Читать книгу Doran - Franziska Hartmann - Страница 8
DIE BESTE WAFFE
Оглавление„Darf ich wieder zu Bryos?“, fragte ich aufgeregt, nachdem ich mein Frühstück verdrückt hatte.
Amber grinste. „Wenn du dich gut fühlst…“
„Mir geht es blendend!“, sagte ich und sprang aus dem Bett. Das ging meinem Kreislauf etwas zu schnell und ich schwankte kurz, hielt mich aber diesmal eigenständig auf den Beinen. Als ich mich wieder gefangen hatte, lächelte ich Amber entschlossen zu.
Sie hob zunächst skeptisch eine Augenbraue. Dann nickte sie jedoch in Richtung Ausgang. „Na los, verschwinde! Du lässt mir sonst sicher eh keine Ruhe, ehe du zum Marktplatz kannst. Kaya hatte mich schon vorgewarnt, dass du ganz vernarrt ins Holzschnitzen bist.“ Sie zwinkerte mir zu.
Ich grinste. „Danke.“ Dann lief ich an ihr vorbei hinaus. Die Morgensonne schien blass am hellblauen Himmel. Ich sog die frische kühle Luft ein. Ich spürte, wie mit dem tiefen Atemzug neues Leben meinen Körper durchströmte. Es waren erst zwei Tage vergangen, seitdem ich im Tal erwacht war. Und doch fühlte ich mich so energiegeladen wie lange nicht mehr. Ich lief mit neugierigen Augen durch das Tal. Fasziniert beobachtete ich ein paar Kinder, die am Flussufer Fangen spielten. Kleine Funken tanzten um sie herum, stoben von ihren Füßen empor, bei jedem Schritt, den sie taten. Ich ging langsam weiter, wobei mein Blick immer noch an den Kindern haftete. Sie sahen so vergnügt aus. Ich hatte auch mal so mit Cuinn im Wald gespielt. Und am liebsten hätte ich gefragt, ob ich mitspielen durfte. Aber ich traute mich nicht.
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als ich plötzlich gegen etwas prallte. Oder besser gesagt gegen jemanden.
„He, pass doch auf, du kleiner Wicht!“, tadelte mich ein großer, muskulöser Mann. Als ich zu ihm aufschaute, sah er mich genervt und wütend an.
„T… tut mir leid“, stammelte ich. Er glühte in einem aggressiven Rot, das sich so weit ausbreitete, als wollte es mich auffressen. Unwillkürlich trat ich zwei Schritte zurück.
„Schau nach vorne, wenn du gehst!“, grummelte er und beugte sich zu mir herunter. „Oder bist du blind?“
„Nein, ich… es tut mir wirklich leid.“ Unterwürfig senkte ich den Blick. Dann eilte ich an ihm vorbei und ging weiter zum Markt, ohne mich noch einmal von meinem Weg ablenken zu lassen. Mich ließ das Gefühl nicht los, dass das Rot mich verfolgte und versuchte, nach mir zu greifen. Ich wagte nicht, mich noch einmal umzudrehen.
Erst als ich den Holzwarenstand erreichte, richtete ich meinen Kopf wieder auf und erweiterte mein Blickfeld. Als ich Bryos dort in seine Schnitzerei vertieft sitzen sah, entspannte ich mich ein wenig. Vorsichtig trat ich näher an den Stand heran. Erst als ich mich unsicher räusperte, schaute Bryos zu mir auf. Er lächelte. „Doran, schön, dich zu sehen. Schnapp dir ein Stück Holz und setz dich zu mir!“
Freudige Aufregung kribbelte durch meinen Körper. Ich hüpfte hinter den Verkaufsstand und setzte mich auf das Kissen, das Bryos neben seinem Stuhl platziert hatte. Ich wühlte durch die Holzstücke, bis ich ein geeignetes gefunden hatte und zückte das Schnitzmesser, das ich mitgenommen hatte.
„Was möchtest du heute machen?“, fragte Bryos.
„Einen Drachen“, antwortete ich, visualisierte vor meinem inneren Auge die Drachengestalt, die ich schnitzen wollte und begann, das Holz Schicht für Schicht abzutragen.
