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Mein erstes Schlüsselerlebnis

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Ich war noch in meinem letzten Lehrjahr, als mir mein Vorgesetzter eines Tages eröffnete, er wolle mich nach Arbeitsschluss zu einem Kaffee einladen. Das war etwas Ungewöhnliches, denn normalerweise ging er lieber zu einem Feierabendbier in seine Stammkneipe.

„Da staunst du, wie?“, meinte er, da er wohl mein verdutztes Gesicht bemerkt hatte. „Wir gehen in das Café an der Müllerstraße; kennst du es etwa?“

„Nein, mit meinem Lehrlingslohn kann ich es mir nicht leisten, irgendwo in ein Restaurant oder Café zu gehen.

„Gut; da wirst du etwas erleben, was du so schnell nicht vergessen wirst. Wie ich dich kenne, schaust du bei schönen Frauen nicht weg. Dort serviert nämlich ein Superstück“, wie er sich ausdrückte.

Das besagte Café war eigentlich eine Café-Bar mit einer Bar in Form eines Hufeisens in der Mitte des Raumes und ein paar kleinen Tischen seitlich entlang der Wand. Zu meinem Erstaunen war das Lokal sehr gut besetzt ‒ kein Wunder, denn hinter der Bar bediente eine Blondine, die man eher in einem exklusiven Frauenmagazin vermutet hätte. An der Bar waren lediglich noch wenige Plätze frei. Darauf steuerte mein Chef zu. Eigentlich war ich ein schüchterner Mensch, und mit Frauen hatte ich überhaupt keine Erfahrung. Das war Ende der 50er-Jahre des letzten Jahrhunderts, wo man im Umgang mit dem anderen Geschlecht noch nicht so locker war wie heutzutage. So konnte ich nicht verhindern, dass mein Herz beinahe bis zum Zerspringen klopfte, als sich die Dame mit einem freundlichen Lächeln vor mich hinstellte, um sich nach meinem Wunsch zu erkundigen. Aber ich hörte nur eine Männerstimme, und als ich mich umdrehte, um nach dem Besitzer dieser Stimme zu schauen, fühlte ich eine Hand auf meinem Arm.

„Nein, du bist schon richtig“, hörte ich eine sanfte Männerstimme aus dem Mund dieser Dame sprechen. „Wenn du dich erholt hast, kannst du mir sagen, was ich für dich tun kann. Ich heiße übrigens Chipsy, und du kannst ruhig Du zu mir sagen.“

Das Szenario hatten natürlich die anderen Gäste mitbekommen und brachen in ein Gelächter aus. Das also war es, was ich so schnell nicht vergessen würde. Wie kam diese freundliche und so hübsche Dame zu einer Männerstimme? Und überhaupt verstand ich die Welt nicht mehr.

„Das ist ein Transvestit“, meinte mein Begleiter. „Weißt du, was das ist?“

Wie sollte ich das wissen? Denn Aufklärung war damals nicht üblich, und über solche Sachen redete man schon gar nicht. So schüttelte ich nur den Kopf und meinte wahrheitsgetreu, ich hätte noch nie so etwas gehört. Aber er könne mir doch sicher erklären, was so ein Transvestit sei. Natürlich wusste er das auch nicht so genau, vor allem kannte er keinen Unterschied zwischen Transvestiten und Transsexualität.

Das alles ging mir nicht mehr aus dem Kopf; vor allem, als mich Chipsy ermunterte, wieder einmal zu kommen. Ich solle am Abend kurz vor acht Uhr kommen, da seien die meisten Gäste weg, weil sie das Lokal um acht Uhr schließen würde, und wir könnten dann ungestört miteinander reden.

Und ob ich wollte! Ich sparte mein Geld vom Lehrlingslohn, wo ich nur konnte, um möglichst bald wieder bei ihr zu sein. Ich fühlte mich wie im Märchenland.

