Читать книгу Die Halskette von Worms - Franziska Franke - Страница 5

Die Verstärkung

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Nachdem ich meinen bisweilen etwas begriffsstutzigen Verwalter über die in der nächsten Woche anstehenden Arbeiten instruiert hatte, brach ich wieder auf, ohne die Unterlagen auf meinem Schreibtisch auch nur eines Blickes zu würdigen. Wenn ich etwas hasste, so waren es Abrechnungen. Sie zu kontrollieren, war nicht nur langweilig, sondern führte mir vor Augen, wie wenig mein Gut abwarf. Daher war ich nicht abgeneigt, mit der Aufklärung von Verbrechen etwas dazu zu verdienen, zumindest für Klienten, die mich dafür bezahlten.

Das Wetter hatte sich in der Zwischenzeit gebessert. Ich hörte Grillen in der Ferne zirpen, warme Luft hing im Rheintal, es roch nach trockenem Gras und die unvermeidlichen Mücken summten um mich herum. Während mein Fuhrwerk über die schnurgerade Landstraße rollte, überdachte ich nochmals den Fall. Zwar hatte ich angeboten, mich bei den Juwelieren nach der Kette umzuschauen, war aber inzwischen zu dem Schluss gekommen, dass ein gestohlenes Schmuckstück eher bei einem Hehler landete. Ich erwog kurz, den redseligen und stets gut informierten Barbier Tiberius zu konsultieren, nahm aber schnell von diesem Plan Abstand. Ich hätte dabei Geld in einen überflüssigen Haarschnitt investieren müssen und wenn ich etwas hasste, so war es Verschwendung.

Vielleicht konnte mir mein Bruder Lucius weiterhelfen. Seit er bei der Armee war, verkehrte er endgültig in zweifelhaften Kreisen. Ich hatte gehofft, man würde ihn dort wenigstens von seinem Lotterleben abhalten. Zu meinem Leidwesen begann der Dienst zwar beim Morgengrauen, endete jedoch bereits am frühen Nachmittag. Danach wurde von der Stubengemeinschaft die Cena vorbereitet. Kein Wunder, dass sich verbotenerweise Frauen und Kinder im Lager aufhielten. Nach dem Essen ging es dann in die Garnisons-Therme, zu den Gladiatorenkämpfen oder gleich in Gasthäuser, in denen um Geld gewürfelt wurde, oder in Bordelle. Lucius war nicht bei der kämpfenden Truppe, sondern schob in der Verwaltung eine ruhige Kugel und hätte mich in seiner reichlich bemessenen Freizeit ruhig auf dem Gutshof unterstützen können. Schließlich war den Soldaten die Beteiligung an Geschäften erlaubt. Aber manche Menschen ändern sich eben nie!

Als wir auf dem Forum ankamen, übergab ich Cicero die Zügel und stieg vom Kutschbock.

»Julia Marcella soll mich gefälligst zurücktransportieren, wenn ich mit der Arbeit fertig bin. Du kannst also zum Landgut fahren und während meiner Abwesenheit dem Verwalter auf die Finger schauen«, trug ich meinem Leibsklaven auf, dessen enttäuschte Miene mir signalisierte, dass er lieber mit mir auf Verbrecherjagd gegangen wäre.

Mit dem Rücken zu einer Bäckerei schaute ich dem Fahrzeug nach, wie es über die ungepflasterte Straße davonrumpelte, bis es nicht mehr zu sehen war. Dann spazierte ich zu Julia Marcellas Wechselstube, die sich neben dem Barbierladen von Tiberius befand. Wenn man den einfachen, aber frisch verputzten Bau sah, ahnte man nicht, dass er vor kurzem ausgebrannt war.

Im Laden war es nicht ganz so heiß wie draußen, trotzdem erstaunte mich, dass Marius Marfilius wie aus dem Ei gepellt aussah. Mit vor der Brust verschränkten Armen stand er hinter der Theke und betrachtete mich mit einer Miene, die ich für den Steuereintreiber reserviert hatte. Er hatte das Kinn nach oben gereckt, um größer zu erscheinen und presste die Lippen fest aufeinander. Offenbar verwendete er inzwischen die Pomade aus Civitas Mattiacorum, für die eine Inschrift auf der Wand des Nachbarhauses warb. Doch trotz des rötlichen Schimmers auf seinem schwarzen Haar wirkte der ansehnliche Römer mit seiner dunklen Gesichtsfarbe in Germanien so deplatziert wie ein Ölbaum im germanischen Mischwald.

