Читать книгу Die Halskette von Worms - Franziska Franke - Страница 9
Die Rasur
ОглавлениеAls ich durch den Hinterausgang ins Freie getreten war, ertappte ich mich dabei, dass ich mich unwillkürlich umschaute, ob ein kräftiger Mann mit Lederschürze oder eine Brünette mit einem auffälligen Armreif draußen wartete. Aber ich erblickte nur einen biederen Bäckergesellen, eine erschöpfte junge Frau mit einem Säugling, der sich die Seele aus dem Leib schrie, und ein altes Mütterlein mit gebeugtem Rücken und runzliger Haut. Trotzdem hielt ich mich vorsichtshalber etwas abseits von den Passanten und achtete darauf, ob jemand mir folgte.
An den nahen Kais herrschte wie immer ein geschäftiges Treiben. Waren wurden gelöscht, Schiffe neu beladen und alte Kähne repariert. Doch auf den Straßen in Richtung Innenstadt war kaum jemand unterwegs.
Um mich in einen präsentablen Zustand zu versetzen, suchte ich auf dem Forum den Laden des redseligen Tiberius auf. Beim Anblick des Barbiers fragte ich mich, ob er in der Zwischenzeit noch fetter geworden war. Aber diesen Eindruck hatte ich jedes Mal, wenn ich ihn eine Weile nicht gesehen hatte.
»Bitte nur rasieren«, sagte ich, denn nach der Nacht im Handelskontor konnte ich wirklich eine Rasur gebrauchen.
»Wirklich kein Haarschnitt?«, vergewisserte sich Tiberius mit gerunzelter Stirn, nachdem ich auf dem Barbierstuhl Platz genommen und meinen Wunsch geäußert hatte. Ich erinnerte ihn nicht daran, dass ich einen Sklaven besaß, der Haare schneiden konnte, und so schüttelte ich nur den Kopf und kam gleich zur Sache.
»Hast du gehört, dass sich gestern bereits die ersten Interessenten die Villa von Julia Marcella angeschaut haben? Soweit ich gehört habe, haben Aulus Calpurnius und Lucretia Calpurnia großes Interesse bekundet, das Anwesen zu kaufen?«, fragte ich möglichst beiläufig.
»Die Besucher dieses vornehmen Hauses kommen und gehen. Ich bemerke sie gar nicht mehr«, entgegnete der Barbier, während er mein Kinn einseifte. »Mich wundert nicht, dass Julia Marcella die Villa nicht loswird. Die Interessenten finden sie zu groß, zu luxuriös und vor allem zu teuer. Außerdem argwöhnen sie, das Haus könne böse Geister beherbergen.«
Ich ging nicht auf diese abwegige Vermutung ein, sondern bemühte mich weitere Informationen zu erhalten.
»Die beiden Kaufinteressenten, von denen ich sprach, haben bei Gratus Antonius Spendius, dem Schmied gewohnt«, erläuterte ich.
»Schreckliche Geschichte! Gestern war er noch gesund und strotzte vor Kraft und heute höre ich, dass er tot ist.«
»Man sagt, er sei vergiftet worden«, vertraute ich ihm mit unterdrückter Stimme an, aber Tiberius wollte davon nichts wissen.
»Das sagen sie immer, wenn jemand plötzlich stirbt. Aber er war schließlich nicht mehr der Jüngste«, widersprach er vehement und blickte mich neugierig an. »Du hast ja mittlerweile Pina kennengelernt?«
Die Erwähnung ihres Namens gab mir einen Stich, und noch dazu, dass er aus dem Mund des redseligen Barbiers kam. Ich entgegnete nichts, sondern zuckte die Achseln.
»Zögere lieber nicht zu lang«, empfahl Tiberius ungebeten. »Julia Marcella brennt doch darauf, Pina mit einem gutsituierten Mann zu verheiraten und das Mädchen scheint auch nicht abgeneigt zu sein. So sagt man jedenfalls. Aber ehe du dich versiehst, ist es zu spät und ein anderer schnappt sie dir vor der Nase weg. Frauen fehlt die Geduld.« Auch meine Geduld war inzwischen erschöpft, zumindest was den Barbier betraf. Außerdem wollte ich lieber gar nicht wissen, woher er seine Indiskretionen bezogen hatte.
»Ich glaube nicht, dass dich das etwas angeht«, erwiderte ich heftiger als beabsichtigt.
»Du darfst nur nicht zu unverschämt sein, was die Mitgift betrifft«, malträtierte er mich ungerührt mit weiteren guten Ratschlägen.
»Zum Glück habe ich ja nur Söhne. Es ist ein Fluch der Götter weibliche Familienmitglieder unter die Haube bringen zu müssen.«
Ich hatte den Versuch aufgegeben, mit Tiberius Kommunikation zu pflegen und ließ das weitere Geschwätz kommentarlos über mich ergehen. Aber ich gab ihm das gewohnt hohe Trinkgeld, denn ich würde auch in Zukunft auf den Klatsch des Barbiers angewiesen sein.
»Du brauchst dringend einen Haarschnitt«, empfahl er mir, als ich im Begriff war, seinen Laden zu verlassen.
Ich schluckte meinen Ärger über den geschäftstüchtigen Tiberius hinunter und trat ins Freie. Draußen ließ ich meinen Blick über das Forum schweifen, sah aber nur Händler, die in Karren Waren transportierten, einen Jungen, der den Boden vor einem Laden fegte und die üblichen Müßiggänger, jedoch keine Brünette mit Börsenarmreif.
