Читать книгу O du fröhliche, o du grausige - Friederike Schmöe - Страница 16
11
Оглавление»Diethard? Ich bin zu Hause!«
Keine Antwort. Im Wohnzimmer brannte Licht. Man hörte die Stimme eines Nachrichtensprechers. Ein Blick auf die Uhr. Kurz nach sieben. In 20 Minuten musste ihr Text in der Redaktion sein.
Bella schlich die Treppe hoch. Drumstickwirbel. Peter hatte ein Foto geschickt: Es zeigte Mariella in einem schwarzen Pullover, dazu trug sie den auffälligen roten Schal mit den bunten Punkten. Sie kniete neben einem braunen Beagle, dessen eines Schlappohr quer über seiner Nase lag.
Bella stellte das Handy auf lautlos. Sie brauchte jetzt alle Konzentration. Oben in ihrem Arbeitszimmer warf sie den PC an. Sie öffnete ihren Artikel von zuvor, fand rasch die Stelle, an der sie persönliche Informationen zu Mariella einfügen konnte. Das italienische Aupair-Mädchen, das sich gut eingelebt hatte und mit dem Kind der Familie wunderbar zurechtkam. Ihre Tierliebe. Tiere weckten immer Emotionen. Vor allem, wenn sie verschwanden. So wie Lüneburg.
Lüneburg! Wer nennt seinen Hund um Himmels willen Lüneburg?
Die erschütterte Familie, die zurückblieb. Der kleine Junge, der seine Nanny vermisste. Bella musste behutsam vorgehen, durfte das Vertrauen der Kesslers nicht missbrauchen. Schrieb von den Drogen in Mariellas Blut und ließ durchblicken, dass die Gastfamilie nichts von einer etwaigen Erkrankung des Aupair wusste. Dazu die Frage: War jemandem der Beagle auf dem Foto zugelaufen?
Fertig.
Sie speicherte den Text und mailte ihn um fünf vor halb acht an Wolters. Gleich darauf rief sie ihn an. Unten klappte eine Tür.
»Ich bin’s, Bella«, rief sie gehetzt ins Telefon. »Der Text sollte jetzt in deinem Postfach sein.«
»Was Neues?«, knurrte Wolters.
»Die Familie hat einen Beagle namens Lüneburg. Der ist verschwunden, seit gestern. Vermutlich ist Mariella mit ihm rausgegangen, wenig später hat sich der Unfall ereignet.«
»Hm«, machte Wolters. »Knapp drei Stunden später, wenn ich richtig informiert bin. Bei den Temperaturen macht man keinen dreistündigen Spaziergang.«
»Der Hund ist jetzt seit 24 Stunden abgängig. Es ist nasskaltes Sauwetter, irgendwann kriegt so ein Tier Hunger. Bestimmt hat jemand den Beagle gesehen. Ich schicke dir ein Foto.«
»In Ordnung.«
Sie hörte Wolters auf seiner Tastatur herumklimpern. Jemand kam die Treppe hoch. Diethards schwere Schritte.
»Ich mache dann Feierabend. Schönen Abend noch.« Bella legte auf.
Es klopfte kurz. Diethard schob die Tür auf.
»Bel?«
»Ja, ich bin hier. Entschuldige, ich musste den Artikel fertigmachen. Redaktionsschluss.« Sie tippte auf ihre Uhr.
Diethard seufzte. »Sag mal, warum hast du nichts gesagt? Gestern, meine ich? Das ist doch schrecklich. Ich habe gerade im Internet von dem Unfall gelesen.«
Verdammtes Internet, dachte Bella. Da war also schon einer aufgesprungen.
»Morgen wirst du noch mehr lesen«, sagte sie zu ihrem Mann. »Jemand hat Fahrerflucht begangen, nach Spurenlage hat einer mit einem echten Dickschiff-Auto das Aupair-Mädchen der Kesslers angefahren und verletzt liegen lassen. Mariella muss sich noch ein paar Meter zurück zum Flurbereinigungsweg geschleppt haben. Als Nächste kam ich dann den Weg entlang. Gestern, nach meinem Termin bei den Impfgegnern.« Ihr schoss durch den Kopf, dass Wolters ihr den Impf-Artikel nicht ersparen würde. »Außerdem hatten die Kesslers seit Neuestem einen Hund. Aus dem Tierheim. Wusstest du das?«
»Ich? Meine Güte, was im Dorf passiert, kriege ich nur in langen Sommernächten mit. Wenn alle grillen.«
Bella grinste halbherzig. »Sollte dir nicht allzu viel ausmachen. Du bist ja nicht so der soziale Typ.«
»Wenn du damit meinst, dass ich mich ungern saufend verbrüdere …« Diethard zog eine Grimasse. »Ich lege mich gerade ziemlich krumm im Büro.«
»Gute Architekten werden eben immer gebraucht«, entgegnete Bella leichthin. Sie stand auf. »Mir knurrt der Magen. Habt ihr was zu essen übrig gelassen?«
»Darüber musst du dich nicht sorgen. Josef isst wie ein Spatz.«
Etwas Dunkles, Trauriges stülpte sich über Bella. »Leider, ja. Heute musste ich ihn bei den Kaminskys einfangen. Er ist einfach durch den Garten spaziert. In Hausschuhen, ohne Jacke.«
»Shit.« Diethard rieb sich das Gesicht. Seine dunklen Haare waren verstrubbelt, der Bartschatten hob sich überdeutlich ab. Sein Bartwuchs war so stark, dass er sich üblicherweise zweimal am Tag rasierte. »Wir stemmen das beide nicht, das ist dir doch klar, Bella, oder?«
»Heißt was?«
Diethards Kiefer mahlten.
