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KAPITEL 2 Beim zweiten Mal ist alles leichter

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Jonas war immer schon anstrengend, extrem anstrengend, bereits als kleines Kind. Von Tag eins an. Er hat immer schon neunzig Prozent meiner Zeit, meiner Energie und meiner Nerven verbraten. Das fing beim Stillen an: Erst war er gierig, gierig, gierig, dann hat er alles wieder ausgespuckt, dann hatte er wieder Hunger. Ich hatte im Wochenbett dann auch schnell eine Brustentzündung. Und geschlafen hat Jonas als Baby auch von Anfang an nie. Ich musste ihn nachts immer herumtragen. Sobald man ihn hingelegt hat, hat er wieder geschrien. Tagsüber schlief er zwar schon, aber nachts war er dauernd wach. Das war wirklich anstrengend. Aber ich kannte das damals nicht anders, er war ja mein erstes Kind. Ich habe gedacht, das ist eben so, das ist normal, Babys sind so. Es sind ja alle Eltern mit kleinen Kindern extrem fertig und gestresst, brauchst ja nicht groß reden. Ich habe nicht begriffen, dass das nicht so ganz normal ist. Woher soll man das auch wissen?

Als ich dann allerdings bei meiner Schwester gesehen habe, wie es war, als sie das erste Kind bekam, und wovon die fertig war, habe ich sie gefragt: »Dein Kind schläft doch die ganze Zeit, was hast du denn?« Ich dachte, vielleicht ist das so, weil es ein Mädchen ist.

Doch als mein zweiter Sohn Vincent auf die Welt kam, habe ich den Unterschied selbst gesehen. Da dachte ich, interessant. So kann es also auch sein. Mit Kindern. Das ist locker. Dann können wir ja noch ein drittes Kind bekommen. Das war dann Max.

Seit heute, dem 11. Juli, sind wir auf unserem Segelboot, der Kaimana, unterwegs. Wir, das sind bis zum 25. Juli mein Sohn Jonas, mein Lebensgefährte Peter und ich. Noch sind wir zu dritt. Die Schiffsbesatzung wird wechseln. Vom 26. Juli bis zum 10. August werden meine Freunde Tina, Jan und Martin an Bord kommen und Peter ersetzen. Vom 10. bis 31. August besteht die Crew dann neben mir und Jonas aus meinen jüngeren Söhnen, dem 15-jährigen Vincent und dem elfjährigen Max, sowie Jonas’ Freundin Caro und meinem Vater. Vincent und Max verbringen die erste Hälfte der Sommerferien bei ihrem Vater. Jonas wird als Einziger die ganze Zeit mit mir an Bord sein.

Unsere erste Etappe wird uns von Fehmarn nach Bagenkop in Dänemark führen. Peter und Jonas sind beide Segelnovizen. Ich bin passionierte Hobbyseglerin und kenne mich auf dem Boot am besten aus. Ich habe für diese Segelreise mit Jonas schwer gekämpft. Unsere Situation hier ist ein bisschen speziell: Jonas ist drogenabhängig und frisch aus der Entzugsklinik entlassen. Er hat eine ausgesetzte einjährige Jugendhaftstrafe wegen massiven Besitzes und Handels mit Cannabis, diverser Wohnungseinbrüche, Diebstahls, Unterschlagung, Beleidigung, Nötigung, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs. Zudem hat Jonas eine Karriere als notorischer Schulschwänzer hinter sich. Die weiterführende Schule hat er inzwischen abgebrochen. In den letzten drei Jahren hat er nicht bei mir und seinen beiden jüngeren Brüdern in unserem Bergdorf, sondern bei seinem Vater in Frankfurt am Main gelebt. Es waren drei sehr harte Jahre. Diese Schiffsreise hat das Jugendamt letztlich nur genehmigt, weil es einfach keinen freien Platz für Jonas in einer Einrichtung gab. Diese Schiffsreise ist mein Projekt als Mama. Und ein Versuch. Ein Versuch, Jonas von den Drogen loszukriegen.

In den drei Frankfurter Jahren hatte ich nur wenig Kontakt zu Jonas. Den medizinischen Teil des Drogenentzugs hat Jonas gerade hinter sich. Meine Hoffnung ist es, ihn mit dieser Segelreise seelisch und körperlich, aber auch in sozialer Hinsicht so weit zu stabilisieren, dass ein Lebensweg jenseits der Drogen möglich erscheint.

Vor unserer Abreise von Fehmarn haben Peter und ich noch eine große Ladung Obst und Gemüse eingekauft. Außerdem haben wir das AIS, das Automatic Identification System, fertig installiert. Das ist ein elektronisches System, das andere Schiffe erkennt. Es zeigt genau an, welches Schiff sich wann wo befindet und wie schnell es fährt. Das brauchen wir vor allem, um den Tankern der Großschifffahrt aus dem Weg zu gehen.