Ich machte mich auf den Weg und erreichte kurze Zeit später das Legionslager. Das Haupttor wurde von zwei bis an die Zähne bewaffneten Soldaten bewacht, die mich geflissentlich ignorierten. Ich setzte mich nicht der Peinlichkeit aus, vergeblich um Einlass zu bitten, sondern tat so als ob ich jemanden erwartete, was in gewisser Weise auch stimmte. Ich drückte mich so lange im Schatten der Mauer herum, bis ich einen krummbeinigen alten Haudegen auf den Eingang zumarschieren sah. Ich löste mich von der Wand und schritt ihm entgegen. Es gelang mir, ihn auf halber Stecke abzufangen, sodass die Wachposten unsere Unterhaltung nicht belauschen konnten.
»Mein Bruder arbeitet in der Schreibstube. Kannst du vielleicht dort vorbeischauen und ihm sagen, dass ich ihn dringend sprechen muss?«, sagte ich, nachdem ich den Soldaten höflich begrüßt hatte.
»Er ist also kein Soldat?« Der alte Kämpe schnaubte verächtlich und ich zuckte entschuldigend mit den Schultern.
»Irgendwer muss schließlich den Papierkram erledigen«, legte ich ein gutes Wort für meinen Bruder ein.
Zuerst behauptete der Legionär, die Erlaubnis des diensthabenden Offiziers einholen zu müssen, ließ sich dann aber doch mit dem Argument erweichen, dass es ein Notfall sei.
Während ich dem Soldaten noch nachsah, drangen aus dem Inneren des Lagers die festen Schritte von Nagelsandalen, die murmelnden Stimmen von Legionären und die gebrüllten Befehle von Centurionen. Wenn ich ehrlich war, so beruhigte es mich ungemein, dass Lucius nicht bei der kämpfenden Truppe war.
Nur wenige Minuten später durchschritt mein Bruder das prächtige Hauptportal des Militärlagers. Offenbar war er gerannt, denn sein Gesicht war leicht gerötet und er atmete schwer.
»Was ist denn passiert?«, wollte er wissen. Seine Stimme klang, als sei er bei einer Schandtat ertappt worden, zu hoch, zu freundlich und etwas hektisch. Ich hätte zu gern gewusst, weshalb er schon wieder ein schlechtes Gewissen hatte, beschränkte mich aber darauf, ihn um die Weiterleitung meines Schreibens zu bitten, ein Wunsch, der Lucius sichtlich aufatmen ließ.
»Warum hast du das nicht gleich gesagt?«, fragte er verärgert, während er das versiegelte Diptychon in Empfang nahm und unter seinen Gürtel klemmte. »Du hast mir mit deiner Nachricht einen ganz schönen Schrecken eingejagt.«
Weil er sich ertappt fühlte oder weil er sich um mich sorgte?
»Sonst hätte man dich nicht gerufen«, erklärte ich und blickte meinen Bruder scharf an.
»Der Brief muss unbedingt noch heute Mogontiacum verlassen. Ich habe nämlich keine Lust, schon wieder nach Agrippina zu fahren. Daher habe ich dem Decurio geschrieben.«
»Also ich würde gern noch einmal Agrippina besuchen. Allein die Pferderennbahn dort ist schon die Mühen einer Reise wert.«
Die Augen meines Bruders leuchteten unternehmungslustig bei der Erinnerung an den Circus.
»Wenn du es schaffst, dafür frei zu bekommen, hast du meinen Segen. Ich gebe dir sogar etwas Geld, damit du auf die Pferde wetten kannst. Aber ich werde dich nicht begleiten«, seufzte ich und wischte mir mit dem Handrücken über die verschwitzte Stirn.
Das Gesicht meines Bruders wurde vor Enttäuschung immer länger, da man bei der Armee nicht einfach Urlaub nehmen konnte. Um ihn auf andere Gedanken zu bringen referierte ich kurz, was ich am Abend zuvor mit Julia Marcella besprochen hatte.
»Nachher werde ich bei den Nachbarn des Schmiedes herumfragen, ob jemand etwas Verdächtiges bemerkt hat«, beendete ich meinen Bericht und ein erstauntes Lächeln huschte über Lucius’ Gesicht.
»Du hast also tatsächlich vor, in Julia Marcellas Auftrag den Mörder ihres Kontrahenten zu suchen?«, platzte es aus ihm heraus und ich fragte mich, was daran so komisch war.
»Ich kann sie doch nicht einfach im Stich lassen«, behauptete ich, worauf mein Bruder noch breiter grinste.
»Ich würde mich nicht einspannen lassen. Hast du jemals Geld von ihr gesehen?«, zog Lucius mich auf. Leider hatte er nur allzu recht, doch das konnte ich unmöglich zugeben. Außerdem hatte ich das ungute Gefühl aus dem Lager beobachtet zu werden.
»Ich glaube, du kehrst besser in dein Büro zurück. Sonst bekommst du noch Ärger mit deinem Offizier«, schlug ich daher vor. Schließlich standen wir schon mindestens eine Viertelstunde vor dem Haupteingang und plauderten.
»Ich halte dich auf dem Laufenden.«
»Julia Marcella ist wie eine Katze. Sie fällt immer wieder auf die Füße. Du musst ihr nicht helfen«, entgegnete mein Bruder, bevor er sich mit sichtbarem Widerwillen zum Gehen wandte.
Wahrscheinlich musste ich ihm noch dafür dankbar sein, dass er mich nicht wieder nach Pina fragte.
»Und vergiss das Schreiben nicht! Es ist wichtig!«, ermahnte ich ihn, doch er drehte sich nicht nochmals um.