Читать книгу Milans Weg - Franziska Thiele - Страница 4

-2-

Оглавление

Als sich Paulette noch im Halbschlaf im Bett drehte, sog sie den Geruch von Simon, der neben ihr lag, ein. Der männliche Schweiß und Simons Eigengeruch, der aus einer Mischung von leichten Lavendelnuancen und einem herben Duschgel für Männer bestand, beruhigte die noch nicht gänzlich erwachte und ließ sie wieder in einen morgendlichen Schlaf gleiten. Sie überraschte seit ihrer Wiederkehr aus Mallorca nicht nur Simon, sondern vor allem sich selbst mit einer tiefe Anhänglichkeit gegenüber Simon, die sie zuvor nicht in solchen Maßen von sich gekannt hatte. Sie blieb morgens länger bei ihm, machte zuweilen Kaffee und zögerte den Moment, in dem ein jeder seinem eigenen Tagesgeschehen nachgehen musste, den sie früher gerne als natürliche Trennung bis zum Abend hingenommen hatte, gerne bis zum späten Vormittag hinaus. Sie, die sonst so gerne in den frühen Stunden gleich nach dem Erwachen alleine durch die Stadt streifte, fühlte sich seit ihrer Wiederkehr aus Mallorca, wo sie ihre Wohnung aufgelöst hatte um nun ganz in Berlin zu Hause zu sein, manchmal wie ein kleines Äffchen, dass sich am liebsten doch einfach an ein Fell klammern würde, leise fiepend, um Streicheleinheiten und Nahrung zu bekommen, und sonst die Welt von der Wärme des flauschigen Fells aus betrachten wollte. Simon schien diese neu gefundene Nähe keineswegs zu stören, ihre Beziehung war noch zu frisch, das erste Verliebtsein noch nicht verflogen. Oft zögerte er seine Arbeit selbst ein paar Stunden hinaus, um mit Paulette noch den Morgen zu genießen. Er nutzte ihre Zuneigung, um endlich etwas mehr über sie, die wenig Wert darauf legte, von sich selbst zu erzählen, zu erfahren. Bei einem zweiten oder dritten Kaffee fragte er nach ihrer Kindheit, ihrem zu Hause und nach der Zeit, die sie auf Mallorca lebte. Es fiel ihm schwer, jetzt, da sie auch ein wenig schwächer, ein wenig angreifbarer, wirkte, sich vorzustellen, wie sie damals alleine auf die Insel zog, um dort ein neues Leben zu beginnen. Er konnte nachvollziehen, was sie trieb. Die aussichtslose Leere überkam auch ihn manchmal, doch half ihn sein großer Freundeskreis, sein Studium und seine Arbeit schnell über solche Momente hinweg. Studieren? Ja, und dann? Simon arbeitete nebenbei in einem Computerfachgeschäft, um sich Geld dazu zu verdienen. Er machte es vor allem des Geldes wegen, doch beschwerte er sich nicht oder zweifelte an der zusätzlichen Last, er dachte nicht zu viel über das ganze, was anscheinend sein musste, nach und war insgesamt zufrieden, jetzt, wo er noch Paulette gefunden hatte, noch viel mehr. Für ihn bestand der Zweck einer Arbeit in dem Verdienen von Geld, damit man sich das Leben finanzieren konnte. Er konnte sich zwar vorstellen, dass die Idee, woanders angenehmere Arbeit zu finden, einen auch woanders hin verschlagen konnte, doch die Unruhe, die Paulette innerlich trieb und noch immer treibt, konnte er nicht nachvollziehen. Noch immer war Paulette arbeitslos, obgleich sie bereits einige Wochen wieder in Berlin war und zuvor sagte, sie würde sich gleich nach einer Arbeit umsehen. Stattdessen klammerte sie sich an die Wärme und Nähe von Simon und wenn immer er nun doch los musste, fühlte sie sich nach einigen Minuten wie der einsamste Mensch auf der Welt. Das Herz drückte, die Brust spannte und manchmal fiel ihr sogar das Luft holen schwer - peinlich, dachte sie manchmal – das ist langsam wirklich peinlich. Vor dem Besuch von Milan, den langen Gesprächen in der psychiatrischen Klinik, die beide so nahen brachten und sie vielleicht weiter von dem Rest der Menschheit weg, vorher hatte sie das alleine sein meistens genießen können. Und dann fragte sie sich, was sie machen würde, wenn Simon plötzlich einfach weg wäre. Meistens ging Paulette, wenn Simon sich auf in die Universität oder in die Arbeit machte, in ihr vorüber gängiges Zimmer bei ihrer Cousine Rapha. Simon hat vorgeschlagen, zusammen zu ziehen, dachte sie. Noch war sie bei Simon, doch schon in wenigen Minuten würde sie alleine in der Wohnung zurück bleiben, wenn er sich auf in die Arbeit machte. Sie empfand den Gedanken nicht nur traurig, sondern beängstigend. Paulette wusste nicht, woher diese dunkle tiefe Trauer kam, die sie wie eine Hülle umgab, seitdem sie wieder hier, in Berlin war. Manchmal saß sie stundenlang auf einem der Stühle in der Küche von Raphas Wohnung, ohne etwas zu tun. Auch Rapha war tagsüber arbeiten. Manchmal schob Paulette auch eine Zeitung oder die gesammelten Jobanzeigen, die sie vor ihrer Reise säuberlich ausgeschnitten und aufbewahrt hatte, vor sich auf dem Tisch etwas hin und her, um dann, Minuten später, den Kopf zum Fenster zu wenden, in dem sich ihre Blicke ins Nichts verloren. Sie saß da, der Vormittag ging in den Mittag und der Mittag in den Nachmittag über. Die Wolken zogen vorbei, manche weiß wellig wie Wolle, andere schwarz steif und schwer wie Stein. Selten war der Himmel über Berlin ganz klar. Die Zeit verstrich nicht mehr in Minuten oder Stunden, sondern in der Geschwindigkeit, die eine Wolke benötigte, um von der rechten Seite des Fensters zur linken zu ziehen, bis sie ganz aus dem Sichtfeld verschwand. Raus wollte Paulette nicht, und die Vorstellung, Bewerbungsgespräche zu führen oder Kunden beraten, diese Vorstellung bereitete ihr, die mittlerweile auf die 30 zuging, die sich längst hätte in der Arbeitswelt etablieren müssen, der Gesellschaft ihren Dienst tun und sich dem Staate unterordnen, um den Lebensvertrag auszuführen, nur lähmendes Unbehagen und so saß sie nur am Fenster und sah den Wolken nach. Einen Lebensvertrag habe ich nie unterschrieben, ich lebe nun einmal, mit oder ohne Vertrag, dachte sie trüb, die Stellenanzeigen wie Puzzlestücke zu einem Muster ordnend. Manchmal verlor sich eine Träne auf ihren Wangen, manchmal wurden es ein paar mehr.

