Читать книгу GSC - Frederic John H. MacLawrence - Страница 4
ОглавлениеGolden Gate
Normalerweise schickt mich Onkel Nick nicht ohne jegliche Vorbereitung und mit derart dürftigen Daten versehen in einen Auftrag, gar noch nach Übersee. Ganz im Gegenteil. Onkel Nicks große Stärken sind Planung, Ordnung und Organisation. Aber dieses Mal war alles ganz anders. Es war alles Hals über Kopf gegangen. Es ging hier um die Tochter eines ehemaligen Klassenkameraden meines Onkels aus dem Gymnasium, allem Anschein nach um einen total verzogenen Fratz von einundzwanzig Jahren. Ich hatte ein Bild von ihr dabei. Es handelte sich um ein recht hübsches Mädchen mit blonden, halblangen Haaren. Sie war etwa 170 cm groß und wog zwischen 55 und 60 kg. Der Fehler an ihr war anscheinend hauptsächlich darin zu suchen, daß ihr schon von den Windeln an jeder Wunsch von den himmelblauen Augen abgelesen worden war. Als sich später dann auch noch herausstellte, daß sie recht hübsch werden würde, verwandelten sich vor ihr alle, insbesondere ihr Vater, zu Fußabstreifern, mit denen sie tun und lassen konnte, was sie wollte.
Das große Problem für ihren Papi bestand im Augenblick darin, daß sie nicht mehr aufzufinden war. Die einzige und auch letzte Spur, die er von ihr hatte, führte hierher nach San Francisco. Genauere Daten wollte er uns noch an die Hand geben. Aber während dieser Zeit wäre er uns doch unheimlich dankbar, wenn wir schon mal einen zuverlässigen Mann nach San Francisco entsenden würden, so daß wir dann sofort vor Ort aktiv werden könnten. Wir sollten unsere besten Leute einsetzen, er würde alles bezahlen und auch nicht um den Preis feilschen. Aber das war eigentlich nur so dahingesagt, denn mit Onkel Nick feilscht man sowieso nicht um den Preis. Er vertritt immer den Standpunkt: Gute Leistung kostet gutes Geld. Unser Auftraggeber verzog allerdings seine Miene tatsächlich in keiner Weise, als er unsere Preise erfuhr.
500,00 DM pro Tag für jeden Mann, der ausschließlich auf den Fall angesetzt wurde, zuzüglich Spesen in der jeweils anfallenden Höhe. Für Einsätze außerhalb von Deutschland wurde je nach Land ein weiterer Auslandszuschlag erhoben. Für den Einsatz unseres besten Mannes galt ein weiterer Zuschlag von nochmals 100,00 DM und es wurden zudem noch erhöhte Spesensätze verrechnet.
Ums Geld ging es Herrn Dr. Heinrich aber anscheinend wirklich nicht. Er akzeptierte im Endeffekt einen Tagespreis von rund DM 1.000,00 zzgl. Spesen.
Um zu zeigen, wie ernst es ihm mit der Sorge um sein mißratenes Töchterchen war, zahlte er sofort bei Abschluß des Vertrages eine Summe von DM 50.000,00 an. Daraufhin setzte Onkel Nick sofort unseren „Top-Agenten“, wie ich scherzhaft im Hause der „Dominik Steiner Security“ genannt wurde, auf den Fall an. Tante Alex buchte noch am gleichen Tag einen Flug für mich nach San Francisco. Zuerst ging es mittels eines Zubringers von München nach London und von dort dann nonstop nach San Francisco.
Die Firmenbezeichnung unseres Sicherheits- und Geldtransport-Unternehmens ist anfänglich etwas irritierend. Gemäß Handelsregister-Eintragung muß die richtige Bezeichnung auch lauten: „Dominik Steiner Security“, Sicherheit, Überwachung und Werttransporte, Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
Geschäftsführende Gesellschafter sind Onkel Nick und Tante Alex. Normalerweise wird in unserer Branche nicht allzu gut verdient, aber Onkel Nick sorgt schon dafür, daß ich finanziell nicht zu kurz komme. Mein Hauptaufgabengebiet liegt in der internen Revision und in der Erfüllung von Sonderaufgaben. Wir beschäftigen rund 180 Mann, pardon Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Mit den kaufmännischen Aktivitäten der Firma bin ich im Regelfall nicht befaßt. Ich kenne mich dafür zu wenig aus in der Materie. Aber das ist auch nicht erforderlich, denn Onkel Nick und Tante Alex sind beide aus dem kaufmännischen Bereich, gelernte Bankkaufleute, studierte Betriebswirte, und mit allen Wassern gewaschen.
