Читать книгу O du fröhliche, o du grausige - Friederike Schmöe - Страница 10
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Оглавление»Papa, ich muss kurz weg. Kommst du zurecht?«
Josef Blum richtete seinen hageren Körper auf. Eben noch hatte er über Diethards Tablet gebeugt eine Netflix-Serie angesehen.
»Natürlich, Melanie.«
Sie setzte sich neben ihn. »Bella.«
»Ach. Bella.« Ein Lächeln leuchtete auf. »Meine Lieblingstochter. Wo ist denn Melanie?«
»In Bamberg. Sie studiert, Papa, und hat ihre eigene Studentenbude.«
»Stimmt, stimmt.« Josef strich sich über die Stirn, als geriete er ins Schwitzen bei dermaßen vielen Informationen. »Wann kommt sie denn heim?«
»Vielleicht am Wochenende«, wich Bella aus, wohl wissend, dass ihr Vater die Antwort bald vergessen haben würde. Ihre Tochter Melanie probierte sich gerade in ihrem eigenen Leben aus, hatte einen Freund, einen gewissen Ed, ein schlaksiger Knabe, der seinen Pubertätspickeln noch nicht ganz entwachsen war. Manches Mal hatte Bella Melanie gebeten, bei ihrem Großvater nach dem Rechten zu sehen, vielleicht ein- oder zweimal die Woche, aber selbst dazu war Melanie sich zu fein gewesen.
»Am Wochenende.« Josef Blum blickte auf seinen Arm. »Warum habe ich den Gips?«
»Das ist nur eine Schiene, Papa, keine Sorge. Die kommt bald weg. Nur um deine Knochen zu stabilisieren, verstehst du?«
Josef hatte sich vor zwei Wochen die Hand gebrochen. Die anschließende Operation inklusive Narkose hatte ihn völlig aus der Bahn geworfen. So sehr, dass Bella ihn zu sich nach Hause holte, wo er nun in Melanies Zimmer wohnte und zunehmend die Orientierung verlor.
»Wann werde ich eigentlich operiert?«
Er fragte ab und zu nach. Dabei war er längst operiert. Bella brach es das Herz, wenn er sie so konfus und ängstlich ansah, als fürchte er sich jedes Mal neu vor dem Eingriff.
»Du hast es schon hinter dir. Vor 14 Tagen. Weißt du noch?« Bella hatte jede freie Minute bei ihm in der Klinik verbracht, weil er extrem abbaute und seine Verwirrung sich nur legte, wenn er seine Tochter bei sich hatte. Ihren Redakteur hatte sie mit permanenter Abwesenheit auf die Palme gebracht und ihre Artikel nach diversen Abendterminen in tiefer Nacht getippt.
»Ach so? Wie gut!« Erleichtert wandte der alte Mann sich wieder dem Tablet zu.
»Schau dir in Ruhe deine Serie an!« Bella küsste ihn auf die stoppelige Wange. »Ich bin nur kurz weg, in Ordnung?« Für Momente überlegte sie, ob sie ihre Nachbarin Hilde bitten sollte, ihrem Vater Gesellschaft zu leisten, verwarf den Gedanken jedoch gleich wieder. Hilde nervte auf ganzer Linie und stellte ohnehin dermaßen viele Ansprüche an Bella, dass sie besser unsichtbar blieb. Wenn sie daran dachte, dass sie ab Sonntag für den dörflichen Weihnachtsmarkt eingespannt war, wurde ihr blümerant. Wie jedes Jahr erwartete Hilde Kaminsky und mit ihr die Dorfgemeinschaft, dass jeder sich mit allen seinen Mitteln und Kräften für den Weihnachtsmarkt engagierte. Bella hatte bereits daran gedacht, Diethard zu bitten, seinen Jahresurlaub auf die Vorweihnachtszeit zu legen, um dieser Verpflichtung zu entkommen. Aber Hilde war unerbittlich. Als nicht berufstätige Vollzeitmutter ans Haus gefesselt, welches ihre beiden pubertierenden Söhne Tim und Simon täglich in wildes Chaos verwandelten, suchte sie sich Bestätigung im Organisieren des Dorflebens. Der Weihnachtsmarkt war darin der uneingeschränkte Mittelpunkt, sozusagen Epizentrum des wahren und rechten Lebens.
Josef war bereits in seinen Film vertieft.
Rasch schlüpfte Bella in ihren Anorak und glitt aus dem Haus.