Читать книгу Das GEHEIMNIS der TRINAKRIA - Freda Kurto - Страница 6

Kapitel 3

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Tja, das sah ganz nach dem Ende meiner Glücksphase aus. Ungefähr zwei Stunden später hatte ich meinen Platz in der Maschine eingenommen. Nicht nur, dass mir der erhoffte Platz am Fenster versagt geblieben war. Auch die Nachbarn zur Rechten und Linken entsprachen nicht unbedingt meiner Vorstellung. Auf dem Fensterplatz wälzte sich ein Zweizentnerkoloss in die richtige Sitzposition. Dabei ächzte und stöhnte er ohne Unterlass und ignorierte rücksichtslos die Tatsache, dass er meinen Bewegungsraum beträchtlich einschränkte. Na ja, wenigstens ließ sich dieses Manko zur anderen Seite hin ein wenig ausgleichen. Dort hatte sich ein Jüngling der Marke „Dünner Hering“ breit, besser gesagt schmal gemacht. Ein Vorteil, der von einer im Laufe der Zeit unerträglich werdenden Knoblauchwolke schnellstens eliminiert wurde. Während ich mich skeptisch einer bröseltrockenen, mit angegrauter Salami und einem glibberigen Salatblatt spärlich belegten Semmel widmete, sinnierte ich über die Vorteile eines Tim Sommermeier.

Leider hatte er mit seiner Befürchtung, platzlos auszugehen, Recht behalten. Einen erfolgversprechenden Ersatzplan hatte er, als mir uns nunmehr endgültig verabschieden mussten, leider nicht parat. Ein Schauder ergriff mich, als ich mir die Überlebenschancen nach meiner Ankunft in Catania ausrechnete. Welch ein unschätzbares Glück, dass die erste Übernachtung in Catania sein würde. So blieb mir wenigstens eine nervenaufreibende Autofahrt direkt am ersten Abend erspart.

Um mich abzulenken, führte ich einen stummen Monolog: „Jetzt reiß dich gefälligst zusammen. Heute morgen stand es schließlich außer Frage, dass du einsam und alleine in dem Flieger sitzen würdest. Also, no risk, no fun! Wir schaffen das schon, yes!“ Dummerweise hatte sich das letzte Wort leise murmelnd verselbstständigt. Für Herrn Hering ein willkommener Anlass, den Versuch einer Konversation zu wagen. „Haben Sie etwas gesagt?“ Normalerweise hätte ich mir ein paar freundliche und unverfängliche Worte abgerungen. Doch die Knoblauchfahne, die mir ohne Vorwarnung mitten ins Gesicht wehte, bestärkte mich in dem Entschluss: Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Zaghaft holte ich Luft und antwortete resolut: „Nicht dass ich wüsste!“ Sein erneuter, zaghafter Versuch „Ich dachte, ich hätte etwas gehört!?“ gab mir den Rest: „Sie müssen sich geirrt haben.“ Dann gab ich vor, ein kleines Nickerchen zu machen, während ich den Anflug eines schlechten Gewissen zu unterdrücken versuchte.

Dank des starken Rückenwindes, so die Info des Kapitäns, brauchten wir für die Flugstrecke statt der angekündigten eineinhalb Stunden nur 75 Minuten. Nun gab es kein Zurück mehr: Ich hatte sizilianischen Boden unter den Füßen! Es war kurz vor 19 Uhr. Wenn alles gut ginge, würde mich vielleicht schon in einer Stunde die Geborgenheit meines Hotelzimmers umgeben.

