Читать книгу Faszination Ladyboy - Fred Suban - Страница 12
Mara
ОглавлениеEs war an einem schönen Frühlingstag: Ich war soeben von einem längeren Auslandaufenthalt zurückgekommen und genehmigte mir mit ein paar Freunden zusammen in unserer Stammkneipe ein Willkommensbier, als sich plötzlich eine Dame mit einem riesigen Blumenstrauß zur Türe hereinzwängte.
„Hallo, Mara!“, hörte ich meine Freunde. „Komm und setz dich zu uns!“
„Ich habe keine Zeit und wollte nur hereinschauen, ob vielleicht jemand da ist, der mich nach Hause bringt. Der Bus zu meinem Dorf ist mir vor der Nase weggefahren, und natürlich war es der letzte für heute.“ Damals fuhren in ländlichen Gegenden die letzten öffentlichen Busse bis ungefähr 19.00 Uhr.
Großes Schweigen herrschte in der Runde, und so bot ich bereitwillig meine Hilfe an.
„Weißt du nicht, dass sie ein Transvestit ist?“, raunte mir mein Tischnachbar zu.
„Nein, ich kenne sie nicht, aber deswegen kann ich sie trotzdem nach Hause bringen, oder?“
Natürlich nahm Mara mein Angebot dankend an wie auch die Einladung, zum Kennenlernen zuerst noch etwas zu trinken.
„Wie ich gehört habe, sollst du eine Transsexuelle sein“, eröffnete ich das Gespräch während der Fahrt, „du brauchst dir aber deswegen keine Gedanken zu machen.“
„Ja, das stimmt. Deswegen wollte mich niemand nach Hause bringen. Die haben alle Angst, sich mit mir in der Öffentlichkeit zu zeigen. Warum tust du das? Ich bin so froh, denn für ein Taxi hätte ich kein Geld gehabt. Ich habe dich noch nie gesehen, wohnst du nicht hier?“
„Ich bin vor ein paar Jahren hierhergezogen, aber ich bin meist für längere Zeit auswärts auf Montage. Wahrscheinlich sind wir uns deshalb noch nie begegnet. Heute bin ich soeben vom Ausland zurückgekommen. Was die Meinung der Leute anbetrifft, so mache ich mir wenig daraus. Was die über mich denken oder reden, ist mir so ziemlich egal.“
„Auch ich bin meist auswärts. Die Leute hier kennen mich seit meiner Jugend, weil ich ja hier in der Gegend aufgewachsen bin. Heute bin ich gekommen, weil ich meine Mutter wieder einmal besuchen möchte.“
„Aha, also deswegen der Blumenstrauß.“
„Ja, den habe ich ihr zum Muttertag gekauft.“
„Also du bist eine Transsexuelle“, nahm ich den Faden wieder auf. „Übrigens du bist sehr hübsch, und wer dich nicht kennt, würde niemals auf deine wahre Identität schließen. Wie bereits gesagt, habe ich keine Probleme mit Transsexualität“, und dann erzählte ich ihr die ganze Geschichte von Chipsy. Seit damals waren immerhin rund 20 Jahre vergangen, doch die Erinnerung war noch so gegenwärtig, als ob sich alles erst kürzlich zugetragen hätte.
„Ich weiß also Bescheid, dass euer Leben in unserer Gesellschaft alles andere als einfach ist. Wenn du möchtest, kannst du mir deine Geschichte ruhig anvertrauen.“
„Danke“, meldete sie sich nach einer langen Pause wieder. „Ich bin froh, einmal mit einem Menschen sprechen zu können, der sich ehrlich für unser Problem interessiert. Bis jetzt konnte ich mich nur in unseren Kreisen austauschen. Aber meine Geschichte ist lang, und ich befürchte, dass der Nachhauseweg zu kurz ist.“
„Dann fahren wir eben zu einem ruhigen Restaurant. Wie ich vermute, hast du wahrscheinlich noch nichts gegessen. Es ist ja noch früh am Abend. Ich kenne da auf dem Lande eine geeignete Lokalität, wo wir ungestört sind und auch etwas essen können. Du brauchst dir wegen des Geldes keine Gedanken zu machen. Die Geschichte von Chipsy hat mich all die Jahre hindurch beschäftigt. Sie hat mir damals die Augen für dieses Problem geöffnet und auch sonst viel gegeben, sodass ich denke, Menschen wie dir eine kleine Gefälligkeit schuldig zu sein.“
Sichtlich bewegt begann sie dann ihre Leidensgeschichte zu erzählen; zuerst langsam und sehr nachdenklich, dann immer leidenschaftlicher, und ich bemerkte, wie sie ihre Emotionen unterdrücken musste.
