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Kapitel 10
ОглавлениеAm nächsten Abend lernten wir Julius kennen. Er war am Morgen aus Deutschland hergeflogen und hatte überhaupt noch keine Zeit, sich an die Zeitumstellung zu gewöhnen und war entsprechend vom Jetlag gezeichnet. Daher war er beim Essen sehr still, auch wenn die aufgeweckte Margret ihn mit Fragen bombardierte. Julius kam aus Heidelberg, einer Stadt im Südwesten von Deutschland und aus einer Region, die ich bis dato noch nicht kennengelernt hatte. Er hatte wie ich gerade sein Abitur gemacht und wusste noch nicht so recht, was er machen wollte und hatte sich erst einmal für ein Auslandsjahr entschieden.
Mit seiner Ankunft änderte sich für mich nicht viel, außer, dass ich die ersten paar Tage einen Partner auf dem Hof hatte, was die Arbeit ein wenig unterhaltsamer machte, auch wenn sich herausstellte, dass Julius eher der verschwiegene Typ Mensch war, bevor er dann den Rest der Erntezeit mit Henry verbrachte.
Immer, wenn Andy Zeit hatte und es schönes Wetter war, was für Letzteres erstaunlicherweise oft zutraf, ritten wir aus und hatten sogar die Gelegenheit, an ein paar richtig heißen Tagen mit den Pferden schwimmen zu gehen.
Julius interessierte sich eher weniger für das Reiten, ließ sich aber auf leichtes Drängen von Margret dazu überreden, zumindest mit dem Fahrrad mitzufahren und mit uns schwimmen zu gehen. Sonst verkroch er sich gerne in sein Zimmer oder in eine ruhige Ecke des Gartens, um zu lesen.
„Was liest du da?“, fragte ich ihn eines Tages. Ich hatte mir vorgenommen, ihn ein klein wenig besser kennenzulernen und dachte, dass man bei gemeinsamen Interessen vielleicht ansetzen konnte. Er sagte nichts, sondern hielt nur das Buchcover hoch, um mir zu verstehen zu geben, dass er kein Interesse daran hatte, bei seiner Lektüre gestört zu werden.
„Ist das gut?“, fragte ich weiter. Er nickte. „Um was geht‘s?“ Jetzt legte er endlich das Buch zur Seite und sagte mit einem leichten Seufzen in der Stimme: „Das ist eine Reihe historischer Romane im englischen Mittelalter. Und wenn es dich nicht stört, würde ich jetzt gerne weiterlesen, ist nämlich gerade echt spannend.“
Das war mal eine klare Ansage. Also drehte ich mich wieder um und ließ ihn in Ruhe.
„Redest du viel mit Julius?“, fragte ich Henry am Abend als wir für einen kurzen Moment allein waren.
„Nee...der sagt auch kaum was. Ich versuche es zwar hin und wieder mal, aber irgendwie scheint er keine Lust darauf zu haben, Kontakt zu suchen.“
„Merkwürdig“, bemerkte ich.
„Na ja, nicht jeder ist halt so gesprächig.“
„Ja, aber wenn man extra aus Deutschland hierher kommt…“, versuchte ich weiter, mir sein Verhalten zu erklären.
„Also ich würde da nicht allzu viel draufgeben“, meinte Henry.
Ich wollte ihm nicht weiter widersprechen, aber überzeugt war ich auch nicht.
Ein paar Tage später versuchte ich es erneut und fand Julius in seiner üblichen Leseecke.
„Hey“, sagte ich betont fröhlich. Julius schaute kurz auf und quittierte die Begrüßung mit einem Nicken.
„Wie weit bist du?“, fragte ich mit Blick auf das Buch.
„England hat gerade mal wieder nen neuen König“, sagte er betont beiläufig. Ich wollte mich schon fast wieder umdrehen und gehen, als ich mir dann doch ein Herz fasste. „Du hast bisher noch gar nicht viel über dich erzählt“, sagte ich, ohne dass ich wollte, dass er dachte, ich würde ihm etwas vorwerfen.
„Gibt halt nicht so viel über mich zu erzählen“, meinte er, die Nase wieder in seinem Buch.
„Ach komm, jeder hat eine Geschichte zu erzählen.“ Ich brannte nahezu darauf, endlich ein paar mehr Informationen aus ihm herauszubekommen.
„Also gut, wenn du dann endlich mit der Fragerei aufhörst...“ Er legte das Buch weg und machte einen Platz neben sich frei, sodass ich mich setzen konnte.
„Ich heiße Julius Peter, bin 19 Jahre alt und habe dieses Jahr Abitur gemacht. Ende der Geschichte.“
„Du weißt genau, was ich meine“, meinte ich mit einer Spur Ärger in der Stimme.
„Du lässt dich auch ziemlich leicht auf die Palme bringen“, sagte er leicht amüsiert. „Natürlich, ich habe dir gesagt, dass ich dir es erzähle, also mache ich das jetzt auch. Also…“, wieder machte er eine Pause. Ich fragte mich, ob ihm das eventuell Spaß machte, „eigentlich bin ich gar nicht so freiwillig hier….das war die Idee meiner Eltern. Ich komme vom Internat, habe so mit Ach und Krach meinen Abschluss geschafft und jetzt wollen sie, dass ich mir überlege, wie mein Leben weitergehen soll. Ehrlich gesagt habe ich da aber keine Ahnung. Ich habe manchmal echt kein‘ Bock auf gar nichts. Und eigentlich ist das Landleben auch gar nicht so meins. Schon im Internat bin ich immer raus, wenn ich nur konnte. Meine Alten haben zwar viel Geld, aber keine Zeit für mich und weil sie einfach nicht verstanden haben, dass mir Schule einfach zu doof ist, war ihr letzter Ausweg, mich ins Internat zu stecken.“
Auf einmal sah ich Julius mit anderen Augen: nicht mehr diesen introvertierten Jungen, der keine Lust auf Kontakte hatte, ich erkannte, dass das eher eine rebellische Haltung war, die aber nichts mit uns zu tun hatte.
„Ich würde dich aber bitten, das nicht so rumzuerzählen. Alle denken, ich bin freiwillig hier, aber eigentlich sitze ich hier nur meine Zeit ab.“
„Klar, verstanden“, schwor ich, obwohl ich schon in Gedanken dabei gewesen war, Henry an diesem Abend davon zu erzählen.
Ich musste mich tatsächlich ein wenig anstrengen, Julius‘ Geheimnis für mich zu behalten, allerdings schien Henry selber mein Interesse an Julius‘ Person nicht weiter zu teilen und wir kamen nie wieder darauf zu sprechen, dass ich Julius für zu sehr zurückgezogen hielt. Offensichtlich hatte er es einfach so hingenommen. War das so eine Eigenschaft von Männern? Ich wusste auch nicht, ob Margret und James auf dem Laufenden waren, aber selbst, wenn, kam auch das nie zur Sprache und auch Julius und ich redeten nie wieder darüber.