Jonas hat ausgiebig das Beiboot mit Elektro- und Benzinmotor getestet. Dabei habe ich ihn immer im Blick behalten. Was hatte der Schweizer mir geraten, der mit mehreren straffällig gewordenen Jugendlichen auf einem Segelschiff unterwegs war? Die Luft aus dem Beiboot rauslassen. Damit Jonas nicht abhauen kann. Ich mache das nicht. Ich bin so froh, dass Jonas jetzt endlich hier bei uns ist. Ich bin lieber aufmerksam. Alert. Wie eine Fuchsmama. Die sitzt am Berg im Tiefschnee, und wenn man sie beobachtet, denkt man, sie tut nichts. Aber sie hat ihre Ohren gespitzt und die Augen überall. Damit sie den Bussard erspäht, bevor er ihre Jungen schnappt. Oder die Schneelawine ahnt, bevor sie niedergeht.

Später ist Jonas auf den Mast geklettert, um gemeinsam mit uns die österreichische Flagge zu hissen. Schwerfällig und langsam kam er mir dabei vor. Wohl aufgrund der vielen Medikamente, die er ja aus der Entzugsklinik noch hat, ist er dauernd müde. Total lethargisch. Blass dabei, weiße, picklige Haut, richtiggehend käsig im Gesicht. Und ruhig, irgendwie fast zu ruhig. Er wirkt, als sei er auf künstliche Weise ruhiggestellt: krank und abwesend.

Es passt eigentlich ganz gut, dass das Segeln sowohl für Jonas als auch für Peter etwas Neues ist. So zeige ich einfach beiden die Basics: Welche Segel und welche Leinen wichtig sind; wie man die Fender, die länglichen Puffer aus Gummi, beim Anlegemanöver zwischen Boot und Hafenmauer halten muss, damit nichts kaputtgeht. Wie ein Fenderknoten geht, wie man den Motor und den Autopiloten startet, wo der Notknopf ist. Alles ist für beide gleichermaßen neu. So muss sich Jonas nicht allein als derjenige fühlen, dem hier erst mal alles erklärt werden muss.

Dabei benutze ich ganz bewusst kein Seglerlatein. Ich weiß, wie wichtig den meisten Seglern das korrekte Verwenden der Segelterminologie ist. Auch in Segelkursen spielt das Erlernen des Fachvokabulars ja stets eine wichtige Rolle. Abgesehen davon, dass ich das immer schon eher abschreckend fand, bin ich hier auf der Kaimana mit meiner speziellen Novizen-Crew zuallererst darauf angewiesen, dass ich verstanden werde. Und deswegen fange ich gar nicht groß an mit Backbord, Steuerbord, Heck und Bug oder Luv und Lee oder rede vom Fieren. Ich sage »links« und »rechts«, und ich sage: »Zieh an dem Roten und lass das Grüne los.« Unsere Bedingungen an Bord sind ohnehin schon schwierig genug. Außerdem garantiert die korrekte Verwendung der Begriffe noch lange kein gelungenes Manöver. Ich habe schon Hafenmanöver erlebt, bei denen die Fachbegriffe nur so durch die Luft flogen und die trotzdem grandios schiefgegangen sind. Da verzichte ich lieber auf die schicken Vokabeln, weiß, dass die Information ankommt, und kriege das Anlegemanöver sicher hin.

Am Nachmittag vor der Abreise besuchen uns noch Jörn und Carlotta, die uns den Windpiloten am Heck der Kaimana montiert haben. Das ist ein mechanisches System, das dafür sorgt, dass das Schiff auf einem konstanten Kurs zum Wind segelt. Jörn ist ein segelerfahrener Freund, und es ist mir eine große Beruhigung, dass er mir zusichert, ihn während der Reise via Funk und Mail jederzeit alles, was die Segelei betrifft, fragen zu können. Den Kühlschrank reparieren wir in letzter Minute noch mithilfe von Dirk, der allerlei Schiffszauber draufhat, was Technik, Motor, Elektronik und Hardware anbelangt. Morgen werden wir den Fehmarnsund queren und nach Bagenkop segeln.

Wir starten ziemlich früh, für Jonas und Peter ist es der erste Tag auf hoher See. Es ist etwas windig, so 3 bis 4 Beaufort, und wir haben zeitweise recht schaukelige Wellen. Zum Glück weht der Wind aus der richtigen Richtung. Jonas hat lange geschlafen. Später locken ihn das Motorengeräusch und der Aufbruch doch aus der Koje. Zuerst läuft alles nach Plan: Wir legen vom Steg ab und fahren unter Motor durch das mit roten und grünen Tonnen markierte Fahrwasser aus dem Hafen. Dann höre ich plötzlich ein komisches Geräusch. Ich dachte eigentlich, meiner Crew vor dem Ablegen gesagt zu haben, dass auf gar keinen Fall Leinen über Bord hängen dürfen. Aber ich bin mir nicht sicher. Jedenfalls hing offenbar doch eine der Vorleinen im Wasser …, und als wir um die Kurve gefahren sind, ist sie runtergerutscht und hat sich um den Propeller gewickelt. Verdammt. So etwas können wir gleich zu Beginn unserer Reise überhaupt nicht brauchen. Ich weiß, dass das eine ziemliche Katastrophe sein kann, weil man schnell manövrierunfähig ist.

