Читать книгу Die Halskette von Worms - Franziska Franke - Страница 6

Der Schmied

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Zwei Stunden später hatten wir bereits in sieben Schmieden nachgefragt, aber überall hatte man beteuert, das Paar nicht zu kennen. Auch hatte Ariovist auf keinen der Handwerker reagiert, weder freudig noch abwehrend, sondern ging brav wie ein Lamm vor mir an der Leine. Julia Marcella hatte uns den Hund nicht nur mit Freuden überlassen, sondern mich sogar gedrängt, ihn zu behalten.

»Er braucht viel Bewegung«, hatte Lucius mich gewarnt, was eine für ihn als Faulpelz typische Bemerkung war. Glaubte er tatsächlich, dass ich meinen Hund selbst ausführen würde, wenn ich einen besäße? Mein Bruder vergaß immer wieder, dass ich es inzwischen zu etwas gebracht hatte. Doch diese Überlegungen waren müßig. Ich brauchte keinen Hund, der nicht willens war, mein Eigentum zu bewachen. Schließlich besaß ich nicht nur einen Hofhund, sondern hielt auch ein gutes Dutzend Gänse. Sie brauchten nur wenig Pflege und waren viel aufmerksamer als die meisten Hunde. Das hatte sich schon in der Vorzeit gezeigt, als Gänse mit ihrem Geschnatter das Kapitol vor der Eroberung durch die Barbaren gerettet hatten.

Im Westen verfärbte sich bereits der Himmel und ich bezweifelte längst, dass wir Aulus Calpurnius und seine Begleiterin noch finden würden. Dabei musste ich doch die Kette unbedingt wiederbesorgen. Mein ganzes Glück hing davon ab.

Während ich finster vor mich hin grübelte, erreichten wir eine nach einheitlichem Schema entworfene Häuserzeile. Den Bauten war eine überdachte Vorhalle vorgeblendet. Die Fassaden der eigentlichen Häuser besaßen weite Öffnungen, die nachts mit Brettern verschlossen wurden. Dahinter lagen unterkellerte Verkaufsräume und Werkstätten. Eigentlich war es eine ganz normale Straße, denn Kleinhandwerk, Gaststätten und Garküchen bestimmten das Straßenbild von Mogontiacum. Daher dauerte es einen Augenblick, bis ich erkannte, wohin genau mich Lucius geführt hatte.

»Wir sind auf der Rückseite von Julia Marcellas Grundstück!«, rief ich verwundert aus und deutete auf das Brachland, das zwischen der Häuserzeile und der Villa der Bankiersgattin lag.

»Kann sein. Ich habe ihr Grundstück noch nie umrundet«, entgegnete mein Bruder. »Aber wie dem auch sei: Das ist die letzte Schmiede, die ich mit dir aufsuchen werde.«

Ich widersprach nicht, da die meisten Handwerker ihre Geschäfte bereits geschlossen hatte. Doch erstaunlicherweise war der Eingang trotz der späten Stunde noch nicht verrammelt. Durch die offene Tür drangen rhythmische Hammerschläge, ein Zeichen dafür, dass wir richtig waren.

»Ich bin tatsächlich nicht der Einzige, der um diese Zeit noch arbeitet«, staunte mein Bruder.

Der Fleiß des Schmiedes hatte sich ausgezahlt, denn sein Haus strahlte Wohlstand und Ordnung aus. Während wir das Nachbarhaus passierten, bemerkte ich eine alte Frau, die aus dem Fenster gelehnt die Straße observierte. Ich ignorierte sie, hatte aber weiterhin das Gefühl, dass sich ihre dunklen, boshaften Augen in meinen Rücken bohrten.

Die Wände des geräumigen Ladens waren mit Regalen bedeckt, auf denen Werkzeuge, Messer und Beschläge aus Eisen gestapelt waren. Als wir eintraten, ging ein junger Bursche mit einem mürrischen Gesicht auf uns zu, der einen bäurischen Eindruck machte.

