Читать книгу Das blaue Sternenschloss - Franziska Pelikan - Страница 4
Оглавление3. Der Streich
Die Mädchen kamen sehr spät nach Hause. Sie hatten ihrer Mutter zwar gesagt, sie seien vor Mittag nicht wieder zurück, aber jetzt war es mittlerweile schon Abend.
„Oh, oh. Ich glaube, wir werden Ärger bekommen”, vermutete Angelina, als sie auf ihre Armbanduhr sah und feststellte, dass sie es schon kurz nach sechs hatten.
Es war nicht mehr weit bis zum Haus und sie traten noch einmal kräftig in die Pedalen. Schnell brachten sie die Fahrräder in die Garage und klingelten.
Der Vater öffnete. „Ach-”, er sah sie schief an. „Die Damen. Kommt rein.”
Die Schwestern vermuteten Schlimmes.
Bedrückt zogen sie ihre Schuhe aus.
„Wollten die Damen nicht schon heute Nachmittag zurück sein?”, fragte der Vater in drohendem Ton. „Bin gespannt, was Mama dazu sagen wird.”
Er ging ins Wohnzimmer. Die drei folgten ihm schweigend.
„Anne-Marie”, rief der Vater jetzt die Holztreppe hoch, die in die Schlafzimmer führte. „Die Mädchen sind wieder da.”
Bald darauf kam die Mutter, die knatschende Treppe, herunter.
„Wo wart ihr so lange? Ihr wolltet doch schon heute Nachmittag zurück sein”, rief sie wütend und aufgebracht. „Wollt ihr mir nicht antworten?”
„Wir waren im Wald”, übernahm Angelina das Wort.
„Und wieso seid ihr nicht eher zurück?”, wollte jetzt der Vater wissen.
„Wir haben die Zeit vergessen”, antwortete jetzt Talia wahrheitsgemäß.
„Das ist keine gute Ausrede”, meinte die Mutter.
„Es ist keine Ausrede”, rief Daida, ohne den Ernst der Lage zu bemerken. „Wir waren nämlich... .”
Angelina musste ihr den Ellenbogen in die Rippen stoßen. Daida heulte auf.
„Was sollte das. Wieso schlägst du Daida neuerdings immer?” Jetzt war der Vater richtig sauer.
Angelina schwieg.
„Antworte gefälligst, wenn ich mit dir rede!”, schrie er.
Angelina schwieg weiter.
Daida tat es leid, dass sie ihren Mund mal wieder zu weit aufgemacht hatte. Sie versuchte Angelina aus dieser Lage wieder herauszubekommen. „Wir haben ein Geheimnis. Das darf ich nicht sagen. Deswegen hat sie mich zu Recht geschlagen. Es tat auch nicht weh. Es war nicht doll. Ich habe mich nur erschrocken.”
„Wie? Ihr habt ein Geheimnis?”
„Komm Manfred. Damit erreichst du doch nichts”, versuchte die Mutter ihren Mann zu beschwichtigen und griff nach seinem Arm. „Kinder dürfen doch auch ein Geheimnis haben. Haben wir doch auch. Ihr Geheimnis ist bestimmt eine kleine Hütte oder so, die sie sich im Wald gebaut haben.”
„So sehen die aber nicht gerade aus.”
„Komm, beruhig’ dich.”
„Eins noch, ihr bekommt heute Abend kein Abendbrot mehr. Und noch etwas, ihr habt alle drei Ausgehverbot. Wie lange weiß ich noch nicht.” Das musste er noch loswerden. Dann drehte er sich um und stieg wütend die Treppe hoch.
„Soo, das habt ihr davon. Ich hoffe, es wird euch eine Lehre sein”, sagte die Mutter. Sie war schon wieder etwas ruhiger geworden. „Und jetzt ab ins Bett mit euch. Es ist gleich halb sieben. Ihr könnt noch Lesen, wenn ihr wollt.” Auch sie drehte sich um und stieg die Treppe hinauf, nur tat sie dieses leiser, als ihr Mann.
„Mist!”, schimpfte Angelina. „Gerade da, wo es doch so gut anfing.”
„Hoffentlich müssen wir nicht lange in dieser Bude sitzen. Sonst sind womöglich noch die Ferien um, bevor wir etwas unternommen haben”, hoffte Talia.
