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VON MESSERN UND DOLCHEN

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Die nächste Woche verlief größtenteils eintönig. Ich aß, besuchte meine Schwester, verbrachte die Nachmittage bei Bryos zum Schnitzen und wenn ich konnte, schlief ich. Zum Glück fragte mich niemand mehr nach dem Abend, an dem ich geweint hatte. Jedes Mal, wenn ich Bryos besuchte, hatte ich Angst vor dem, was ich sehen würde. Obwohl ich seine Farben für gewöhnlich mochte, traute ich mich nun nicht mehr, ihn anzusehen. Das entging Bryos nicht. Einmal sprach er mich darauf an, doch ich antwortete ihm nur, dass er sich das wohl einbilden müsse. Ich war mir sicher, dass Bryos merkte, dass ich ihm nur ausweichen wollte, aber dennoch fragte er daraufhin nicht weiter nach. Ich kam jeden Tag zu ihm und half ihm bei der Arbeit. Ich lauschte seinen Geschichten und für jede Figur, die ich verkaufte, überließ er mir den Verdienst.

„Kauf dir etwas Nettes auf dem Markt dafür.“ Bryos schielte auf meine nackten, schmutzigen Füße. „Vielleicht ein Paar neue Schuhe.“

Unsicher blickte ich ebenfalls auf meine Füße. „Jetzt?“

„Noch sind alle Stände geöffnet. Wir sehen uns morgen wieder.“

Ich legte meinen angefangenen Holzlöffel zur Seite, verpackte mein Messer und steckte es ein. „Bis morgen.“ Dann verschwand ich mit gut hundert Rhipa in der Hosentasche auf dem Marktplatz.

Ich schlenderte an den Ständen vorbei. Obwohl ich seit Tagen immer wieder den Markt überquerte, um zu Bryos‘ Stand zu gelangen, hatte ich mir noch nie alle Stände genau angesehen. Das lag vor allem daran, dass ich meist nur schnell zu meiner Hütte wollte, um den vielen Farben auszuweichen. Auf dem Marktplatz wimmelte es natürlich nur so von Feuergeistern. Und die vielen Eindrücke trieben mir ein Stechen in den Kopf. Trotzdem wanderte ich von Stand zu Stand. Sicher würde Bryos mich am nächsten Tag fragen, was ich mir gekauft hatte und ich wollte ihm unbedingt berichten können. An einem Stand mit einer Reihe an Lederschuhen blieb ich stehen.

„Kann ich dir behilflich sein, Kleiner?“ Ein großer, schlaksiger Mann kam auf mich zu.

„Ähm… Ich suche Schuhe“, stammelte ich.

Der Mann lachte. „Nun, da bist du bei mir richtig.“ Er griff nach einem dunkelbraunen, schlichten Paar. „Das hier könnte deine Größe sein. Möchtest du sie mal anprobieren?“

Ich zögerte erst, dann nickte ich. Er stellte die Schuhe vor mir auf den Boden, sodass ich hineinschlüpfen konnte. Ich war ziemlich beeindruckt, als sie wie angegossen passten.

„Und, wie gefallen sie dir?“, fragte der Mann mit einem breiten Lächeln im Gesicht.

Ich ging ein paar Schritte. Das Leder saß fest, aber dennoch bequem an meinen Füßen. „Die sind perfekt“, antwortete ich begeistert.

„Für hundertvierzig Rhipa gehören sie dir.“

Ich verzog unglücklich das Gesicht. „Oh… Verzeihung… Das kann ich mir leider nicht leisten.“ Rasch schlüpfte ich aus den Schuhen heraus.

„Weißt du was, Junge? Ich mache dir ein besonderes Angebot. Dir gebe ich sie auch für hundertzwanzig“, bot der Schuhhändler an.

Mittlerweile war mir die Situation unangenehm. Meine hundert Rhipa waren mir wie ein Vermögen vorgekommen. Und jetzt erst wurde mir klar, dass ich mir damit nicht einmal ein einfaches Paar Schuhe leisten konnte.

„Es tut mir leid“, entschuldigte ich mich nochmals. Dann drehte ich mich hastig um und ging. Ich wollte nur noch schleunigst weg von dort. Nicht nur von dem Stand des Schusters, sondern vom Marktplatz. All die Farben bedrängten mich. Mir war übel. Und mein Kopf dröhnte.

Ich hatte den Platz schon fast verlassen, da erregte ein silbriges Aufblitzen im Augenwinkel meine Aufmerksamkeit. Ich blieb stehen und blickte nach rechts. Ich entdeckte einen gut zwei Meter langen Tisch, hinter dem ein junger Mann mit kurzem, honigblondem Haar stand. Als ich etwas näher trat, erkannte ich, dass er Messer verkaufte und diese gerade zu sortieren schien. Es waren die silbernen Klingen, die im warmen Sonnenlicht aufblitzten. Manche von ihnen waren gerade, symmetrisch, andere gebogen. Einige besaßen eine Schneide, manche sogar zwei, wieder andere gar keine, dafür aber eine markante Spitze. Fasziniert ließ ich meinen Blick über die Klingenvielfalt schweifen.