»Geht es um eine Reparatur?«, fragte er, wobei er seine Stimme heben musste, um das laute Hämmern aus dem Hof zu übertönen und starrte den Hund feindselig an. Auch mein Blick wanderte zu Ariovist, doch das träge Tier gab keinen Mucks von sich.

»Er beißt nicht«, versicherte ich, reichte Lucius mit einem entschuldigenden Lächeln die Leine und trat an ein Regalbrett heran.

»Ich hätte gern Möbelbeschläge mit der Büste des Weingottes Bacchus«, behauptete ich, da ich nichts dergleichen in den Auslagen sah.

»Spezialanfertigungen müssen Sie mit dem Meister besprechen«, entgegnete der Gehilfe und bedeutete uns, ihm zu folgen.

Wir durchschritten einen Lagerraum, dann einen Flur, hinter dem ein weiter Innenhof lag, in dem sich die Werkstatt befand. Als wir wieder ins Freie traten schlug mir ein beißender Holzkohlegeruch entgegen, der mir Tränen in die Augen trieb. Jetzt wusste ich endlich, warum es in den hinteren Räumen von Julia Marcellas Villa so schlecht roch und warum sie die Dienstboten dort untergebracht hatte.

Ein blonder junger Mann stand am Amboss und bearbeitete ein Werkstück. Er war nur wenig größer als ich, aber sehr viel stämmiger. Von seiner Arbeit hatte er muskelbepackte Arme und Schultern. Sein enormer Bauch hingegen war jedoch sicher auch einem gesunden Hunger und Durst geschuldet. Seine Füße steckten in ausgetretenen Sandalen und seine schwere Lederschürze war vom Ruß geschwärzt und mit Brandflecken übersäht. Ein Stirnband verhinderte, dass ihm der Schweiß in die Augen lief. Neben dem Amboss stand ein Ledereimer, in dem der Schmied die glühenden Werkstücke zum Abkühlen warf.

Offenbar war der junge Hüne nicht der Meister, an den der Gehilfe uns weiterreichen wollte, denn er blickte sich suchend im Innenhof um.

»Meinem Vater geht es nicht gut. Er hat sich hingelegt. Du wirst wohl mit mir vorliebnehmen müssen«, sagte der junge Schmied, der inzwischen seine Arbeit unterbrochen und den schweren Hammer an den Amboss gelehnt hatte. Gemächlich wischte der Handwerker seine Hände an der Schürze ab und verschränkte die Arme vor der muskulösen Brust.

»Er sucht Beschläge mit Bacchusdarstellungen«, verkündete der Geselle und kehrte sogleich in den Laden zurück, doch nicht ohne Ariovist einen letzten grimmigen Blick zugeworfen zu haben. Der Hund jedoch schaute treuherzig zurück und begann auch noch, mit dem Schwanz zu wedeln.

»Mir sind im Verkaufsraum die schönen Möbelbeschläge aufgefallen. Ich könnte mir gut vorstellen, meine Kleinen im Speisesaal damit zu verzieren«, sagte ich und räusperte mich. »Aber eigentlich bin ich gekommen, um mit Aulus Calpurnius zu sprechen. Er wohnt doch bei euch?«, fragte ich dann betont beiläufig.

Nicht ein Muskel regte sich im Gesicht meines Gesprächspartners. Unmöglich zu sagen, ob er sich ärgerte, dass wir keine Kunden waren.

»Du kommst zu spät. Er und seine Gattin sind vor einigen Stunden abgereist«, brummte er. Die Art wie er das Wort Gattin dehnte zeigte, dass er bezweifelte, dass die beiden verheiratet waren.