Sie berichtete, die Jungenzeit sei schlimm gewesen. Im Gegensatz zu Chipsys Eltern seien ihre eigenen Eltern immer auf ihrer Seite gewesen, aber die Schulbehörde und insbesondere der Dorfpfarrer hätten Druck auf ihre Eltern ausgeübt, bis sie in eine psychiatrische Behandlung eingewilligt hätten. In ländlichen Gegenden hat der Pfarrer eben ein gewichtiges Wort mitzureden. „Von da an“, fuhr sie fort, „war ich dem Spott des ganzen Dorfes ausgesetzt mit Ausnahme einer Familie, die aus einer anderen Gegend neu zugezogen war. Die hatten ein schönes Haus mit einem großen Garten, und dort durfte ich meine Freizeit verbringen. Die waren es auch, die durchsetzten, dass ich schließlich in der Stadt zur Schule gehen konnte, und sie haben mich auch sukzessive über den wahren Sachverhalt meines Problems aufgeklärt.“
„Wo wohnst du jetzt, und was machst du? Du brauchst dich vor mir nicht zu genieren, ich mache keinen Gebrauch davon.“
„Ja, das habe ich gemerkt. Lange Zeit hatte ich kein Vertrauen mehr zu Männern. Ich hatte nämlich einen Freund, und am Anfang ging auch alles gut. Dann merkte ich, dass er mein Vertrauen nur gewinnen wollte, um mich auf den Strich zu schicken, aber ich wollte nicht. Da wurde er grob und hat mich auch geschlagen. Ich war an einen üblen Zuhälter geraten. Zur Polizei konnte ich wegen meiner Veranlagung nicht gehen, das hatte mein Peiniger genau kalkuliert. Endlich gelang mir mithilfe von Freunden die Flucht. Wenigstens war ich dann diesbezüglich frei, aber auch danach hatte ich keine andere Möglichkeit, als den Lebensunterhalt als Prostituierte zu verdienen, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Ich spare Geld für eine Operation. Danach kann ich bei den Behörden eine Namensänderung und eine Änderung der Geschlechtsbezeichnung beantragen. Vielleicht habe ich danach eine Chance auf ein neues Leben. Zurzeit durchlaufe ich eine Hormonbehandlung zur Vorbereitung auf die Operation.“
„Hast du Angst?“, lautete meine mitfühlende Frage.
„Ja, sehr große Angst sogar. Ich mache das nur, weil ich darin die einzige Chance auf Anerkennung in der Gesellschaft sehe. Ich möchte ein normales Leben führen und einer Arbeit nachgehen können wie andere auch. Kannst du dir vorstellen, was es nach meinem Erlebnis für mich bedeutet, fremden Männern meine Liebesdienste anzubieten? Aber eine andere Möglichkeit habe ich zurzeit nicht. In meiner Verzweiflung suchte ich Trost im Alkohol und begann zu trinken. Davon bin ich ‒ gottlob! ‒ wieder losgekommen. Ich habe Freundinnen, die haben es zu einem Job gebracht, indem sie ihre wahre Identität versteckten, einige waren sogar verheiratet. Aber das dauerte nur kurze Zeit, weil sich die wahre Identität auf Dauer nicht verleugnen lässt. Das wäre ungefähr so, als ob man sich in ein Gefängnis mit Einzelhaft begäbe und sich dabei vormachte, glücklich zu sein. Warum kann man uns nicht akzeptieren, wie wir sind? Schlimm zu ertragen ist auch, dass genau diejenigen, die uns in die Prostitution treiben, uns das zum Vorwurf machen. Was tun wir Böses? Können wir etwas dafür, dass wir so geboren sind?“
Der letzte Teil ihrer Geschichte, insbesondere die Äußerungen über die Gesellschaft, sind ihr offenbar schwergefallen. Ich spürte ihre Verbitterung und empfand tiefes Mitleid, aber auch ein beschämendes Gefühl der Ohnmacht.
„Entschuldige bitte“, sagte sie nach einer langen Pause, „aber ich bin so froh, mit jemandem darüber sprechen zu können!“
„Mach dir deswegen keine Sorgen! Du kannst mich jederzeit anrufen, wenn du mit jemandem sprechen willst oder wenn ich dir irgendwie helfen kann. Jedenfalls bitte ich dich: Melde dich einmal nach deiner Operation!“