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Der Rapport

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Am liebsten hätte ich den Besuch bei Julia Marcella auf den folgenden Tag verschoben, aber ich wollte Ariovist so schnell wie möglich wieder abliefern. In der letzten Stunde hatte Lucius vergeblich versucht, mich unter den Tisch zu trinken - natürlich auf meine Rechnung. Dabei waren unsere Spekulationen über den Verbleib der Kette immer kühner geworden. Dann war mein Bruder ausnahmsweise freiwillig in die Kaserne zurückgekehrt. Sonst musste ich ihn dazu nötigen, eine Taverne vor Sonnenaufgang zu verlassen.

Kühle Abendluft strömte uns entgegen und hatte eine ernüchternde Wirkung auf mich. Sofort verfiel ich in eine deprimierte Stimmung. Das starre Leichengesicht des Schmieds erschien unwillkürlich vor meinem inneren Auge. Um mich abzulenken, versuchte ich meine Gedanken zu ordnen und die Ereignisse des heutigen Tages Revue passieren zu lassen: Ein vermeintliches Ehepaar hatte Julia Marcellas Villa besichtigt und ohne Abschied wieder verlassen. Danach war eine wertvolle Halskette verschwunden. Es konnte kein Zufall sein, dass die Besucher beim Nachbarn der Witwe logierten, der das zwischen beiden Häusern liegende Grundstück erwerben wollte. Dieser Nachbar war kurz darauf ganz plötzlich gestorben, vermutlich hatte man ihn vergiftet. Wahrscheinlich sollte er zum Schweigen gebracht werden.

Doch was hätte er enthüllen können, und vor allem, was für eine Art von Geschäftsbeziehung bestand zwischen ihm und Aulus Calpurnius? Ich konnte mir jedenfalls nicht vorstellen, dass der Schmied wegen einer Halskette sterben musste.

Als ich die Villa der Witwe erreichte, erklang aus der Ferne Musik und das heitere Gelächter junger Leute erfüllte die Luft. Nur mir war an diesem Tag alles gründlich missglückt. Der muskelbepackte Türsteher bemerkte offenbar meine schlechte Laune, denn er ließ mich ohne seine üblichen Schikanen passieren.

»Pina ist nicht da«, verkündete er ungebeten, was meine Stimmung endgültig in den Keller sinken ließ.

Wortlos drückte ich ihm die Hundeleine in die Hand, was Ariovist mit einem kläglichen Jaulen quittierte. Aber ich ließ mich nicht erweichen, sondern trat ein, ohne den Hund eines weiteren Blickes zu würdigen. Die Räume waren gut gelüftet und es roch nach Lavendel. Sein frisches Aroma mischte sich mit einem Hauch von köstlichem Fleischgeruch. Vielleicht hätte ich doch schon zur Cena vorbeischauen sollen.

Der Erste, der mir im Haus begegnete war der letzte, mit dem ich zusammenzutreffen wünschte, nämlich Marius Marfilius, der wohl den täglichen Kassenbericht präsentiert hatte. Er machte einen Bogen um mich, als sei ich am Kaiserhof in Ungnade gefallen, während ich ihn argwöhnisch beäugte. Am liebsten hätte ich nachgefragt, was er mit dem Schmied zu schaffen hatte, doch der Geldwechsler entwischte mir.

Julia Marcella empfing mich auf einem Korbstuhl mit hoher Lehne sitzend in ihrem Frisierzimmer. Sie hatte versucht, die dunklen Ringe unter ihren Augen mit Schminke zu verbergen. Trotz dieser Bemühungen wirkte sie mindestens so erschöpft wie ich mich fühlte. Aber sie trug ein mittleres Vermögen an Goldreifen an ihren Armen und ein auffälliges Collier um den Hals. Es bestand aus mehreren ineinander verschlungenen Goldketten, an denen goldene Anhänger und Perlen baumelten. Erneut fragte ich mich, warum sie sich so über die verschwundene Kette grämte.