Bryos lachte. „Ich würde jeden anderen für verrückt erklären, als Anfänger solch eine komplexe Gestalt schnitzen zu wollen. Aber dir traue ich das zu. Drachen sind wirklich sehr schöne Wesen.“
Ich hielt inne und sah Bryos an. Hast du schon mal einen gesehen?, hatte ich ihn fragen wollen. Doch da verschwammen die Farben vor meinen Augen, vermischten sich, formten sich. Und plötzlich stand dort, wo eben noch Bryos gesessen hatte, ein gigantischer Drache. Ich starrte das riesige Wesen mit seinen violetten Schuppen an. Es starrte aus seinen großen dunklen Augen zurück. Als es schnaubte, stiegen kleine Rauchwölkchen von seinen Nüstern empor. Ich schluckte schwer und widerstand dem Drang wegzulaufen. Das ist nicht echt. Das ist nicht echt, Doran.
„Ist alles in Ordnung mit dir, Junge?“
Als ich Bryos Stimme hörte, zerfiel der Drache wieder in zig verschiedene Farben, die begannen, sich um Bryos zu winden.
Ich schüttelte den Kopf und blinzelte ein paarmal, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
„Doran?“, fragte Bryos noch einmal besorgt.
„Ja, alles in Ordnung“, antwortete ich dann. „Hast du schon mal einen echten Drachen gesehen?“
Bryos blickte nach oben, als schwelge er in weit entfernten Erinnerungen. Seine Farben tanzten, flackerten, blitzten. Es hämmerte in meinem Kopf. Ich legte Holz und Messer vorsichtig in meinen Schoß und rieb mir die Schläfen.
„Ja, aber das ist schon einige Jahre her. Sein Schuppenkleid leuchtete wie Amethyst. Seine Gestalt war so mächtig, dass ich nicht anders konnte, als ihn ehrfürchtig anzustarren.“
Während Bryos erzählte, versuchte ich, wieder zu ihm aufzuschauen. Aber im Strom seiner Erinnerungen explodierten die Farben um ihn herum wie ein wildes Feuerwerk, das ich im Kopf nicht aushielt. Also lauschte ich seiner Geschichte, den Blick auf das Holz in meinem Schoß gerichtet.
„Man kann sich nicht vorstellen, wie beeindruckend und furchterregend zugleich diese Geschöpfe sind. Wer weiß, vielleicht wirst auch du eines Tages das Glück haben, einem zu begegnen.“
„Mhm…“, murmelte ich. Ich hatte wirklich Probleme, mich auf seine Worte zu konzentrieren.
„Geht es dir wirklich gut?“, hakte Bryos erneut nach. „Du siehst blass aus. Warum schnitzt du nicht?“
Lass dir nichts anmerken. Die Farben sind nicht wirklich da. Ignorier sie einfach. Ich setzte ein Lächeln auf. Ich nahm all meinen Mut zusammen und sah erneut zu ihm auf. Dieses Stechen in meinem Kopf. „Ich musste nur noch einmal überlegen, wie ich weitermache.“ Dann konzentrierte ich mich wieder auf das Holz, nahm mein Messer und schnitzte. Ich hatte Sorge gehabt, dass meine Kopfschmerzen mich im Schnitzen behindern würden. Doch stattdessen milderte die Beschäftigung den Schmerz. Das Schnitzen lenkte mich ab und irgendwie hatte es etwas Beruhigendes, das Holz in meiner Hand zu spüren und das Messer in flüssigen Bewegungen darübergleiten zu lassen. „Wo hast du ihn gesehen?“, fragte ich Bryos.
„Ich war allein im Wald unterwegs, um mir Holz für meine Figuren zu beschaffen. Da sah ich ihn auf einer Lichtung liegen und rasten. Als er mich entdeckte, richtete er sich zu seiner vollen Größe auf.“
„Bist du weggelaufen?“
„Nein. Ich stand wie versteinert dort. Der Drache schien meine Furcht zu spüren und flog einfach davon“, erzählte Bryos.
„Irgendwann finde ich auch einen Drachen“, sagte ich bestimmt. „Kann ich mal mit dir zusammen in den Wald gehen und Holz sammeln?“
Bryos stand auf und stellte die Holzschale, die er angefertigt hatte, auf eine freie Stelle auf dem Verkaufstisch. „Irgendwann einmal. Aber erst, wenn du etwas kräftiger geworden bist. Sonst brichst du mir unterwegs noch vor Erschöpfung zusammen.“ Er drückte meinen linken Oberarm, den er mit seiner großen Hand komplett umfassen konnte. „Deine Arme sind ja nicht breiter als ein Besenstiel.“
Enttäuscht verzog ich das Gesicht. „Ich bin stärker, als ich aussehe!“, beharrte ich. Ich wollte da raus und Bryos helfen. Die Gegend erkunden. Und einen Drachen finden.