Ich schaute mich auf dem Flugplatz um. Die Landschaft ringsherum sah ziemlich eintönig, nahezu karg und vertrocknet aus. Vermutlich das Ergebnis eines erbarmungslosen Hochsommers. Dennoch eine Wohltat: Keine Nebelschwaden weit und breit. Gut, es herrschte kein strahlender Sonnenschein, was ich dem zu Ende gehenden Tag anlastete. Aber immerhin umwehte mich ein lauwarmes Lüftchen, das mich daran erinnerte, good old Germany zweifellos hinter mir gelassen zu haben. Erst jetzt wurde mir so richtig bewusst, dass ich mich im Urlaub befand, der sich hoffentlich als rundum gelungene Reise entpuppen würde. "Aber just hier wirst du wohl keine Wurzeln schlagen wollen", ermahnte ich mich. Also nichts wie hin zur Gepäckabfertigung. Ohne Probleme fand ich mein Reisegepäck. Das klappte ja wie am Schnürchen! Sollte ich mich mal wieder umsonst aufgeregt haben?

Dann machte ich mich auf die Suche nach meiner Reiseleitung. In meiner offensichtlichen Naivität hatte ich damit gerechnet, von einer freundlichen Dame oder einem netten jungen Herrn in Empfang genommen und nach Aushändigung der Reiseunterlagen zu meinem Mietwagen geführt zu werden. Indes machte ich die Bekanntschaft eines weiblichen Wesens, dessen Aufmachung – lange zottelige, schwarz gefärbte Haare, ehemals lila lackierte Fingernägel, zu erkennen an den noch nicht abgeblätterten Farbtupfern, ähnlich sorgfältig umrandete Augen und Mund, schwarz gewandet, ansonsten bleich wie der Tod und nur unwesentlich attraktiver – den Verdacht weckte, ich könnte auf der falschen Veranstaltung gelandet sein. Womöglich hatte das Reisebüro ja irrtümlich statt der sonnigen Seite Siziliens einen Trip durch die Subkultur dieser Insel inklusive Besuch einer Megafete der hiesigen Grungevereinigung gebucht.

Die überreichten Unterlagen wiegten mich für einen trügerischen Augenblick in Sicherheit. Prinzipiell hielt ich die tatsächlich gebuchte Reise in Händen. Allerdings mit Ausnahme einer geringfügigen Abweichung vom angekündigten Reiseverlauf: Für die erste Übernachtung war nicht, wie im Reiseprospekt angegeben, Catania vorgesehen, sondern Taormina. Ein nettes kleines Badeörtchen, nur circa 50 Minuten von Catania entfernt.

Energisch unterdrückte ich die ersten Anzeichen einer Krise. Ebenso vehement teilte ich der Empfangsdame mit, dass diese Änderung keinesfalls akzeptabel sei. Schließlich würde es bald stockduster sein; ich befände mich nach einem anstrengenden Tag in einem fremden Land und verspürte infolge nicht den geringsten Nerv, unmittelbar in unbekannte Fernen aufzubrechen. Es folgte eine aussagekräftige Reaktion in Form eines gelangweilten Schulterzuckens, begleitet von der Information: "Catania ist vollständig ausgebucht. Aber Sie können sich ja beim Reiseveranstalter beschweren.“ Dann gab sie noch zu bedenken, dass die Planänderung durchaus dem Charakter der gebuchten Reise „Sizilien für Entdecker“ entspräche. Daher sei die Frage, wo und wie diese Entdeckungstour beginne, wohl kaum relevant. Mit dem Tipp, mich zwecks Erhaltes des Mietwagens an den zuständigen Herrn hinter dem Schalter „Sissili by car“ in der Abflughalle zu wenden, verabschiedete sie sich eilig und entschwand.

Ihren Rat getreulich befolgend, schleppte ich – ein Gepäckwagen war weit und breit nicht zu sehen – mein Gepäck aus der Ankunftshalle hinaus, durch die auf dem Bürgersteig befindliche Ansammlung krakeelender Sizilianer hindurch, in die 50 Meter weiter gelegene Abflughalle hinein. Währenddessen murmelte ich unablässig "Sissili, Sissili, Sissili ..." vor mich hin. Diesen seltsam klingenden Namen durfte ich auf keinen Fall vergessen; dieses Zauberwort würde mich vor dem totalen Chaos bewahren!