»Brauchst du einen Kredit?«, erkundigte er sich, herablassend wie immer. Ich fragte mich, ob er wusste, dass sich seine Arbeitgeberin über kurz oder lang aus dem Bankgeschäft zurückzuziehen gedachte. Aber vielleicht hatte sie ja vor, ihren Angestellten nach Italien mitzunehmen.

»Nein, ich wollte nur nachfragen, wie die Geschäfte laufen«, sagte ich so sachlich wie es meine Abneigung gegen den unverschämten Geldwechsler zuließ.

»Bestens, das siehst du doch«, entgegnete Marius Marfilius mit einer vagen Handbewegung in den leeren Raum.

»Freut mich zu hören«, erwiderte ich trocken, während mein Blick über die geweißten Wände wanderte. »Ich suche einen jungen Mann und seine Begleiterin«, fuhr ich fort und gab ihm eine Beschreibung des diebischen Paars. »Waren die beiden zufällig in den letzten Tagen hier?«

Der Angestellte zog die Stirn in Falten und gab vor, angestrengt nachzudenken, was mich überhaupt nicht beeindruckte, da ganz offensichtlich in der Wechselstube Flaute herrschte. Dabei versuchte er mich unauffällig aus den Augenwinkeln zu mustern, konnte aber nicht vermeiden, dass sein Blick einige Sekunden lang auf dem Siegelring haften blieb, den Julia Marcella mir aus Dankbarkeit für meine Diskretion geschenkt hatte.

»An eine Frau mit einem bronzenen Armreif kann ich mich nicht erinnern. Hier kommen einfach zu viele Leute vorbei«, behauptete der Geldwechsler dann dreist. »Aber möglicherweise hat der von dir beschriebene Mann gestern hereingeschaut. Ich habe ihm ein paar Münzen gewechselt und wir haben über das Wetter geplaudert.«

Einen Moment lang fehlten mir die Worte, denn ich hatte nicht mit einem positiven Bescheid gerechnet. Widerwillig rief ich mir ins Gedächtnis, dass ich Marius Marfilius nicht mögen musste, um seine beruflichen Qualifikationen anzuerkennen.

»War auch ein Aureus unter den Münzen?«, fragte ich und ärgerte mich über mich selbst, dass meine Aufregung so deutlich zu hören war. Aber ich hatte mich zu früh gefreut.

»Nein, es waren Denare«, dämpfte der Angestellte meinen Optimismus. »Sie waren schon etwas angestoßen und deshalb wollte sie ein Händler nicht annehmen.«

Mir waren Geldwechsler nicht geheuer. Sie sollten überprüfen, ob ein Geldstück tatsächlich aus Gold oder Silber war, ob es das Bildnis eines Herrschers trug, der eine Münzstätte unterhalten durfte und sie sollten Größe und Gewicht kontrollieren. Aber die meisten nörgelten an den ihnen angebotenen Münzen herum und tauschten sie dann mit vorgetäuschtem Widerwillen zu einem schlechten Kurs um.

»Bitte lass es mich sofort wissen, falls du den Mann nochmals sehen solltest. Er oder seine Begleiterin haben Julia Marcella eine wertvolle Kette gestohlen«, trug ich Marius Marfilius auf.

»Der Mann hat auf mich einen ehrlichen und rechtschaffenen Eindruck gemacht«, entfuhr es dem Geldwechsler und er trat erstaunt einen Schritt zurück. In seinen eben noch blasierten Tonfall mischte sich Erstaunen.

»Das sind meistens die Schlimmsten«, brummte ich, bevor ich mich verabschiedete und die Wechselstube verließ.

Ich lenkte meine Schritte in Richtung Vorstadt, wo es keinen Mangel an billigen Tavernen gab, wie sie mein Bruder schätzte. Es war in den letzten Tagen unangenehm heiß geworden und er würde den Abend bestimmt nicht in der Kaserne verbringen wollen. Obwohl ich ganz gemächlich ging, rann mir der Schweiß den Nacken hinunter, und außerdem knurrte mein Magen. Bei einem fliegenden Händler kaufte ich mir einen Pfannkuchen mit Garum, den ich so gedankenverloren in mich hineinstopfte, dass nicht bis in mein Bewusstsein vordrang, ob er schmackhaft war.

Nachdem ich den Imbiss im Gehen vertilgt hatte, sah ich eine Spelunke, die gerade eine Weinlieferung erhielt. Kräftige Männer hoben Amphoren von einem Wagen und schleppten sie ins Haus, in dem der Wirt sie empfing. Diese kräftezehrende Beschäftigung kannte ich nur allzu gut, da ich früher ein Weinkontor geleitet hatte. Nun war es ein seltsames Gefühl, anderen dabei zuzusehen.