»Schön, dass du heute noch einmal vorbeikommst«, sagte sie und bedeutete mir mit einer müden Handbewegung auf dem zweiten Korbstuhl Platz zu nehmen, auf dem sonst ihre Schwester saß. »Möchtest du ein Glas Wein?«

»Nein, danke. Ich habe vorhin schon genug getrunken. Ein Glas Wasser wäre mir lieber«, antwortete ich, denn ich wollte bei unserer Unterredung einen klaren Kopf behalten.

Julia Marcella runzelte missbilligend die Stirn, bevor sie mit leiser Stimme dem hinter ihr stehenden Dienstmädchen Anweisungen gab. Als diese davonhuschte blickte ich ihr erstaunt nach, da ich sie noch nicht kannte. Sie war klein, schlank und hatte glanzloses, aschbraunes Haar. Die Hausherrin umgab sich vorzugsweise mit unscheinbaren Dienerinnen, wahrscheinlich damit ihre eigenen Vorzüge besser zur Geltung kamen. Dabei hatte sie das eigentlich gar nicht nötig. In einer dezenteren Aufmachung wäre sie eine wirklich attraktive reife Frau gewesen.

»Du willst hoffentlich die Suche nicht schon wieder aufgeben?«, erkundigte sie sich in dem vorwurfsvoll-resignierten Tonfall, mit dem sie wohl früher ihren Ehemann bedacht hatte, wenn er wieder einmal nach Agrippina fuhr.

»Du kennst doch den Schmied, der hinter deinem Haus wohnt?«, fragte ich und lehnte mich auf dem Stuhl zurück, um das Gesicht meiner Gesprächspartnerin besser sehen zu können. Ich wollte die Geschichte auch aus ihrem Munde hören. Daher behielt ich vorerst für mich, dass ihr Nachbar tot war.

»Ich weiß, dass er existiert und das ist schon zu viel!«, stieß die Hausherrin unerwartet heftig hervor.

Ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie gewöhnlich kein Blatt vor den Mund nahm. Böswillige Menschen könnten diese Bemerkung jedoch als Morddrohung auslegen.

»Was hast du eigentlich gegen ihn?«, vergewisserte ich mich scheinheilig.

»Dass er seinen lärmenden, stinkenden Betrieb erweitern möchte. Es war typisch für Probus, dieses Bauland in Nachbarschaft einer Schmiede zu erwerben, nur weil es preiswert war. Immer mehr Schein als Sein! Aber was sollte man schon von ihm erwarten. Schließlich war er ein entflohener Sklave.«

Ob ihr eigentlich klar war, dass ich ein Freigelassener war? Ich nahm zu ihren Gunsten an, dass ihr es im Eifer des Gefechtes entfallen war. Im gleichen Augenblick kehrte das Dienstmädchen mit einem Tablett zurück, auf dem ein einfacher Tonkrug, zwei ebenso schlichte Becher und Keramikschalen mit gekochten Eiern, Oliven und Pinienkernen standen. Um mich zu bewirten, war der Hausherrin offenbar ihr gutes Service zu schade. Die Dienerin platzierte das Geschirr auf einem runden Marmortisch und goss Wasser in die Becher. Dann nahm sie wieder ihren Platz hinter dem Korbstuhl ihrer Herrin ein.

»Du bist also mit deinem Nachbarn verfeindet«, fasste ich die Erkenntnisse der letzten Stunden zusammen, griff nach einem Ei und biss vorsichtig ein Stück ab. Doch meine Achtsamkeit war überflüssig, es war hart gekocht.

»Dieser Mensch drängt mich, ihm das Grundstück zwischen unseren Anwesen zu überlassen. Aber wie soll ich meine Villa zu einem anständigen Preis verkaufen, wenn sich dahinter eine Baustelle oder ein lärmender Handwerksbetrieb befindet? Er muss sich schon gedulden, bis ich ausgezogen bin.«

Ich hatte das Ei vertilgt und spülte mir mit einem Schluck Wasser den Mund aus, bevor ich einen Vorstoß wagte.

»Es erstaunt mich, dass die Villa deinem Mann gehörte. Ich dachte, du hättest das ganze Geld mit in die Ehe gebracht.« Ich rechnete nicht mit einer Antwort auf meine Frage, doch ich täuschte mich.