Meine bevorzugte Tätigkeit besteht in der Erledigung von Sonderaufgaben. Die schwierigeren Fälle übergibt Onkel Nick alle an mich, sei es, daß es um heikle Personenschutzaufgaben geht, um diffizile Überwachungsaufträge oder auch nur die Aufdeckung innerbetrieblicher Schwachstellen im Bereich der Werttransporte.
Meine Tätigkeit bei Onkel Nick und Tante Alex gefällt mir wirklich sehr gut, und ich kann mich voll damit identifizieren. Ich ertappe mich oft dabei, wie ich von unserer Firma spreche, dabei bin ich ja eigentlich auch nur ein Angestellter. Aber da Onkel Nick und Tante Alex keine Kinder haben, hatten sie mir schon vor ein paar Jahren angeboten, später einmal die Firma zu übernehmen.
Nach meinem Abitur war ich damals sofort vom Barras geholt worden. Aus finanziellen Gründen hatte ich mich für einen längeren Zeitraum verpflichtet. Ich hatte dort neben der üblichen militärischen Ausbildung auch noch die Möglichkeit erhalten, an diversen Lehrgängen über Nahkampftechniken teilzunehmen. Da sich bald herausgestellt hatte, daß ich für diese Art der militärischen Freizeitbeschäftigung echt begabt war, erwarb ich mir auf diesem Gebiet beim Barras vielfältige Kenntnisse, die ich später noch vervollkommnen konnte. Nach dem Militärdienst machte mir Onkel Nick das Angebot, bei ihm in die Firma einzutreten. Da wir uns schon immer blendend verstanden hatten, willigte ich sofort ein.
Und so war ich jetzt im Westin St. Francis in San Francisco, lag auf dem Bett und wartete auf das Abendessen. Über all diese Gedankengänge meldete sich nun doch noch der Jet-Lag mit Macht zur Stelle. Zum Glück hatte ich meinen kleinen Reisewecker gestellt, der mich jetzt mit ekelhaften Pfeiftönen wieder aus dem Reich der Träume riß. Gerade noch rechtzeitig wurde ich fertig. Ich hatte nämlich einen Tisch im Restaurant des Westin St. Francis reservieren lassen.
Ich zog mir eine helle Leinenhose an, ein frisches weißes Hemd mit ein paar Applikationen und ging ins Restaurant. Hier lernte ich eine weitere amerikanische Unsitte kennen, „Wait to be seated!“, die mir Tante Alex zum Glück auch schon erklärt hatte. Es herrschte erfreulicherweise kein großer Andrang, ich war auch noch früh dran, 6.00 p. m. Ich wurde von einer netten jungen Dame zu einem hübsch hergerichteten Tisch geführt und bekam die Speisekarte überreicht. Man hatte mich schon deutlich vorgewarnt, ich solle mir ja von der amerikanischen Küche keine Wunderdinge versprechen. Am besten seien immer noch die Steaks. Ich bestellte mir also ein schönes großes Prime-Rib (full cut) mit smashed potatoes. Das Fleischstück war eine echte Schau. Es war ungelogen in etwa so groß wie zwei Handteller von mir, und ich habe Hände wie Schaufeln. Geschmacklich war es auch nicht ohne, zwar nicht unbedingt raffiniert gewürzt, aber immerhin durchaus eßbar. Die smashed potatoes hingegen, wie sie hier das Kartoffelpüree nennen, trieben mich fast an den Rand des Wahnsinns. Diese kulinarischen Amokläufer in der Hotelküche hatten die Kartoffeln vor dem Zerquetschen nicht geschält, und ich konnte nun mühsam mit der Gabel die Kartoffelschalen aus dem Püree klauben. Am liebsten hätte ich den Verantwortlichen in der Küche in einem seiner Suppentöpfe ertränkt.
