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Die erste eigne Wohnung mit dem Freund galt immer als etwas ganz besonderes – jedenfalls wurde früher, als man noch in Teenager Grüppchen zusammen stand, darüber geschwärmt, manche zählten auf, wie sie sich einrichten wollten. Schon damals musste Paulette weniger mit dem Gekicher der Mädchen mitlachen, sondern eher aus der Vorstellung heraus, wie all die Mädels mit ihrem rosa Zimmern, die mit Blümchen, oder, noch schlimmer, Sternchen beklebt worden waren, dann vor ihrem Liebsten standen, der sich weigerte, in ein solches Gemach zu ziehen. Ohnehin war sie nun bereits wesentlich älter und das Zusammenziehen war für Paulette, die in den letzten Wochen in einem schlammigen Loch abgesunken und in dem lehmigen Sand des Moores festgesteckt war und nun vielleicht gar die Lust vergangen war, sich selbst wieder heraus zu graben, eine Abwechslung, die ihre starren Glieder wieder erwärmen konnte. Paulette war dankbar über all die Arbeit, die mit der Suche und später vor allem mit dem Einrichten verbunden war. Sie hatte etwas zu tun, das ihr sinnvoll erschien, sinnvoller als alle Arbeitstätigkeiten, die sie sich gerade vorstellen konnte. Sobald die leere Wohnung bezugsfrei wurde, fuhren Simon und Paulette in den Baumarkt, um Farbe für den Anstrich und Pinsel zu besorgen. Simon hat bemerkt, dass Paulette stiller geworden war. Sie kam weniger oft mit, wenn er sich Abends mit seinen Freunden traf und wirkte manchmal tieftraurig. Die zunehmende Anhänglichkeit und Suche nach Geborgenheit gab Simon ihr zwar gerne, trotzdem unterschied sich diese Art von Zuwendung von der anfänglichen, dieser leicht scheuen und immer wieder flüchtigen am Anfang. Mehrmals fragte er sie, ob es ihr gut ginge, ob alles in Ordnung sei mit ihr? Es war genau dieses unbewusst glückliche Leben, dass Paulette an Simon fasziniert hatte. Er traf sich mit seinen Freunden, studierte, arbeitete – dass alles ohne abgehoben zu wirken, ohne sich zu sehr anzupassen. Es fiel ihm so leicht, dass Paulette seine Art bewunderte. Sie kam abends zu ihm, wenn er aus seinem vollen, doch erfüllten Tag erzählte, schmiegte sich an ihm und hörte zu. Selber reden, das wollte sie nicht. Es hätte so viele Gedanken gegeben, so viele Vorstellungen, die ihr auf ihren langen Vormittagen und Nachmittagen, die sie sinnend auf dem Stuhl in Raphas Wohnung verbracht hatte, die sie gerne erzählt hätte. Doch wirkten sie auf einmal völlig nichtig, wenn Simon von seinem Leben erzählte. Und in solchen Situationen, da musste Paulette an Milan denken. Für Milan war Paulette vielleicht eine, die direkt aus dem Leben kam, von ihrem neuen Freund und Leben in Berlin berichten konnte. Aber sie redeten meist über andere Dinge. Sie sprachen über das Sein an sich, wie es ist, das Sein in Zeit und Raum unterzubringen. Was, wenn man sich nicht wohlfühlte unter den Menschen, wie sie heute denken, was, wenn man sich dem nicht gewachsen fühlte? Es zogen die Gespräche, die in dem Park der psychischen Anstalt und am Meer geführt worden, wieder und wieder an Paulette vorbei. Vielleicht schmiegte sie sich gerade deswegen immerzu an ihren Simon, da dies die Verbindung zu ihm darstellte, da sie ihm nicht diese Gedanken vermitteln konnte, sich nicht innerlich ausstülpen. So blieb sie mit ihren Gedanken alleine im Arm ihres Liebsten. Manchmal fragte sie sich, was Milan machte, der, der genauso wenig mit seinem Leben anzufangen wusste. Doch sie versuchte sich an der Arbeit, die die Renovierung und das Einrichten der neuen Wohnung mit sich brachte, selbst aus dem Schlammloch zu ziehen, in dem sie fest hing. Sie strich die Wohnung, auch wenn Simon gerade bei der Arbeit war. Traf er sich mit Freunden, war sie noch immer beschäftigt. Es tat Paulette gut, sich körperlich zu betätigen. Sie konnte abends endlich wieder besser schlafen und aß wieder mehr. Vor allem aber sah sie die Ergebnisse ihrer Arbeit. Sie ließ sich Zeit beim Aussuchen der Einrichtung, ging durch mehrere Möbelhäuser, bis sie dann Simon das zeigte, was ihr gefiel. Nach und nach wurde die Wohnung, die aus einem Wohnzimmer, zwei kleinen Schlafzimmern, einer Küche und dem Bad bestand, bewohnbar. Noch nie hatte sich Paulette sehr viel aus einer schicken Einrichtung gemacht, noch nie wollte sie ihr Zimmer rosa streichen. Auch jetzt freute sie sich weniger über das Fertigwerden, als dass sie sich über die reinen Tätigkeiten gefreut hatte. Ihr wurde fast bange bei dem Gedanken, dass nun bald alle Arbeit getan sei und sie stellte sich vor, wie sie in der fertig eingerichteten Wohnung stand, es nichts mehr zu tun gab, und sie mit einem Stuhl den Wolken zusehend die Tage verbringen würde. Während sie beschäftigt war, konnte Paulette die erdrückende Angst, sich irgendwo unterordnen zu müssen, Geld verdienen zu müssen, verdrängen. Sie traute sich nicht mit Simon darüber zu sprechen, nicht so, wie sie es empfand – so wuchs die Angst. Wie ein Müllberg, den die Bewohner außerhalb ihres Dorfes auf dem Land aufschichten, den man nicht vom Inneren des Dorfes sehen konnte, der langsam wuchs, weil der Müll nicht verarbeitet, sondern nur angehäuft wurde. Doch eines Morgens wachten die Dorfbewohner auf und konnten nicht mehr den See, nicht mehr den Wald und nur noch ein wenig von der Spitze der Gebirge sehen, so hoch war der Müllhaufen, der das Dorf umrundete geworden. Und auch Paulette häufte ihre Ängste wie den Müll an, bei jedem Gedanken, sei es an ein Vorstellungsgespräch, an enge Büroräume, wenn sie einen Business Anzug im Schaufenster sah, wenn ihr die Stellenanzeigen entgegenschlugen, ja, manchmal schon, wenn Simon und ihre Freunde von der Arbeit erzählten, immer kam ein Klümpchen neue Angst auf den Haufen, der größer und größer wurde und allmählich die Sicht auf alles andere versperrte.

Milans Weg

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