Aber vielleicht liegt es am Leben in den Bergen. Eines haben mich Skifahren, Klettern und Mountainbiken, immer auch mit den Kindern, jedenfalls gelehrt: Wenn eine Situation brenzlig wird, hilft Panik überhaupt nicht weiter. Angst ist ein ganz schlechter Ratgeber. Also fahren wir – das geht zum Glück noch – langsam und kontrolliert geradeaus, aus dem untiefen Bereich heraus. Und wollen, um die Sache zu klären, an der Ansteuerungstonne festmachen. Allerdings erwischen wir den Ring nicht und drehen das Schiff deshalb in gutem Abstand vom Südstrand bei, das heißt, das Vorsegel back, also gegen den Wind gestellt, sodass es locker hängt, und das Steuer fest zur anderen Seite. So können wir mehr oder weniger anhalten, ohne festzumachen. Mir ist gleich klar: Es muss jetzt einer ins Wasser, die Leine abschneiden oder abwickeln. Ich überlege nicht lange. Schnell ziehe ich den Neoprenanzug an, schnappe mir die Taucherbrille und springe in die 17 Grad kalte Ostsee, um mir das Ganze von unten anzusehen. Ein ungefähr drei Meter langes Reststück ist noch um den Propellerschaft gewickelt. Zuerst versuche ich, es mit einem Messer wegzuschneiden. Ich fingere eine ganze Weile daran herum. Es geht nicht. Es klemmt. Beim dritten Versuch merke ich dann aber, dass man es eigentlich nur abzuwickeln braucht – es funktioniert. Und ist kein Weltuntergang. Ich tauche auf. Geschafft!

Geschafft habe ich das wahrscheinlich nur, weil ich so etwas schon einmal gemacht habe.

Auf Fehmarn habe ich nämlich einige Tage lang allein das Boot segelfertig gemacht. Also Antifouling, bewuchshemmende Farbe, aufgetragen, ein UKW-Gerät installiert, alles geputzt, das Boot mit Lebensmitteln für acht Wochen beladen und so weiter. Ab und zu musste ich Jörn via SMS etwas Bootstechnisches fragen, aber die Vorbereitungen haben Spaß gemacht, auch wenn ich mich nur von Fischbrötchen und Bananen ernährt und im Auto geschlafen habe. Irgendwann war alles erledigt, und die Kaimana wurde aus der Halle herausgefahren und in Burgtiefe, an der Südküste von Fehmarn, ins Wasser gesetzt. Dann haben wir den Mast aufgestellt. Der örtliche Kran- und Tankstellenmann und ich. Dabei wird der Mast in einer Schlinge mithilfe des Krans hochgehoben und dann mit sämtlichen Gegengewichten am Kran in die richtige Position geschoben. Vorstag, Seitenwanten und Backstag, also die Stahlseile, die den Mast befestigen und zum Teil auch die Segel halten, werden provisorisch eingehängt und erst später festgezogen. Dann wird die Schlinge gelöst, und der Kran kann weg. Das war alles schon ziemlich anstrengend. Aber es hat funktioniert. Am Ende stand der Mast stabil auf dem Schiff. Ich bin dann zum Steg rübergefahren, zum Glück sprang der Motor ohne Probleme an, was nach dem langen Winter nicht immer selbstverständlich ist. Ich musste bei etwas Seitenwind anlegen. Das gab mir gleich noch einmal einen Adrenalinschub. Und dann habe ich im Hafen am Steg mit sehr viel Mühe den Windgenerator montiert, auf ein hohes Rohr gut zwei Meter über dem Heck. Ich bin da barfuß auf der Reling balanciert, mit dem Bauch am Rohr festgebunden, sodass ich die Hände frei hatte. Ich musste über Kopf den Windgenerator mit vielen Schrauben festdrehen und die drei Flügelblätter mit weiteren Schrauben am Windgenerator befestigen. Hochkonzentriert, damit mir nichts, weder Schraubenzieher noch Schraubenschlüssel oder die vielen kleinen Schrauben und Muttern, ins Wasser fielen. Am Ende musste ich noch die Kabel zusammenstecken und mit wasserdichtem Tape abkleben.

Der halbe Hafen hatte mir zugeschaut, denn da kommen am Abend immer ganz viele Segler von Charterschiffen, die nach dem Segeltag ihr Bierchen zischen. Und die fragten mich dann: »Möchtest du was trinken? Wir laden dich auf ein Bier ein.« Ich habe geantwortet: »Bier zwar nicht, aber klar, gern, eine Cola. Ich komme gleich. Muss hier noch gerade schnell, weil das so klappert, brauch’ ich noch …«

Durch das Gespräch war ich einen Moment lang unachtsam, wollte irgendetwas fester drehen, habe es aber in die falsche Richtung und damit lockerer gedreht – und ein Haken fiel mir ins Wasser. Flopp, tschack, tschack. Plump, platsch, dieses Geräusch habe ich jetzt noch im Ohr. Mist.

