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c) Dialog-Ökumene – Bedeutung und Grenzen

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ökumenische Motivation

Die Grundmotivation bei der Suche nach christlich-ökumenischer Verbundenheit ist die Anerkenntnis des Zusammenhangs zwischen der erfahrbaren Einheit der Kirchen und der Glaubwürdigkeit ihres gemeinsamen Christuszeugnisses. Hier war vor allem die Erfahrung stimulierend, als gespaltene Christenheit kaum Aussicht auf eine überzeugende Mission in den noch nicht christianisierten Ländern haben zu können. Wenn in einer Region in kurzer Zeit hintereinander viele Kirchengebäude unversöhnter christlicher Konfessionen errichtet werden, liegen kritische Rückfragen hinsichtlich der christlichen Botschaft von der möglichen Versöhnung unter allen Geschöpfen unmittelbar nahe. Immer wieder vergegenwärtigen sich Theologinnen und Theologen diesen Grundimpuls für ihre ökumenische Tätigkeit, welche angesichts des einen christlichen Evangeliums als alternativlos erscheint.

die Arbeit in Dialogkommissionen

Im Einzelnen werden die Motivationen der Menschen, die sich heute in Dialogkommissionen berufen lassen, sehr unterschiedlich sein. In aller Regel geht mit der Zustimmung zur Mitarbeit die Gewissheit einher, Zeit und Kraft dafür einsetzen zu müssen. Die Themen der Gespräche sind in der Regel sehr konkret. Die Vorgänge erscheinen zumeist gut überschaubar. Oft schließt eine neue Dialogrunde an vorausgehende an. Deshalb ist es wichtig, nicht den gesamten Kreis der an den früheren Gesprächen beteiligten Menschen auszutauschen. Das in längerer Zusammenarbeit gewachsene Vertrauen kann in schwierigen Situationen weiterhelfen. Die Motivationsforschung bei der Analyse ökumenischer Gespräche wird an solchen Überlegungen zur personalen Komponente im Begegnungsgeschehen nicht vorbeisehen dürfen.

Nüchtern betrachtet wissen alle an ökumenischen Dialogen beteiligten Personen, dass auch dann, wenn sie eine weitreichende oder gar vollständige Übereinstimmung in einzelnen strittigen Sachfragen erreichen könnten, die Einheit der Kirchen noch nicht wiederhergestellt sein wird. Viele Fragen sind noch offen. Die gewachsenen Kirchen müssten zunächst einen Weg finden, sich wechselseitig als Nachfolgegemeinschaft Jesu Christi anzuerkennen. Die Ämterstrukturen haben sich über die Jahrhunderte sehr unterschiedlich entwickelt. Kann es da je gelingen, zu einer gemeinsamen Gestalt der institutionell verfassten Kirche zu kommen? Vor diesem Hintergrund kann die Motivation zu einer kontinuierlichen Mitarbeit an ökumenischen Gesprächen nicht in der Annahme bestehen, durch die eigene Mitarbeit einen so entscheidenden Fortschritt erreichen zu können, dass sich weitere Gespräche erübrigten. Die Dialogrunden sind bereits dann ertragreich, wenn ein Zuwachs an Einsicht in die Komplexität der Fragestellungen gewonnen werden kann. Unterschiedliche Perspektiven auf die jeweiligen Sachfragen werden offenkundig. Überraschend können aber auch verbindende Erfahrungen ins Wort kommen. Könnte es sein, dass gelebte Optionen des Christlichen sich nicht notwendig gegenseitig ausschließen müssen, sie vielmehr jeweils authentische Variationen darstellen, deren Einheit in versöhnter Verschiedenheit näherhin zu beschreiben wäre?

Mitglieder in Dialoggremien

In ökumenische Dialogkommissionen werden Theologinnen und Theologen berufen, die mit der jeweils behandelten Sachthematik bereits vertraut sind und das Vertrauen der delegierenden Kirchen haben, den konfessionellen Standort sachgemäß und gesprächsbereit zu präsentieren. Auch innerhalb der Konfessionsgemeinschaften sind die theologischen Sachpositionen nicht selten plural. Größtmögliche Ausgewogenheit unter den Schulrichtungen sollte gegeben sein. Dies gelingt keineswegs immer in allen Dialoggremien. Auch die Bemühung um theologische Konvergenz ist abhängig von Bedingungen, die nicht allein unter fachtheologischen Gesichtspunkten zu erfassen sind. Dies wahrzunehmen, ist wichtig für alle Menschen, die eine Rezeption, das heißt einen anerkennenden oder abweisenden Nachvollzug der Gesprächsergebnisse versuchen. Oft werden die Gesprächsergebnisse leider kaum zur Kenntnis genommen. Wie könnten Dialogergebnisse die Gemeinden vor Ort erreichen? Berechtigterweise besteht bis heute die Klage, Ergebnisse ökumenischer Dialoge könnten in den Ortskirchen kaum aufgenommen werden: Vor Ort sind die Fragen oft viel konkreter. Dennoch ist es wichtig, um die Hintergründe zu wissen, die bei manchen Verboten eines gut gemeinten ökumenischen Miteinanders wirksam werden (vgl. Pemsel-Maier/38). Nicht nur im Blick auf die Basisökumene, sondern auch hinsichtlich der Kirchenleitungen sind die Erfolgsaussichten der Dialoge nüchtern zu betrachten, denn in den kirchenoffiziellen Stellungnahmen zu formulierten theologischen Konvergenzen werden häufig jene Vorbehalte erneut benannt, die im Gesprächsgeschehen der Dialogkommissionen einer differenzierteren Sichtweise näher gebracht wurden. Die zwischenmenschlichen Erlebnisse und Erfahrungen im Dialoggeschehen lassen sich kaum aus den Texten heraus erahnen, die am Ende einer kritischen Öffentlichkeit präsentiert werden. Wenn trotz all dieser Erschwernisse die Gespräche in den Dialoggremien fortgesetzt werden, dann in der unumstößlichen Gewissheit, dass wir als Christinnen und Christen unbedingt zueinander gehören. Bei den Morgen- und Abendandachten sowie beim lebensgeschichtlichen Erzählen am Abend eines langen Sitzungstages bei Wasser, Saft, Wein und Bier wird dies spürbar – und wirkt über die Tage der oft nicht leichten Dialogarbeit hinaus.