Sie stiegen die Treppe hoch und wünschten sich gute Nacht. Dann verschwanden alle in ihren eigenen Zimmern.
Angelina las noch ein wenig, bevor sie das Licht löschte. Schlafen konnte sie noch nicht. Lange grübelte sie darüber nach, wie sie Morgen dennoch zum Bootshäuschen gelangen könnten.
Am nächsten Tag trafen sich, die Schwestern in Angelinas Zimmer, um „Kriegsrat” zu halten.
„Wir könnten uns ja wegschleichen”, meinte Daida.
„Wenn Mama und Papa nicht irgendwo hinfahren, dann wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben”, stimmte Talia zu.
„Wollte Papa heute nicht einkaufen fahren?”, erkundigte sich Angelina bei den Beiden.
„Das stimmt, aber Mama sind wir dann noch immer nicht los”, stellte Talia fest.
„Ey!”, rief Daida plötzlich. „Wir können Elisabeth anrufen und ihr unsere Lage schildern. Und dann fragen wir sie, ob sie nicht Mama bis heute Abend einladen kann.”
Elisabeth, etwa 51 Jahre alt, war eine gute, schon ältere Freundin der Familie. Immer, wenn die Kinder Probleme mit ihren Eltern hatten, kam sie ihnen zur Hilfe. Auch machte sie jeden Streich der Mädchen mit.
„Du bist ja gar nicht so doof”, stellte Angelina fest. „Das machen wir.”
„Aber erst, wenn Papa weg ist. Das ist sicherer. Dann ist einer weniger da, der uns beim Telephonieren erwischen kann”, warnte Talia.
Angelina stimmte ihr zu.
Der Vater fuhr erst nach dem Mittagessen los. Angelina hatte ihn vorher noch gefragt, wann er wiederkommen würde. Er meinte so, zwischen sieben und acht.
Kaum war er weg, versammelten sie sich erst mal wieder alle in Angelinas Zimmer.
„Wer ruft an?”, fragte Talia aufgeregt.
„Ich”, antwortete ihr Angelina.
„Und was wollen wir ihr sagen?”, wollte Daida wissen.
„Ach, mir fällt schon etwas ein”, winkte Angelina ab.
„Wollen wir ihr auch das mit dem Häuschen erzählen? Elisabeth würde uns bestimmt dabei helfen, es zu reparieren und zu säubern”, fragte Talia.
„Wenn sie es Mama und Papa nicht erzählt”, zweifelte Daida.
„Wenn wir es ihr sagen, wird sie es nicht weitererzählen.” Da war Angelina sich sicher.
„Kommt, lasst uns jetzt endlich anrufen.” Talia hielt es kaum noch aus, so aufgeregt war sie. Sie sprang auf. Die anderen beiden erhoben sich ebenfalls.
„Und jetzt Ruhe!” Angelina legte den Zeigefinger auf die Lippen.
Sie verließen leise das Zimmer. Angelina ging vor. Sie beugte sich vorsichtig das Treppengeländer herunter, um zu sehen, ob die Mutter sich im Wohnzimmer befand.
Sie war nirgends zu sehen.
Sie drehte sich zu den anderen um: „Einer muss Mama ablenken.”
„Das mache ich”, meldete sich Talia.
Sie stiegen alle die Treppe hinunter.
Die Mutter war in der Küche. Talia ging zu ihr hin und die anderen verschwanden im Büro der Eltern.
Angelina wählte mit zittrigen Fingern die Nummer von Elisabeth.
„Denan?”, meldete sich am anderen Ende der Leitung eine Frauenstimme.
„Hallo, hier ist Angelina”, sagte sie mit gedämpfter Stimme.
„Ach, hallo. Was führt dich ans Telefon, so still und heimlich? Durftest wohl eigentlich nicht anrufen, was?”, scherzte Elisabeth.
„Nee, eigentlich nicht.” Angelina wurde unruhig.
„Na, dann mach’s mal lieber kurz.”
Sie schilderte ihr ihre Lage.
„Und, was ist so schlimm daran, das ihr Arrest habt?”
„Also” Angelina stockte. Dann erzählte sie alles vom Bootshäuschen.
Am anderen Ende der Leitung blieb es Still. „Hm, und was kann ich für euch tun?”
