seiner sozialen Evolution auszuschalten und sich in eine Situation hineinzumanövrieren, die mittel- bis langfristig weder das Überleben des Individuums noch den Fortbestand von Sozietäten sichern kann (und seiner Art nicht gerecht wird). Unsere steinzeitlichen Vorfahren waren keine Engel, aber sie wussten „instinktiv“ um die Bedeutung von Gemeinschaft.

Zivilisation in der Sackgasse

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