»Na ja, ein klein wenig besaß er auch und davon hat er das Grundstück gekauft. Die Gebäude ließ er dann auf Kredit errichten und auch sonst lebte er gern auf großem Fuß«, gab Julia Marcella widerwillig zu und ich befürchtete schon, dass sie sich über den errungenen und wieder zerronnenen Reichtum ausließ. Doch sie richtete sich wortlos in ihrem Sessel auf und kniff die Lippen aufeinander.

»Aber was kümmert dich das? Du solltest meine Kette wiederfinden und nicht meine Vermögensverhältnisse auskundschaften.«

Es hatte erstaunlich lang gedauert, bis sie mich in die Schranken wies.

»Das habe ich eher zufällig erfahren. Deine diebischen Gäste haben übrigens bei deinem Nachbarn logiert«, informierte ich die Hausherrin, eine Neuigkeit, die sie sichtlich schockierte.

»Wenn ich das geahnt hätte, hätte ich Ariovist auf die beiden gehetzt, statt sie in meinem Heim herumzuführen. Bestimmt sollten sie meine Villa im Auftrag des Schmieds erwerben«, ereiferte sie sich.

Dieser Gedanke war auch mir bereits gekommen, aber dann hätten sie weder lange Finger gemacht, noch fluchtartig das Haus verlassen.

»Du sprichst in der Vergangenheitsform? Hast du Lucretia Calpurnia und Aulus Calpurnius also nicht mehr angetroffen?«, erkundigte sich die Hausherrin.

»Nein, leider nicht. Sie sind heute Morgen überraschend abgereist, ohne ihr Ziel zu nennen. Aber es kommt noch schlimmer«, kündigte ich an und berichtete vom Tod des Werkstattinhabers.

»Dem weine ich keine Träne nach!«, erklärte Julia Marcella kühl und griff mit einer jähen Bewegung nach ihrem Becher, was ihre Armreifen zum Klimpern brachte.

Ich hatte nicht erwartet, dass sie vom Tod des Schmiedes erschüttert war, aber mit etwas mehr Überraschung und Anteilnahme am gewaltsamen Tod eines Nachbarn hatte ich schon gerechnet. Gierig trank sie einen Schluck, verzog aber sofort das Gesicht und blickte grimmig in das Trinkgefäß. Offenbar hatte sie vergessen, dass es Wasser enthielt. Auch ich bereute inzwischen, den mir angebotenen Wein ausgeschlagen zu haben.

»Sein Sohn wird in seine Fußstapfen treten. Die Lage hat sich also für dich nicht verbessert. Aber ich habe noch eine Neuigkeit, die dir nicht gefallen wird«, kündigte ich an, stockte jedoch sogleich, denn ich konnte noch immer Julia Marcellas Verhältnis zu ihrem Angestellten nicht recht einschätzen.

Ihre Augen weiteten sich und ihre Gesichtshaut wurde noch blasser, falls das überhaupt noch möglich war.

»Am besten, du trinkst vorher einen Becher Marsala«, schlug ich vor. Ich wusste, dass es im Haushalt eine Amphora des sizilianischen Starkweins gab, weil laut Cicero die Haussklaven bei meinem letzten Besuch Marsala genascht hatten.

»Nur, wenn du mittrinkst«, stammelte die Hausherrin und als ich nickte, forderte sie ihre Dienerin mit einer fahrigen Handbewegung auf, das Gewünschte herbeizuschaffen.

Julia Marcella war eine starke Frau, die jede Situation meisterte. Das bewies sie an diesem Abend, indem sie schweigend wartete, bis ihr der Marsala kredenzt wurde. In der Zwischenzeit stopften wir die Happen in den dargereichten Schalen in uns hinein.

Allmählich machte ich mir Sorgen, dass Pina immer noch nicht zurückgekehrt war. Wo mochte sie wohl stecken? Zu meiner Zeit blieben junge Mädchen nach dem Abendessen zuhause. Aber vielleicht war sie gar nicht unterwegs, sondern hütete ihr Zimmer und man hatte den Türsteher angewiesen, mich anzulügen.