„Also”, Angelina holte tief Luft, „Kannst du Mama zu dir einladen?”
„Ja, aber was bringt euch das denn?”
„Das Erwachsene immer soviel fragen müssen”, dachte Angelina bei sich. „Wir könnten dann zum Häuschen radeln und wären ungefähr, um sieben wieder zurück.”
„Das würdet ihr nicht schaffen. Ich mache euch einen anderen Vorschlag:”
Angelina hörte gespannt zu.
„Ich rufe deine Mutter an, während ich zu euch fahre. Ich frage sie, ob sie sofort kommen kann. Wenn ja, hole ich euch ab und bringe euch in den Wald. Um ca. sieben fahre ich euch wieder nach Hause. Einverstanden?”
Angelina überlegte. Dann stimmte sie zu.
„Gut, abgemacht. Dann bis gleich”, sagte Elisabeth.
Angelina legte schnell wieder auf.
Daida sah sie fragend an.
„Es klappt.”
Kaum hatten sie das Büro verlassen, klingelte auch schon das Telefon.
Angelina rannte los und rief ihre Mutter.
„Was ist denn?”, fragte die.
„Telefon!”, antwortete Daida.
Die Mutter rannte ins Büro und hob ab: „Fänning?”
„Hallo Anne-Marie, ich bin’s. Ich wollte dich fragen, ob ihr heute bei mir Kaffee trinken wollt.”
„Oh, ja gerne, aber ohne die Mädchen, die haben Hausarrest.”
„Schade. Aber du und dein Mann kommen.”
„Nur ich!”
„Na gut. Nur du.”
„Danke, bis gleich.” Die Mutter legte wieder auf.
„Wer war’s?”, wollten die drei Mädchen wissen.
„Opa”, antwortete sie. „Er hat mich zum Kaffeetrinken eingeladen. Ich fahre sofort los.”
Den Dreien ging der Unterkiefer herunter. „Aber... .”
„Kein Aber. Ihr bleibt hier!”, sagte sie bestimmt und ging sich fertigmachen.
Kaum war sie weg, stürzte Angelina zum Telefon, als es auch schon ein zweites Mal klingelte. Sie nahm ab und meldete sich. Dieses Mal war es Elisabeth.
„Elisabeth!”, sagte sie aufgebracht. „Stell die vor, Opa hat gerade angerufen und Mama schon eingeladen.”
„Aber Kind das ist doch nicht schlimm. Ich hole euch trotzdem ab.”
Da kam die Mutter plötzlich die Treppe herunter und stand in der Tür.
Angelina erschrak. „Talia, äh, „du weist schon wer” steht hinter mir. Bis dann.”
Sie legte schnell auf.
„Angelina, wer war das?”, fragte die Mutter streng.
„Ach”, antwortete Daida für Angelina gedehnt. „Das war Talias Freundin. Die hat gefragt, ob
sie zum Spielen kommen könnte. Talia hat ihr erklärt, dass es nicht ginge. Sie wollte es nicht
glauben, also hat Angelina mit ihr noch mal geredet.”
Angelina sah sie erstaunt an. Auch Talia war nicht weniger überrascht.
„Also, ich fahre jetzt. Macht keinen Blödsinn. Ich werde abgeholt. Tschüs.”
„Tschüs”, erwiderten die Schwestern und die Mutter verließ das Haus.
Die Mädchen atmeten erleichtert durch.
„Bis jetzt ist alles geregelt.” Angelina hoffte es mehr, als das sie daran glaubte.
Nach einigen Minuten klingelte es an der Haustür.
Angelina ging nachsehen, wer es sein könnte. Es war Elisabeth.
„Hallo, komm rein”, begrüßte Angelina sie. „Wir können gleich los.”
Es dauerte noch fünf Minuten, bis sie sich dann endlich auf den Weg machen konnten. Sie hatten erst noch Seife und andere Dinge zum Putzen, zusammensuchen müssen.
Angelina saß vorne und zeigte Elisabeth den Weg.
„Du kannst ja am Straßenrand parken. Den Rest gehen wir lieber zu Fuß. Dann finde ich den Weg in den Wald besser”, meinte Angelina als sie fast da waren.
Elisabeth parkte ihr Auto kurz bevor der Weg in den Wald führte.