»Wie bedauerlich!«, entfuhr es mir verärgert. Mühsam unterdrückte ich einen schrofferen Ausdruck. »Du weißt nicht zufällig, wohin die beiden aufgebrochen sind?«

Höchstwahrscheinlich nach Agrippina meldete sich eine nagende Stimme in mir. Verzweifelt klammerte ich meine ganze Hoffnung an den dünnen Strohhalm, dass ich mich irrte.

Vom Nachbarhaus her klangen das Quietschen einer rostigen Türangel und das Summen einer jungen Frau, die im Freien arbeitete. Ansonsten machte sich bereits abendliche Ruhe in der Straße breit. Der Schmied blickte finster auf das Werkstück auf seinem Amboss, bevor er meine Frage beantwortete. Es war unübersehbar, dass er das Gespräch möglichst schnell beenden wollte, um seine Arbeit fortzusetzen.

»Das weiß ich nicht und um ehrlich zu sein, interessiert es mich auch nicht besonders.«

Er schien sich keine großen Gedanken über die Gäste seines Vaters gemacht zu haben und zeigte keinerlei Bereitschaft, mir zu helfen.

»Aber du hast mit ihnen unter einem Dach gewohnt. Hast du wirklich nicht mitbekommen, was sie vorhatten?«, hakte ich nach, denn womöglich empfing der kranke Werkstattinhaber an diesem Tag keinen Besuch.

»Keine Ahnung! Ich habe kaum mit ihnen gesprochen. Lucretia Calpurnia hat die meiste Zeit in ihrem Zimmer verbracht. Das war auch besser so, denn unser Gehilfe hat sie unentwegt angestarrt. Sie ist der Typ Frau, der überall nur für Ärger sorgt.«

Ich nickte mitfühlend, denn der Handwerker sprach aus, was auch ich mir bereits gedacht hatte.

»Mit ihrem Mann hat mein Vater Wein getrunken und gewürfelt. Aber mir gegenüber war Aulus Calpurnius äußerst reserviert.«

»Hattest du den Eindruck, dass es die beiden eilig hatten, die Stadt zu verlassen?«

»Nicht eilig genug, für meinen Geschmack«, antwortete der junge Schmied. Bevor ich etwas entgegnen konnte, trat er einen Schritt zurück. Sein Rücken war angespannt, sein Atem flach und auf seinem eben noch gleichmütigen Gesicht breitete sich Misstrauen aus.

»Mit wem habe ich eigentlich das Vergnügen? Ihr habt mir nicht einmal euren Namen genannt. Und warum habt ihr diesen Hund mitgebracht?«

»Mein Name ist Marcus Terentius und das ist mein Bruder Lucius. Wir sind Freunde von Julia Marcella«, stellte ich uns vor, ohne die Frage nach dem Hund zu beantworten.

Die hellen Augen unseres Gesprächspartners weiteten sich, als wären unsere Namen ein Schock für ihn.

»Du kennst doch bestimmt Julia Marcella? Schließlich ist sie eure Nachbarin«, half ich seinem Gedächtnis auf die Sprünge.

»In der Tat!«, bestätigte unser Gesprächspartner überraschend heftig. »Es spricht nicht gerade für dich, dass du mit dieser verwöhnten Person befreundet bist. Wahrscheinlich beschäftigt sie Nagelpfleger, Bademeister, Fliegenfänger und Parfummischer. Doch, wenn es um die Belange anderer geht, hat sie taube Ohren. Seit Jahren will mein Vater das für sie völlig nutzlose Brachland hinter der Villa kaufen, um unser Geschäft zu erweitern. Aber ….«

»Das Land gehört Julia Marcella?«, unterbrach ich verblüfft, denn das war mir neu.

»Ja, leider. Als es meinem Vater endlich gelungen war, Probus Marcellus umzustimmen verstarb er kurz darauf. Nun weigert sich seine Witwe, mit mir auch nur zu verhandeln. Die feine Dame fühlt sich nämlich durch den Lärm unserer Werkstatt belästigt.« Und durch die Brandgefahr, die von einer Schmiede ausgeht, ergänzte ich in Gedanken. Unwillkürlich stieg in mir das Bild der alten Frau auf, die uns so missmutig angestarrt hatte. Es hatte den Anschein, als ob der Handwerker mit sämtlichen Nachbarn verfeindet war.