Eigentlich lag sie ja auf der Hand, die Bedeutung des in meinen Ohren abstrus anmutenden Wortspieles. Dennoch dauerte es eine Weile, bis der Groschen fiel: „Sissili by car“ hieß natürlich nichts anderes als Sizilien Sicily mit dem Auto. Gut, dass sich dieser geistige Aussetzer wenigstens nicht in Anwesenheit von Tim Sommermeier bemerkbar gemacht hatte. In der Abflughalle angekommen, sah ich zu meinem Entsetzen, dass sich „Sicily by car“ gegen eine beträchtliche Anzahl von Konkurrenten durchzusetzen hatte. Immerhin, nach 15 Minuten wurde ich schließlich in der letzten verwinkelten Ecke fündig.

Der zuständige Herr schien mein Bedürfnis nach einer kleinen Verschnaufpause zu ahnen – jedenfalls ließ er sich erst nach weiteren 15 Minuten blicken. Um die verlorene Zeit wieder wett zu machen und die zahlreichen Bittsteller, die sich zwischenzeitlich angesammelt hatten, zu beschwichtigen, machte er sich zielstrebig an die Arbeit. Knapp und bündig klärte er mich in fließendem, dafür unverständlichem Sizilianisch über die wichtigsten Vertragsbedingungen auf, über die bis heute eine gewisse Unklarheit besteht. Dann legte er mir einen vierseitigen in italienisch und englisch abgefassten Vertragsentwurf zur Unterschrift vor.

Doch damit war der bürokratische Schriftkram keineswegs erledigt. Bevor er willens war, Fahrzeugpapiere und Fahrzeugschlüssel herauszurücken, verlangte er eine von mir höchstpersönlich unterschriebene Vollmacht für meine Kreditkarte. Ein Begehren, dem ich – in der Regel mit einem misstrauischen und daher eher übervorsichtigen Naturell ausgestattet – auch noch nachkam! Ich konnte es kaum fassen. War ich noch im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte? Der in Abständen auftauchende Gedanke an ein bis auf den letzten Cent geplündertes Konto würde mich für den Rest der Reise verfolgen!

Zur Belohnung händigte mir der neue Herr meines Kontos die Autoschlüssel aus und erteilte mir den Auftrag, auf dem zig Quadratmeter großen Flughafenparkplatz mein Vehikel ausfindig zu machen. Was für ein Service! Aber auch das würde ich meistern, immerhin war auf dem Schlüsselanhänger das Kfz-Kennzeichen vermerkt. Was mir lediglich fehlte, war eine Taschenlampe, denn zwischenzeitlich hatte draußen die tiefschwarze Nacht Einzug gehalten. Super! Bei strahlendblauem Himmel und Sonnenschein alleine durch unbekannte Gefilde zu tuckern, war eine Sache. Darauf hatte ich mich eingestellt. Ebenso aber auch darauf, spätestens mit Einbruch der Dämmerung das jeweilige Hotel anzufahren. Und jetzt?

Erste Anzeichen von Panik machten sich breit: Wo genau musste ich überhaupt hin? Würde ich mir zunächst, quasi zur Einstimmung, verzweifelt einen Weg durch die Großstadt bahnen müssen? Einsam und verloren herumirren? Würde ich jemals die richtige Autobahn erwischen? Und was, wenn sich das Mietauto als schrottreife Karre herausstellen sollte, dessen Vorbestimmung es war, nach den ersten Kilometern an einem einsamen, unheimlichen Straßenrand zu verrecken? Nicht zu vergessen die Attacken der anderen Straßenverkehrsteilnehmer! Im allgemeinen wurde den Italienern doch eine recht extravagante Fahrweise nachgesagt. Was hätte ich in diesem Augenblick des erbarmungslosen Kampfes auf Leben und Tot nicht alles für einen Tim Sommermeier an meiner Seite gegeben. Das alles war einfach zu viel für meine Nerven. Hätte ich diesen Verlauf doch früher geahnt! Dann ...