„Junge, ich glaube, meine Ware ist nichts für dich“, sprach der junge Mann mich an.

Ich erschrak etwas, denn ich war so vertieft in den Anblick der Messer und Dolche gewesen, dass ich vollkommen ausgeblendet hatte, dass der Verkäufer auch noch anwesend war.

„Lieber solltest du zu meinem Freund Bryos, dem Holzschnitzer, gehen, bei dem bekommst du Holzmesser und sogar Holzschwerter zum Spielen.“

Ich verzog das Gesicht. Ein Holzmesser? War das sein Ernst? Im Gegensatz zu meiner Begegnung am Schuhstand wollte ich mich hier nicht sofort abwimmeln lassen. Die Faszination Messer und Dolche war einfach zu groß. Ich zeigte auf einen Dolch mit einer symmetrischen, schmalen Klinge und einem dunkelbraunen Heft, anscheinend aus Nussbaum. „Kann ich damit auch schnitzen?“

Der Mann lachte. „Das ist ein Dolch, Kleiner. Viel zu unhandlich zum Schnitzen.“

„Aber er ist einschneidig, also könnte ich rein theoretisch auch mit ihm schnitzen“, überlegte ich laut.

Der Verkäufer kniff nur die Augen zusammen und machte keine Anstalten, mir etwas von seiner Ware verkaufen zu wollen.

Ich fischte alle Münzen, die ich fand, aus meiner Hosentasche und legte sie zwischen mich und den Mann auf den Tisch. „Ich nehme den Dolch für hundert Rhipa.“

Jetzt lachte er wieder. „Tut mir leid, Junge, für hundert Rhipa bekommst du bei mir keinen Dolch.“

Ich spürte, wie ich innerlich zusammenschrumpfte. Waren hundert Rhipa wirklich so wenig?

„Geh, Junge, du verschwendest hier nur deine Zeit. Und meine auch.“

Ich wusste nicht einmal, warum ich unbedingt diesen Dolch haben wollte. Er war nicht das beste Werkzeug zum Schnitzen und außerdem hatte ich dafür ja das Schnitzmesser, das Bryos mir geschenkt hatte. Aber irgendwie hatte ich einen Narren an diesem Dolch gefressen. Ich fand ihn einfach schön und es juckte mir in den Fingern, ihn in die Hand zu nehmen.

„Skar, hast du Lust auf Arbeit?“ Eine schmale, relativ große Frau drängte sich neben mir an den Tisch. Und wie ich es schon zuvor bei Koto erlebt hatte, war ich plötzlich nicht mehr als Luft.

Der Mann am Messerstand seufzte. „Wie viele sind es diesmal?“

„Ich habe vierzehn Messer, die du mir schleifen könntest.“ Die Frau klimperte bittend mit den Augen und legte einen Sack aus dickem Leder auf den Tisch. Ein metallisches Klappern ertönte.

„Was machst du mit all diesen Messern?“, fragte Skar und runzelte die Stirn.

„Kochen, ein paar handwerkliche Dinge…“ Die Frau machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ach, dir muss ich das doch nicht erklären, du weißt doch, wofür man Messer so braucht.“

„Ja, schon, aber…“ Ehe Skar weitersprechen konnte, begann die Frau, nach und nach Messer aus dem Beutel zu ziehen und sie auf dem Tisch zu platzieren. Dabei brachte sie all die Messer und Dolche durcheinander, die Skar gerade eben noch sortiert hatte. Dieser wiederum legte sich daraufhin die Hände auf den Kopf und raufte sich die Haare. „Schon gut, schon gut, lass die Messer einfach in dem Beutel, ich kümmere mich darum!“, sagte er hastig.

Die Frau lächelte und ließ alles stehen und liegen. „Sehr schön. Ich hole sie dann morgen früh wieder ab.“

„Morgen früh?“, wiederholte Skar entsetzt. „Aber ich wollte gerade…“

„Danke!“, unterbrach sie ihn, drehte sich um und lief so schnell davon, wie sie aufgetaucht war.

„…Feierabend machen“, beendete Skar seinen Satz, auch wenn die aufdringliche Kundin ihn nicht mehr hören konnte. „Dieses Weib treibt mich irgendwann noch in den Wahnsinn“, brummte er genervt und stierte wenig begeistert auf den Ledersack und die Messer, die danebenlagen. „Kochen und ein paar handwerkliche Dinge. Ach, ich glaube, ich will gar nicht wissen, was sie wirklich damit macht. Warum stehst du eigentlich immer noch hier?“, fuhr er mich an. Seine schlechte Laune hatte seine Freundlichkeit fortgefegt.

