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3. Phaidon

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Nicht anders verhält es sich im Dialog Phaidon (oder über die Seele). Hier findet ein Gespräch über die Frage der Unsterblichkeit der Seele statt. Seine besondere Dramatik erhält dieses Gespräch indes durch die unmittelbar bevorstehende Hinrichtung des Sokrates. Diese vor Augen will nun Sokrates der reinen Wahrheit auf die Spur kommen. Ein wesentliches Hindernis hierfür ist der Leib des Menschen, der in seiner zeitlichen Gebrechlichkeit die Seele des Menschen nur verwirrt und somit die Erkenntnis der Wahrheit verhindert.33 Somit aber ist die denkende Seele, nach Ablegung des Leibes im Tode, in einer erlösten Haltung allein in der Lage, der seienden, reinen Wahrheit zu begegnen.34

„Von einem echten Philosophen wenigstens, o Freund, sollte man das annehmen können; denn er wird völlig davon überzeugt sein, daß er die vernünftige Einsicht an keinem Orte in reiner Form finden kann als dort. Wenn dem aber so ist, wie ich eben sagte, dann wäre es doch völlig widersinnig, wenn so ein Mann sich vor dem Tode fürchtete.“35

Dementsprechend ist es eine Aufgabe der Seele, sich zur Fahrt in den Tod mit der Zierde der Wahrheit zu schmücken. So sagt Sokrates:

„Und darum darf denn auch jeder um seine Seele unbesorgt sein, der in seinem Leben den leiblichen Lüsten und allem äußeren Putz als wesensfremden Dingen, die seiner Überzeugung nach das Übel nur schlimmer machen, nichts nachgefragt, der sich dagegen der Lust am Lernen hingegeben und so seine Seele geschmückt hat, nicht mit fremden, sondern mit dem zu ihr gehörigen Schmuck, mit Besonnenheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Freiheit und Wahrheit: so wartet er auf die Fahrt nach dem Hades, zum Aufbruch bereit, wenn das Schicksal ruft.“36

Wahrheit ist demnach ein höchstes Seelengut, das den Menschen zusammen mit anderen Tugenden zur Seelenfahrt in den Hades bestens bestellt und rüstet. Darum aber kann die Wahrheit nicht mehr allein durch des Menschen Mund verbürgt werden. Daher greift Platon weiter aus und spricht davon, der Wahrheit des Seienden mithilfe des vernünftigen Denkens ansichtig zu werden. Das freilich erfordert eigene Anstrengung und Konzentration. So erzählt Sokrates:

„Nachdem ich es also aufgegeben hatte, die Dinge zu betrachten, … glaubte ich mich vorsehen zu müssen, daß mir nicht dasselbe widerfahre wie den Leuten, die eine Sonnenfinsternis beobachten und erforschen. Denn es kommt etwa vor, daß einige dabei ihr Augenlicht verlieren, wenn sie das Abbild der Sonne nicht im Wasser oder in etwas Derartigen betrachten. Etwas Ähnliches kam auch mir in den Sinn, und ich befürchtete, an meiner Seele völlig blind zu werden, wenn ich die Dinge mit meinen Augen betrachtete und wenn ich versuchte, sie mit jedem meiner Sinne zu erfassen. Ich beschloß daher, meine Zuflucht zu den Gedanken zu nehmen und in diesen die Wahrheit über das Seiende zu erforschen.“37

Das wahre Wesen des Seienden (τῶν ὄντων τὴν αλήθειαν = tôn óntôn tên altheian) aber liegt dem eigentlichen Sein der Wirklichkeit zugrunde: die Ideen. Insofern ist die Wahrheit immer zu unterscheiden von allen ihr zukommenden sinnlichen Erscheinungen: Wahres Sein und wirklicher Schein sind darum als zu unterscheidende Größen genuin der metaphysischen Philosophie als Wissenschaft aufgegeben. Deswegen aber reicht des Menschen Autorität nicht hin, für die Wahrheit selbst zu zeugen. Den eigenen Tod vor Augen, sagt darum Sokrates:

„Ihr aber, wenn ihr mir Folge leisten wollt, sollt euch weniger um Sokrates als vielmehr um die Wahrheit kümmern; wenn euch dünkt, ich sage etwas Richtiges, so stimmt mir zu; ist dies aber nicht der Fall, so bekämpft mich mit jedem Beweismittel, und nehmt euch in acht, daß ich nicht vor lauter Eifer mich selbst und euch zugleich täusche und wie eine Biene bei meinem Weggang einen Stachel ich euch zurücklasse.“38

Und auch in Der Staat wird die Wahrheit gänzlich aller anthropologischen Bindung enthoben. Im Schlusskapitel wird um der Wahrheit willen selbst der altehrwürdige Homer seiner bis dato hehren Autorität beraubt. So lässt Platon den Sokrates bekennen:

„Ich muß mit der Sprache herausrücken, erwiderte ich, obschon mich Liebe und Ehrerbietung, die ich seit meiner Jugend für Homer empfinde, am Reden hindern wollen. Denn er ist doch offenbar der erste Lehrer und Führer all dieser schönen tragischen Dichter gewesen. Aber man darf einen Mann nicht höher achten als die Wahrheit.“39

Insofern unternimmt es Platon in seiner mittleren Schaffenszeit, im emphatischen Sinne die Wahrheit, von allen personalen Autoritäten losgelöst, als überpersonale und uneingeschränkte Instanz für das richtige Denken ins Spiel zu bringen. Ziel seiner Wahrheitstheorie ist es, die Wahrheit als höchstes Gut für die Seele auszuweisen, die so für die Unsterblichkeit bestens bestellt werden kann.

Platon und Christus

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