Schluss, aus, basta! So ging das nicht weiter. Wollte ich nun meine Qualitäten als Entdecker unter Beweis stellen oder nicht? Entweder ich würde von nun an völlig emotionslos und abgebrüht die Dinge angehen, oder ich konnte gleich die Rückreise antreten. Ich war vermutlich weder die erste noch die einzige, die diese Reise gebucht hatte. Und was die anderen konnten, würde ich ebenfalls schaffen. Komme was wolle, es gab schließlich für alles eine Lösung! Derart gestärkt an Geist und Nerven erinnerte ich mich an die noch ausstehende Autosuche. Ohne dieses, bräuchte ich mir ohnehin keine Sorgen zu machen. Als auch diese Prüfung erfolgreich überstanden und das Gepäck im Kofferraum verstaut war, kam mir, die Vernunft hatte wieder Oberhand, der Gedanke, dass es hilfreich sein könnte, vor dem Start ins Ungewisse einen Blick auf die Straßenkarte zu werfen. Eine ungefähre Vorstellung von der Lage Taorminas zu haben, würde nicht schaden.

Ein Sizilianer, der es auf meinen Parkplatz abgesehen hatte, schien jedoch anderer Ansicht zu sein, die er mittels Hupe lautstark kundtat. Immer noch leidlich eingeschüchtert und dem nervlichen Ende nahe, war ich zwar bereit, der Aufforderung Folge zu leisten. Aber leichter gesagt als getan. Auf das übliche Anlassritual gab der Motor keinen Mucks von sich. Ebenso bei den nächsten Versuchen, die in der überflüssigen Äußerung „Ich kriege den Motor nicht an“ endeten. Bedauerlicherweise drang meine Erklärung nicht bis zu dem wütenden Sizilianer durch. Sein kontinuierlich anschwellendes Hupkonzert deutete darauf hin, dass er mich für unerträglich stur hielt. Teufel noch mal, jetzt wurde auch ich wütend. Was konnte ich dafür, dass dieser verdammte Wagen fahruntauglich war? Und das, obwohl er eigentlich nagelneu aussah. Würde in diesem Urlaub irgendwann irgendetwas problemlos über die Bühne gehen? Sich so etwas wie ein Erholungsgefühl einstellen? Langsam aber sicher hatte ich die Nase gestrichen voll. Mit Armen und Kopf sank ich auf das Lenkrad. "Einmal tief durchatmen und alle Probleme werden sich in Luft auflösen", übte ich mich in Selbstsuggestion.

Plötzlich – mal wieder – ein anhaltendes Klopfen an der Seitenscheibe. Ich schloss die Augen und schickte ein Stoßgebet gen Himmel. Einer direkten Konfrontation mit meinem Parklückennachfolger, der vermutlich unmittelbar vor einer Explosion stand, fühlte ich mich momentan nicht gewachsen. „Jetzt machen Sie doch mal auf!“ Na wenigstens sprach er Deutsch! So würde ich ihm mein Problem wenigstens auseinandersetzen können. Ich kam mit einem Ruck wieder in die Senkrechte und traute meinen Augen nicht. Jetzt gesellten sich auch noch Halluzinationen zu meiner aussichtslosen Lage hinzu. Vor meinem geistigen Auge sah ich bereits eine Zwangsjacke einladend winken. „Jetzt machen Sie doch mal. Was ist denn los?“ Die Stimme kannte ich doch! Also keine Sinnestäuschung, sondern aus Fleisch und Blut: Mr. Sizilien, Tim Sommermeier höchst persönlich!

