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Am 23. Februar 1882 gegen 10 Uhr morgens bringt in der damals zum Deutschen Reich, heute zur Volksrepublik Polen gehörenden Kleinstadt Schwiebus (Świebodzin) die 23jährige Textilarbeiterin Hormina Wienecke ein Kind männlichen Geschlechts zur Welt, das die Vornamen Hermann Albert Otto Maximilian erhält. Als Kindsvater gibt die Geburtsurkunde einen Adolf Rudolf Feige an, dessen Beruf mit »Töpfer« bezeichnet wird. Der Standesbeamte könnte aber stattdessen wohl auch Ziegelei-Arbeiter geschrieben haben.

Dieser Adolf Rudolf Feige ist der Sohn eines Webers aus Finsterwalde. Er ist um ein Jahr älter als die Kindsmutter. Er erkennt, was ja nicht selbstverständlich ist, die Vaterschaft am 30. Mai 1882 noch einmal ausdrücklich an. An eben diesem 30. Mai heiraten Adolf Rudolf Feige und Hormina Wienecke.

Zu diesen Fakten, die herausgefunden zu haben das Verdienst Will Wyatts ist, muss noch einiges angemerkt werden.

Mit ihren 23 Jahren ist Hormina oder Hermine, wie die deutsche Schreibweise dieses Vornamens lautet, nicht mehr gerade jung. Dass Mädchen vor der Ehe schwanger werden und darauf erst heiraten, war in der sozialen Gruppe, aus der Hormina kommt, so selten nicht. Die Moralvorstellungen in diesem Punkt sind im Bürgertum damals gewiss strikter als heute gewesen, in der Unterschicht war das nicht unbedingt so. Zu heiraten, das kostete Geld, und wer am Rande des Existenzminimums lebt, der ist gezwungen, sich unter Umständen über die Moral hinwegzusetzen. Der Grund dieser verspäteten Heirat kann ganz einfach gewesen sein.

Adolf Feige leistet zu dieser Zeit seinen Militärdienst ab, der im Deutschen Kaiserreich zwei Jahre dauert. Urlaub zu bekommen, um noch rasch zu heiraten, ehe das Kind geboren wurde, scheint damals nicht ohne Weiteres möglich gewesen zu sein. Adolf hat Hormina geheiratet, sofort, nachdem der Militärdienst beendet war.

Auch eine dritte Möglichkeit kann nicht ausgeschlossen werden, und es gibt zumindest einige nicht unwesentliche Indizien, die es nahelegen, diese Situation mit zu bedenken.

Hormina könnte ein Kind von einem anderen Mann erwartet haben. Der zahlt ihr eine Abfindung, mit diesem Geld wird ein Bräutigam gekauft, ein Mann, der etwas Geld gut gebrauchen kann. Später heiratet er die Kindsmutter.

Es gibt Gerüchte, denen zufolge der tatsächliche Vater des als Otto Feige ins Geburtsregister eingetragenen Kindes niemand anders gewesen sei als der spätere letzte deutsche Kaiser, Wilhelm II.

Wenn man Fotografien von Otto Feige als erwachsener Mann mit denen Wilhelm II. vergleicht, ist eine gewisse Ähnlichkeit vorhanden. Das allein ist natürlich kein hinreichender Beweis für die Vaterschaft des hohen Herren.

Andererseits ist auch der Umstand, dass der damalige Kronprinz Wilhelm um die Zeit der Zeugung des Kindes, genau am 26. Februar 1881, die Prinzessin Auguste Victoria von Schleswig-Holstein geheiratet hat und danach mit seiner jungen Frau als Offizier in Potsdam lebte, kein letztgültiger Beweis gegen den Wahrheitsgehalt solcher Gerüchte.

Mehr dagegen besagen schon die Meinungen seriöser Biographen, Wilhelm sei alles andere als ein Frauenheld gewesen, ja, er habe sich überhaupt zeit seines Lebens mehr zu Männern als zu Frauen hingezogen gefühlt.

Bei genauerer Betrachtung scheint an den Gerüchten betreffend die Vaterschaft Wilhelms II. kein wahres Wort. Wie sie entstanden sind, ist hingegen leicht erklärbar.

Die Schadenfreude und der Klatsch, als sich Horminas Schwangerschaft herausstellte. Getuschel hinter vorgehaltener Hand. So vielleicht:

»Ein hoher Herr soll's gewesen sein ... ein Adeliger, was Besseres eben, du verstehst schon, und der gutmütige Adolf hat sich's dann anhängen lassen müssen. Da sieht man's ja wieder mal. Mit Geld ist eben alles zu machen. Wer genug Geld hat, der kann sich sogar einen Vater für das Kind kaufen, das er so einem armen Ding anhängt.«

Die Phantasie der Menschen setzt sich selten enge Grenzen. Das Kitschig-Sensationelle ist manchem Arbeiter und Kleinbürger eine wunderbare Möglichkeit, sich aus der eigenen Bedürftigkeit und dem grauen und monotonen Alltag in das Märchendasein der Prinzen und Könige hineinzuträumen.

Wenn der Erste, der ein solches Gerücht aufbrachte, vielleicht noch von irgendeinem vornehmen, adligen Herrn gesprochen hat, wurde beim Zweiten, der das Gerücht weitererzählte, schon ein Herzog und beim Dritten schon ein Prinz daraus.

Auch die Vorbilder für solche Phantasien lassen sich benennen. Die Romane der Marlitt oder andere Trivialromane aus dieser Zeit gegen Ende des 19. Jahrhunderts sind Beispiele. Der Traum vom armen Kind, dessen wirklicher Vater lange verborgen bleibt, und dessen Auftritt mit einem Donnerschlag alle Probleme löst, gehört schon zu den klischeehaften Mustern in der Handlung solcher Romane.

Es ist die Zeit der Gründerjahre, des Imperialismus, eines Deutschen Reiches, das als Weltmacht ernst genommen werden will, eine Zeit, in der das Männliche und das Militärische hoch im Kurs stehen. Die Kehrseite einer solchen Verherrlichung und Bewunderung enthält Suche und Unsicherheit.

Wer die Mutter eines Kindes ist, wird sich zumeist mit großer Sicherheit sagen lassen. Wer der Vater eines Kindes ist, nicht. In Gerüchten, in Tagträumen, in den Handlungen der Geschichten von Trivialliteratur werden Wunschvorstellungen befriedigt, reagieren sich Ängste ab. Wunsch vieler Armer war es, plötzlich ganz reich zu sein. Geheime Angst vieler, mit militaristischem Männlichkeitswahn auftrumpfender Helden ist es vielleicht gewesen, von ihren Frauen hintergangen zu werden. Man fürchtet sich selbst vor dererlei, aber das darf man nicht zugeben. Also überträgt man solche Ängste auf andere: »Dieser Rudolf soll gar nicht der Vater des kleinen Otto sein, hab ich gehört!«

Der Mann der sich verbarg

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