Pelikanhaken heißt der, habe ich später gelernt. Ungefähr zwanzig Zentimeter lang. Ich habe mich über mich selbst geärgert, weil ich mir so viel Mühe gegeben hatte, die kleinen futzeligen Teile nicht ins Wasser fallen zu lassen. Und dann so was. Ich war einfach unkonzentriert. Und habe sofort die Quittung gekriegt. Jedenfalls wusste ich gleich, ich brauche das Teil, das bekomme ich nicht so schnell irgendwoher. Immerhin fahren wir übermorgen. Also muss ich das rauftauchen. Hier kann es nicht so tief sein. Ich bin ja im Hafen. Da war es schon circa neun Uhr abends. Sehr bald würde es dämmerig werden. Ich habe dann laut mit mir selbst gesprochen, denn ich musste das ja irgendwie entscheiden. Und mein Bootsnachbar hat meine Selbstgespräche gehört. »Soll ich das morgen früh machen, da scheint dann die Sonne? Oder mittags? Da habe ich dann Licht von oben, da sehe ich es vielleicht besser. Ach nein, dann kann ich die ganze Nacht nicht schlafen. Ich hole es lieber gleich. Wenn ich es nicht finde, kann ich das ja morgen immer noch suchen.«

So etwas ist bei mir eine Kopfentscheidung. Ich mache das dann einfach. Ratzfatz habe ich den Neoprenanzug und die Flossen angezogen. Und nach meiner ganz hellen Taschenlampe geschaut, aber die war natürlich nicht aufgeladen.

Und dann habe ich zu dem Bootsnachbarn, der da stand, gesagt: »Du, da kann jetzt doch echt nichts sein, oder? Ich meine, es ist ja ein Hafen. Das ist weder tief, noch gibt es hier Seemonster. Ich kann mich nicht in irgendwelchen Leinen verfangen. Da kann doch nichts sein, oder?«

»Nein, aber wahrscheinlich wirst du ihn nicht sehen. Und wahrscheinlich ist es schlammig und du musst tasten«, hat er geantwortet.

»Das heißt, du meinst, ich muss da runtertauchen und mich mit den Händen durch diesen Schlick wühlen, um dieses Teil …?«

Oh Gott. Eklig. Ich mag überhaupt nicht im trüben Wasser schwimmen, wo ich nichts sehen kann. Dann habe ich aber trotzdem die Taucherbrille aufgesetzt und zweimal tief eingeatmet. Und den Schiffsnachbarn noch mal angeguckt, und der meinte: »Ja, ja, wird schon.«

Beim ersten Mal Tauchen habe ich nichts gesehen. Aber inzwischen standen dreißig Leute da. Dann habe ich noch mal Anlauf genommen und bin wieder runter. Eigentlich wusste ich ja genau, wo es liegen muss. Ich bin geradeaus runtergetaucht. Mit der Hand voraus, damit ich mir nicht den Kopf stoße. Und dann hat es schon im Schlamm geblitzt. Der Pelikanhaken stand zehn Zentimeter aus dem Schlick raus. Man konnte auch den Unterschied zwischen dem Wasser und dem Grund des Hafenbeckens erkennen. Es war eigentlich ganz einfach. Ich bin runter und habe ihn gepackt, total erleichtert. Ich habe den Haken über meinen Kopf gehalten, weil ich dachte, wenn ich jetzt auftauche, stoße ich sonst mit dem Kopf an einen Schiffsrumpf, da sind ja überall Schiffe. Dazwischen ist es ganz eng. Ich kam dann in voller Montur da hoch, den Haken in der ausgestreckten Hand, wie die Freiheitsstatue aus dem Dreck. Großer Jubel. Riesenapplaus. Hafenkino vom Feinsten. Die Leute haben Fotos gemacht. Das hat sich schnell rumgesprochen. Hier, seht mal, die Frau aus den Bergen. Der weibliche Neptun. Ich war plötzlich berühmt.

Zwei Sachen habe ich aus dieser Episode gelernt. Erstens, es ist kein Drama, den Neoprenanzug anzuziehen und im Dreckwasser unter das Schiff zu tauchen und irgendwas zu machen, was ich noch nie gemacht habe. Was ich eigentlich eklig und grausig finde. Es hat dann ja auch keine fünf Tage gedauert, bis ich eben genau das wieder tun musste. Als die Vorleine ins Wasser gerutscht war, hätte ich mich ja viel mehr angestellt, wenn mir mein Schutzengel nicht vorher gesagt hätte, üb das mal. Das brauchst du noch.

Das Zweite, was ich gelernt habe, hat mir zu denken gegeben. Als ich aus dem Hafenbecken aufgetaucht bin, hat auch mein Schiffsnachbar gesagt: »Hey, cool.« Dann hat er hinzugefügt, er hätte das nicht gedacht. Ich habe ihn gefragt: »Dass ich den Haken finde? Oder dass ich es mache?« »Dass Sie es machen«, meinte er.