Manches Dialogereignis ist auch deshalb bleibend wichtig, weil seine Ergebnisse von nachfolgenden Generationen wieder aufgegriffen werden können. Nicht immer stellen sich Erfolge der Gesprächsökumene unmittelbar ein. Manche Studien liegen „auf Halde“ – bis die Zeit gekommen ist, sie angemessen zu rezipieren. Gerade gegenwärtig erscheint es ökumenisch motivierten Theologinnen und Theologen häufig so: Wir arbeiten für kommende Generationen, die sich unter anderen Voraussetzungen den drängenden christlich-ökumenischen Fragen stellen müssen. Vermutlich werden alle christlichen Traditionen zukünftig noch viel stärker in den interreligiösen Dialog einbezogen sein. Dabei hilft es sehr, mit einer gemeinsamen christlichen Stimme sprechen zu können.

traditionelle Themen des ökumenischen Dialogs

Die Themen, die in der Geschichte der Christenheit zu Trennungen und Spaltungen geführt haben, begleiten die Kirchen durch die Zeit hindurch. Fragen, die am Anfang einer konfessionellen Eigenbewegung sehr wichtig waren, bleiben dies auch später. Bis heute kehren die frühen Themen wieder: christologische Lehrtraditionen in den Dialogen mit den Altorientalischen Kirchen (etwa der Koptisch-Orthodoxen, der Assyrisch-Orthodoxen und der Armenisch-Orthodoxen Kirche), die Ansprüche des Bischofs von Rom im Rechtsbereich der östlichen Patriarchate im Gespräch mit den Orthodoxen Kirchen byzantinischer Tradition (heute vor allem mit dem Griechisch-Orthodoxen und dem Russisch-Orthodoxen Patriarchat), die Praxis der Säuglingstaufe mit den täuferischen Kirchen (vor allem den Hussiten, Waldensern, Mennoniten und Baptisten), Fragen der Rechtfertigungslehre, des Schriftverständnisses und der Ämterlehre mit den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften reformatorischer Herkunft (mit Lutheranern, Reformierten, Anglikanern und Methodisten), die Bedeutung des Petrusdienstes mit der Altkatholischen Kirche.

neue Problemfelder

Neuere Themenbereiche haben sich insbesondere im Bereich der Anthropologie und der Ethik ergeben. Die Frage einer möglichen Zulassung von Frauen zu den ordinierten Ämtern wurde in der Zeit der konfessionellen Differenzierungen noch nicht kontrovers behandelt, denn bis weit in das 20. Jahrhundert hinein stimmten alle christlichen Traditionen darin überein, dass das Amt Männern vorbehalten sei. Im Bereich der Ethik zeigen vor allem individualethische Themen (gleichgeschlechtliche Partnerschaften, Eheverständnis, Schwangerschaftsabbruch und Euthanasie) auch innerhalb der einzelnen weltweiten Konfessionsgemeinschaften die Tendenz, zu einer Zerreißprobe zu werden. Kulturelle und mentalitätsgeschichtliche Unterschiede nehmen konfessionsübergreifend Einfluss auf theologische Fragestellungen. Europäische und nordamerikanische Lutheraner und Lutheranerinnen treffen unter römisch-katholischen Christen und Christinnen, die denselben Lebensraum teilen, vor allem bei individualethischen Problemen auf mehr Verständnis als unter den Angehörigen der eigenen Konfessionsgemeinschaft in Afrika oder in Asien. Ähnlich sieht es in den südlichen Ländern bei sozialethischen Themen aus. Der Kampf gegen die Armut, gegen Hunger und Durst, gegen den Ausschluss von Teilen der Weltbevölkerung aus den Bildungssystemen verbindet Angehörige aller Konfessionen. Gemeinsamkeiten in einer kulturellen Tradition oder in der politischen Mentalität werden nicht selten stärker wahrgenommen als die Differenzen durch die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Kirchen.