Ich reagierte blitzschnell. Die Frage, wie sein unerwartetes Auftauchen zu erklären war, konnte auch später geklärt werden. Ich sprang aus dem Auto heraus und auf der Beifahrerseite wieder hinein. Sein verdutztes Gesicht ignorierend befahl ich: „Steigen Sie ein. Nichts wie weg hier. Allerdings verweigert der Motor seine Mitarbeit.“ „Das kann ich mir gar nicht vorstellen“, zweifelte Tim die Richtigkeit meiner Behauptung an, nachdem er seinen Seesack verstaut und Platz genommen hatte. Ein Blick, ein zielgerichteter Griff, und schon schoss der Wagen, begleitet vom dem nunmehr verstärkt aggressiv klingenden Gehupe des ungeduldigen Einheimischen, aus der Parklücke hinaus und in die dunkle Nacht hinein. Sprachlos gestand ich mir ein, tatsächlich zu blöd gewesen zu sein, um ... Mich endlich in Sicherheit wiegend, warf ich einen verspäteten Blick auf Zündschloss und Schlüssel. Langsam dämmerte mir die Ursache für mein klägliches Versagen. Neben Ersterem befand sich nämlich eine Art Steckdose. Der Schlüssel hingegen war per Kette mit einem Stecker verbunden. Des Rätsels Lösung lautete: Wegfahrsperre.

Tim hatte also nur zusammengefügt, was zusammen gehörte. Wie peinlich. Dennoch lehnte ich mich erleichtert zurück: „Ich muss Sie loben. Kein Wort des Hohnes. Respekt!“ "Kein Problem", antwortete Tim, „im Eifer des Gefechts kann das schon mal passieren. Eine Frage, bevor ich ziellos durch Catania kurve. Wohin darf ich Sie denn dieses Mal bringen?“ „Nach Taormina. Aber wie zum Kuckuck sind Sie eigentlich so schnell nach Catania gekommen? Ich kann es kaum fassen. Und was genau haben Sie jetzt vor. Liegt denn Taormina überhaupt in Ihrer Richtung?“ „Zunächst einmal, mir blieb nichts anderes übrig, als mich an Ihre Fersen zu heften. Ich hatte so eine Ahnung, dass Sie ohne mich völlig aufgeschmissen sein würden. Einzelheiten folgen, sobald wir auf der richtigen Autobahn gelandet sind. Was für ein Verkehr!“

Dem konnte ich nur beipflichten. Nach nur wenigen Minuten unter den Autofahrern Siziliens hatten wir unsere erste Lektion gelernt. Rote Ampeln, Geschwindigkeitsbeschränkungen und Fahrbahnmarkierungen dienten hier eindeutig nicht der Sicherheit des Straßenverkehrs, sondern fungierten als überflüssige und folglich zu ignorierende Auflockerung des Straßenbildes. Zu den ungeschriebenen Verkehrsregeln gehörte, den Kontakt zur Hupe niemals abreißen zu lassen und stets Ausschau nach einer Lücke zu halten. Tut sich eine auf, versteht es der selbstbewusste Fahrer, diese sofort und unverfroren auszufüllen. Ein probates Vorgehen übrigens, um auf einer ursprünglich zweispurigen Fahrbahn eine dritte, vierte, günstigstenfalls sogar fünfte Spur zu eröffnen.

Zu meiner großen Erleichterung stellte sich Tim als routinierter Fahrer heraus, der sich die Feinheiten der italienischen Straßenverkehrsordnung im Handumdrehen verinnerlicht hatte. Dennoch kam es einem Wunder gleich, dass wir auf Anhieb auf der Autobahn autostrada gen Taormina landeten. Zum ersten Mal an diesem Abend atmete ich befreit durch. Der Mietwagen, ein strahlend weißer Cinquecento mit Faltdach und gerade mal 2.000 Kilometern auf dem Buckel, schien ein Glückstreffer zu sein. Ganz zu schweigen von Tims unerwartetem Auftauchen! Da ich meine Neugier nicht länger zurückhalten konnte, erinnerte ich ihn an die ausstehende Antwort. „Jetzt schießen Sie endlich los. Welchen dubiosen Umständen habe ich meine Rettung zu verdanken?“