Zum Trinken hatte ich mir ein Mineralwasser bestellt, da ich kein Bier mag und mir auch aus Wein nicht all zu viel mache. Am liebsten hätte ich ja eine Coke dazu getrunken, aber in feinen Restaurants sehen einen die Kellner bei der Bestellung einer Cola immer so an, als möchten sie im nächsten Augenblick die Herren mit den weißen Turnschuhen und den Jacken zum hinten Zuknöpfen rufen.
Nach dem Essen wollte ich mir noch ein wenig die Füße vertreten. Ich dachte, es sei vielleicht ganz günstig, schon einmal zu schauen, wo in dieser Masonstreet, die am Hotel vorbeiführte, denn die Hertz Rent-a-car-Station zu finden war. Dort hatte nämlich Tante Alex für mich einen großen Lincoln Towncar reservieren lassen. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, daß die Vermietstation direkt ums Eck lag. Danach kam ich noch an einem Jeans-Laden vorbei. Es war kurz nach 8.00 Uhr abends, und die hatten noch geöffnet. Ich ging in den Laden rein, und eine kleine Verkäuferin fragte mich freundlich: „Can I help you?“
Ich ließ mir ein paar Jeans in verschiedenen Farben zum Anprobieren bringen. Das Mädchen hatte ein gutes Auge für Größen, denn schon die erste Jeans paßte einwandfrei. Ich erwarb dann insgesamt drei Stück zu einem wirklich anständigen Preis. Zu Hause in Deutschland hätte ich für diese Levi Strauss-Qualität mindestens den dreifachen Preis hinlegen müssen. Dieses Schnäppchen versöhnte mich wieder ein wenig mit meinem Schicksal nach all den Dingen, die heute nicht so ganz nach meinem Geschmack gewesen waren. Ich gab die Jeans beim Portier des Westin St. Francis unter Hinweis auf meine Zimmernummer ab und erkundete dann die Hotel-Umgegend in der anderen Richtung. Nur ein paar Schritte weiter stieß ich schon auf „Borders“, einen riesigen Buchladen. Der größte Buchladen, den wir in meiner Heimatstadt im Allgäu haben, würde hier problemlos drei- bis viermal Platz finden. Hier gab es Bücher in allen nur möglichen Sprachen, Zeitschriften, eine eigene Video- und CD-Abteilung, Hörbücher, Reiseführer, Stadtpläne für die halbe USA und Straßenkarten. Sehr erfreulich fand ich so eine Art Snackbar im dritten Stock. Hier konnte man während des Schmökerns in Büchern, Zeitschriften und Hörbuchkassetten gleichzeitig etwas trinken oder auch einen kleinen Happen zu sich nehmen. Ich bestellte mir eine große Coke ohne Eis für sage und schreibe 92 cents plus tax. Sie nahmen hier wirklich noch recht zivile und volksnahe Preise.
Ich schmökerte in ein paar Straßenatlanten. Der „Rand McNally Road Atlas“ schien mir nach eingehendem Studium der beste im gesamten Angebot zu sein und ich erwarb ihn für 8.95 Dollar zusammen mit einem recht gut gemachten Stadtplan von San Francisco. Es war jetzt so gegen 22.00 Uhr Ortszeit, und ich fühlte, wie ich langsam, aber sicher müde wurde. Ich ging mit meiner Neuerwerbung zurück ins Hotel, fuhr mit dem Aufzug in den 18. Stock und betrat mein Zimmer. Wie ich es nicht anders erwartet hatte, lagen die von mir beim Portier abgegebenen Jeans fein säuberlich auf dem Tisch. Das war aber noch nicht alles. Es waren auch ein paar Faxe eingetroffen. Onkel Nick und Tante Alex hatten sich schwer ins Zeug geworfen und mir diverse Informationen, Bilder und Instruktionen zukommen lassen. Das meiste war von Tante Alex unterzeichnet, denn sie managte Onkel Nick das gesamte Büro, speziell natürlich, wenn es wie hier in meinem Fall um Auslandsangele-genheiten ging. Schließlich war sie das Sprachengenie in der Familie.
