Читать книгу Das blaue Sternenschloss - Franziska Pelikan - Страница 2
Оглавление1. Eine Radtour allein
Angelina saß gelangweilt im Gras und verscheuchte lästige Mücken.
„Schule ist Scheiße und diese Ferien sind langweilig”, dachte sie und schüttelte ihre blonde Mähne, weil eine Mücke in ihrem Nacken saß. „Mensch, ihr Mücken”, rief sie, „Jetzt lasst mich endlich mal in Ruhe.” Sie sprang auf und setzte sich an einer andere Stelle ins Gras, wo sie hoffte, dass die Mücken sie in Ruhe ließen. Aber kurze Zeit später waren sie wieder alle bei ihr. „Jetzt reicht’s mir! Ihr folgt mir wohl alle, oder ihr seid einfach überall.”
„Angelina, was schimpfst du so?” Das war ihre Mutter. Sie beugte sich aus dem Wohnzimmerfenster und sah nach, was Angelina machte.
„Die Mücken ärgern mich alle. Jetzt sind auch noch Bremsen hinzugekommen.” Sie sprang wieder auf und schlug um sich. „Die sind diesen Sommer sehr lästig.”
Ihre Mutter lachte: „Willst du Insektenspray haben?”
„Oh, ja. Das wär’ gut. Darauf hätte ich auch selber kommen können.”
Ihre Mutter verschwand vom Fenster.
Angelina überlegte nicht lange und rannte ins Haus. Fast hätte sie ihre kleine Schwester Daida umgelaufen.
„Was machst du?”, fragte Daida sie und schüttelte verwundert ihren Lockenkopf.
„Mich mit Insektenspray einsprühen und dann weiterlangweilen”, antwortete Angelina genervt und drängte sich an der Siebenjährigen vorbei.
Ihre Mutter stand im Badezimmer. Sie hatte das Spray aus einer Schublade gekramt und gab es ihr.
„Wo soll ich mich damit einsprühen?”, fragte sie ihre Mutter.
„Na, wie alt bist du wohl?” fragte ihre Mutter sie scherzeshalber zurück.
„Weiß nicht”, antwortete Angelina und grinste frech. „Ich denke so drei oder vier.”
„Ich hab immer gedacht du wärst sechzehn. Da hab’ ich mich aber wohl sehr geirrt.”
„Hast du auch.”
„Dann muss ich dich ja noch einsprühen.”
„Oh, nein, nein. Ich glaube, ich habe mich sehr geirrt. Bin wohl doch sechzehn.”
Schnell verließ sie kichernd das Badezimmer und sprühte sich draußen im Garten ein.
„Angelina, kannst du mich auch einsprühen?” Das war diesmal ihre dreizehnjährige Schwester Talia.
Angelina sprühte sie ein.
Dann kam ihr ein Gedanke: „Talia? Wollen wir heute eine Radtour machen? Nur wir drei? Du, Daida und ich?”
„Nee, hab’ keine Lust.”
„Dann fahr’ ich eben mit Daida alleine, wenn sie Lust hat.”
Sie ging, um sie zu suchen.
Daida war gerade dabei mit Miro, dem Kaninchen zu spielen.
„Die hat bestimmt auch keine Lust”, dachte Angelina verärgert. „Na gut, ich kann auch alleine fahren.”
Und so war es auch.
Sie holte ihr Fahrrad aus der Garage und radelte los.
Um sie herum summten und surrten die Insekten.
„Ach, ist das schön hier draußen. Ich glaube, ich werde in den Feldweg abbiegen und dann in den Wald fahren”, überlegte sie.
Das tat sie dann auch. Auf der Wiese flogen lauter Schmetterlinge und die Grillen zirpten im hohen Wiesengras. Hier waren noch mehr lästige Mücken, als bei ihr im Garten. Sie war sehr froh sich eingesprüht zu haben.
Dann sah sie plötzlich einen schwarzen Kater im Feld herumschleichen. Er war so schwarz wie Kohle. Sie blieb stehen und stieg von ihrem Rad, damit sie ihn anlocken konnte. Vorsichtig ging sie in die Hocke, um nicht so groß zu erscheinen und miaute wie eine Katze. Das konnte sie sehr gut und es hatte schon sehr oft funktioniert.