Angelina fand die Stelle, an der sie ihre Fahrräder abstellten, schnell wieder. Auch das Bootshäuschen.
Elisabeth blieb staunend stehen, als sie es sah. „Das sieht toll aus!” Mehr brachte sie nicht hervor.
Angelina lächelte zustimmend.
Talia und Daida gingen schon auf das Häuschen zu, als Daida plötzlich aufschrie. Angelina eilte schnell herbei „Was ist los?”, fragte sie erschrocken.
„Do- dort hat sich etwas bewegt. Ich glaube, es ist wieder dieser Kater”, stotterte sie.
„Also, hör mir mal gut zu! Sieh ihm nicht wieder in die Augen, so wird er dir auch nichts tun”, sagte Angelina streng zu ihr. „Hast du verstanden. Schau einfach auf den Boden.”
Daida nickte ängstlich.
Auch Talia hatte den Kater erspäht.
„Was ist denn los?”, wollte jetzt Elisabeth wissen, die auch hinzugekommen war.
Talia erzählte ihr die Geschichte mit dem Kater.
Alle vier gingen auf das Häuschen zu, aber nicht mehr so schnell, wie am Anfang.
Angelina fühlte sich wieder etwas beobachtet, aber sie fühlte sich sicherer, weil ein Erwachsener dabei war.
Li Nú kam jetzt schnurrend auf die Kinder zu. Daida guckte angestrengt auf den Boden. Er strich wie immer als erstes um Angelinas Beine. Dann ging er zu Elisabeth und musterte sie erst misstrauisch.
„Er muss ja langsam denken, was die alle hier wollen”, sagte Talia schmunzelnd.
Jetzt strich er auch um Elisabeths Beine. Bei ihr war er nicht so ängstlich. Er schien zu spüren, dass sie Katzen sehr gern hatte. Dann rannte er zur Häuschentür und kratzte vorsichtig an ihr.
Angelina öffnete ihm langsam. Er schlüpfte vor ihren Beinen hinein und machte es sich auf dem Vorleger in der Stube bequem.
Angelina fiel auf, dass er sich hier auskannte. Sie lies ihren Blick durch das Zimmer schweifen. Irgendetwas war anders. Sie überlegte. Plötzlich viel es ihr auf. Die Tür zur Schlafkammer stand offen. Angelina wurde aschfahl. „Hier ist jemand gewesen!” Sie drehte sich zu den anderen um.
Elisabeth rief: „Hallo, ist hier wer?”
Niemand antwortete. Vorsichtig ging sie auf die Kammertür zu und sah hinein. Da war
niemand. Sie lauschten alle angestrengt, aber kein Laut war zu hören.
„Lasst uns lieber erst mal alle Räume prüfen. Nicht dass uns plötzlich jemand überrascht”, meinte Elisabeth vorsichtshalber. Sie sahen in jeden Raum und jeden Winkel.
Nirgendwo war eine Person zu entdecken. Beruhigt machten sie sich an die Arbeit. Um Wasser zu holen und aufzukochen, mussten sie nach Draußen laufen. Angelina ging welches unten am See holen. Sie hatte vor, es in den alten Eimer zu füllen. Der Kater folgte ihr. Sie bückte sich, um das Wasser in den Eimer laufen zu lassen. Da knackte es plötzlich im Gebüsch und ein Geldstück landete neben ihr. Sie schrak hoch und sah in die Richtung aus der das Geräusch kam. Dort war niemand zu sehen. Es war so still wie immer und doch lag das Geldstück neben ihr. Sie hob es auf und musterte es. Es war kein gewöhnliches. Das konnte sie sofort feststellen. Als sie genauer hinsah, bemerkte sie, dass es eine Münze aus dem Mittelalter war. „Das gibt es nicht!”, sie schüttelte fassungslos den Kopf. „Ich hatte also Recht, dass uns andauernd jemand beobachtet. Er wollte uns so auf sich aufmerksam machen. Aber, wenn er mir eine so wertvolle Münze zuwirft, kann er mir ja nichts antun wollen.”