Ich wollte noch immer den Dolch. Doch hatte ich gerade Schwierigkeiten, mir einen Weg zu überlegen, um an mein Ziel zu gelangen. Denn um Skar tanzten rote, grüne und blaue Farben, als hätte er eine Schar Grashüpfer um sich versammelt. „Ich…“, begann ich und versuchte, mich zu konzentrieren. Ich senkte meinen Blick auf die stumpfen Messer auf dem Tisch. Was würde Bryos jetzt tun? Ihm würden sicher die richtigen Worte einfallen, um Skar dazu zu bringen, ihm den Dolch zu verkaufen. Auch für hundert Rhipa. Da kam mir eine Idee. „Ich schleife die Messer und dafür verkaufst du mir den Dolch für hundert Rhipa.“

„Junge, hör auf, mir mit dem Dolch in den Ohren zu liegen“, wies Skar mich weiter ab. „Und Messer schleifen! Kannst du das überhaupt?“

Ich nickte eifrig und bemühte mich, ihn trotz meiner Kopfschmerzen fest anzusehen. „Ich lerne bei Bryos schnitzen. Er hat mir gezeigt, wie man Messer richtig schleift und meinte, ich sei sehr talentiert.“ In Wirklichkeit hatte ich ihm das erste Messer, das er mir zum Schleifen gegeben hatte, kaputt gemacht. Aber das musste Skar ja nicht wissen. Hatte Kaya nicht gemeint, über kleine Notlügen könne man hinwegsehen? Und wenn das hier keine Not war!

Einen Moment lang starrte Skar mich wütend und unbeirrt an. Dann wanderte sein Blick zu den Messern auf dem Tisch, von dort zu dem Dolch, für den ich mich interessierte, und wieder zurück zu mir. Ein tiefes Seufzen entfuhr ihm und sein Gesichtsausdruck wurde wieder etwas sanfter. „Komm her, du hartnäckiger Bengel. Du hast Glück, dass ich heute Abend wirklich noch etwas Dringliches vorhabe und auf deine Hilfe angewiesen bin.“ Er zeigte mir die Schleifsteine. „Mach dich ans Werk, ich räume schon einmal die Ware ein. Wenn du dann noch nicht fertig bist, helfe ich dir.“

Breit grinsend nahm ich mir eines der Messer und machte mich ans Werk. Ich war etwas aufgeregt, denn ich hatte wirklich Angst, etwas falsch zu machen. Allzu viel Übung hatte ich schließlich noch nicht. Noch dazu merkte ich, dass Skar ständig misstrauisch zu mir schielte, um sicherzugehen, dass ich die Messer richtig schärfte.

„Du machst das wirklich gut.“ Skar begutachtete die Messer, die ich bereits behandelt hatte akribisch, als er seine Messer und Dolche verstaut hatte. Alle bis auf einen. Er schob mir den Dolch, für den ich so sehr geschwärmt hatte, über den Tisch herüber zu. Im Tausch zog er die übrigen stumpfen Messer zu sich. „Vielen Dank für deine Hilfe. Du hast dir diesen Dolch mehr als verdient.“ Er griff in eine Kiste unter dem Tisch. Als er sich wieder erhob, legte er eine lederne Halterung neben den Dolch, mit der ich diesen an meinem Gürtel befestigen konnte. „Ich schätze, so etwas benötigst du auch noch.“

Überrascht blickte ich zwischen dem Dolchhalter und Skar hin und her.

„Schau nicht so, ich habe davon eh zu viele. Nun geh, den Rest mache ich.“ Ohne eine Antwort von mir abzuwarten, begann Skar, sich mit voller Konzentration ins Messerschleifen zu vertiefen.

Kurz zögerte ich noch. Dann nahm ich mit aller Vorsicht den Dolch in die Hand. Noch ein paar wenige Sonnenstrahlen erhellten den Abend und wurden im Eisen der Dolchklinge reflektiert. Der Griff lag bequem in meiner Hand, als wäre er für mich gemacht. Ich steckte die Klinge in die Scheide der Halterung und befestigte diese an meinem Gürtel. Plötzlich fühlte ich mich um einiges stärker und größer. Das Gewicht an meinem Gürtel schenkte mir Sicherheit. Und noch etwas war da. Stolz? Ja, es war auch ein bisschen Stolz. Ich hatte mir diesen Dolch hart erkämpft. Und ich war erfolgreich gewesen. Mit diesem Gefühl stelzte ich erhobenen Hauptes durch das Tal. Und das erste Mal, seitdem ich mich weinend im Bett verkrochen hatte, machten mir nicht einmal die Farben mehr Angst.

Doran

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