Das Material, das mir meine Leute geschickt hatten, war nicht uninteressant. Es waren noch einmal drei Schwarz-Weiß-Aufnahmen von der gesuchten Brigitte Heinrich und eine Adresse in San Francisco im Stadtteil Sea Cliff. Es handelte sich bei dieser Adresse um ein Nobelviertel, in dem die Eltern von einer Studienkameradin der Gesuchten ihren Wohnsitz haben sollten. Eine weitere Adresse war die Taylor-Street bei Fishermen’s Wharf unten. Von einem Post-Office hier war anscheinend die letzte Postkarte gekommen, die die Mutter des gesuchten Mädchens erhalten hatte. Nur die Mutter hatte eine Karte erhalten, ohne irgendeinen Gruß an ihren Vater. Das ging aus der mir übermittelten Fotokopie hervor. Das Verhältnis des guten Dr. Heinrich zu seinem Töchterchen schien in Wahrheit doch nicht so gut zu sein, wie er uns gegenüber behauptet hatte. Das waren die einzigen, wenn auch mickrigen Anhaltspunkte, die ich in diesem Fall bisher hatte. Onkel Nick versprach mir, mich laufend mit den neuesten Erkenntnissen zu versorgen und empfahl mir, mich fürs erste einmal an die Adresse in Sea Cliff zu halten.
Danach ging ich zu Bett und wollte noch ein paar Takte über den Fall nachdenken, schlief aber fast sofort ein. Ich schlief sehr gut, tief und traumlos und wachte am Morgen nur dank meines kleinen Reiseweckers einigermaßen frühzeitig auf, denn sonst hätte ich wahrscheinlich total verschlafen. Ja, der liebe gute alte Jet-Lag. Ich duschte ziemlich kalt, um wieder richtig wach zu werden, zog ein T-Shirt und eine Jeans an und ging zum Frühstück. Das Frühstück war eine wirklich erfreuliche Angelegenheit. Man konnte wählen zwischen Service am Tisch, das hieß a-la-carte, und Frühstück vom Buffet. Ich versorgte mich selbst vom Buffet. Die srcambled eggs mit bacon waren hervorragend, die Brötchen, welche ich den Frühstücks-Kartoffeln vorzog, waren herrlich frisch und knusprig. Nur beim Kaffee kam wieder eine neue amerikanische Unsitte auf.
Kaffee wird bei den Amis laufend nachgeschenkt. Kaum hatte ich mir in meiner Tasse eine Mischung aus Kaffee, Milch und Zucker zusammengerührt, die mir einigermaßen zusagte, schlich sich bestimmt wieder so ein kleiner Spielverderber von Kellner an mich heran und füllte mir meine Tasse wieder auf, bevor ich mit vollem Mund protestieren konnte. Nachdem der Kaffee aber sowieso nicht der gewohnten heimischen Güte entsprach, war der Schaden zum Glück nicht allzu groß. Der Kellner hatte mich mit der Sicherheit des Profis in solchen Fragen als Neuankömmling im Hotel bzw. als Greenhorn im amerikanischen Gastronomiewesen erkannt und erklärte mir bei der Überreichung der Rechnung: „Service is not included, Sir. You must add here your tip, Sir.“
Es hätte mich interessiert, ob die Kellner hier in diesem Fünf Sterne-Restaurant wirklich auch in der Hauptsache auf Tip-Basis arbeiteten oder ob der alles andere als dezente Hinweis nur einer guten alten Gewohnheit entsprach. Dieses „Tip Sir!“ ist wirklich eine ganz große Unsitte. Ich persönlich weiß immer nie so recht, soll ich jetzt so richtig verarscht werden oder enthalte ich dem Kerl einen Teil seines Lohnes vor. Die sollen sagen, was es kostet, dann zahlt man das oder läßt es ganz sein, und damit basta. Nachdem ich bei diesem Auftrag ja aber über ein bestens gefülltes Spesenkonto verfügte, konnte ich mich von meiner großzügigen Seite zeigen. Der Bückling, den mein Kellner hinlegte, nachdem er einen kurzen Blick auf den kleinen Teller mit der Rechnung geworfen hatte, zeigte mir, daß er meine Einschätzung von einem fürstlichen Trinkgeld durchaus teilte.