Dialogökumene und Sozialökumenismus

Von Beginn der Ökumenischen Bewegung im 20. Jahrhundert an gehört die Frage, welche Wege die richtigen sind, wenn sie zur Einheit der Kirchen führen sollen, zu den meist besprochenen. Könnte es sein, dass Kontroversen in der Frage der Kirchenverfassung bis heute die christlich-ökumenische Verbundenheit in unverhältnismäßig gewichtiger Weise beeinträchtigen? Fragen der weltweiten Diakonie, die Suche nach Wegen für das Überleben der Ärmsten der Armen, Entfernung von Landminen, Projekte zur Kreditbeschaffung für einen ersten Schritt aus der Abhängigkeit, Bildungskonzepte, Gesundheitsprogramme – dies sind Beispiele für ein Ökumene-Verständnis, welches vom biblischen Gedanken der Gerechtigkeit Gottes geleitet ist. Die soziale Wirklichkeit weltweit ist der Bezugspunkt dieser ökumenischen Arbeit.

Manchmal scheint es so zu sein, als gäbe es einen Widerspruch zwischen dieser Gestalt ökumenischen Handelns und dem Engagement in fachtheologischen Gesprächen. Aber wäre es nicht möglich, sich in arbeitsteiliger Weise an der einen Ökumenischen Bewegung zu beteiligen, ohne sich wechselseitig ein Defizit zu unterstellen? Unterschiedliche Kräfte können je an ihren Orten bei aller Differenziertheit einmütig zusammenwirken: Theologinnen und Theologen im Wissen um die kirchlichen Lehrtraditionen und sozial engagierte Menschen in allen Kirchen im Angesicht der Not leidenden Schöpfung. Auch auf der Ebene der Ortsgemeinden gibt es die Möglichkeit, eine solche Unterscheidung von Diensten an der einen Sache vorzunehmen. Nicht alle Menschen nehmen gerne Angebote der Erwachsenenbildung zu Fragen der Ökumene wahr. Auch diakonische Projekte können an den Lebensorten die ökumenische Verbundenheit nachhaltig stärken. Unnötige Polarisierungen in Bezug auf die ökumenischen Methoden schaden dem gemeinsamen Anliegen.

Paradigmenwechsel in der Ökumene?

In der fachtheologischen Hermeneutik hat die Frage, ob nicht ein Paradigmenwechsel ansteht – weg von einer zunehmend vergeblich erscheinenden Konsenssuche hin zu einem konstruktiven Differenzmodell – hohe Aufmerksamkeit erfahren (vgl. Körtner/6). Die Argumente für eine solche Position sind stark: Angesichts der in allen Konfessionsgemeinschaften gefestigten institutionellen Vorgaben ist die Aussicht auf eine Verständigung in Fragen des Kirchen- und Amtsverständnisses äußerst gering. Insbesondere in diesen Fragen haben sich Verhärtungen der Positionen ergeben, die weitere Dialoge allenfalls unter dem Vorzeichen einer wechselseitigen Anerkennung des jeweilig eigenen Selbstverständnisses sinnvoll erscheinen lassen. Die vom derzeitigen Ratsvorsitzenden der EKD, Wolfgang Huber, begonnene Rede von einer aus seiner Sicht heute erforderlichen „Ökumene der Profile“ hat in kürzester Zeit nicht nur in Fachkreisen die Runde gemacht. Sie nimmt ein Grundempfinden vor allem der evangelisch geprägten Christen und Christinnen auf, die bei zunehmenden Annäherungen an die medienpräsente Römisch-Katholische Kirche im öffentlichen Bewusstsein eine schwindende Kenntnis der reformatorischen Identität befürchten, zu der wesentlich auch die Freiheit eines Christenmenschen gehört, personal getragene Gewissensentscheidungen in religiösen Fragen treffen zu können. Mit der – frühere Äußerungen wiederholenden – Aussage im Schreiben der Glaubenkongregation „Dominus Jesus“ (DI) aus dem Jahr 2000, dass die „kirchlichen Gemeinschaften (…) die den gültigen Episkopat und die ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums nicht bewahrt haben, (…) nicht Kirchen im eigentlichen Sinn“ sind (DI, Nr. 17), haben sich zumindest in fachtheologischen Kreisen im deutschsprachigen Raum die ökumenischen Fragen erneut auf die ekklesiologischen Themen hin konzentriert. In einem Schreiben der Glaubenskongregation mit dem Titel „Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche“ vom 10. Juli 2007 wurde diese römisch-katholische Lehrposition erneut bekräftigt.

Der ökumenische Gesamthorizont ist weiter zu fassen als die Frage nach einer möglichen Verständigung in Fragen des Kirchenverständnisses. Die Formulierung des gemeinsamen christlichen Zeugnisses in den gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart steht heute ganz oben auf der Tagesordnung. Die Ökumenische Bewegung verändert sich derzeit auch im deutschsprachigen Raum: Eine stärkere Beachtung der (sozial-)ethischen Verantwortung aller Kirchen ist zu erkennen.

Einführung in die ökumenische Theologie

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