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UNSERE „ÄFFISCHE“ ABKUNFT

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Der heutige Mensch, Homo sapiens, ist eine von rund dreihundertfünfzig heute noch lebenden Arten der Säugetierordnung Primaten („Herrentiere“). Seine nächsten Verwandten sind Schimpanse, Bonobo (Zwergschimpanse), Gorilla und Orang-Utan. Spätestens seit Charles Darwin (1809 bis 1882) ist an der „äffischen“ Abkunft des Menschen ebenso wenig zu zweifeln wie daran, dass der Mensch „in seinem Körperbau immer noch die unaustilgbaren Zeugnisse seines niedrigen Ursprungs erkennen läßt“ (Darwin 1871 [1966, S. 274]). Aber, so ist gleich hinzuzufügen (und Darwin wusste es bereits sehr gut), auch in seinem Verhalten und Handeln, seinem Denken, Fühlen und Wollen schleppt der Mensch nach wie vor seinen „äffischen“ Ursprung mit sich herum. Der Affe sitzt ihm fest im Nacken, er kann seine eigene Herkunft und Vergangenheit nicht einfach abstreifen. Das ist aus evolutionsbiologischer Sicht eigentlich nicht weiter aufregend, weil auch alle anderen Arten ihre stammesgeschichtlichen „Bürden“ nicht abwerfen können. Aber uns Menschen betrifft dieser Umstand in besonderem Maße; und manchen macht er betroffen, denn es ist nach wie vor nicht jedermanns Sache, seine Spezies bloß als ein Glied in der langen „Tierkette“ zu wissen.

Noch bevor Darwin – auf der Basis umfassender Befunde aus verschiedenen ihm zugänglichen wissenschaftlichen Disziplinen – den Menschen in die Evolution der Tierwelt einreihte und seine enge Verwandtschaft mit dem Schimpansen und dem Gorilla herausstellte, hatten schon zwei andere Naturforscher Klartext gesprochen: der Engländer Thomas H. Huxley (1825 bis 1895) und der Deutsche Ernst Haeckel (1834 bis 1919). Beide waren, im Gegensatz zu Darwin (dem zurückhaltenden „Revolutionär“), sehr beredte und streitbare Geister; Huxley war Darwins großer Fürsprecher und Verteidiger in seiner Heimat („Darwins Bulldogge“), Haeckel sorgte für die Verbreitung der Ideen Darwins in Deutschland. Beide erschütterten den in unserer Geistesgeschichte tief verwurzelten Glauben an die „Sonderstellung“ des Menschen in der Natur. Daran halten noch viele unserer Zeitgenossen fest. Nimmt man aber die Ergebnisse der modernen Anthropologie und Primatenforschung ernst, dann muss man zugeben, dass sich die Grenzen zwischen dem Menschen und seinen nächsten Verwandten mehr und mehr verwischen.

Selbstverständlich kann niemand leugnen, dass sich der Mensch allein schon in anatomischer Hinsicht (aufrechter Gang, stark vergrößertes Gehirn) von den übrigen Primatenarten durchaus unterscheidet (und natürlich auch von allen anderen Säugetierarten, vom großen Rest des Tierreichs ganz zu schweigen). Und in praktisch allen kognitiven Leistungen (Denkvermögen, Lernen, Sprache) ist der Mensch sämtlichen anderen Arten weit überlegen. Aber wie der Neurobiologe Gerhard Roth betont, lässt sich daraus keine wirkliche Einzigartigkeit ableiten,

denn beim Menschen gibt es nichts, was nicht in einigen Vorstufen bei nichtmenschlichen Tieren bereits vorhanden ist. Vielmehr zeichnet sich der Mensch durch eine Kombination von Merkmalen aus, die für seine Lebens- und Überlebensbedingungen äußerst vorteilhaft waren wie der aufrechte Gang, der Handgebrauch, eine hohe allgemeine Intelligenz und schließlich eine besonders effektive Form sprachlicher Kommunikation.

(Roth 2010, S. 393 f.)