Erst blieb der Kater stehen. Dann miaute er zurück. Angelina machte vorsichtig einen Schritt vorwärts, damit sie ihn nicht verjagte. Er schien sehr neugierig zu sein. Ganz langsam kam er näher, bis er so nah war, dass Angelina in hätte berühren können. Doch davor hütete sie sich. Er wäre sonst mit ein paar Sprüngen weg gewesen. Katzen müssen immer den ersten Schritt machen. Der Kater kam vorsichtig noch näher. Sie streckte jetzt langsam ihre Hand aus. Erst stupste er sie an und schnupperte an ihr, dann rieb er seinen Kopf an der ausgestreckten Hand. Jetzt wusste Angelina, durfte sie ihn behutsam streicheln, aber noch keine heftige Bewegung machen. Nun fing er an zu schnurren und legte sich auf den Rücken, damit sie ihn am Bauch kraulte. Dies war das Zeichen, dass er ihr vertraute und sie setzte sich neben ihn.
„Wo kommst du denn her?”, fragte sie ihn leise. „Hast du kein Zuhause?”
Die Augen des Katers sahen sehr gruselig und geheimnisvoll aus. Sie waren ganz gelb, richtig hellgelb.
„Ich nenne dich Li Nú”, entschied sie. Er schnurrte behaglich und wälzte sich auf die andere Seite.
„Aber jetzt muss ich weiter. Ich will noch in den Wald.”
Sie stand auf und ging zu ihrem Fahrrad.
Der Kater sah ihr nach, machte aber keine Anstalten ihr zu folgen und verschwand dann im hohen Gras.
Angelina schwang sich auf ihr Rad und fuhr Richtung Wald. Wilde Gedanken geisterten durch ihren Kopf.
„Er ist so geheimnisvoll. Seine Augen sind so unheimlich. Irgendwie ist er anders als die Katzen, die ich kenne.”
Nach einiger Zeit machte der Weg eine Biegung nach rechts. Der Wald kam immer näher.
Ihr kam ein Gedanke: „Ich werde den Wald durchforschen.”
Nun führte der Weg direkt in den Wald. Sie fuhr noch ein Stückchen tiefer hinein und stieg dann vom Rad. Schnell zog sie es so weit in den Wald, dass es keiner mehr vom Weg aus sehen konnte. Dann schloss sie es mit ihrem Fahrradschloss an einen Baum und stapfte los, immer weiter vom Weg ab tiefer und tiefer in den Wald hinein. Um sie herum und überall zwitscherten die Vögel. Irgendwo hämmerte ein Specht.
„Man müsste hier leben”, dachte Angelina. „Hier draußen in der Natur.”
Sie blieb stehen und beobachte einen Vogel, der in der Nähe von ihr im Boden pickte. Es war ein Rotkehlchen, das erschrocken aufflog, als Angelina zu nah herantrat.
Sie sah auf die Uhr. Es war schon viertel nach drei und sie hatte tierischen Hunger. Vorsichtig setzte sie sich auf einen umgestürzten Baumstamm, um die Schokolade zu essen, die sie dabei hatte. Dann suchte sie sich weiter einen Weg durch das Gehölz.
Plötzlich wurde der Wald lichter und die Sonne drang ein wenig in den Schatten der Bäume. Auch das Moos auf dem Boden und das Gras wurden mehr. Die Luft wurde schwül. Angelina spürte wie sie müde wurde und schaute wieder auf ihre Armbanduhr. Es war jetzt zehn vor vier.
Da kam ihr ein Gedanke, der sie erschrocken zusammenzucken ließ: „Wie komme ich hier eigentlich wieder heraus?” Sie hatte gar nicht auf den Weg geachtet. „Ach, irgendwie werde ich es schon schaffen. Ein Stückchen gehe ich noch weiter, dann kehre ich um.”
Aber daraus wurde wohl nichts. Gerade als sie umdrehen wollte, trat sie auf eine Lichtung
hinaus. Ihr blieb fasst der Mund vor Staunen offen stehen. In der Mitte der Lichtung lag ein
wunderschöner Natursee.
Es war jetzt so schwül, dass die Insekten in der Luft stehenzubleiben schienen. Kein Lüftchen regte sich und fast kein Vogel zwitscherte mehr.
Angelina sah auf der anderen Seite des Sees ein Holzhäuschen stehen. Es stand halb auf dem Ufer und halb, von zwei Pfählen gestützt, im Wasser. Es war mit einem schönen, dunklen Blau gestrichen und glitzerte von weitem golden.