Na, und da dachte ich, dass ich ihn nicht finde, hätte ja leicht sein können. Aber dass ich es nicht mache? Wie kann der mir nicht zutrauen, dass ich es nicht wenigstens versuche? Ich dachte bei mir, hast du eine Ahnung, was ich gerade noch alles versuche? Da habe ich mich plötzlich so stark gefühlt. Und mir gesagt, also wenn das das Problem ist, es anzupacken und zu versuchen, dann kriege ich das hin. Eigentlich ist es doch simpel: Man macht einen Fehler. Dann dealt man mit dem Fehler. Und stellt im Idealfall den früheren Ist-Zustand wieder her.

Kann sein, dass bei der Hafenepisode eine Rolle gespielt hat, dass ich klein bin, eine Frau mit langen roten Haaren. Ich war da allein. Die haben mir ja schon gar nicht zugetraut, dass ich überhaupt einen Neoprenanzug habe. Und den so schnell finde und damit ins Wasser springe. Und dass das alles nur drei Minuten dauert.

Aber letztlich hat mir dieses Erlebnis im Hafen noch einmal Mut gemacht für meine Schiffsreise mit Jonas. Sie hat im Kleinen gespiegelt, was ich im großen Zusammenhang versuche: Es passiert was Blödes oder sogar eine Katastrophe. Und ich versuche, den Normalzustand wiederherzustellen. Ich mache ja gerade nichts anderes. Ich habe eine Familie. Ich bemühe mich, drei Kinder großzuziehen. Dann geht irgendwas schief. Und ich versuche, es wieder halbwegs normal hinzukriegen.

Hinzu kommt: Ich war es ja, der der Pelikanhaken ins Hafenbecken gefallen war. Also ist es nur logisch, dass ich ihn auch wieder rauftauche. Wer Captain ist, muss seine Probleme selbst lösen. Ich kann da niemanden anrufen und sagen: »Du, kannst du mal kommen?«

Und nur deswegen war die Vorleine, die sich bei unserer Abfahrt aus dem Hafen von Fehmarn um den Propeller gewickelt hatte, nicht so ein großes Problem. Ich wusste ja, was ich zu tun hatte. Alles, was man zum zweiten Mal macht, ist leichter. Deshalb ist es wichtig, so viele Dinge so bald wie möglich zum ersten Mal zu machen. Egal was. Es einfach zu versuchen. Ich mache immer noch viele Dinge zum ersten Mal. Und ich merke, beim zweiten Mal geht es schon viel leichter.

Na, auf jeden Fall haben wir jetzt eine aus zwei Stücken zusammengeknotete Vorleine – auch gut. Ab jetzt läuft es besser: Wir passieren die Fehmarnsundbrücke und segeln an der Westseite Fehmarns vorbei quer übers Meer zur Insel Langeland in Dänemark. Insgesamt brauchen wir acht Stunden für die rund 35 nautischen Meilen. Es ist guter Segelwind, nicht zu stark und nicht zu schwach und vor allem schräg von hinten. So geht es zügig dahin, zuerst mit elektrischem Autopiloten, dann mit dem neuen Windpiloten, und dann steht tatsächlich Jonas am Steuer. Ich freue mich so, ihn dort stehen zu sehen, wenn es auch nur für kurze Zeit ist. Der neue Windpilot steuert weite Strecken auch wunderbar allein. So überqueren wir ganz nebenbei die Großschifffahrtsspur zwischen Deutschland und Dänemark und bemerken die großen Tanker erst, als wir schon vorbei sind.

Kurz vor Bagenkop schüttet es kräftig. Dann fahren wir in den Hafen, zuerst ist Jonas am Steuer, dann ich. Beim dritten Versuch legen wir unter den Augen etlicher Hafengäste an einem Platz mit nur einem Pfahl an der Seite an. In diesem Hafen ist es ganz schön eng, und außerdem haben wir ein ziemlich breites Schiff. Anlegen ist nicht gerade meine Stärke. Ein bisschen müssen wir schon noch üben. Laien-Crew halt. Jedenfalls sind wir jetzt fest.

Peter kocht noch schnell Curry mit Reis, ich hänge die nassen Sachen zum Trocknen auf, und wir machen einen kleinen Spaziergang durch Bagenkop.

Jonas ist die meiste Zeit müde und unfit. Er sieht auch so aus. Trotzdem essen wir oft zusammen, und er redet auch. Ein bisschen wenigstens. Er nimmt wenig zu sich, schiebt das Essen auf dem Teller herum. Und sagt immer wieder: »Ich habe keinen Hunger.«

Ich lasse immer etwas übrig, weil ich mir denke, er wird doch irgendwann mal Hunger kriegen, aber nein, nichts. Wenn es etwas zu tun gibt, wie steuern oder anlegen, ist er dabei, obwohl ihm oft der Überblick fehlt. Na ja, wir haben ja auch gerade erst angefangen. Vielleicht macht ihn die Seeluft so müde, von Widerrede oder Widerstand jedenfalls bisher keine Spur.