„Hallo!“, begrüßte sie mich herzlich und fügte etwas vorwurfsvoll an: „Du hast aber lange gebraucht, bis du zu mir gefunden hast!“

„Ich wäre gerne früher gekommen, aber ich musste zuerst das Geld für den Kaffee zusammensparen.“

„Kleiner Dummkopf, ich hätte dich doch eingeladen! Ich habe dich nämlich heimlich beobachtet, und deine Unsicherheit ist mir nicht entgangen. Da habe ich den Entschluss gefasst, mit dir zu sprechen, bevor man dir Unsinn über mich erzählen würde. Willst du meine Geschichte hören und mich kennenlernen?“

Natürlich wollte ich! „Aber lach mich bitte nicht aus wegen meiner Unwissenheit!“

„Da brauchst du keine Angst zu haben. Du bist schüchtern, und genau das gefällt mir an dir. Ich möchte, dass du die Wahrheit über mich erfährst. Es werden nämlich genug Unwahrheiten und sonstige Geschichten über mich erzählt.“ Dabei legte sie eine Hand auf meinen Unterarm auf der Theke.

„Also“, begann sie das Gespräch, „ich bin transsexuell veranlagt. Ich bin eine Frau in einem männlichen Körper, wenigstens, was das männliche Geschlechtsteil betrifft. Ich habe einen Penis wie du, aber mein ganzes Fühlen ist das einer Frau. Innerlich bin ich eine Frau. Ich weiß, du kannst das noch nicht verstehen, aber ich bin nicht die Einzige auf dieser Welt mit dieser Veranlagung. Bereits im Vorschulalter“, fuhr sie fort, „merkte ich, dass ich lieber mit Mädchen spielen würde als mit Buben. Das änderte sich auch nicht, als ich zur Schule ging. Ich fühlte einfach, dass ich ein Mädchen war, und trotzdem musste ich mich wie ein Bube kleiden, wie ein Bube leben. Später bemerkten meine Mitschüler, dass das Äußerliche immer mehr dem eines Mädchens glich. Ich wurde gehänselt und ausgelacht. Niemand hat mir geholfen, nicht einmal meine Eltern. Ich sei krank im Kopf, wurde ich belehrt. Es war ein Leben wie in der Hölle. Ich dachte nur: ‚Warum kann mich denn niemand verstehen?‘, und manchmal war ich nahe daran, meinem Leben ein Ende zu setzen. Nach der Schule ging ich dann nach Zürich. Dort passte ich mein Outfit meinem wahren Wesen an. Da lernte ich auch andere mit der gleichen Veranlagung und den gleichen Problemen kennen. Wir alle haben keine Chance auf eine Berufsausbildung oder auf einen anständigen Job. Darum arbeite ich hier und muss mich von den Gästen begaffen lassen und mir auch manchmal blöde Sprüche anhören.

Andere wiederum sind gezwungen, im Rotlicht-Milieu zu arbeiten, aber ich mache hier das Beste daraus und spare Geld für eine Geschlechtsoperation. Das kostet sehr viel Geld, und ich muss dazu ins Ausland, weil in der Schweiz keine solchen Operationen vorgenommen werden.“

„Arme Chipsy“, dachte ich und sah, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten. Was hatte sie doch alles durchgemacht, und welche Ungewissheit stand ihr noch bevor! Ich spürte ihren inneren Schmerz, und ein tiefes Mitgefühl durchströmte meinen ganzen Körper Sie hatte mir mit ihrer Geschichte eine völlig unbekannte Welt eröffnet, eine Welt, von der ich bis anhin keine Ahnung hatte und die mich weit darüber hinaus ein Leben lang begleiten sollte. Zum Abschied drückte sie mich an sich und gab mir einen Kuss auf die Stirn mit der Ermahnung, mich niemals zu Vorurteilen hinreißen zu lassen.

Das war das letzte Mal, dass ich Chipsy gesehen habe. Als ich sie nämlich wieder einmal besuchen wollte, musste ich vernehmen, dass sie ins Ausland abgereist sei. Ich nehme an, dass die angestrebte Operation der Grund dazu war. Viele Jahre später hörte ich einmal, dass sie nach der Operation gestorben sei. Das einzige Andenken an sie ist ihr Konterfei, das noch heute die Packung einer bekannten Zigarettenmarke ziert.

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