Bryos lachte und strubbelte mir durch die Haare. „Das glaube ich dir gerne. Iss die nächsten Tage wie ein König, damit du zu Kräften kommst und komm mich jeden Tag hier besuchen. Dann nehme ich dich vielleicht in zwei, drei Wochen mit.“
Zwei, drei Wochen. Das dauerte ja noch eine Ewigkeit. Aber ich beschwerte mich nicht. Immerhin wollte er mich mitnehmen. Also würde ich genau das tun, was er mir aufgetragen hatte und geduldig auf den Tag warten, an dem ich mit ihm das Tal verlassen würde.
„Sieh einer an, Bryos, hast du etwa einen Lehrling?“
Bryos und ich schauten auf. In mir zog sich alles zusammen. Vor dem Verkaufsstand stand jener Mann, den ich vorhin noch angerempelt hatte.
„Und wie oft hat er sich schon in den Finger geschnitten?“, fragte er schnippisch.
„Kein einziges Mal, Koto. Er ist ein sehr talentierter Junge“, lobte Bryos mich.
Koto hob eine Augenbraue. „Kaum zu glauben.“
Ich wusste, dass er mir meine Unachtsamkeit noch immer übel nahm. „Verzeiht mein Missgeschick von vorhin, Herr“, entschuldigte ich mich zum wiederholten Male.
„Missgeschick?“, fragte Bryos.
„Dein Junge scheint Schwierigkeiten zu haben, auf seinen Weg zu achten. Aber wen wundert es. Ich schätze, er leidet unter einer Augenkrankheit?“
Das war vermutlich das erste Mal, dass ich mich nicht für mein goldenes, sondern für mein braunes Auge schämte.
Bryos schaute zu mir. Jetzt erst wurde mir bewusst, dass Bryos überhaupt nichts von mir und meiner Abstammung wusste.
„Ich…“, begann ich unsicher. „Ich bin ein Halbblut, Herr. Mein Vater ist ein Feuergeist, meine Mutter ein Mensch. Das ist der einzige Grund, weshalb ich zwei verschiedene Augenfarben habe. Doch ich sehe mit beiden Augen sehr gut.“ Manchmal zu gut für meinen Geschmack.
„Halb Mensch, dann wundert es mich noch weniger. Bryos“, sein Blick wanderte zu dem Holzschnitzer und meine Anwesenheit schien vergessen, „ich suche ein besonderes Geschenk für meine Frau, morgen ist unser Jahrestag. Sie ist sehr angetan von deinen Halsketten. Sie sah vor kurzem einen Anhänger in Form einer Rose.“
„Den habe ich leider erst gestern verkauft“, antwortete Bryos. Er stand auf und trat dichter an den Tresen. „Doch ich bin mir sicher, dass Doran dir bis heut Nachmittag eine neue Rose anfertigen kann.“
Ich begann, schneller zu atmen, als Bryos mich erwähnte. Wie er die Worte aussprach, klang es wie eine Herausforderung.
Kotos Augen wurden zu schmalen Schlitzen. „Ich muss sichergehen können, dass es heute fertig und solch ein schönes Exemplar wird, dass es meiner Frau gerecht wird. Diese Arbeit sollte nicht von einem…“ Sein Blick wanderte kurz zu mir. Ich wollte ihm standhalten, doch ich musste wegsehen. Nicht wegen seines Blickes, sondern wegen seiner rötlich flammenden Aura, die mir entgegensprühte und erneut Kopfschmerzen bereitete.
Ehe Koto seinen Satz beenden konnte, unterbrach Bryos ihn. „Mein Schüler macht äußerst gute Arbeit. Sogar ich könnte noch von ihm lernen. Und wenn du dir solche Sorgen um die pünktliche Fertigstellung der Kette machst, solltest du dich zukünftig wohl früher um ein Geschenk für deine Liebste bemühen.“
Ich schaute vorsichtig wieder auf und beobachtete, wie Kotos Kopf rot anlief. Während er Bryos wütend anfunkelte, trat vor Anspannung an seiner Stirn eine Ader hervor. Dann starrte er wieder zu mir. „Ich komme wieder, wenn die Sonne beginnt, hinter den Feuerberg zu sinken. Ich erwarte, dass die Kette dann fertig ist.“
Er drehte sich um und wollte gerade gehen, da hielt Bryos ihn mit einem lauten Räuspern auf. „Koto, mein Freund, Auftragsarbeiten erfordern eine Anzahlung.“
Koto fuhr mit einem Ruck herum. Der leuchtende Zorn, der ihn umgab, machte mir Angst. Aber Bryos schien sich nicht daran zu stören, seinen Kunden weiter zu verärgern. Koto griff in einen Lederbeutel, der an seinem Gürtel hing und fischte eine silberne Münze heraus. Er schlug sie mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die Waren auf der Tischplatte hüpften und teilweise umkippten. „Zwanzig Rhipa. Ich hoffe, dir ist bewusst, dass du einen reichlich Gewinn bringenden Kunden weniger hast, wenn du heute Nachmittag mit leeren Händen dastehst“, knurrte er.