Ich habe diese erste Etappe der Schiffsreise mit Jonas nur in groben Zügen geplant. Ich weiß, dass wir am 25. Juli in Kopenhagen sein müssen, weil dort unsere Crew wechseln wird. Aus strategischen Gründen war es mir allerdings enorm wichtig, die Reise in Dänemark beginnen zu lassen. Das war ganz knallhart berechnet. Mir war klar, wir müssen aus Deutschland raus und schnell aufs Schiff, damit Jonas erst gar nicht in Versuchung kommt, sich irgendwo wieder Drogen zu beschaffen. Mir ist es wichtig zu wissen, dass die Euros hier nicht viel nützen, dass die Leute nicht alle Deutsch sprechen. Auf keinen Fall wollte ich länger auf Fehmarn bleiben, denn da hätte er sich ja nur in den Zug setzen müssen, und zack – wäre er in Frankfurt gewesen. Ich will, dass wir einen Vorsprung haben, falls Jonas abhauen will. Außerdem will ich wegen der Unwägbarkeiten, wie es Jonas an Bord gehen wird, das Seglerische so zahm wie möglich halten. Also kleine Etappen, immer gutes Wetter abwarten und in Häfen anlegen. Am Nachmittag ankommen. Und dann am nächsten Tag einfach schauen, wie es läuft. Deshalb fahren wir auch nur am Tag. Ich will nicht, dass wir nachts unterwegs sind und dann geht irgendwas schief und Jonas kotzt oder was weiß ich, kriegt da irgendwelche Anfälle. Alles schon mal da gewesen: Während einer Urlaubsreise in Marokko hatte er einen epileptischen Anfall, vermutlich aufgrund eines kalten Entzugs. Ich weiß nichts Näheres, ich war nicht dabei.

Als ersten Hafen habe ich den in Bagenkop ausgesucht, weil ich da schon einmal war, im vergangenen Sommer. Und weil ich weiß, das liegt auf einer Insel, da gibt es nur drei Häuser und sonst nichts. Peter ist ja ebenfalls zum ersten Mal an Bord eines Segelschiffs, auch deshalb haben wir gesagt, wenn viel Wind ist, bleiben wir im Hafen. Fertig. Ich will keinen Stress. Wir fahren auch nicht morgens um fünf Uhr los, sondern nehmen uns Etappen vor, bei denen wir zu Mittag da sein können, wenn nichts Ungewöhnliches passiert. Und wenn doch, dann sind wir halt nachmittags um vier da und kochen gemütlich im Hafen. Und keiner muss bei schaukelnden Wellen in einen Müsliriegel beißen.

Auf der Etappe nach Marstal auf der Insel Ærø regnet es ab dem Morgen durchgehend. Nicht wolkenbruchartig, aber stetig. Nebelartiger Sprühregen, also Nässe von allen Seiten. Ungemütlich. Deshalb segeln wir mit Cabrio-Dach, das wir für die Leinen ein wenig offen lassen: hinten offen für die Großschot (das Seil für das Großsegel), seitlich offen für die Vorschoten (die Leinen für das Vorsegel), der Rest überdacht und windgeschützt – so geht das ganz gut. In Marstal legen wir im hinteren Hafenbereich – diesmal beim ersten Versuch – in einer Box an. Diese Boxen sind hier im Norden üblich. Sie bestehen aus zwei in den Hafenboden gerammten Holzpfählen am Steg. Man muss das Boot hinten an beiden Pfählen und vorne am Steg dann schnell festmachen, damit man nicht abdriftet. Für den Abend ist Starkwind angesagt.

Jonas hilft ein bisschen mit. Er versteht allerdings den Sinn, warum was wie und wohin gehört, nicht so ganz. Es kommt vor, dass er zum Beispiel an einer Leine zieht, die vor seinen Füßen am Schiff festgebunden ist und sich deswegen logischerweise keinen Zentimeter bewegt. Das andere Ende der Leine wäre gemeint gewesen. Aber woher soll er das wissen? Wenn ich bedenke, wie Jonas in den letzten Wochen, Monaten und Jahren in Frankfurt, in der Einrichtung im Westerwald und in der Entzugsklinik gelebt hat, dann bin ich mit seinem Verhalten und vor allem seinem zeitweiligen guten Willen, mitzuhelfen, eigentlich ganz zufrieden.