„Ganz einfach. Zum einen hatte ich mich so auf Sizilien eingeschossen, dass ich mir einfach keine Alternative vorstellen konnte. Zum anderen habe ich mich natürlich verpflichtet gefühlt, Ihnen gegebenenfalls aus der Patsche zu helfen. Tja, und das stellte mich dann vor ein kleines Zeitproblem. Die nächste Maschine wäre nämlich erst vier Stunden später gegangen. Aber, dann kam die rettende Lösung in Form einer Durchsage. Der Bucher eines privaten Charterfluges nach Catania wurde zum Informationsschalter gebeten. Sie raten sicherlich, wer sich dort ebenfalls einfand? Genau! Der Rest war dann dank meines Verhandlungsgeschicks und meiner Überzeugungskraft schnell geregelt – und ich Ihnen zwanzig Minuten später dicht auf den Fersen. Nichtsdestotrotz hatte ich arge Zweifel, rechtzeitig genug anzukommen."

Amüsiert erwiderte ich: „Sie sehen mich sprachlos angesichts so viel uneigennützigen Entgegenkommens. Da habe ich wahrlich Glück gehabt.“ „Großes Glück“, erfolgte prompt die Korrektur, „denn wenn Sie wollen, können Sie noch dazu eine Menge Geld sparen.“ „Sie sprechen in Rätseln. Aber lassen Sie es mich versuchen. Sie könnten es sich vorstellen, für die Dauer der nächsten Woche meinen ständigen Chauffeur zu spielen?“ Zaghaft kam: „Vielleicht ein kleines bisschen dreist der Vorschlag!? Es ist nur so, dass mir für einen eigenen Mietwagen das Geld fehlt. Außerdem, kreuz und quer über die ganze Insel zu fahren, wird auf die Dauer bestimmt ziemlich anstrengend. Da habe ich mir halt gedacht ...“ „Man könne sich sowohl Leihgebühren und Spritkosten teilen, als auch mit dem Fahren abwechseln“, ergänzte ich seine Überlegung. Bevor er antworten konnte, fügte ich noch hinzu: „Kaufen Sie eigentlich immer die Katze im Sack?“ „Wie meinen Sie das denn?“ „Sie wissen doch gar nichts über meine Reisepläne und den Ablauf der nächsten Woche“, erwiderte ich und servierte ihm die fehlenden Informationen. Tim nickte zustimmend. „Ein Urlaub ganz nach meinem Geschmack. Aber“, fragte er gespannt, „was ist mit Ihnen? Finden Sie die Idee völlig indiskutabel?“

Eine gute Frage. Darüber musste ich erst einmal nachdenken. Gab es weitere Argumente, die dafür sprachen? Ich wäre nicht länger auf mich allein gestellt. Eine tröstende Vorstellung, falls irgend etwas Unvorhergesehenes und Unangenehmes geschehen sollte. Zudem könnte ich von seinen hoffentlich vorhandenen Sizilianischkenntnissen profitieren. Außerdem, sieben Tage auf Zwiegespräche mit meinem Alter Ego angewiesen zu sein? Wie unterhaltsam! Und was sprach gegen die gemeinsame Fortsetzung der Reise? Eigentlich nur besagte Anhalterproblematik. Aber käme es in diesem Fall nicht einem Anfall von Verfolgungswahn gleich, meine Horrorvisionen zu kultivieren? Immerhin hätte Tim schon die eine oder andere Gelegenheit nutzen können, um seine harmlose Maske fallen zu lassen. Absurd auch die Vorstellung, er habe all den Aufwand auf sich genommen, um erst jetzt zur Bestie zu mutieren. Vielleicht war es ja bodenlos leichtsinnig, aber ich würde das Risiko eingehen!