Ich stieß in Gedanken noch einmal auf Dr. Heinrich und seine Spesenabrechnung an und ging zurück ins Zimmer. Ich hatte ein „Privacy Schild“ an die Tür gehängt und es war auch befolgt worden. Ich hasse es, wenn ich vom Frühstück komme und finde dann schon den Roomservice in meinem Zimmer voll bei der Arbeit. Ich kontrollierte das Fax-Gerät, aber es war nichts Neues eingetroffen. Alles Wertvolle, was ich im Augenblick nicht benötigte, verstaute ich im Zimmersafe, der erfreulich geräumig war. Dann verließ ich das Hotel und ging zu Hertz Rent-a-car um die Ecke.
Es waren zwei Ehepaare vor mir an der Reihe. Eine Vierergruppe von jungen Leuten, bestimmt auch „Touris“ aus Good Old Europe, versuchte gerade ihr umfangreiches Gepäck in einem Ford Taurus unterzubringen. Sie hatten anscheinend so ihre Schwierigkeiten damit, denn sie mußten jetzt schon etliche Taschen mit in den Passagierraum des Wagens nehmen. Die hatten bei der Abfahrt schon keinen Platz mehr, wie stellten die sich vor, sollte das erst später werden?
Aber schon war ich an der Reihe, legte meinen Reservierungs-Voucher vor, meinen Führerschein und meinen Paß, und die Dame tippte eifrig an ihrem Computer. Aber erst nachdem ich ihr auch noch meine Kreditkarte überreicht hatte, war sie wirklich zufrieden.
Plötzlich herrschte draußen hektische Betriebsamkeit. Ein Kunde war vorgefahren mit seinem Sportwagen, einer Corvette, die auch schon bessere Tage gesehen hatte. Es sah aus, als hätte sie eine Begegnung mit einem Panzer gehabt, aber es war dann doch nur ein gewöhnlicher Müllwagen gewesen. Nun kam noch einer der Boys ins Büro und erzählte etwas von einem „elevator breakdown“. Die Dame, die meinen Mietvertrag bearbeitete, rief mich von meinem Warteplatz heran und teilte mir auch noch einmal mit, daß der Aufzug defekt sei und man deshalb für noch nicht absehbare Zeit keine Leihwagen mehr ausliefern könne.
Das fing ja gut an. Aber bevor ich meinem Unwillen so richtig Ausdruck verleihen und ihr mitteilen konnte, sie sollten sich dann gefälligst von den fünf oder sechs anderen Hertz Mietstationen, die es in San Francisco gab, Ersatzfahrzeuge kommen lassen, unterbrach sie mich schon und teilte mir mit, daß erst vor einer halben Stunde ein Lincoln Towncar am Car Return zurückgegeben worden sei. Ich sollte mich noch „a few minutes“ gedulden. Der Wagen würde gerade noch gewaschen und dann sofort für mich hergebracht. Ich dachte gerade noch so bei mir, daß sie den Wagen hoffentlich nicht nur waschen, sondern auch von der Maschine her durchsehen würden, als auch schon ein triefnasser, schwarzer Lincoln Towncar vorgefahren wurde. Sein Lack schrie geradezu nach einer Wachspolitur, das Wasser perlte überhaupt nicht mehr ab.
„That’s your car!“, rief mich meine Sachbearbeiterin heran, ließ mich noch ein paar Unterschriften und Namenszeichen machen und überreichte mir die Autoschlüssel zusammen mit den Vermietunterlagen. Ich fragte noch nach so einer Art Fahrzeugschein für den Wagen und erfuhr daraufhin, daß die Vermietunterlagen genügen würden.
„No luggage, Sir?“ Der Boy, der mir den Wagen zu erklären versuchte, konnte es kaum glauben. Ein Ausländer, der keinerlei Gepäck dabei hatte. Das war doch mehr als ungewöhnlich. Ich beruhigte ihn mit dem Hinweis, daß mein Gepäck noch im Westin St. Francis liege. Dann erklärte mir der gute Mann, wo das Lenkrad war, wie man das Radio einschaltete und lauter so Blödsinn. Interessiert hätten mich die Automatik, die Klimaanlage und sonst noch ein paar Knöpfe. Gerade bei der Klimaanlage zeichnete sich der Held aus. Er las mir die Aufschrift der Knöpfe vor. Das konnte ich selber und auch noch besser als er.