»Das ist bitter«, kommentierte mein Bruder sarkastisch.

»Aber du hast mir noch nicht erzählt, was du mit Julia Marcella zu schaffen hast«, nahm der Handwerker den Gesprächsfaden wieder auf.

Mit fiel keine Ausrede ein. Daher rang ich mich schweren Herzens durch, die Wahrheit zu erzählen.

»Aulus Calpurnius und seine Gattin haben Julia Marcellas Villa besichtigt. Als sie gegangen waren, vermisste die Bankierswitwe ein wertvolles Schmuckstück und ich versuche, es wieder zu besorgen.«

»Warum hat Julia Marcella ausgerechnet dich mit dieser Aufgabe betraut?«

Die Geringschätzigkeit in seine Stimme war unverschämt und normalerweise hätte ich sie mir verbeten. Aber damit wäre das Gespräch beendet gewesen. Um nicht ausfallend zu werden, sog ich den Atem ein, schloss die Augen und zählte innerlich bis drei.

»Weil sie große Stücke auf mich hält«, verkündete ich dann pompös. Ich wich dem Blick meines Bruders aus, denn ich war mir sicher, dass er mich anfeixte.

»Na, wenn das so ist«, bemerkte der Schmied sarkastisch und ich befürchtete schon, hochkant aus der Werkstatt zu fliegen. Doch zu meiner Überraschung entspannte sich nun die Haltung meines Gesprächspartners und er lächelte mich an.

»Ich möchte jetzt endlich meine Arbeit beenden. Am besten, ihr redet mit meinem Vater. Schließlich waren es seine Gäste«, sagte er während er mir mit einer Handbewegung bedeutete, ihm zu folgen.

»Hat euer Gast eigentlich erwähnt, dass er mit dem Gedanken spielt, die Nachbarvilla zu kaufen?«, erkundigte ich mich unterwegs.

»Zumindest mir gegenüber nicht! Aber neulich bekam ich mit, wie mein Vater ihn fragte, ob er sich das eigentlich leisten könne. Daraufhin hat Aulus Calpurnius nur gelacht und behauptet, er werde bald im Geld schwimmen.«

Kein Wunder, wenn er als Trickbetrüger unterwegs war.

»Was hat dieser Aulus Calpurnius eigentlich für einen Beruf?«, fragte ich, mich um einen unverdächtigen Tonfall bemühend.

»Er wurde mir als Kollege meines Vaters vorgestellt. Auf mich hat er jedoch wie ein Tunichtgut gewirkt, der sein Glück beim Würfelspiel sucht. Und seine Frau ist auch nicht besser! Ich traue es ihr ohne weiteres zu, die Kette unserer lieben Nachbarin gestohlen zu haben.«

Die Schritte des Schmieds beschleunigten sich. Wir mussten uns anstrengen, um mit ihm mitzuhalten, ohne zu rennen.

Von Ariovist war hingegen alle Trägheit abgefallen. Der Hund hatte die Ohren angelegt und zog an der Leine. Offenbar hatte er eine Witterung aufgenommen, die ihn magisch anzog. Sie führte in dieselbe Richtung, die auch der Handwerker ansteuerte. Rasch durchquerten wir den Innenhof und betraten den Wohntrakt im rückwärtigen Teil des Anwesens. Dort folgten wir einem langen Korridor und gelangten an eine aus groben Brettern gezimmerte Tür.