Außerdem bleibt festzuhalten, dass die „menschliche Eigenart“ schon deswegen nichts Einzigartiges ist, weil sich jede Spezies in einer mehr oder weniger großen Anzahl von Merkmalen von allen anderen unterscheidet. So gesehen könnte auch der Blauwal – wenn er denn könnte – eine Sonderstellung in der Natur für sich reklamieren, nämlich wegen seiner enormen Körpergröße und seines ebenso enormen Körpergewichts. Und wie einzigartig müsste sich, wenn er sich darauf besinnen könnte, der australische Koala oder Beutelbär mit seinem unverwechselbaren Aussehen vorkommen, welches noch von seiner spezifischen Ernährungsweise (dem Fressen von nährstoffarmen, für die meisten Pflanzenfresser unbekömmlichen Eukalyptusblättern) flankiert wird …

Es sollte überflüssig sein zu bemerken, dass weder Darwin noch irgendein anderer ernsthafter Evolutionsforscher behauptet hat, der Mensch stamme von einer der heutigen Affenarten ab. Vielmehr war stets von gemeinsamen Vorfahren die Rede. Aus heutiger Sicht ist davon auszugehen, dass sich die Evolutionslinien des Schimpansen, des Gorillas und des Menschen vor etwa acht bis fünfeinhalb Jahrmillionen getrennt haben und die zum Orang-Utan führende Linie noch einige Millionen Jahre früher ihren Anfang nahm. Funde von entsprechenden Fossilien aus neuerer Zeit legen nahe, dass Menschen – Hominini im Sprachgebrauch der modernen Paläoanthropologie – also ein stammesgeschichtliches Alter von über fünf Millionen Jahren aufweisen. Charakteristisch für Menschen war dabei von Beginn an der aufrechte Gang, die Bipedie, also die Fortbewegung auf nur zwei – den hinteren – Extremitäten. Der Erwerb des aufrechten Ganges kann freilich nicht über Nacht erfolgt sein, sondern muss sich – hier fast wörtlich gesagt – schrittweise vollzogen haben, wie in der Entwicklung eines Kindes, allerdings in viel größeren Zeiträumen. Prähistorische Primaten, die sich ähnlich den heutigen Schimpansen zumindest vorübergehend allein auf den hinteren Extremitäten fortbewegen konnten, haben wohl die Anfänge dieser Lokomotionsform markiert. Im Übrigen ist es natürlich schwer, Menschen von anderen prähistorischen Primaten scharf abzugrenzen. Wir haben es hier mit fließenden Übergängen zu tun. Aber die Hominisation oder Menschwerdung im engeren Sinn erfolgte offenbar mit der Entwicklung der zweibeinigen Fortbewegungsweise. Ein weiteres ihrer charakteristischen Merkmale ist die auffallende Vergrößerung des Gehirns, die vor allem auf dem Niveau der Gattung Homo (siehe unten) beschleunigt einsetzte und vermutlich durch eine maßgebliche Verbesserung der Ernährungssituation gefördert wurde. Das Gehirn nämlich benötigt im Vergleich zu seiner Größe beziehungsweise seinem Volumen sehr viel Energie. Man muss aber umgekehrt auch davon ausgehen, dass der Mensch mit der Vergrößerung seines Gehirns und mithin einer Steigerung seiner kognitiven Leistungen seine Ernährungssituation verbesserte. Denn er war imstande, immer effizientere Techniken der Nahrungsbeschaffung und schließlich Nahrungszubereitung (Kochen, Garen) zu entwickeln.

Insgesamt hat man sich den Prozess der Menschwerdung als einen komplexen Vorgang der Wechselwirkung verschiedener Faktoren vorzustellen, die voneinander nicht zu trennen sind. Es ist also müßig darüber zu streiten, was den Menschen eigentlich zum Menschen gemacht hat. Sicher hat die Vergrößerung seines Gehirns – von ursprünglich etwa vierhundert Kubikzentimetern auf mehr als das Dreifache innerhalb von rund zwei Jahrmillionen – den Menschen zu ganz entscheidenden Innovationen befähigt. Das Gehirn ist der Sitz unserer Persönlichkeit, unseres jeweils spezifischen (individuellen) Denkens, Fühlens und Wollens. Aber der Prozess der Gehirnentwicklung ist in ein komplexes Faktorengefüge eingebettet. Er hängt mit anatomischen Änderungen ebenso zusammen wie mit ökologischen Anforderungen, klimatischen Umständen und sozialer Konkurrenz. Die Evolution des Menschen insgesamt war also kein geradliniger Vorgang, sondern ein sehr komplizierter Prozess, der sich auf vielen verschlungenen Pfaden vollzogen hat.

Zivilisation in der Sackgasse

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