Bryos lächelte freundlich. „Gewiss. Vielen Dank für deinen Auftrag. Wir sehen uns heute Nachmittag.“
Koto wandte sich mit einem letzten finsteren Blick ab und stapfte davon. Bryos nahm die Münze, die auf dem Tisch lag, und legte sie in eine Holzkiste, die er unter dem Tisch verstaut hatte.
„Dann mach dich mal an die Arbeit, Doran. Wir wollen doch nicht, dass der gute Herr demnächst unter freiem Himmel schlafen muss, weil seine Frau ihn des Hauses verwiesen hat“, scherzte Bryos, während er die umgefallenen Figuren wieder aufstellte und es sich dann auf seinem Hocker bequem machte.
Aufgeregt legte ich meinen angefangenen Drachen beiseite und stürzte zu dem Sack mit den Holzstücken.
Bryos lachte. „Ruhig Blut, Junge!“ Als ich mit einem kleinen Holzstück wieder auf das Sitzkissen rutschte, beugte Bryos sich zu mir herunter und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Bevor du anfängst, Doran, lass mich dich eine weitere Lektion lehren.“
Erwartungsvoll sah ich zu ihm auf.
„Lass dir niemals von einer Person sagen, was du nicht kannst. Vor allem dann nicht, wenn diese Person dich nicht kennt.“ Bryos zwinkerte mir zu und lehnte sich wieder zurück.
Es dauerte einen Moment, ehe ich mich wieder dem Schnitzen widmen konnte. Mit dieser Lektion hatte ich nicht gerechnet. Bryos machte sich schweigend wieder ans Werk. Doch ich konnte nicht anders, als ihn weiter anzustarren. Seine warmen Farben umhüllten ihn sanft. Nichts an ihnen deutete darauf hin, dass die Auseinandersetzung mit Koto ihn in irgendeiner Weise aufgewühlt hatte.
Plötzlich verzogen sich Bryos‘ Mundwinkel zu einem amüsierten Lächeln. „Hast du sein Gesicht gesehen, als ich die Anzahlung von ihm verlangt habe?“ Er lachte leise vor sich hin.
Nachdem ich meine anfängliche Verwunderung abgelegt hatte, musste auch ich grinsen.
„Und wie er rot angelaufen ist?“, lachte Bryos weiter, ein schalkhaftes Funkeln in den Augen. „Immer wieder herrlich, wie man mit den richtigen Worten den Spieß umdrehen kann.“ Dann hörte er auf zu lachen und sah mich ernst an. „Bist du bereit für noch eine Lektion?“
Ich nickte.
„Worte sind die beste Waffe.“
„Worte… eine Waffe?“, fragte ich.
Bryos nickte. „Worte sind ein wundervolles Werkzeug. Worte können klären. Worte können beruhigen. Und Worte“, das Lächeln kehrte in sein Gesicht zurück, „können deine Feinde in die Flucht schlagen.“
Ich dachte an Koto, der wutentbrannt davongelaufen war. Und auch wenn ich Angst gehabt hatte, hatte ich das Gespräch zwischen ihm und Bryos doch recht fasziniert verfolgt. Ich hätte niemals gewagt, auf die Weise mit Koto zu sprechen, wie Bryos es getan hatte.
„Ich glaube, Schnitzen kann ich dich nicht lehren. Das kannst du bereits“, überlegte Bryos laut. „Aber ein paar schlagfertige Worte könntest du gebrauchen. Denn auf solche Miesepeter wie Koto wirst du immer wieder treffen.“ Es folgte eine nachdenkliche Pause. „Nun aber an die Arbeit.“ Er deutete auf das noch immer unbearbeitete Holz in meiner Hand.
Eifrig begann ich zu schnitzen. Ich mochte Bryos von Stunde zu Stunde mehr. Ich wollte alles lernen, was er mir beizubringen hatte. Schnitzen. Messerschleifen. Und Worte.