Als ich dann noch nach der Zentralverriegelung fragte, da mein Schlüssel nur die Fahrertür auf- und zuschloß, während sich die anderen Türknöpfe nicht bewegten, und als Antwort erhielt: „it doesn’t work“, platzte mir doch beinahe der Kragen. Zum Glück mischte sich gleich ein anderer Mitarbeiter ein, ein netter junger Kerl. Er zeigte mir des Rätsels Lösung. Einer der zwei Dutzend Knöpfe in der Fahrer-Armlehne diente als Schalter für die Zentralverriegelung.
Der Junge schien Ahnung von dem Auto zu haben. Ich nutzte die Chance und ließ mir neben ein paar anderen Knöpfen gleich auch noch einmal die Klimaanlage und ihre Programmierung von ihm erklären. Der Junge war wirklich gut drauf und kannte sich bestens mit dem Wagen aus. Das war mir dann natürlich auch einen Zehner wert, was wiederum dem Jungen unheimlich gut gefiel.
Ich verließ den Hof von Hertz Rent-a-car und fuhr in die Mason Street ein. Ich hatte bisher noch nie einen Wagen mit Automatik gefahren. Ich schalte lieber selbst. Aber in den USA hat fast jedes Auto eine Automatik. Die meisten Amis wissen gar nicht, was eine Kupplung ist.
Die Automatik-Schaltung des Lincoln Towncar war aber wirklich kinderleicht zu bedienen. Was mir jedoch Probleme machte, war die fehlende Kupplung. An der ersten Ampel schon fabrizierte ich eine Notbremsung der allerersten Güte, weil ich die Kupplung treten wollte und natürlich voll auf die Bremse latschte. Aber mit etwas Konzentration war das Problem schon in den Griff zu bekommen.
Ich wollte zu der Adresse in Sea Cliff hinausfahren, um dort mit meinen Nachforschungen zu beginnen. Allein, mit einem auch noch so guten Stadtplan, ist man in einer Großstadt wie San Francisco ziemlich aufgeschmissen. Ich brauchte mehrere Anläufe und diverse Orientierungs-Stops, bis ich überhaupt in die Gegend von Sea Cliff kam. Sehr hilfreich war die Beschilderung für die Golden Gate Bridge, die hier in der Nähe lag. Für solche Suchaktionen sollte man einen Beifahrer als Pfadfinder haben, das erleichtert einem das Leben dann doch sehr.
Onkel Nick schwört für solche Fälle auf sein „Brieftäubchen“, wie er es nennt. Tante Alex sei der ideale Copilot. Wahrscheinlich hat er recht, denn schließlich haben die beiden schon eine Vielzahl von Reisen in aller Herren Länder gemacht und sind bisher noch überall hingekommen, wo sie hinwollten.
Ich fuhr nun auf dem Highway direkt auf die Golden Gate Bridge zu, und das bei strahlendem Sonnenschein. Ich weiß von Bekannten, die eine ganze Woche in San Francisco verbracht und nicht einen einzigen Tag ohne Nebel erlebt hatten. Von der Golden Gate Bridge hatten sie immer nur Schemen im Nebel gesehen. Aber ich hatte Glück, schöneres Wetter konnte man sich wirklich nicht wünschen. Es war schon ein gigantisches Bauwerk, über das sich der Verkehr in sechs Spuren ergoß. Ich hatte eigentlich eine Station für den Brückenzoll erwartet, konnte aber ohne Stop die Brücke überqueren. Direkt nach der Brücke war ein Parkplatz, auf den ich hinausfuhr. Man hatte hier einen herrlichen Rundblick auf die Bucht von San Francisco und die ehemalige Gefängnisinsel Alcatraz. Am gegenüberliegenden Ufer erhob sich Downtown aus dem Dunst.
Ich holte meine Videokamera aus dem Lincoln und machte einen weiten Schwenk von links über die Bucht von San Francisco bis zur Golden Gate Bridge zu meiner Rechten. Ich unterschied mich durch nichts von den rund hundert Touristen, die den Parkplatz und die Aussicht mit mir teilten.