Der junge Schmied drückte die Klinke herunter und der Türflügel schwang mit einem leisen Knarren nach innen auf. Der dahinterliegende Raum war mit einer Geruchsmischung aus Rauch, abgestandenem Wein und Staub erfüllt. Ihn unordentlich zu nennen, wäre eine starke Untertreibung gewesen. Die Schubladen eines niedrigen Schränkchens waren halb herausgezogen, die einfache Liege stand schief und auf dem Boden lagen Schriftstücke und Schreibtafeln. Vor der Rückwand, in der ein schmales Fenster spärliches Licht einfallen ließ, tanzten Staubkörner in der Luft. Zu den Seiten hin wurde das Licht immer schwächer.

Nur schemenhaft erkannte ich einen massigen Mann, der mit dem Rücken zur Wand auf dem Bett lag und schlief. Mein Bruder wollte Ariovist zurückhalten, doch der war bereits in den Raum gestürmt. Im nächsten Augenblick hörte ich den Hund ängstlich winseln, was aber den Schläfer nicht zu stören schien. Nichts regte sich, über dem Raum hing eine unwirkliche, geradezu beängstigende Stille.

»Vater, Besuch für dich!«, rief der Sohn des Hausherrn in das Zimmer. »Die beiden erkundigen sich nach …« Der Satz blieb unvollendet, denn der Werkstattinhaber rührte sich noch immer nicht. Mit einem Sprung war sein Sohn am Bett. Er berührte den Liegenden sanft an der Schulter, schüttelte ihn dann und als auch das nichts half, drehte er ihn auf den Rücken.

Mein Bruder murmelte einen unschicklichen Fluch vor sich hin, den er wohl bei der Armee aufgeschnappt hatte. Trotz der schlechten Sichtverhältnisse erkannte auch ich erschaudernd, dass wir einen Toten vor uns hatten.

Wie betäubt starrte ich einige Sekunden auf die Leiche des unglücklichen Meisters. Mit seinem kurzgeschorenen Schädel, dem Doppelkinn und den stoppeligen Wangen sah der Schmied seinem Sohn gar nicht ähnlich, wenn man davon absah, dass er genauso kräftig war. Auch wirkte er nicht wie ein Handwerker, sondern hätte ebenso gut ein stämmiger Soldat oder ein Seemann sein können.

Ich erkannte auf den ersten Blick keine Wunde an seinem Körper, was nichts heißen mochte. Schließlich konnte ich den Rücken nicht sehen. Die Züge des alten Mannes waren völlig reglos. Doch trotzdem sah er nicht wie jemand aus, der eines natürlichen Todes gestorben war. Aber ich konnte mich auch täuschen, denn ich war kein Experte. Mir fiel nur auf, dass seine Hände von weniger Narben bedeckt waren als die seines Sprösslings. Entweder war er ein besserer Handwerker oder er hatte einen großen Teil der Arbeit an seine Sklaven delegiert.

Sein Sohn sank vor dem Bett auf die Knie. Sein Gesicht war kreidebleich und er begann leise zu schluchzen. Die Tatsache, dass er bisher so emotionslos gewirkt hatte, machte diesen Ausbruch umso beängstigender.

Ich stand noch immer wie angewurzelt da und konnte nicht fassen, was für eine Pechsträhne mich an diesem Tag verfolgte. Zuerst traf ich Pina nicht an, dann verpasste ich ganz knapp die Diebe und schließlich starb deren Gastgeber, bevor ich mit ihm reden konnte. Lucius hatte bereits den Hund aus dem Gebäude gezerrt und ich beschloss, mich ebenfalls diskret zurückzuziehen. Doch kaum hatte ich den Hof betreten, ließ mich eine scharfe Stimme zusammenschrecken.

»Hast du gewusst, dass er tot ist?«

Es war fast ein Schrei, der die angespannte Atmosphäre durchdrang. Der junge Schmied war mir vor die Tür gefolgt. Seine funkelnden Augen zeigten, dass sich von einem Moment zum anderen seine Trauer in Wut verwandelt hatte. Er suchte nach einem Schuldigen für den Tod seines Vaters und hatte mich ins Visier genommen.