Sie schien zu träumen. Es sah aus, als ob der See gemalt wäre. Hinten entdeckte sie, einen kleinen Bach, der in den See floss. Gegenüber auf der anderen Seite, floss er wieder hinaus.
Als sie näher an das Häuschen herankam, konnte sie erkennen, dass es ein Bootshaus war. Es sah nicht mehr sehr jung aus und die Farbe war an manchen Stellen schon verblichen. Sie ging direkt auf eine Tür zu.
„Wem das alles wohl gehören mag?”, fragte sie sich. Vor der Tür blieb sie stehen. Auf ihr war ein Bild, welches aussah wie ein Wappen. In der Mitte des Bildes war ein Pferd. Über dem Pferd befand sich eine goldene Krone mit blauen Steinen und einem großen Stern verziert. Das ganze Bild wurde unterstrichen von einem halben, grünen Blätterkranz.
Sollte sie ausprobieren, ob die Tür sich öffnen ließe? Und wenn es jemandem gehörte. Vielleicht kannte schon gar kein Mensch mehr dieses Häuschen. Und es könnte ja sein, dass dort jemand in dem Bootshäuschen wohnte. Nichts ist unmöglich. Um sicherzugehen, klopfte sie mit zittrigen Fingern an die Tür. Was sollte sie demjenigen antworten, der ihr öffnen würde? Plötzlich fühlte sie sich beobachtet. Sie ließ ihren Blick durch die Gegend streifen, aber dort war niemand. Sollte Angelina sich das einbilden? Normalerweise tat sie so etwas nie. Sie horchte angestrengt, aber es kam kein Laut aus dem Gebäude. Es war ihr zu gruselig. Sie entschied sich, mit ihren Schwestern noch einmal vorbeizukommen und das Häuschen dann gründlich zu durchforschen.
Die Luft war jetzt so drückend, dass sie das Gefühl hatte, man könnte sie kaum noch atmen.
Da lief es ihr wie ein Blitz durch den Kopf: „Es wird in kürzester Zeit gewittern!” Sie musste so schnell sie konnte, aus dem Wald heraus sein und rannte in die Richtung zurück, aus der sie gekommen war und wieder in den Wald hinein. Die ersten Tropfen fielen schon.
Sie hatte gute zwei Stunden bis hierher gebraucht. Wie sollte sie es schaffen, in höchstens zehn Minuten hier wieder heraus zu sein? In der Ferne hörte sie ein Grollen. Panik stieg in ihr auf. „Schneller, schneller!”, dachte sie nur noch. Die Tropfen wurden mehr. Sie rannte noch schneller. Ihre Panik gab ihr Kraft, die sie sich oft in der Schule beim Sport gewünscht hatte. Das Grollen kam näher. Sie stolperte vorwärts. Einmal fiel sie sogar hin, rappelte sich aber schnell wieder auf. Es war in kürzester Zeit stockfinster im Wald geworden. Plötzlich erhellte ein Blitz die Dunkelheit. Gleich danach grollte der Donner, jetzt unmittelbar über ihr. Der Regen fiel wie Bindfäden vom Himmel. Angelina war schon nass bis auf die Haut. Sie kam sich vor wie unter einer Dusche. Das Wasser lief ihr in Rinnsalen vom Kopf in ihr Gesicht. Wieder zischte ein Blitz durch die Bäume. Der Regen und das Gewitter wurden immer stärker. Angelina wusste nicht, ob ihr Gesicht nur vom Regen so nass war, oder ob sie weinte.
Wieder stolperte sie und fiel hin. Stand aber wie beim ersten Mal, gleich wieder auf. Weiter nur, immer weiter! Sie durfte einfach nicht vom Blitz getroffen werden. Was würde passieren, wenn jetzt der Blitz in einen Baum einschlüge? Wenn sie Pech hatte, wäre sie dann tot. Und Pech hatte sie an diesem Tag schon genug gehabt. Sie irrte orientierungslos durch das Gestrüpp. Wo kam sie auf den Weg? Immer nur vorwärts. Sie rannte nur vorwärts.
Wieder durchzuckte ein Blitz die Dämmerung. Gleich darauf grölte der Donner, so, dass alles erzitterte. Angelina wurde langsam schlecht. Sie konnte nicht mehr. Ihr Herz raste zum Zerspringen. Außerdem hatte sie Angst, unendliche Angst.