Endlich kehrte das unscheinbare Dienstmädchen mit einem fein verzierten Krug aus Terra Sigillata zurück.

Julia Marcella stürzte das restliche Wasser in ihrem Becher herunter, ließ sich dann Rotwein einschenken, den sie nach Barbarenart unverdünnt zu trinken gedachte. Ich hingegen mischte ihn, wie es sich gehörte, mit Wasser.

»Jetzt spann mich nicht weiter auf die Folter. Betrifft es Probus?«, fragte die Hausherrin, nachdem sie sich einen kräftigen Schluck genehmigt hatte.

»Nein, Marius Marfilius.«

»Ich habe von Anfang an bemerkt, dass du ihn nicht leiden kannst«, beschuldigte mich Julia Marcella, während sie den Becher so fest umkrallte, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. In ihrer Stimme lag eine aggressive Schärfe, die mich ärgerte.

»So wichtig nehme ich ihn nicht. Falls er nicht auf die Idee kommen sollte, Pina den Hof zu machen, ist er mir völlig gleichgültig«, rutschte es mir heraus.

»Er bevorzugt ältere Frauen«, zischte die Hausherrin und funkelte mich an, als sei dieser durch meine Schuld in seine missliche Lage geraten. Und deren Geld, dachte ich, sprach es jedoch lieber nicht aus.

»Weißt du, dass er sich gestern mit deinem Nachbarn getroffen hat, um ihm Auskunft über den Wert deines Hauses zu geben?«, erkundigte ich mich, behielt aber für mich, dass Marius Marfilius bezichtigt worden war, ein falsches Spiel zu spielen. Vermutlich hatte er versucht, das Brachland unter der Hand zu verkaufen, vielleicht mit der Auflage, es erst zu bebauen, wenn die Villa ihren Besitzer gewechselt hatte.

Julia Marcella machte ein bestürztes Gesicht.

»Warum sollte er das tun?«, fragte sie mit kaum hörbarer Stimme und leerte ihr Glas, das sofort wieder gefüllt wurde.

»Er wird wohl für die Informationen etwas verlangt haben«, erläuterte ich, obwohl das ja eigentlich naheliegend war. Alle wollten Geld dazuverdienen.

Unweigerlich musste ich an Cicero denken. Marius Marfilius traute ich sogar zu, in den Diebstahl des Schmuckstücks verwickelt zu sein. Aber das wollte seine Arbeitgeberin bestimmt nicht hören.

»Ich werde morgen ein Hühnchen mit ihm rupfen«, verkündete Julia Marcella und griff dann nach der vorletzten Olive. »Doch ich verstehe nicht ganz, was an dem kleinen Plausch so verwerflich sein soll.«

»Dummerweise ist Marius Marfilius der letzte, der den Schmied lebend gesehen hat. Sein Sohn hält ihn daher für den Mörder seines Vaters und hat gedroht, ihn beim Legaten anzuzeigen.«

Julia Marcella, die gerade ihren Becher zum Trinken angehoben hatte, verschüttete vor Schreck etwas Wein auf den Tisch. Einen Augenblick lang war sie nicht fähig, auch nur einen Ton herauszubringen. Erst als das Dienstmädchen die Tischplatte mit einem grauen Tuch abzuwischen begann, hatte sie sich wieder gefangen.

»Würde Geld diesem unverschämten Gratus Antonius Spendius den Mund stopfen?«, fragte sie entschlossen.

Jetzt wusste ich wenigstens, wie der junge Schmied hieß.

»Wahrscheinlich nicht«, musste ich zugeben.

»Nicht, weil es von mir kommt?«

»Egal, woher es kommt! Er wirkte auf mich wie ein Prinzipienreiter, wie ein Römer vom alten republikanischen Schlag.«

Weshalb er mir auch so unsympathisch war. Ich hegte ein tiefsitzendes Misstrauen gegenüber Menschen, die nicht einmal bestechlich waren.

»Und wenn ich ihm das Grundstück überlasse? Von mir aus kann er die ganze Villa dazu haben, Hauptsache, der Preis stimmt!«

Diese Mischung aus panischer Reaktion und Geschäftssinn ließ mich zum ersten Mal an diesem Tag schmunzeln. Belustigt bediente ich mich und aß ein paar Pinienkerne, bevor sämtliche Schalen leer waren.