Ihm gegenüber zeigte ich mich jedoch aus taktischen Gesichtspunkten weniger entschlussfreudig: „Nun, Sie müssen verstehen, aber Sie stellen mich vor eine schwere Entscheidung. Einerseits wäre es zwar eine Gelegenheit, mich erkenntlich zu zeigen. Andererseits – also ich weiß wirklich nicht – . So oder so hätte ich erst einmal ein paar Fragen, ...“ An dieser Stelle wurde ich schnöde unterbrochen: „Wenn Sie ein polizeiliches Führungszeugnis zu sehen wünschen, muss ich Sie leider enttäuschen. Was jedoch meine persönliche Einschätzung betrifft, kann ich Entwarnung geben. Ich halte mich für relativ harmlos. Ansonsten habe ich vergessen zu erwähnen, dass ich mich einigermaßen auf italienisch verständigen ...“

Hier wiederum fiel ich ihm ins Wort: „Auch auf sizilianisch?“ „Ich denke schon. Und was das Finanzielle betrifft, könnte ich einen Vorschuss anbieten. Ach ja, ein kleines Problem gäbe es allerdings noch. Mein Angebot der Kostenteilung beschränkt sich ausschließlich auf das Fahrzeug. Was die Übernachtungsfrage betrifft, muss ich leider auf ein eigenes Zimmer bestehen. Da bin ich etwas eigen.“ Lachend gab ich mich geschlagen. „Also gut. Sie haben gewonnen. Ich hoffe nur, dass die Hotels um diese Jahreszeit nicht ausgebucht sind“.

In ungewohnter Eintracht brausten wir in Erwartung eines feinen, typisch sizilianischen Abendmahls unserem Hotel entgegen. Es konnte sich nur noch um Minuten handeln. Laut Wegbeschreibung mussten wir lediglich die Autobahn bei der Ausfahrt Taormina Nord verlassen und dann wenige Meter auf der Nationalstraße via nationale bis zu dem Hotel Antares fahren, das zur Linken liegen sollte. Der einzige Haken an der Sache: Es gab zwar eine Ausfahrt Taormina Süd und Taormina, nicht aber Taormina Nord. Also beschlossen wir, mit dem Wagemut zweier Entdecker die nächste Ausfahrt zur Rückfahrt zu nutzen. Mit Erfolg, wenn auch die erste Gelegenheit gut 15 Minuten auf sich warten ließ. Zwecks Vermeidung weiterer Umwege ließen wir die autostrada links liegen und folgten stur der Landstraße. Und, welche Überraschung, plötzlich tauchte hoch über uns am steilen Berghang der Zufluchtsort der ersten Übernachtung auf. Was ich zunächst nicht glauben konnte, wurde durch einen Wegweiser bestätigt, der nach rechts zeigte.

„Jetzt kann nichts mehr schief gehen“, sagte ich etwa fünf Sekunden zu früh. Die Straße endete und vor uns lag eine Weggabelung. Alle drei Wege, in einem katastrophalem Zustand, schienen in etwa dieselbe Richtung zu führen. „Tja“, so der hilfreiche Kommentar meines neuen Reisegefährten, „mit meinem Orientierungssinn ist es nicht gerade weit her. Vielleicht sollten Sie die Navigation übernehmen.“ „Wie wäre es mit der goldenen Mitte?“, schlug ich vor.

Gesagt, getan. Nach einer Biegung landeten wir vor einem ungefähr zwanzig Meter langen, leicht ansteigenden Tunnel, der direkt in den Berg führte. Die vollständig aus weißen Kacheln bestehende Ausstattung und die Polstersitzgruppe, die am Ende des Durchganges schwach zu erkennen war, sprachen eindeutig gegen einen gängigen Straßentunnel. Dennoch bezweifelten wir, dass die Röhre etwas mit dem wesentlich höher gelegenen Hotel zu tun hatte. Oder sollte es sich tatsächlich um eine Art Empfangshalle handeln, mit einem unterirdischen Aufzug am anderen Ende, der uns zur gesuchten Lokalität emportragen würde? Tim bot an, nachzuschauen. Während ich hilf- und schutzlos im Auto zurückblieb? Ohne mich. Der Vorschlag gemeinsam nachzuschauen, überzeugte mich ebenso wenig. Das Gepäck im Fahrzeug zurücklassen? Viel zu riskant. „Wir könnten es ja auch mitnehmen“, unternahm er einen neuen Anlauf. Kam gar nicht in Frage! Mir fehlte jeglicher Nerv, mit dem Gepäck zu Fuß und gegebenenfalls vergeblich des Rätsels Lösung zu suchen. „Gut“, lenkte Tim ein, „dann fahren wir eben zur Weggabelung zurück.“