Plötzlich blitzte es wieder. Dann knallte es. Lauter als die anderen Male. Der Boden erzitterte. Angelina fiel vor Schreck, der Länge nach hin. Sie schrie auf. Jetzt ist es aus! Hundert Schritte von ihr entfernt ging ein Baum in Flammen auf. Es zischte und prasselte. Dann knickte der Baum um und riss ein paar kleinere mit sich. Der Regen löschte ihn nach einigen Minuten wieder. Ein Vogel flatterte erschrocken auf und verschwand am Himmel.
Angelina musste bewusstlos gewesen sein. Sie lag noch immer im Schlamm auf dem Waldboden. Ein schwarzes Tier stupste sie leicht mit der Nase an. Sie hob den Kopf. „Was ist passiert?”, fragte sie sich laut. Das Tier leckte die Wassertropfen von ihrer Hand. Es war derselbe, schwarze Kater, den sie auf ihrem Hinweg getroffen hatte.
„Li Nú, was machst du denn hier?”, fragte sie ihn erstaunt. Er rieb seinen Kopf an ihrer Schulter und miaute leise. Seine geheimnisvollen Augen sahen sie auffordernd an.
„Soll ich aufstehen?” Vorsichtig und mit zittrigen Knien stand sie auf. Das Gewitter grollte immer noch in der Ferne und es nieselte noch ein Wenig.
Der Kater lief voraus. Angelina folgte ihm langsam. Sie war müde und schlapp. Den Weg wusste sie sowieso nicht mehr. Aber sie war sich sicher, wenn sie Glück hatte, würde Li Nú sie bestimmt, auf die Straße bringen.
Er blieb immer stehen, wenn sie zu weit zurück blieb und wartete auf sie. Angelina war zu müde, um sich noch Gedanken darüber zu machen, was er wohl von ihr wollte. Langsam und stolpernd folgte sie ihm.
Es war jetzt schon halb sechs. Was würden ihre Eltern denken? Spätestens um sieben, wenn es Abendbrot gab, würden sie sich Sorgen machen. Sie kam an einer großen Eiche vorbei. „Hier war ich doch schon mal”, fuhr es ihre erfreut durch den Kopf. Sollte Li Nú sie zu der Stelle bringen, an der sie ihr Fahrrad angekettet hatte? Woher wusste der Kater denn, dass sie dort hin musste? Sie begriff langsam gar nichts mehr. Ihr war der Kater von Anfang an komisch vorgekommen. Er schien kein gewöhnlicher zu sein.
Nun kamen sie auch dort vorbei, wo sie das Rotkehlchen in der Erde picken gesehen hatte. Von hier aus wusste sie auch selber weiter.
Tatsächlich lief Li Nú zu dem Baum, an den sie ihr Rad gestellt hatte. Er ging darauf zu und miaute als ob er sagen wollte: „Hier ist dein Fahrrad.”
Sie trat lächelnd an den Kater heran und streichelte ihn dankend. Er schnurrte und rieb seinen Kopf an ihren Beinen. Dann verschwand er so geheimnisvoll, wie das letzte Mal im Wald.
Angelina stieg auf ihr Rad und radelte, so schnell ihre Beine es erlaubten, nach Hause.
„Angelina, wo warst du so lange?”, fragte ihre Mutter sie vorwurfsvoll. „Wir haben uns Sorgen gemacht. - Und -”, sie betrachtete ihre Tochter besorgt, „ wie nass du bist.”
Sie hatte es noch geschafft pünktlich zum Abendbrot zu Hause zu sein.
„Mich hat das Gewitter überrascht.”
„Aber das ist doch schon fast drei Stunden vorüber.”
„Ja, ich weiß. Der Weg war so lang.” Damit hatte sie nicht einmal gelogen.
„Ab unter die Dusche. Aber schnell!”
„Du wirst dich ganz heiß Duschen müssen!” Das war jetzt ihr Vater. „Ich möchte nicht, dass du morgen mit Fieber im Bett liegst.”
Das hätte er ihr eigentlich nicht zu sagen brauchen.
Nachdem sie sich ganz heiß geduscht hatte, fühlte sie sich richtig wohlig und eine gemütliche Müdigkeit überkam sie. Das Einzige, was jetzt noch dazu kam, war ein Dröhnen im Kopf.
Angelina aß schnell und machte sich dann für das Bett fertig. Kurz bevor sie einschlief, ging sie alle Einzelheiten im Kopf noch einmal durch. Sie nahm sich vor, morgen alles ihren Schwestern zu erzählen.