»Ich kann ihm gern dein Angebot unterbreiten. Aber ich fürchte, es könnte wie ein Schuldeingeständnis klingen.«

»Glaubst du wirklich, dass er Marius Marfilius anzeigen wird?« Sie versuchte nicht einmal, ihre Sorgen zu verbergen.

»Ich habe es deinem Nachbarn natürlich auszureden versucht und gesagt, dass Marius Marfilius nicht die geringste Veranlassung hatte, den Schmied umzubringen. Aber es ist möglich, dass sein Sohn das aus reiner Bösartigkeit tut. Nur, um dir eins auszuwischen«, entgegnete ich, denn es machte keinen Sinn sie einzulullen. »Ich kann mir jedoch nicht vorstellen, dass es zu einer öffentlichen Anklage kommt. Dazu ist die Beweislage zu dürftig. Wie ich den Legaten einschätze, wird er nicht seine kostbare Zeit damit verschwenden.«

»Vor allem, wenn wir ihm den Mörder des Schmieds präsentieren«, sagte Julia Marcella wieder etwas zuversichtlicher und ich konnte mir vorstellen, wen sie mit wir meinte.

»Wer könnte ein Interesse haben, deinen Nachbarn umzubringen?«, überlegte ich laut.

»Du meinst, außer mir?«, fragte sie mit einem spitzbübischen Lächeln und ich nickte.

»Die anderen Schmiede, weil er so erfolgreich war, und sein Sohn, um sein Erbe anzutreten und selbst Werkstattleiter zu werden«, zählte die Witwe an den Fingern ab und schaute mich kämpferisch an. »Ich glaube aber, dass dieser Aulus Calpurnius und seine angebliche Gattin ihn vergiftet haben.«

»Der Meinung bin ich auch. Er wurde am selben Tag ermordet, an dem ich ihm einige Fragen über seine Gäste stellen wollte«, pflichtete ich ihr bei, vertilgte schnell ein weiteres Ei in zwei Bissen. Dann räusperte ich mich und nahm Blickkontakt mit der Hausherrin auf.

»Ich werde mein Möglichstes tun, um deinen Angestellten zu entlasten. Aber eins mache ich nicht. Ich fahre nicht nach Agrippina!«, verkündete ich kategorisch und führte alle Ausreden auf, die mir in der Zwischenzeit eingefallen waren. »Falls Aulus Calpurnius und Lucretia Calpurnia wirklich einen Mord begangen haben sollten, werden sie wohl kaum so leichtsinnig sein, dorthin zurückzukehren. Außerdem ist diese Stadt riesengroß. Ohne Adresse wäre es die sprichwörtliche Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Deshalb empfehle ich, lieber schriftlich bei dem Decurio nachzufragen, ob er mir Auskunft über seine Bekannten erteilen kann.«

Leider hatte sich Probus Marcellus’ Freund, der Decurio Junius Petronius bei unserem Aufenthalt in der Veteranenkolonie als wenig kooperativ erwiesen. Aber was sollte man von einem Lokalpolitiker erwarten, der es jedem recht machen wollte.

»Tu, was du für nötig hältst! Am Geld soll es nicht liegen!« Ich hatte nicht erwartet, diese Worte irgendwann aus dem Mund der sonst so geizigen Bankierswitwe zu hören und dachte schon, damit wäre wenigstens die aussichtslose Suche nach dem Schmuckstück vom Tisch. Aber da kannte ich Julia Marcella schlecht.

»Und vergiss nicht meine Kette!«, ermahnte sie mich, als sei ich mit dem Dieb im Bunde.

Allmählich konnte ich das Wort Kette nicht mehr hören.