Wenn man vom Parkplatz aus zurück auf die Golden Gate Bridge wollte, mußte man etwas umständlich den Highway unterqueren, und dann kam auch schon die Toll Station, die ich auf der Herfahrt schon vermißt hatte. Drei Dollar fand ich einen durchaus akzeptablen Preis für das soeben Erlebte. Für eine Nebelschau hingegen hätte ich es etwas teuer gefunden. Auf meiner Fahrt nach Sea Cliff kam ich nun durch Presidio, ein Militärgelände direkt am Fuß der Golden Gate Bridge, das durch den gleichnamigen Film mit Sean Connery in einer der Hauptrollen bekannt geworden ist. Weiter ging es durch den Lincoln Park, eine sehr gepflegte und saubere Anlage mit einem Golfplatz.
Gegen Ende des Lincoln Parks hatte man plötzlich einen herrlichen Blick durch die Bäume auf die Golden Gate Bridge von der anderen Seite her, der Pazifik-Seite. Zum Glück gab es rechter Hand die Möglichkeit, seinen Wagen neben der Fahrbahn abzustellen. Ich stieg aus und spielte noch einmal Tourist mit Videokamera. Ziemlich weit unter mir, durch die Bäume recht schlecht zu erkennen, gab es anscheinend so eine Art Lagerplatz oder auch kleiner Campingplatz. Ich konnte ein paar junge Leute erkennen, ein paar Motorräder und einen überaus bunten Recreation Van, Marke „selbst gestrickt“. Ich hörte auch Musik, ob selbst fabriziert oder aus dem Radiorecorder, konnte ich natürlich nicht feststellen.
Kurz danach erreichte ich Sea Cliff, eine echte Nobelgegend. Wer hier wohnte, der hatte Moos im Überfluß. Das sah man schon anhand der Autos, die vor den mustergültig gepflegten Anlagen standen. Mercedes, BMW, riesige Amischlitten wie mein Towncar und protzige Four Wheel Drives prägten das Bild. Ich suchte nun die mir angegebene Adresse und fand sie auch völlig problemlos. Ich parkte meinen Wagen, stieg aus, ging durch einen wundervollen Blumen- und Blütengarten ungefähr zwanzig Meter bis zum Haus und machte mich mittels eines Messingklopfers in Form eines Löwenkopfes bemerkbar.
Eine Frau in mittlerem Alter öffnete die Tür.
„Ja bitte, kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie mich mit einer sehr angenehmen, wohltönenden Stimme.
„Entschuldigen Sie bitte die Störung!“, antwortete ich. „Ich komme aus Deutschland und möchte mich gerne mit Ihrer Tochter Sharon ein wenig unterhalten.“ Ich bemerkte sofort deutlich, wie sie abweisend wurde, und fuhr deshalb schnell fort. „Es geht um ihre ehemalige Zimmer-Kameradin an der Berkley University, um Brigitte. Ich weiß nicht, ob Sie das Mädchen kennen oder vielleicht doch schon über Ihrer Tochter von ihr gehört haben. Auf jeden Fall wird sie seit einigen Wochen vermißt, und ihr Vater macht sich große Sorgen um sie. Er hat mich deshalb beauftragt, nach ihr zu suchen. Ich hoffe nun, ihre Tochter kann mir irgendwie helfen.“
Sofort wurde die Dame wieder freundlicher.
„Aber selbstverständlich habe ich von Brigitte gehört, ein nettes Mädchen. Leider ist nun aber meine Tochter im Augenblick nicht zu Hause. Sie kommt erst gegen Abend wieder nach Hause. Aber wenn Sie so gegen 21.00 Uhr noch einmal kommen würden, so bin ich sicher, daß Ihnen meine Tochter helfen wird, so gut es ihr nur möglich ist.“
„Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen. Ich danke Ihnen sehr herzlich und komme gerne auf Ihr Angebot zurück. Ich werde pünktlich heute Abend um 21.00 Uhr noch einmal erscheinen.“
Ich verabschiedete mich und ging wieder zu meinem Wagen zurück. Für den Anfang war das gar nicht einmal übel. Töchterchen hätte sich ja auch auf einer zwölfwöchigen Trekkingtour durch Nepal befinden können.
Ich fuhr in einem großen, mehr als zweistündigen Bogen zurück zum Hotel und erstattete Onkel Nick per Fax Bericht. Danach stellte ich meinen kleinen Reisewecker, zog mich aus, legte mich aufs Bett und schlief ein wenig auf Vorrat. Wer weiß, wie lange die heutige Nacht werden würde.
26