Ich hatte die weit geöffnete Tür der Gastwirtschaft noch nicht erreicht, als ich Lucius auf der anderen Straßenseite bemerkte. Er war in Begleitung zweier unternehmungslustig dreinblickender Rekruten, die er bestimmt bald auf Abwege führen würde. Der jüngere der beiden konnte nicht älter als siebzehn Jahre alt sein und bewegte sich mit der unsicheren Haltung eines Jugendlichen, der sich noch nicht an seinen zu schnell gewachsenen Körper gewöhnt hatte.

Ich überquerte die Straße und schritt meinem Bruder direkt entgegen, damit er mir nicht ausweichen konnte.

»Guten Abend, Lucius. Ich habe dich schon überall gesucht«, begrüßte ich ihn. Er roch nach Wein, doch wenigstens torkelte er noch nicht.

»Ich war es nicht«, stammelte er, bevor ich auch nur mein Anliegen geäußert hatte. Diese Antwort veranlasste seine beiden Kameraden zu betrunkenem Gejohle.

»Glaub ihm kein Wort, er tut nur so scheinheilig«, entgegnete der ältere Rekrut feixend. Selbst die Grünschnäbel hatten Lucius wohl bereits durchschaut. Die Art, wie sie mich musterten, zeigte, dass sie sich denken konnten, wer ich war. Ich wollte lieber gar nicht wissen, was Lucius über mich erzählt hatte.

»Du hast wohl ein schlechtes Gewissen?«, fragte ich, ohne auf den nur allzu wahren Kommentar einzugehen. Mittlerweile hatte ich es aufgegeben, mich über den Lebenswandel meines Bruders aufzuregen. Ich teilte den beiden Rekruten also höflich, aber bestimmt mit, dass ich unter vier Augen mit Lucius sprechen wollte und schleifte ihn um die nächste Straßenecke. Als wir außer Sichtweite waren, blieb ich vor einem einfachen Streifenhaus stehen, wie sie für die Zivilsiedlung von Mogontiacum typisch waren. Mein Bruder vermied es, mich anzusehen und gab stattdessen vor, sich für die Dächer der umliegenden Bauten zu interessieren.

»Ich habe nur eine kurze Frage«, beruhigte ich ihn und hob beschwichtigend die Hand. »Kennst du zufällig Händler, die gebrauchte Schmuckstücke verkaufen?«

Lucius’ angespannte Haltung lockerte sich und er sah plötzlich mindestens ein Jahr jünger aus. Ich hätte zu gern gewusst, was er schon wieder ausgefressen hatte. Aber ich war wohl der letzte, dem er es anvertrauen würde.

»Suchst du ein preiswertes Hochzeitsgeschenk?«, erkundigte er sich belustigt. Wollte mich Lucius ärgern oder machte er das nur nebenbei?

»Ich habe mich von Julia Marcella breitschlagen lassen, nach einem Schmuckstück zu fahnden, das ihr entwendet wurde. Sie hat mich mit einer gemeinsamen Romreise geködert.«

»Julia Marcella mag eine bessere Partie sein, aber ich würde ihrer Schwester den Vorzug geben«, bemerkte Lucius ohne jedes Taktgefühl.

Fast hätte ich ihm von dem missglückten Besuch berichtet, konnte mich aber dann doch nicht dazu überwinden. Schließlich sollte ich als Familienoberhaupt eine Respektsperson für meinen jüngeren Bruder sein.

»Wir wollen zu dritt fahren. Auch Pina war noch nie in Rom«, stellte ich stattdessen klar, bevor ich meinem noch immer grinsenden Bruder vom Diebstahl der Kette berichtete.

Wenn er sich vor einer Arbeit drücken wollte, lief er geistig zur Höchstform auf. Daher besprach ich die bei einer Ermittlung auftretenden Fragen gern mit ihm. Auch diesmal enttäuschte er mich nicht. Er hatte eine völlig andere Sichtweise auf die Dinge als ich.

»Das kannst du vergessen. Sie werden nur die Kette verkaufen und die Münzen wieder in Umlauf bringen. Oder sie schmelzen alles ein«, entgegnete Lucius und verlagerte sein Gewicht ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.

Ich ärgerte mich, dass mir dieser naheliegende Gedanke nicht selbst gekommen war. Doch ich war bisher nicht recht bei der Sache gewesen, da es mich wurmte, dass ich nicht mit Pina sprechen konnte und mich ihre Schwester zu allem Überfluss auch noch zwangsverpflichtet hatte.

»Da hast du wohl nicht unrecht«, gab ich widerwillig zu.