»Eins nach dem anderen. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut«, seufzte ich, bevor ich ein Anliegen äußerte, das ich bei meinem letzten Besuch vergessen hatte. »Es wäre sicher hilfreich, wenn du mir die Liste aller Juweliere geben könntest, die du in Mogontiacum kennst«, sagte ich und Julia Marcella nickte. »Ansonsten können wir nur hoffen, dass dein junger Nachbar nichts während der neuntägigen Trauerzeit unternimmt. Das würde uns einen wichtigen Vorsprung verschaffen.«

Der irritierte Gesichtsausdruck der Bankierswitwe zeigte mir, dass sich offenbar kein auf Rache erpichter Gallier an derartige Konventionen halten würde. Sie winkte das Dienstmädchen herbei und raunte ihr einige Worte zu.

»Du weißt doch bestimmt, wie sein verstorbener Vater hieß?«, erkundigte ich mich, als das Mädchen aus dem Haus gehuscht war.

»Ebenfalls Gratus Antonius Spendius. Er war so eingebildet, dass er seinen einzigen Sohn nach sich selbst benannt hat. Man sagt, er habe ihm unglaubliche Flausen über seine Begabung in den Kopf gesetzt. Seit dann noch diese Frau, die sich selbst Medea nennt dem jungen Schmied großen Reichtum prophezeit hat, ist er völlig unausstehlich.«

Sie lächelte bitter, wurde aber ganz plötzlich wieder ernst.

»Höchste Zeit endlich aus Mogontiacum wegzuziehen! Ich hätte ja nicht gedacht, dass es so schwierig sein würde, diese schöne Villa zu verkaufen«, beklagte sie sich und starrte auf das Bodenmosaik, das vier kämpfende Gladiatorenpaare mit unterschiedlicher Bewaffnung zeigte.

Diese durchaus kunstvolle Darstellung provozierte mich geradezu, denn ein fast identisches Bild zierte mein Bad. Ich würde mich wohl niemals damit abfinden, dass die Ausstattung von Julias Villa der meines Landgutes zum Verwechseln glich, nur dass sie noch viel prächtiger war.

»Auch wenn du die Villa schnell loswirst, folgen dir deine Probleme zu deinem neuen Domizil. Du wirst überall Nachbarn haben und dein Reichtum wird ihren Neid erwecken«, sagte ich, wobei ich weniger ihren Wohlstand an und für sich, als dessen Zurschaustellung durch seidene Gewänder und auffällige Schmuckstücke meinte.

»Da bist du ja endlich«, tadelte sie das Dienstmädchen, das in diesem Augenblick mit einer wachsbeschichteten Schreibtafel in der Hand zurückgekehrt war.

Julia Marcella ließ sich den Becher erneut füllen, tastete im Halbdunkel nach dem Griffel, der auf einem Beistelltisch neben ihr lag und begann dann mit nachdenklicher Miene die Namen von Goldschmieden ins Wachs zu ritzen.

»Mehr fallen mir nicht ein«, sagte sie schließlich und überreichte mir die Schreibtafel.

Ich warf einen flüchtigen Blick darauf und staunte, dass sie zehn Namen umfasste. Ich hätte nicht vermutet, dass es in einer Garnisonsstadt so viele Goldschmiede gab. Bestimmt verdankten sie ihre Existenzgrundlage zu großen Teilen Julia Marcellas Vorliebe für Geschmeide. Später sollte ich feststellen, dass einige der Handwerker nur einfache Kupferschmiede oder gar Gebrauchtwarenhändler waren.

»Das wird mir sicher die Arbeit erleichtern. Aber jetzt sollte ich endlich aufbrechen. Es ist ja schon längst dunkel«, verkündete ich und erhob mich schwerfällig von meinem Sessel, denn ich hatte inzwischen die Hoffnung aufgegeben, dass Pina sich noch zu uns gesellen würde.

Julia Marcella machte weder Anstalten, mich aufzuhalten, noch bot sie mir eines ihrer Gästezimmer an. Ich schrieb diese Nachlässigkeit ihrem Kummer zu, aber auch an besseren Tagen war die Witwe alles andere als eine zuvorkommende Gastgeberin. Ein Besuch bei ihr bedeutete keine gefüllten Pasteten, keinen saftigen Braten und keine selbstgebackenen Kekse. Die Mahlzeiten in ihrem Haus waren karg und eintönig, wie es für die gallische Küche typisch war.

Die Halskette von Worms

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