Erst jetzt fiel ihr auf, dass Li Nú wieder verschwunden war. Sie ließ schnell Wasser in den Eimer laufen und ging dann zurück ins Häuschen. Die Münze nahm sie mit. Sie spielte mit dem Gedanken, den anderen davon zu erzählen, aber dann ließ sie es doch sein. Angelina überlegte, dass derjenige, der sie ihr zugeworfen hatte, es nicht heimlich getan hätte, wenn er wollte, dass die anderen von ihm wüsten. Sie fühlte sich irgendwie nicht mehr beobachtet. Das sollte auch den Rest des Tages anhalten.
Talia und Daida waren Holz sammeln gegangen, damit Elisabeth das Wasser aufheizen konnte. Sie nahm Angelina den Eimer aus der Hand und füllte das Wasser in einen Topf. Es dauerte nicht lange, da kamen auch schon Angelinas Schwestern mit dem Holz wieder. Sie entzündeten ein Feuer unter dem Herd und wärmten das Wasser auf.
Heute nahmen sie sich vor, die Schlafkammer und die Kochnische zu säubern. Angelina und Talia putzten die Schlafkammer und Daida und Elisabeth die Kochnische. Im Häuschen befand sich nur der eine Eimer, den sie benutzen konnten. Darum musste das Wasser öfter gewechselt werden.
Elisabeth schlug vor, die Bettbezüge mit nach Hause zu nehmen und zu waschen. Angelina zog sie ab und warf sie auf einen Haufen. Die Bettdecke war sehr weich. Sie zupfte eine Feder aus dem Kopfkissen, um zu sehen womit es gefüllt war. Die Mattratze war mit Wolle und Stroh gefüllt. Plötzlich kam Li Nú durch die Tür geflitzt und lag mit einem Satz, auf dem abgezogenen Bett. Angelina blieb starr vor Schreck stehen, aber als sie sah, dass es nur der Kater war, atmete sie erleichtert auf und kraulte ihn. Er schnurrte und streckte behaglich alle Viere von sich.
Talia streichelte ihn auch kurz, räumte dann aber den Schrank weiter aus, damit sie ihn von innen putzen konnte. Plötzlich rief sie: „Angelina, sieh dir dies mal an!”
Talia zeigte ihr einen Stein. „Den habe ich aus der Manteltasche.”
Der Stein hatte eine grünbläuliche Farbe.
„Ach”, sagte Angelina wegwerfend. Sie kannte viele kostbare Steinarten, auch den. „Das ist ein Türkis. Aber zeig trotzdem mal her.” Sie nahm ihn in die Hand und betrachtete ihn von allen Seiten. „Na ja, er sieht nicht ganz aus wie ein Türkis. Ich weiß nicht, was das für ein Stein sein könnte.” Sie prüfte ihn noch ein bisschen und meinte dann: „Lass ihn lieber in der Manteltasche. Vielleicht gehört er jemandem.” Talia ließ ihn zurück in die Tasche gleiten.
Angelina räumte die Kommode aus. Dabei fand sie auch einen kostbaren Gegenstand. Es war ein kleines Schmuckkästchen mit einem Ring. Der Ring schien aus Gold zu sein. Er war mit einem kleinen, goldenen Stern, der in der Mitte einen blauen Stein hatte, verziert. Sie zeigte ihn Talia. Talia probierte in an. Er war für sie zu weit. „Das ist ein Ring für Männer”,
stellte sie fest.
„Zeig noch einmal her”, sagte Angelina. „Es müsste doch irgendetwas in ihm eingraviert sein.” Da war auch etwas eingraviert, nur konnte sie es nicht entziffern. Es war zu klein.
Sie wollten den Ring zurück in das Kästchen legen, aber Li Nú sprang vom Bett und verlangte an ihm zu schnuppern. Angelina hielt ihn, ihm vor die Nase. Erst schnupperte er auch wirklich nur an dem Ring, dann schnappte er ihn aber plötzlich so schnell mit den Zähnen, dass keiner reagieren konnte und verschwand mit ihm aus der Tür.
Angelina und Talia standen verdattert da.
Als Li Nú wieder kam, hatte er keinen Ring mehr zwischen den Zähnen.
Talia sah Angelina erschrocken an. „Das kann doch nicht wahr sein”, sagte sie entsetzt. „Was hat er mit ihm gemacht?”
Angelina zuckte mit den Schultern. „Ich glaube nicht, dass er etwas Schlimmes mit ihm angestellt hat.”
