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Aus den Annalen

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Der Wunsch zu wissen, was die Zukunft bringt, ist ein urmenschlicher. Seit jeher wurde zu den Sternen oder Wolken geguckt. Ins Feuer. In den Rauch. Die Glut. Oder den Kaffeesatz. Wurden Schildkrötenpanzer, Knochen oder Schafgarben geworfen, um die dabei entstehenden Formen auf Kommendes zu erkunden. Wurden Träume gen Morgen gedeutet. So bekam der biblisch verbuchte Joseph bekanntlich nach Auslegung der pharaonischen Nachtmahre, die seines Erachtens erst sieben fette und dann sieben magere Jahre vorhersagten, einen Job als Nahrungsmittel-Manager im alten Ägypten. Statusträchtig waren solche Kompetenzen also schon immer.

»Jeder sollte an irgendwas glauben, und wenn es an Fortuna Düsseldorf ist.«

CAMPINO

Das für unser westliches Abendland maßstabgebende professionelle Modell für Zukunftsmanagement steht noch halb im Mythos – nämlich im »alten« Griechenland. Hier wurde die Tradition begründet, unternehmerisch »in Zukunft zu machen«. An den Hängen des Parnass-Gebirges, in Delphi. Die potente Kundschaft dieser griechisch-antiken Zukunfts-Offenbarungsstätte hatte existenzielle Fragen an den Gott Apollon (und durfte mit üppigen Opfergaben die Rechnung begleichen). Beim Warten auf die Antwort konnten die Kunden über philosophische Sinnsprüche, die an den Tempelwänden zu lesen waren, meditieren: »Erkenne dich selbst!«, stand da, oder: »Nichts im Übermaß«. Trotz der kryptischen Botschaften, die die Orakelei verlautbarte, wurde sie zur ersten Zukunftsprognose-Erfolgsstory des europäischen Kontinents. Obwohl – oder besser gesagt – weil irgendwie jeder »seine« Zukunft vorher»sehen« konnte.

Nüchterner marschierte die moderne Zukunftsforschung Mitte des letzten Jahrhunderts auf: beim US-Militär. Zur Vorbereitung auf Konflikte und zur Erarbeitung politischer Programme. Darüber fand sie den Weg in Forschungsinstitute und Thinktanks, bei denen sich wichtige Entscheider Rat holen. Und: Nach und nach wurden auch Großkonzerne auf der ganzen Welt auf sie aufmerksam.

In Deutschland erhielt sie ihren wissenschaftlichen Ritterschlag per Lehrstuhl-Etablierung in Politikwissenschaft und Soziologie. In den 1950er-Jahren stand dafür der Name Ossip K. Flechtheim am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. In den 1970er-Jahren war Rolf Kreibich, Soziologe und Präsident derselben Universität sowie 1981 Mitbegründer des Berliner IZT (Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung), federführend. Zu den international herausragenden wissenschaftlichen Vertretern des Fachs zählen auch Herman Kahn oder Robert Jungk und einige andere mehr.

Das Geschäftsmodell von Delphi

Kunden-Fragen wurden damals einer pythischen Priesterin vorgelegt. Diese inhalierte ethylenhaltiges Gas, das aus einer Erdspalte strömte und ihre Höhle erfüllte; sie war also dauer-stoned und antwortete recht kryptisch.

Das Interessante am Geschäftsmodell von Delphi aber ist die Performance. Die »wahnsinnigen« Statements mussten von Beratern für die einzelne Kundenseele umcodiert und spirituell in Szene gesetzt werden. Der Erfolg hing zentral vom Zugang zur sozialen Gerüchteküche ab: Was jeweils gerade gemunkelt wurde, beeinflusste die Passung der einzelnen Weissagungen – und damit die Kundenzufriedenheit – erheblich.

Zu den bekanntesten Kunden zählte Krösus, steinreicher lydischer König. Vor dem Kampf gegen die Perser suchte er Rat beim Orakel mit folgendem Ergebnis: Wenn er in den Krieg zöge, würde er ein großes Reich zerstören. Seine Schlussfolgerung? Immer fröhlich angreifen! Nach dem für ihn katastrophal ausgegangenen Feldzug wollte Krösus den Grund für diese, seiner Meinung nach, teuer bezahlte, aber grandios gescheiterte Vorhersage wissen – und bekam ein Muster an Beschwerdemanagement geboten: Er solle sich mal bloß nicht so haben. Er habe doch ein Reich zerstört! (Wenn auch sein eigenes.) Treffer – versenkt.

Um ähnliche Konter fertigzubringen, werden Marketer heutzutage durch Rhetorik-, »Wie werde ich schlagfertiger?«-, NLP- und Neuromarketing-Kurse geschleust. Hier ist Delphi noch immer Benchmark: ein Unternehmenskonzept, das angefangen von Produktentwicklung bis hin zum Endverbraucher die Zukunftsschau zu einer frühen, hohen Blüte getrieben hat. Von Trendforschern genauestens studiert und in die Moderne übersetzt.

In den letzten 30 Jahren spielte Zukunftsforschung, zumindest an deutschen Universitäten, kaum noch eine Rolle. Lehrstühle und Aufmerksamkeit verschwanden. Erst seit Kurzem gibt es an der FU Berlin wieder Zukunftsforschung – diesmal am Fachbereich Erziehungswissenschaften …

Erstaunlicherweise tauchte die Branche hierzulande genau zu der Zeit in außeruniversitären, wenn auch wissenschaftsnahen und oft industriefinanziert forschenden Einrichtungen auf, als in den 1980er-Jahren der Hochschulzweig der Zukunftsforschung abstarb. Die Disziplin zog in Denkfabriken ein und eroberte langsam, aber stetig deutsche Großunternehmen.

Stand ist, dass mit Zukunftsforschung vor allem Fachkreise arbeiten – wissenschaftliche Einrichtungen sowie spezielle »Foresight«-Abteilungen internationaler Konzerne. Kurzum: Zukunftsforschung machen die, die es sich leisten können.

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