Читать книгу Milans Weg - Franziska Thiele - Страница 5

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Das kleine Apartment bestand aus einem großen Raum, der gleichzeitig als Küche, Schlaf- und Wohnzimmer diente. Trat man ein, stand man in einem kurzen Gang, der gerade genug Platz für zwei bis drei Paar Schuhe und einen Haken an der Wand für eine Jack ließ. Auf der linken Seite öffnete sich der Raum zu einer Küchenzeile. Es gab einen Gasherd mit drei Platten, ein hüfthohes Küchenregal, in dem Kochutensilien und Geschirr standen, und einen kleinen Kühlschrank, der sich auf dem Regal befand. Die Küchenzeile wurde durch eine aufstellbare Wand vom Rest des Raumes getrennt. Der Raum hatte ein Bett, das ganz hinten platziert war, einen Kleiderschrank zur rechten Seite und einen Tisch mit zwei Stühlen zur linken. Ein Badezimmer, in dem gerade eine Stehdusche und ein Spülbecken hinein passten, bildete den Abschluss der Runde auf der linken Seite des Eingangs. Überraschend war, dass diesem zweckdienlichen Wohnraum ein Balkon, natürlich ebenfalls sich der Größe der Wohnung anpassend, mit einem kleinen Tisch und einem Gartenstuhl, angehörte. Als Milan vom Flughafen Köln durch die Stadt hierher gefahren und in das Zimmer geführt wurde, überkam ihm ein Gefühl der Leichtigkeit. Er bedankte sich bei der Frau, die sich als Frau Mühlental und Verantwortliche für die Verwaltung und alle weiteren Belange der hier Wohnenden, vorstellte. Frau Mühlental war eine mittelgroße schlanke Frau mit glänzenden schwarzen Haaren. Ihre Augen leuchteten lebhaft grün kleine Bernsteinfarbene Punkte verzierten die Iris. Wahrscheinlich sprach sie deswegen so geschäftlich, dachte Milan, weil sich sonst niemand auf das Konzentrierte, was sie sagte, weil die meisten, die hier ankommen, nichts und niemanden kennen und oftmals noch dazu sich selbst verloren haben, Frau Mühlental viel lieber gefragt hätten, ob es auch einen Vornamen zu Mühlental gab und ob sie heute Abend vielleicht Zeit hätte, ein wenig die Stadt zu zeigen. Doch der Ton, in dem Frau Mühlenteil geschäftlich artikulierte, ließ keinen Ausflug in das Private zu. Sie war nicht schroff, nicht kalt, doch zeigte sie wohl absichtlich kein Interesse an dem Schicksal der Bewohner. Sie erklärte Milan, dass es nicht möglich war, eine Wohnung außerhalb der Anlage zu finden und dass es nach dem Gespräch mit seinem zuständigen Psychologen, Dr. Harris, eine passende Anlage, wie sie es immer förmlich und ausweichend aussprach, für ihn sei. Während sie sprach, ging sie Milan voran den Weg vom Verwaltungsgebäude, in dem ihr Büro war, durch die Grünflächen und Häuser, in welchen sowohl Mehr- als auch Einzimmer Apartments waren. Sie sprach von dem Prinzip, von der, wie sie es nannte Philosophie, des Konzeptes vom betreuten Wohnen. Dass er hier alle Freiheiten genießen konnte, ein eigenes Zimmer mit Kochmöglichkeit bekäme und sich natürlich frei bewegen durfte, wie er wollte. Doch sollte er sich doch einmal unwohl fühlen, sei es, dass er krank war oder auch einsam, dann hatte er hier die Möglichkeit jederzeit einen Psychologen oder Arzt aufzusuchen. Die sind in der Verwaltung zu finden, fasste Frau Mühlental kurz und bündig zusammen, wie sie es bereits etliche Male zuvor verkündet hatte. Natürlich spielt auch das Miteinander eine große Rolle, sprach sie weiter und grüßte dabei lächelnd einen Mann in weißem Kittel, der ihnen entgegenkam. Dafür gibt es das Gemeinschaftsgebäude, in dem man Billard spielen konnte und zusammen sitzen. Dort ist auch ein Restaurant, wenn man keine Lust zum kochen hat. Milan nahm kaum auf, was sie erzählte. Er sah von der Seite die kleine, etwas spitz zulaufende Nase und den mäandrierend geschwungenen Mund von Frau Mühlental an. Als sie schließlich in seinem Apartment ankamen, er die Schlüssel in die Hand bekam, dazu noch einige Informationsseiten über das betreute Wohnen, atmete er langsam durch. Bevor sie ging, machte die hübsche Frau Milan noch auf den wöchentlichen Termin beim Berater in der Verwaltung Aufmerksam, ließ dann etwas leiser verlauten, dass auch sie im Verwaltungsgebäude zu finden sei und schloss dann die Tür hinter ihm. Als Milan in seinem neuen kleinen zu Hause stand, durchfuhr ihn eine Welle der Erleichterung Er war mit einem Male dankbar für die Organisation, für ein fertig möbliertes Apartment, ja, sogar für die Möglichkeit, sich jederzeit an jemanden wenden zu können. Auf dem Weg vom Flughafen