»Ich habe langsam den Eindruck, dass Julia Marcella das Unglück geradezu anzieht. Jedes Mal, wenn ich mit ihr zu tun habe, stirbt jemand oder es wird etwas gestohlen. Aber wie man so schön sagt: Ein Unglück kommt selten allein.«

»Das erscheint dir nur so, weil du nicht mehr in der Stadt wohnst. Hier ist eben immer etwas los«, widersprach Lucius gut gelaunt. Manchmal beneidete ich ihn um sein sonniges Gemüt.

»Hast du inzwischen mit Pina gesprochen?«, wollte er unvermittelt wissen.

»Leider noch nicht. Andererseits sollte man auch nichts überstürzen«, behauptete ich, um mein Missgeschick zu vertuschen.

»Mir behagt es nicht recht, Julia Marcella zur Schwägerin zu haben«, fügte ich dann mit einem leisen Seufzer hinzu, verkniff mir aber gerade noch die Bemerkung, dass mir eine zickige Angehörige reichte. Da mein Bruder die Freigelassene Cornelia liebte, so musste ich mich wohl oder übel mit ihr abfinden.

»Ich habe keine Lust wie ein Verschwörer auf der Straße herumzulungern. Komm, wir gehen einen trinken«, schlug Lucius daraufhin sein Allheilmittel gegen jegliche Unbill vor.

Unter anderen Umständen hätte ich mich durchaus über diesen Vorschlag gefreut, so frustriert wie ich nach diesem verkorksten Tag war. Doch ich wollte zuerst die lästige und wahrscheinlich ergebnislose Suche nach dem Schmied hinter mich bringen. Dann konnte ich guten Gewissens behaupten, alles Mögliche versucht zu haben.

»Cicero hat aufgeschnappt, dass die mutmaßlichen Diebe mit einem Schmied aus Mogontiacum befreundet sind.«

»Du lässt deine Sklaven für dich spionieren?«

»Ich bilde Cicero zu meinem Assistenten aus«, entgegnete ich, wobei ich offen ließ, ob ich die Landwirtschaft oder die Ermittlungsarbeit meinte.

»Es kann bestimmt nicht schaden, sich bei den Handwerkern umzuhören«, griff ich dann den Gesprächsfaden wieder auf.

Mein Bruder schüttelte befremdet den Kopf. »Wie stellst du dir das vor?«, rief er aus und schreckte damit ein paar Spatzen auf, die auf dem Boden nach Fressbarem suchten. »Hier gibt es zahlreiche Schmieden. Und selbst wenn du die Diebe aufstöbern solltest, hast du keine Handhabe. Die Frau wird wohl kaum so dumm sein, die Kette zu tragen.«

»Aber sie benutzt sicher noch immer den auffälligen Börsenarmreif«, wandte ich ein. Das war ja leider der einzige Hinweis, den wir hatten.

»Die Sache gefällt mir nicht«, sagte Lucius nachdenklich.

»Niemand schleicht sich in eine zum Verkauf stehende Villa ein, nur um eine Kette zu entwenden. Das kann man mit weniger Aufwand auf dem Forum tun. Wahrscheinlich hat einer ihrer Sklaven Julia Marcella bestohlen. Vielleicht wollte das Paar aber auch nur das Haus auskundschaften, ob sich ein Einbruch lohnt.«

»Und begnügen sich dann damit, ein einziges Schmuckstück zu erbeuten?«, gab ich zu bedenken.

»Gelegenheit macht Diebe«, entgegnete Lucius schulterzuckend.

Langsam hatte auch ich keine Lust mehr, auf der Straße herumzustehen und mich von den Bewohnern der Häuser beäugen zu lassen.

»Wenn du mir hilfst, lade ich dich danach ein«, bot ich an, ein Angebot, das auf sehr fruchtbaren Boden fiel.

»Es soll neben der Hafentherme ein neues Lokal geben«, erzählte Lucius und setzte sich in Bewegung. Als ich mich anschloss, drang aus einem Hinterhof Hundegebell, und ich musste an Ariovist denken.

»Stell dir vor, Julia Marcella hat sich einen Hund zugelegt«, berichtete ich. »Vielleicht sollten wir bei ihr vorbeischauen, um ihn auszuleihen. Wenn wir Glück haben erkennt er die vermeintlichen Kaufinteressenten wieder.«

Ausnahmsweise verzichtete mein Bruder darauf, mir zu widersprechen. Auch wenn er es nie zugeben würde, fühlte auch er sich mit einem Hund sicherer, wenn wir uns anschickten muskelbepackte Handwerker mit Fragen zu belästigen.

Die Halskette von Worms

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