Und wenn es nun doch der Tunnel war, der direkt zum Ziel führte? Irgendwann wollte ich schließlich mal ankommen. „Wissen Sie was“, nahm ich die Sache in die Hand, „am einfachsten wäre es, wir durchqueren den Tunnel mit dem Auto. Geben Sie Gas! Habe keine Lust, hier zu überwintern.“ Ungefähr in der Mitte angekommen, überkamen mich arge Bedenken. Der Tunnel war in gleißendes Licht gehüllt und wurde immer enger. Außer uns war keine Menschenseele zu sehen. Mir schien die Örtlichkeit die ideale Falle des den Ort beherrschenden Mafiaclans zu sein. Nicht umsonst gilt Sizilien als Wiege der Mafia. Vermutlich wurden wir bereits mittels versteckter Videokameras beobachtet und die ferngesteuerten Eisengitter warteten nur darauf, vor und hinter unserem Auto herunter zu rasseln.

Ein verstohlener Seitenblick ergab, dass Tim scheinbar keine entsprechenden Befürchtungen hegte. Wahrscheinlich mangelte es ihm schlichtweg an Phantasie. Ich würde jedenfalls meinem Instinkt folgen, und der riet mir, schnellstens den Rückwärtsgang einzulegen. Auf die entsprechende, leicht panisch vorgebrachte Anweisung reagierte Tim zunächst mit einem irritiert wirkenden Blick. Kam aber sodann meiner Bitte nach: „Sie sind der Chef!“ Wohlbehalten kehrten wir zur Weggabelung zurück und wählten nun die linke Wegvariante. Sie führte nach einer großzügigen Linkskurve zu einer abschüssigen Straße, die zu einem Wohnbaugebiet führte, das sich noch im Rohzustand befand. In stiller Übereinkunft wechselten wir einen Blick. Wollten wir unser Hotel nicht großzügig umfahren, blieb nur noch die letzte, wie immer in solchen Fällen richtige Variante. Nunmehr trennten uns tatsächlich nur noch wenige Meter, die jedoch durch diverse Schlaglöcher und engste Haarnadelkurven erschwert wurden, vom Unterschlupf. Alles natürlich ohne jegliche Lichtquelle.

Wir schleppten das Gepäck in die Hotelhalle und hatten Glück. Die Quelle unerwünschter Hindernisse schien erschöpft, nicht hingegen die Zimmerkapazität des Hotels. Unterschiedliche Richtungen einschlagend, vereinbarten wir, uns in einer halben Stunde zwecks Nahrungsaufnahme bei der geschmackvollen Plastikpalme im Foyer zu treffen. Auf meinem Zimmer angekommen, machte ich mich über die zu meiner großen Freude vorhandene Minibar her und wurde einer Flasche original sizilianischen Bieres birra fündig. Auf dem Bett liegend, den ersten herrlich kühlen Schluck durch die ausgedörrte Kehle rinnend, fing ich allmählich an, die Tatsache, in Sizilien zu sein, so richtig zu genießen. Wer weiß, vielleicht würde die Reise um Längen besser verlaufen als erwartet. Nicht in meinen kühnsten Träumen hätte ich mir in diesem Moment vorstellen können, welche Überraschungen und Ereignisse auf mich warteten.

Das GEHEIMNIS der TRINAKRIA

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