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1. Parmenides

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In dem aporetisch, also ergebnisoffen gehaltenen Dialog Parmenides unternimmt es Platon, den Sokrates im Gespräch mit Parmenides22 und Zenon23 die Ideenlehre entfalten zu lassen. Der aus dem süditalienischen Elea stammende Philosoph Parmenides und die ihm folgenden sogenannten Eleaten vertreten die These eines absoluten, einheitlichen, unwandelbaren, nicht-empirischen Seins, das allein Wahrheit ist. Kriterium für die Wahrheitserkenntnis ist darum einzig das richtige, logische Denken. Darum können über die empirisch wahrnehmbare Welt keine gesicherten Erkenntnisse, sondern nur trügerische Meinungen (dóxai = δóξαι) gewonnen werden. Ausgangspunkt im Dialog ist das gemeinsame Nachdenken über das Verhältnis von Einheit und Vielfalt, von Sein und Nicht-Sein, sodass die Frage auftaucht, wie denn Erkenntnis möglich sei.

Für unseren Zusammenhang ist folgendes Gespräch zwischen Sokrates, Parmenides und Zenon von Bedeutung, in dem der Wahrheitsbegriff eine zentrale Rolle spielt. Parmenides erörtert in dialektischer Weise das Beziehungsverhältnis von „Herr und Knecht“ bzw. von „Herrschaft und Knechtschaft“ und führt dann aus, dass Herr und Knecht nur über die gedankliche Brücke des Menschseins füreinander beides sind. Daraus zieht Parmenides den Schluss, dass nicht das Beziehungsgeschehen zwischen Herr und Knecht, sondern das über diesem waltende Vermögen (dynamis = δύναμις) an sich den gedanklichen Ausschlag zur Erfassung des Herr-Knecht-Verhältnisses gibt.24 So fragt Parmenides den Sokrates:

„Oder verstehst du nicht, was ich sagen will? Sehr wohl verstehe ich das, habe Sokrates erwidert. Und auch das Wissen selbst über das, was das wirkliche Wissen ist – müßte das nicht das Wissen von jener Wahrheit selbst sein, die wirklich Wahrheit ist? Gewiß.“25

Hier wird demnach der Wahrheitsbegriff einer erkenntnistheoretischen Haltung zugeordnet, zu welcher der nach Wahrheit suchende Mensch am besten über den Weg der dialektischen Philosophie kommt. Darum empfiehlt Parmenides dem noch jungen Sokrates, sich an diese alte Philosophie zu halten,

„tu das, solange du noch jung bist. Sonst wird dir die Wahrheit entgehen.“26

Die Spitze der Rede des Parmenides mündet hier nun in die Aussage, dass die vollkommene Erkenntnis, damit auch die vollkommene Erkenntnis der Wahrheit, einzig in Gott selbst anzusiedeln ist. Dieser aber entzieht sich in und mit seiner Erkenntnis dem menschlichen Denkvermögen, sodass auch die Wahrheit der menschlichen Erkenntnis letztlich unzugänglich bleibt.27 So kommt Sokrates zu der Einsicht, dass es mit der Erkenntnis der Wahrheit „ein unendliches Geschäft“28 ist, und lässt sich durch Zenon wie folgt belehren:

„Es ist ja durchaus keine geringe Sache, von der er (= Parmenides) spricht. Oder siehst du nicht, wie groß die Aufgabe ist, die du stellst? Wenn wir hier unserer mehr wären, so schickte es sich freilich nicht, ihn darum zu bitten; denn es gehört sich nicht, derartige Fragen vor einem großen Publikum zu behandeln, insbesondere nicht für einen Mann in diesem Alter. Die große Menge begreift ja nicht, daß es, ohne die ganze Frage kreuz und quer zu behandeln, nicht möglich ist, der Wahrheit zu begegnen und zur Einsicht zu gelangen.“29

Der Wahrheitsbegriff wird im Parmenidesdialog von der Person des Sokrates vollkommen gelöst und demgegenüber als einer eingeführt, der sich in Wechselseitigkeit zum Begriff der Erkenntnis als Wissenschaft zu erschließen anschickt. Insofern korrelieren hier die beiden Begriffe ἀ- λή θεια (a-ltheia) im Sinne von Unverhülltheit, Wahrheit und ἐπιστήμη (epistmê) in der Bedeutung von „das Verstehen, die Wissenschaft, die Einsicht“ miteinander. Die sinngleich gebrauchten Wörter „Wahrheit und Einsicht“ beziehen sich demnach auf die erkennbare, geistig fassbare Wirklichkeit, die nicht mit einem einfachen Führwahrhalten eines Sachverhaltes zu verwechseln sind. Vielmehr bedeutet Wahrheit hier mehr: nämlich die das Wesentliche erschließende und damit zeitunabhängige Einsicht in einen gedanklich gewonnenen Gegenstand oder Sachverhalt. Wahrheit ist also von epistemischer Art und Weise. Insofern rührt für Platon die Wahrheit hier an das Göttliche, das freilich nicht ohne weiteres zu gewinnen ist.

Platon und Christus

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