Immer wieder schießen mir hier auf dem Boot zwischendurch Einzelheiten dessen durch den Kopf, was die Ärztin und Psychiaterin in ihrem Gutachten über Jonas für das Amtsgericht geschrieben hat. Das ist so krass. Als ich das zum ersten Mal gelesen habe, wurde mir richtiggehend übel. Und ich konnte nächtelang nicht schlafen. Aber es war auch total erhellend, das alles so im Zusammenhang aufgeschrieben zu sehen. Inklusive der ersten ärztlichen Gutachten aus der Kindheit von Jonas, in denen ja damals schon stand, dass Jonas sehr klare Rahmenbedingungen zur sicheren Orientierung und eine klare Alltagsstruktur benötigt. Damals war er elf. Und zwei Jahre später ging in Frankfurt dann alles schon so fürchterlich schief. Schule schwänzen. Rauchen. Die falschen Freunde. Regelmäßiger, schnell massiver Cannabis- und später gelegentlicher Kokainkonsum. Dazu kam Medikamentenmissbrauch. Und dann die Einbrüche. Einer bei der Nachbarin, einer alten Dame. Da hat er Schmuck geklaut, um an Geld für Drogen zu kommen. Und richtig viel gedealt hat er offenbar auch. Aus der Perspektive der Frankfurter Ärztin musste die Prognose für Jonas ja denkbar schlecht sein. Wie heißt es in dem Gutachten? »Es wird eine hohe Gefahr gesehen, dass Jonas auch zukünftig mit ähnlichen und gleichartigen Straftaten in Erscheinung treten wird, wie sie jetzt gegenständlich sind. Die Erfolgsaussichten einer Entziehungskur erscheinen gering.« Puh, allein diese Sprache. Die reden da von meinem Sohn. Wenn mir diese Sätze ins Bewusstsein kommen, bin ich sofort wieder krank vor Sorge. Und im nächsten Augenblick denke ich mir, supergut, dass wir jetzt hier auf dem Boot sind. Ich weiß natürlich nicht, wie unser Bootstrip ausgehen wird. Alles ist offen. Aber jetzt und hier klaut Jonas nicht, und jetzt und hier nimmt er auch keine Drogen. Da kann er meinetwegen hundertmal am falschen Ende der Leine ziehen.

Manchmal spüre ich, wie Peter Jonas gegenüber ungeduldig wird. Und er hat ja eigentlich auch recht. Jonas kann in stressigen Situationen schon sehr unbeteiligt-stoffelig dabeistehen und einfach nur gucken, anstatt mit anzupacken. Das nervt Peter dann wahnsinnig, das spüre ich. Ob er alles gut sieht oder ob er vielleicht eine Brille braucht, fragt Peter Jonas, als der wieder einmal im Weg rumsteht. Jonas checkt dann wirklich nicht, was jetzt zu tun wäre. Noch kann er fast nichts übernehmen.

Und ich als Captain oder Teamchefin muss wissen, dass das kritisch ist und ich mich nicht darauf verlassen kann, dass Jonas es auf die Reihe kriegt. Vor allem darf ich hinterher nicht ausrasten, dass er es nicht kann. Sondern ich muss die Größe haben zu sagen, komm, das macht nichts, wir probieren das noch mal, wir werden schon besser. Das ist dann meistens auch so. Das gemeinsame Segeln ist für uns alle drei ein ganz wichtiger Lernprozess.

Und manchmal reagiert Jonas wegen irgendeiner Nichtigkeit ziemlich heftig und motzt rum. Ich beeile mich dann immer, zu Peter zu sagen: »Komm her, relax, relax, das wird schon noch.« Kann sein, dass Peter sich dann ein bisschen ungerecht behandelt fühlt, weil ich da mit zweierlei Maß messe. Das ist auch ganz klar so. Ich sage ihm, er soll sich nicht aufregen, und Jonas darf einfach so ausflippen. Ich finde immer noch irgendetwas Gutes an Jonas’ Verhalten, obwohl es, nüchtern betrachtet, wirklich nicht gut ist.

Jonas kann sich nicht lange konzentrieren, ein bisschen war das schon immer so. Aber jetzt fällt es mir wieder massiv auf. Wir waren im örtlichen Schifffahrtsmuseum, und er war ziemlich schnell fix und fertig: so viele Schiffsmodelle, Bilder und Ausstellungsstücke – ein information overload. Also zurück aufs Schiff: schlafen, Musik hören und sich in der Bugkabine verkriechen.

Aber er interessiert sich für die elektronischen Geräte an Bord. Besonders das SSB würde er gern ausprobieren. Das werde ich demnächst mit ihm versuchen. Mit dem Single Side Band Radio kann man über Kurzwellenfrequenzen, also mit elektromagnetischen Wellen, bei günstigen Bedingungen bis nach Australien funken, außerdem Wetterdaten und E-Mails abrufen und wegschicken. Damit verschicke ich auch meine regelmäßigen Mails ans Jugendamt.

Ich bin um jeden Moment froh, in dem Jonas vergleichsweise wach wirkt und sich für die Vorgänge an Bord interessiert. Die gelbe, in der Küche montierte Notfallboje EPIRB (Emergency Position Indicating Radio Beacon) muss allerdings an ihrem Platz bleiben und die Schutzkappe über dem Auslöser – leider. Ich sehe förmlich, wie es Jonas in den Fingern juckt, auf diesen Knopf zu drücken. Seine Impulskontrolle ist nach wie vor gering.