Sie ahnte, worauf er hinauswollte, und verabscheute ihn dafür. »Du musst es mir nicht erklären, Diethard. Ein Heim kommt nicht in Frage. Noch nicht.«
»Du schiebst seine Verwirrung nur auf die OP-Nachwirkungen. Aber er war vorher bereits angeschlagen, das ist sogar dir aufgefallen.«
Bellas Magen knurrte. Wie lange war das Mittagessen her? Seit einiger Zeit brauchte sie regelmäßige Mahlzeiten, auf die sie sonst nie besonderen Wert gelegt hatte. Wenn ihr der Blutzuckerspiegel wegrutschte, wurde sie aggressiv und konfus. Beides zugleich.
»Emmy hilft ab Montag. Auf Melanie kann ich ja nicht zählen.« Es kam bitterer heraus, als sie gewollt hatte.
»Sie ist Studentin, Bella.« Diethard ließ sich auf das alte Sofa sinken, das früher, bezogen mit Pferdebildern, in Melanies Kinderzimmer gestanden hatte. Inzwischen war es neu gepolstert und jeansblau. »Sie hat jetzt ihr eigenes Leben.«
»Ich will sie doch nicht als Krankenschwester anstellen. Josef ist ihr Großvater, zum Henker, wer weiß, wie lange sie ihn noch hat! Ein paar Stunden die Woche könnte sie sich durchaus mit ihm zusammensetzen. Schach spielen. Das haben die beiden früher oft gemacht.«
Diethard seufzte. »Lass sie ihr Leben erproben. Sie hat einen Freund, alles ist noch neu, sie will nichts verpassen. Als wir in ihrem Alter waren, da schien alles möglich. Weißt du nicht mehr?«
»Sie ist immer dein Augenstern gewesen«, sagte Bella müde. Diethard hatte von jeher seine Tochter verteidigt, am vehementesten gegen Bella. Die vielen Streitereien hatte sie beinahe vergessen, erst jetzt, wo es ihrem Vater schlecht ging und sie permanent mit einem schlechten Gewissen herumlief, kamen die Konflikte wieder hoch. Melanie, die von der Mutter nicht bekam, was sie wollte, vom Vater aber schon. Anders als Bellas Bruder Rolf, den der Vater am langen Arm hatte zappeln lassen. Josef Blum, der Strenge, der Allmächtige.
»Unsinn. Aber ich kann sie verstehen. Sie braucht ihre Freiheit. Josefs Zustand ist ihr nicht anzulasten.«
Was nichts daran ändert, dass sie mir ab und zu helfen könnte.
»Ich dachte immer, eine Familie sei ein Team. Wo man füreinander einsteht.« Ihr Magen knurrte heftig. Plötzlich war ihr ganz schwindelig. Pizza wäre das Mittel der Wahl. Ein Käsebrot mit Gurke täte es auch. Vorerst. Sofern Ketchup im Haus war.
»Wir stehen ja füreinander ein, oder nicht?«, fragte Diethard treuherzig.
»Darf ich lachen? An mir hängt alles! Ich presse meine Arbeitstermine in den Alltag. Mehr schlecht als recht. Ich sehe nach Josef, ich schmeiße den Haushalt.« Sie fuhr den PC herunter. Ihr war beinahe schlecht vor Hunger und Zorn. »Es wird wirklich Zeit, dass Emmy einspringt.«
Wenigstens eine Person, auf die ich mich verlassen kann.
»Eine Dauerlösung ist das nicht.«
Meine Fresse, du reitest wirklich auf allem herum, bis es platt und zäh wie Leder ist, dachte Bella genervt. Sie stand auf.
»Ich muss was essen.«
»Vielleicht kannst du Josef noch etwas Appetit machen. Hast du eigentlich auch diese Nachricht von Hilde bekommen? Nachbarschaft?«
»Ach, das!« Bella schnappte sich ihr Handy. »Mamma mia! Sieben Nachrichten?«
»Erklär mir bitte, wie man das abschaltet.«
»Du kannst die Gruppe nicht abschalten, nur auf stumm stellen. Oder austreten. Das allerdings würde Hilde dir nicht verzeihen.«
Diethard klickte gereizt auf seinem Smartphone herum. »Was soll das bloß für eine alberne Aktion sein?«
»Die Maffelders sehen SUVs, die nicht hierhergehören, und kolportieren, das wären Einbrecher, die die Gegend ausspionieren.«
»Sag mir, dass das nicht wahr ist.«
Bella ging zur Tür. »Jedenfalls wollen die Maffelders und die Kaminskys per Gruppe austauschen, wer wann welches verdächtige Auto gesehen hat. Kommst du mit runter?«
Diethard antwortete nicht. Er war in das Nachrichtenmenü seines Handys vertieft und mühte sich damit ab, die Gruppe »Nachbarschaft« stummzuschalten.