»Ich habe deinen Vater noch nie gesehen. Ich wollte wirklich nur mit Aulus Calpurnius und Lucretia Calpurnia sprechen«, beteuerte ich in einem beschwichtigenden Tonfall. Dann stellte ich eine letzte Frage: »Hat dein Vater zufällig heute Besuch empfangen?«

»Das nicht. Aber er hat hinter dem Haus mit Julia Marcellas Angestelltem gesprochen. Ich vergesse immer seinen Namen.«

Diese Bemerkung verschlug mir für einen Augenblick die Sprache, denn mit dieser Wendung hatte ich wirklich nicht gerechnet.

»Marius Marfilius?«, vergewisserte ich mich dann konsterniert.

»Genau der! Mein Vater wollte von ihm wissen, ob der Preis, den die Witwe für ihre Villa verlangt seiner Meinung nach angemessen sei. Nach diesem Gespräch machte Vater mir gegenüber die Bemerkung, dass dieser Geldwechsler offenbar ein doppeltes Spiel spielt.«

»Kann Marius Marfilius denn derartige Auskünfte geben?«, wunderte ich mich.

»Er berät die Witwe in allem, was die Villa betrifft. Julia Marcella war nämlich zu Lebzeiten ihres Mannes nicht Miteigentümer des Hauses und hat daher von diesen Dingen wenig Ahnung.«

Hatte Probus Marcellus von Anfang an befürchtet, dass er die falsche Frau geheiratet hatte? Und welche Rolle spielte Marius Marfilius? Wusste Julia Marcella, dass er sich buchstäblich hinter ihrem Rücken mit ihrem Gegner getroffen hatte? Lucius trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und auch der Geduldsfaden des jungen Schmieds dürfte bestimmt bald reißen. Außerdem würden die Dienstboten bald bemerken, was vorgefallen war und dann gäbe es einen riesigen Tumult.

»Der Geldwechsler hat meinen Vater vergiftet! Er war der letzte, der ihn lebend gesehen hat«, polterte der Schmied los.

Es hatte erstaunlich lang gedauert, bis er diesen Schluss gezogen hatte. Seine halb zusammengekniffenen Augen strahlten einen glühenden Zorn aus, den ich dem biederen Handwerker gar nicht zugetraut hätte.

»Das ist doch lächerlich! Warum sollte er das tun? Er hat keinen Nutzen vom Tod deines Vaters«, wandte ich ein. »Man vermutet stets Gift, wenn ein anscheinend gesunder Mensch stirbt. Aber es gibt genügend Krankheiten, die jemanden ohne Vorwarnung dahinraffen können.«

Beim Klang des Wortes Tod war der Handwerker zusammengezuckt, als hätte er erst jetzt den Verlust begriffen, den er soeben erlitten hatte.

»Außerdem wissen wir doch gar nicht, woran er gestorben ist«, fügte ich vorsichtig hinzu.

Der junge Schmied wischte sich mit dem Handrücken über die Lider, ein Ruck ging durch seinen Körper und er richtete sich zu seiner vollen Größe auf.

»Ich werde diesen Geldwechsler beim Legaten anzeigen!«, verkündete er so laut, dass man es wohl noch auf der anderen Straßenseite hörte.

»Niemand bringt wegen eines Nachbarschaftsstreites jemanden um«, versuchte ich ihn umzustimmen.

»Einem Geldwechsler traue ich alles zu«, brummte der Schmied, wahrscheinlich war er verschuldet.

»War dein Vater schon vor dem Eintreffen seiner Gäste unpässlich?«, versuchte ich dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. Der Handwerker hielt in der Bewegung inne und schaute mich verblüfft an.

»Eigentlich nicht, wenn ich es recht bedenke. Er war kerngesund und strotzte vor Kraft!«

»Ich möchte wetten, dass dein Vater heute mit seinen Gästen gegessen hat.«

Ich nahm das Schweigen des Handwerkers als Zustimmung.