Jetzt, um zehn Uhr abends, ist es immer noch hell, die Sonne ist gerade untergegangen, und es stürmt wie angekündigt mit 6 Beaufort. Wir sitzen im Cockpit unter dem Cabrio-Dach. Am nächsten Morgen ist es immer noch windig, aber sonnig.

Ich glaube ja fest an die strukturierende Wirkung von Normalität. Überhaupt, Stichwort Struktur. Die muss und möchte ich Jonas bieten. Deshalb machen wir heute einen Busausflug quer über die Insel Ærø nach Søby. Wir starten nach einem ausgiebigen Frühstück mit Spiegeleiern, Orangensaft, Nutella und zweierlei hausgemachter Marmelade, dazu frischem Brot vom bager. Jonas isst allerdings wieder nur wenig. Immer wieder sagt er, dass er keinen Hunger habe.

Eine Stunde lang zieht die dänische Insellandschaft vor dem Busfenster vorüber: Felder, Wiesen, sanfte Hügel, ein paar gelbe Häuser und kleine Höfe und immer mal wieder eine schöne Aussicht auf das Meer. In Søby gibt es den Hafen, einen Spielplatz, den Strand, die Hauptstraße und die Kirche, alles locker in einer Stunde zu besichtigen. Dann geht es mit dem Bus weiter nach Ærøskøbing. Dort ist ein kleines bisschen mehr los. Viele bunte Häuschen, Kopfsteinpflaster, da und dort ein paar andere Menschen.

Nach einer Weile hat Jonas genug. Er will nicht mehr herumspazieren und fängt an zu motzen. Ich kann zusehen, wie er immer kribbeliger und zappliger wird. Das Gute auf dem Boot ist ja: Da habe ich ihn im Blick. Ich weiß, was wir an Bord haben und was nicht. Seine Medikamente verwahre ich. Wenn Jonas seine Ruhe will, bleibt er in der Kabine. Hier auf dem Inselausflug ist das anders. Trotzdem, wir sind eine Familie, und ich möchte nach all der schwierigen Zeit vor allem auch Normalität. Und es ist total normal, dass ein 16-Jähriger vom Sightseeing und von seiner Mutter genervt ist. Ich begreife: Gut, der packt das jetzt nicht mehr. Gleichzeitig will ich nicht einfach zu Peter sagen: »Wir sind extra hierhergefahren, quer über die Insel, und jetzt fahren wir wieder zurück, weil Jonas nicht mehr kann.« Deshalb komme ich auf die Idee, wir lassen ihn da einfach hocken, auf einer Bank, mit einem Apfel und seinem Fidget Spinner. »Bleib einfach da. Wir kommen dann wieder, in einer halben Stunde.«

Natürlich habe ich Bedenken. Nein, ehrlich gesagt habe ich sogar Angst. Horror, Panik. Denn jetzt lasse ich Jonas zum ersten Mal seit Beginn unserer Reise allein. Ich weiß, das ist komplett irrational, denn Jonas war in Frankfurt in ganz anderen Situationen und Konstellationen allein. Da hat er sich im Bahnhofsviertel, auf den Straßen und in Parks herumgetrieben. Und wir sind hier auf einer verschlafenen dänischen Insel. Er hat weder dänische Kronen noch Euro in der Tasche. Und dass ausgerechnet hier ein Dealer um die Ecke kommt, ist sehr, sehr unwahrscheinlich. Wegrennen ist auf einer Insel auch schwierig. Und doch ist das hier ein schlimmer Augenblick für mich. Da tauche ich tausendmal lieber nach Leinen oder Pelikanhaken in der kalten Ostsee. Denn da kann ich handeln. Das hier hingegen ist ein Moment, der sich meiner Einflussnahme entzieht. Und trotzdem trage ich ja die Verantwortung.

Aber als wir eine halbe Stunde später zu der Bank zurückkommen, sitzt Jonas einfach noch da. Was bin ich erleichtert! So froh. Denn: Was hätten wir gemacht, wenn er da nicht mehr gehockt hätte? Aber er sitzt noch da. Und so merke ich zum ersten Mal, dass es vielleicht doch mehr Möglichkeiten gibt, als ich anfangs dachte. Also, dass ich beim Schlauchboot die Luft rauslassen muss oder nur abgeschliffene Scheren verwenden kann und ihn immer überwachen muss – das ist vielleicht gar nicht notwendig.

Insgesamt ist die Stimmung auf der Kaimana im Augenblick erstaunlich entspannt. Noch können wir uns ja auch öfter mal aus dem Weg gehen, wenn jemand ein bisschen Ruhe braucht. Das wird anders werden, wenn Jonas’ Brüder und mein Vater kommen. Außerdem sind kalter Wind und Sonne viel erträglicher als kalter Wind und Dauerregen. Peter darf pro Tag maximal dreimal sagen, wie schön es jetzt zu Hause wäre, und ich pro Tag maximal fünfmal, wie froh ich bin, dass Jonas diesen Sommer bei uns sein kann.

Wendemanöver

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