„Aber Angelina! Das war bestimmt ein sehr wertvoller Ring. Wenn er ihn verscharrt hat, wird er ihn bestimmt nicht mehr hergeben. Dann ist er weg und wir bekommen Ärger, großen Ärger.” Talia war etwas verzweifelt.
„Ach was”, erwiderte Angelina nur.
„Was ist heute eigentlich los mit dir? Du bist, seitdem du Wasser geholt hast, sehr komisch geworden.
Angelina antwortete nicht, sondern wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
„Es ist jetzt kurz vor vier. Wir sollten uns langsam auf den Weg machen”, forderte Elisabeth die anderen auf.
Sie hatten sich alle in der Stube versammelt und ein paar Kekse gegessen. Die Kochnische war jetzt sauber. Auch die Schlafkammer war geputzt und die Betten abgezogen. Sie hatten sogar schon begonnen, die Stube zu reinigen.
„Etwa um sieben kommt Papa wieder”, stimmte Angelina zu.
Sie rafften die leeren Keksschachteln und das Bettzeug zusammen und machten sich auf den Weg.
Fast pünktlich um sechs erreichten sie ihr Heim.
Angelinas Hertz fing plötzlich an zu rasen. Sie sah Licht im Wohnzimmer. Ihr ganzer Mut sang in Sekundenschnelle auf den Nullpunkt. Auch Talia hatte das Licht bemerkt. Sie wurde blass.
„Haben wir das Licht im Wohnzimmer angelassen?”, fragte sie leise. Ihre Stimme zitterte.
Angelina zuckte mit den Schultern.
„Die sind doch nicht schon zurück!?”, sagte Elisabeth erschrocken. Sie hatte jetzt erst das Licht bemerkt.
„Ist Papa schon da?”, fragte Daida neugierig. Als sie die Blicke der anderen sah fügte sie nur, „Au weia”, hinzu.
Angelina stieg mit zittrigen Knien aus dem Wagen. Die anderen folgten ihr. Nur Elisabeth blieb sitzen. „Ich glaube, ich fahre erst mal vom Hof, damit eure Eltern mich nicht entdecken. Aber keine Angst, ich bleibe in Rufweite. Ist alles in Ordnung, gebt mir ein Zeichen und ich fahre heim. Vorher nicht.”
Sie nickten schweigend und gingen langsam auf die Haustür zu. Angelina schloss so leise wie möglich auf.
Dann lauschten sie. Es war aber nichts zu hören.
„Doch nicht etwa ein Einbrecher oder so?”, flüsterte Angelina mehr für sich, als für ihre Schwestern.
Diese antworteten ihr nicht.
Talia trat leise in den Flur und sah durch das Schlüsselloch der Wohnzimmertür. Sie schüttelte den Kopf. „Nichts.”
„Wenn dort einer währe, würde er wohl kaum Licht anmachen”, vermutete Angelina. Die anderen pflichteten ihr mit einem starken Nicken bei.
Angelina öffnete ohne Geräusche die Tür und spähte ins Wohnzimmer. Dort war niemand. Ihre Schwestern ließen ihr den Vortritt und sie suchten das ganze Haus durch. Erst dann atmeten sie erleichtert auf.
„Das Licht haben bestimmt wir angelassen”, stellte Daida erleichtert fest.
„Wer hat denn als letzter das Wohnzimmer verlassen?”, erkundigte sich Talia.
„Ich glaube, das war ich”, überlegte Daida.
„Und? Hast du das Licht ausgemacht?”, fragte Angelina genervt.
„Nein. Ich glaube nicht. Ich habe nichts am Licht gemacht.”
„Dann ist ja alles in Ordnung”, stellte Talia erleichtert fest.
Angelina rannte nach draußen, um Elisabeth ein Zeichen zugeben, dass alles in Ordnung sei.
Sie kurbelte das Wagenfenster herunter und fragte, ob sie morgen wiederkommen solle. Angelina bedankte sich und sagte, dass sie noch einmal telefonieren werden. Dann verabschiedeten sie sich.
Kaum hatte sie die Haustür geschlossen, fuhr ein anderer Wagen auf den Hof. Es war der Vater. Schnell verkrümelten sie sich alle in ihre Zimmer.
Die Mutter kam sehr spät wieder. Da hatten sie schon alle Abendbrot gegessen und lagen in ihren Betten.