Abends, wenn sie dann in Simons Armen lag, schämte sie sich innerlich für ihren wieder vergeudeten Tag, von dem sie nichts, jedenfalls nichts geltendes vorzuweisen hatte. Sie dachte dann an Milan, sie dachte an Frank, Milans fiktive Figur, der wohl letzte Mensch, der, statt Milan, der selbst an dem Versuch gescheitert war, noch die Freiheit lebte, wie Frank dafür im Schatten der Menschen leben musste und sie fragte sich, wie Milan sich wohl in die Gesellschaft hinein finden würde. Manchmal saß sie da, bis Rapha am späten Nachmittag nach Hause kam oder Simon sie anrief, wenn er fertig mit all der Arbeit und dem Studieren war. Die Zeitungsausschnitte vom Morgen waren eine gute Tarnung, denn trotz Nachsicht, wusste Paulette, dass diejenigen, die gerade von der Arbeit kamen, von der Rechtfertigung, am Leben teilhaben zu dürfen, dies auch von anderen erwarteten. Der Druck versteifte Paulettes Glieder. Sie wollte nicht rausgehen und tat stattdessen manchmal auf beschäftigt. Manchmal ging sie auch einkaufen, nur, damit Rapha sah, dass sie etwas tat, denn den Wolken nachsehen und die Zeit, die sie von einem zum anderen Ende des Fenstern brauchten, war keine Daseinsberechtigung. Simon merkte bald, dass sie auf Fragen nach ihrem Tag abgeneigt, zum Teil trotzig reagierte und ließ es bald bleiben, um Ärger zu vermeiden. Er genoss stattdessen ihre innige Zuwendung und auch das Gefühl, dass Paulette, wenn er mit seinen Sachen fertig war, vielleicht schon auf ihn wartete, und wollte keine Unruhe in der Beziehung stiften und Simon war es schließlich auch, der Wohnungsbesichtigungen organisierte und dafür sorgte, dass sie eine passende zweieinhalb Zimmer Wohnung im Prenzlauer Berg, die nicht zu teuer war, gefunden hatten. Er freute sich über das baldige Liebesglück in der eigenen Wohnung.

Milans Weg

Подняться наверх