»Wenn jemand deinen Vater ermordet hat, waren es seine Gäste. Ihr plötzlicher Aufbruch ist für mich ein Schuldeingeständnis. Und du hilfst noch nicht einmal, sie zu stellen!«, klagte ich ihn an.

In Wahrheit verdächtigte ich Lucretia Calpurnia. Wenn Frauen mordeten, griffen sie oft zu Gift. Es war eine heimtückische Methode. Man konnte es nicht sehen und meistens auch nicht schmecken. Der Sohn des Schmieds zuckte unter meiner Anschuldigung zusammen, als habe ihn ein Peitschenschlag getroffen.

»Aber ich weiß doch nichts!«, beteuerte er verlegen und kratzte sich am Kinn.

»Sieht es eigentlich in diesem Raum immer so unordentlich aus?«, erkundigte ich mich und schaute in das Schlafzimmer zurück.

Der Handwerker warf ebenfalls einen prüfenden Blick in die Stube seines Vaters und hob dann entschuldigend die Schultern. Dabei bewegte er sich nur ganz langsam, noch immer wie betäubt von dem unerwarteten Schicksalsschlag.

»Meine Frau darf in seinem Schlafzimmer weder putzen noch aufräumen«, gab er verlegen zu. »Aber was seine Arbeit betrifft, war er die Sorgfalt in Person.« Das war nicht die Antwort, die ich erhofft hatte.

»Du glaubst also nicht, dass der Raum durchsucht worden ist?«, fragte ich enttäuscht. Mein Gesprächspartner starrte mich an, als zweifelte er an meinem Verstand.

»Und was sollte derjenige dort gesucht haben?«

»Entweder etwas Wertvolles oder etwas, das ihn belastet«, erwiderte ich, aber der Schmied machte keine Vorschläge. Ich rief mir sofort ins Gedächtnis, dass ich eine Halskette suchte und keinen Mörder. Dafür wurde ich nicht bezahlt. Außerdem hatte ich langsam genug von der unergiebigen Unterhaltung. Daher verabschiedete ich mich von dem jungen Handwerker, der keinen Hehl daraus machte, dass er sich freute, uns endlich loszuwerden.

»Wenn du etwas herausfinden solltest, teil es mir bitte unverzüglich mit«, trug ich ihm auf und beschrieb den Weg zu meinem ehemaligen Handelskontor, wo ich ein Gästezimmer behalten hatte. Der Sohn ihres Erzfeindes hätte wohl die Villa Julia Marcellas nicht gerne aufgesucht.

Dann machte ich mich auf den Weg, denn ich wollte das Grundstück verlassen, bevor die anderen Bewohner des Hauses erfuhren, was geschehen war. Eilig durchquerten wir den Hof, wobei wir Ariovist hinter uns herschleiften, denn der fühlte sich im Innenhof sichtlich wohl.

»Das einzige Resultat unseres Besuches ist, dass der Schmied Julia Marcellas Angestellten des Mordes bezichtigt hat«, stellte Lucius lapidar fest, als wir wieder auf der Straße standen.

»Du bist mir ja eine große Hilfe«, fuhr ich ihn an.

»Zuerst spielst du den Taubstummen und dann machst du mir auch noch Vorwürfe!«

»Immerhin habe ich dich hierhergeführt«, entgegnete er mit unschuldiger Miene.

»Ist ja schon gut«, brummte ich, denn Lucius hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.

Wir hatten die Kette nicht gefunden, dafür aber einen toten Mann, den ich noch nie zuvor lebend gesehen hatte und der auf ungeklärte Art ums Leben gekommen war. Fast hätte ich vor ohnmächtiger Wut den Hund getreten. Doch ich begnügte mich damit, den Fluch meines Bruders von vorhin zu wiederholen, nur tat ich es laut und aus vollem Herzen.

Die Halskette von Worms

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