Читать книгу Wendemanöver - Franziska Krafft - Страница 5

KAPITEL 1 Stolz

Оглавление

»Mami, komm schnell, komm sofort!« Jonas’ Stimme vom Schiffsbug aus klingt hell, ganz aufgeregt. Ich bin alarmiert, laufe auf dem Teakdeck, so rasch ich kann, nach vorn, versuche dabei, mich nicht an der Reling oder irgendwelchen Leinen zu stoßen oder gar zu stolpern und rufe noch auf dem Weg: »Was ist los? Was?« Vor meinem inneren Auge sehe ich einen böse abgeklemmten, blutigen Finger oder Schlimmeres. Eine Sekunde später erblicke ich, nicht mehr ganz in Vollpanik, wie Jonas offensichtlich unverletzt am Bug kauert und ins Wasser starrt. Okay, Alarmstufe rot ist es nicht. Ich atme aus. »Mami, da schwimmt so was im Wasser.«

»Eine Leine? Verdammt. Dann müssen wir sofort den Motor ausmachen. Sofort.« Wenn sich eine Leine in unserer Schiffsschraube verhakt, sieht es schlecht aus für die Kaimana und unsere Laien-Crew.

»Nein, nein, was anderes.«

Ja, okay, aber was?, denke ich mir. Ein Sack? Ein Toter? Innerhalb von Nanosekunden schießen mir verschiedene Szenarien durch den Kopf. Das ist eine Art innerer Sicherheitscheck, der bei mir abläuft. Gefahrenabwehr. Kopfkino. Und ich denke mir, okay, gut, egal was es ist, wir handeln das. Also, wenn hier jetzt niemand in zwei Teile zerhackt ist oder eine arterielle Blutung hat, dann kriegen wir das schon hin.

»Nein, da sind so große Bälle im Wasser«, ruft Jonas. Ich gucke nach vorn, checke den Horizont. Ich sehe nichts. »Nein, unter Wasser!«

Uh, denke ich mir, nicht so gut, wir fahren ja gerade durch ein militärisches Übungsgebiet nahe Helsingør. Und normalerweise sagen sie zwar immer im Seefunk, wenn da etwas irgendwie akut ist und man ein Gebiet nicht überqueren darf. Und wenn Leute dann trotzdem hinfahren, dann scheuchen sie die raus. Ich achte immer auf die Funksprüche. Das Wetter ist eigentlich auch passabel, wir haben gute Sicht. Aber, was weiß ich denn, hoffentlich sind das nicht irgendwelche Unterwasserbomben. Ich habe ja keine Ahnung. Außer uns ist hier gerade niemand unterwegs. Mir wird doch etwas mulmig.

»Ja, Jonas, dann zeig mir die. Was für Bälle? Wo sind die?«

»Jetzt sind grad keine da.«

Okay. Also informiere ich Peter, der im Cockpit sitzt und ziemlich überrumpelt ist: »Übernimm du das Steuer. Kann sein, dass wir ganz schnell die Richtung ändern müssen.« Er weiß gar nicht, was los ist. Ich sage zu ihm: »Sei wach. Wenn ich dir eine Anweisung gebe, musst du nicht lange fragen. Dann musst du einfach machen.«

Mein Lebensgefährte Peter hat lange gezögert, ob er mit mir auf diesen Segeltrip kommen soll. Er ist kein Segler oder wenigstens jemand, der immer schon mal segeln wollte. Nein, als bodenständiger Österreicher hatte er ganz grundsätzliche Bedenken, was diese Schiffsreise anbelangt. Auch Jonas’ wegen. Umso höher rechne ich es Peter an, dass er sich ein Herz gefasst hat und mich und meinen ältesten Sohn nun doch an Bord begleitet. Und jetzt muss er zur Not eben gleich das Steuer herumreißen.

Jonas und ich liegen inzwischen beide bäuchlings am Bug an Deck. Unsere Köpfe sind über die Reling gebeugt, einer rechts, einer links. Ich kann immer noch nichts sehen. Ich weiß ja nicht, wonach ich schauen muss, wie groß, wie tief. Keine Ahnung.

Und dann ist Jonas wieder ganz aufgeregt: »Da ist wieder einer, da ist wieder einer. Auf der ganz anderen Seite hinten!« Ich renne hin. »Ja, jetzt wieder nicht mehr.«

Ich will es ihm ja glauben. Aber jetzt frage ich mich: Schwimmt da tatsächlich etwas, womöglich etwas Gefährliches, unter unserem Segelboot in der Ostsee? Oder bildet sich Jonas das doch nur ein? Hat er vielleicht irgendwelche Visionen? Möglich wäre es. Ich weiß gerade nicht, was ich denken soll.

Und dann sehe ich selbst einen: so groß wie ein Basketball oder noch größer, knallorange, sieht ein bisschen aus wie eine Boje. Was ist das bloß? Ich starre angestrengt ins Wasser. Und plötzlich sind dann da ganz viele. Mindestens zehn auf einem Haufen, in ganz verschiedenen Größen. Okay, denke ich, wenn diese Dinger unterschiedlich groß sind, dann muss es etwas Lebendiges sein. Dann ist es irgendwas, das da wohnt. Das da wächst. Irgendwelche Algen oder Quallen. Wassertiere. Jedenfalls nichts aus Plastik mit einer Kette unten dran. Und definitiv kein Sprengsatz. Keine Gefahr. Weder für uns noch für das Boot. Nach ein paar weiteren Exemplaren können wir beide lange helle Tentakel erkennen. Also doch Quallen. Manche halb unter Wasser, manche schwimmen tiefer, manche fast an der Wasseroberfläche, einige sind kleiner, andere riesig, orange und gelb.

Puh, jetzt bin ich erleichtert. Ein warmes Gefühl durchflutet mich. Ich rufe Peter am Steuer zu: »Entwarnung hier, alles kein Problem, das sind nur Quallen.«

Zu Jonas sage ich: »Jonas, ich bin total froh, dass du aufgepasst hast, hier vorn. Dass du geschaut hast. Das hätte sonst was sein können, etwas Gefährliches. Gut, dass wir das rausgefunden haben. Ich wusste ja auch nicht, was das ist. So etwas habe ich auch noch nie gesehen. Ich bin sehr froh, dass ich mich auf dich verlassen kann.«

Mein 16-jähriger Sohn Jonas lächelt ein bisschen schief. Dabei platzt er fast vor Stolz. Ich kann das in seinen Augen sehen. Er ist aufmerksam und wach gewesen und hat etwas entdeckt, das für uns alle eine potenzielle Gefahr hätte sein können. Und er hat mich, den Captain, schnell darüber informiert. Wer hätte das noch vor wenigen Wochen gedacht – was für ein Riesenfortschritt!

Wendemanöver

Подняться наверх