hierher beobachtete er das Stadtgeschehen, die beschäftigten Menschen und ihm wurde wieder einmal bewusst, dass im Normalfall keiner zu ihm gekommen wäre, um ihm die Stadt zu zeigen, eine Wohnung zu suchen und Gesellschaft geleistet hätte. Darüber hatte er, der das letzte halbe Jahr rundum versorgt und durch die Tabletten ohnehin unfähig war, sich um diese Dinge zu kümmern, wenig nachgedacht. Er sah sich die Menschen an und fragte sich, was ein jeder antworten würde, wenn Milan sich mit der Bitte, ihm etwas zu helfen, vorstellen würde. Dort lief eine alte Dame mit goldener Handtasche: Sie hätte sich wohl erschrocken und aus Angst vor einem Taschendieb so schnell es ihr noch möglich war, ab gewunden. Der Mann im Anzug, der seine Laptoptasche lässig unter dem Arm geklemmt hatte, während er telefonierte, er hätte ihm vielleicht eine Nummer von einem Makler gegeben, der Milan dann aus Unsicherheit über seinen zukünftigen Verdienst nichts hätte vermitteln können. Dann sah er eine junge blonde Frau auf einem Fahrrad. Studentin, dachte er, eine typische Studentin. Sie trug einen Rucksack, wäre wahrscheinlich nett gewesen, aber schön spät dran, weil gleich die Vorlesung begann. Sie hätte ihm vorgeschlagen, eine Anzeige auf dem Pinbrett in der Universität hin zuhängen und sich dort nach Wg-Zimmer umzusehen. Milan fiel auf, dass er gar kein Handy mehr hatte. Ihm fiel auf, dass er erst mal aufgeschmissen, alleine und orientierungslos gewesen wäre. Den Rest des sonnigen Nachmittags setzte sich Milan auf den Gartenstuhl seines Balkons und genoss die Erleichterung, nicht ziellos und verloren in der Stadt herumzuirren. Er dachte daran, wie er damals auf Mallorca, den Strand entlang wanderte um sich von allem und jeden abzuwenden, wie er zuerst das Wasser, die Stille und die Freiheit genoss Er sah sich in seiner sandigen Kleidung, die er nach und nach zurückließ. Dachte etwas wehmütig an seine große Idee, sein Verlangen, der Gesellschaft den Rücken zu kehren, zu zeigen, dass nur das Leben, das Überleben in der Natur das wahre Leben war, dass die Gesellschaft nur noch in künstliches Fassaden lebt und sich eine Scheinwelt aufgebaut hatte. Dann dachte er an den Morgen, an dem er im Sand mit verklebte Augen aufwachte. Sie hatten geschmerzt, als das Sonnenlicht einfiel, tränten vor Trockenheit. Er dachte an seine steifen Glieder, die nicht mehr weiter wollten, an die Idee, die sie dann doch zwang, sich wieder und wieder aufzuraffen, an die Schmerzen beim Aufstehen. Durst, noch nie hatte er so Durst gehabt – und Hunger. Dann endlich, endlich erschien ihm die Szene, die lang vermisste Szene, der Cut, der Wendepunkt, das tragische Ereignis, dass er verdrängt hatte. Nun endlich sah er sich vor seinem Inneren Auge, erkannte sich, der ausgemergelt in Fetzen dasaß, zuerst kaum selbst. Es gab nichts, wirklich nichts dort am Strand, was er hätte trinken oder essen können, doch seine Kräfte verließen ihn. Es war eine Überwindung, nein, es fiel ihm nicht leicht, ganz und gar nicht. Und Milan saß da und schüttelte seinen Kopf verneinend hin und her. Er fand dieses tote Tier, das gerade erst gestorben sein musste. Er wollte es sich zuerst nur ansehen, wie es da lag, auf einer kleinen Wiese, wenige Meter vom Strand entfernt. Er fasste das Fell des Eichhörnchens an und dann, dachte Milan, während er weiter den Kopf schüttelte und nun noch den Mundwinkel bedauernd nach unten zog, bis sein Gesicht einer Grimasse glich, dann nahm er es und setzte sich auf einen Stein. Woher die Leute kamen, dass wusste er nicht. Vielleicht hatte er in seinem Zustand noch nicht einmal mehr mitbekommen, dass er hätte Hilfe bekommen können, dich die lehnte er ja ab. Der Hunger zwang ihn, das Tier mit den Händen aufzumachen und von dem warmen Fleisch zu essen. Er registrierte die Traube von Menschen, die sich um ihn scharte, ihn ungläubig anstarrte, nicht. Mütter hielten ihren Kindern die Hände vor den Augen, blieben aber dennoch stehen. Schließlich wurde er mitgenommen. Er wusste noch, wie man ihn einfach mit zog. Er wusste noch, dass man ihn nach seinem Namen gefragt hatte und er Frank geantwortet hatte. Dann schlief er unglaublich lange und wachte in der psychiatrischen Klinik wieder auf. Nun starrte Milan nur noch geradeaus, bis eine Wolke über die Sonne zog und das wechselnde Licht ihn in die Gegenwart zurück holte. Milan atmete tief durch.

Milans Weg

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