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Zweiter Auftritt

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MARIA im Schleier, ein Kruzifix in der Hand. DIE VORIGEN.

KENNEDY (ihr entgegeneilend).

O Königin! Man tritt uns ganz mit Füßen,

145Der Tyrannei, der Härte wird kein Ziel,

Und jeder neue Tag häuft neue Leiden

Und Schmach auf dein gekröntes Haupt.

MARIA.

Fass dich!

Sag an, was neu geschehen ist?

KENNEDY.

Sieh her!

Dein Pult ist aufgebrochen, deine Schriften,

150Dein einz’ger Schatz, den wir mit Müh gerettet,

[10]Der letzte Rest von deinem Brautgeschmeide

Aus Frankreich ist in seiner Hand. Du hast nun

Nichts Königliches mehr, bist ganz beraubt.

MARIA.

Beruhige dich, Hanna. Diese Flitter machen

155Die Königin nicht aus. Man kann uns niedrig

Behandeln, nicht erniedrigen. Ich habe

In England mich an viel gewöhnen lernen,

Ich kann auch das verschmerzen. Sir, Ihr habt Euch

Gewaltsam zugeeignet, was ich Euch

160Noch heut zu übergeben willens war.

Bei diesen Schriften findet sich ein Brief,

Bestimmt für meine königliche Schwester

Von England – Gebt mir Euer Wort, dass Ihr

Ihn redlich an sie selbst wollt übergeben,

165Und nicht in Burleighs ungetreue Hand.

PAULET.

Ich werde mich bedenken, was zu tun ist.

MARIA.

Ihr sollt den Inhalt wissen, Sir. Ich bitte

In diesem Brief um eine große Gunst –

– Um eine Unterredung mit ihr selbst,

170Die ich mit Augen nie gesehn – Man hat mich

Vor ein Gericht von Männern vorgefodert,

Die ich als meinesgleichen nicht erkennen,

Zu denen ich kein Herz mir fassen kann.

Elisabeth ist meines Stammes, meines

175Geschlechts und Ranges – Ihr allein, der Schwester,

Der Königin, der Frau kann ich mich öffnen.

PAULET.

Sehr oft, Mylady, habt Ihr Euer Schicksal

Und Eure Ehre Männern anvertraut,

Die Eurer Achtung minder würdig waren.

MARIA.

180 Ich bitte noch um eine zweite Gunst,

Unmenschlichkeit allein kann mir sie weigern.

Schon lange Zeit entbehr ich im Gefängnis

Der Kirche Trost, der Sakramente Wohltat,

Und die mir Kron’ und Freiheit hat geraubt,

185Die meinem Leben selber droht, wird mir

Die Himmelstüre nicht verschließen wollen.

[11]PAULET.

Auf Euren Wunsch wird der Dechant des Orts –

MARIA (unterbricht ihn lebhaft).

Ich will nichts vom Dechanten. Einen Priester

Von meiner eignen Kirche fodre ich.

190– Auch Schreiber und Notarien verlang ich,

Um meinen letzten Willen aufzusetzen.

Der Gram, das lange Kerkerelend nagt

An meinem Leben. Meine Tage sind

Gezählt, befürcht ich, und ich achte mich

Gleich einer Sterbenden.

PAULET.

195 Da tut Ihr wohl,

Das sind Betrachtungen, die Euch geziemen.

MARIA.

Und weiß ich, ob nicht eine schnelle Hand

Des Kummers langsames Geschäft beschleunigt?

Ich will mein Testament aufsetzen, will

200Verfügung treffen über das, was mein ist.

PAULET.

Die Freiheit habt Ihr. Englands Königin

Will sich mit Eurem Raube nicht bereichern.

MARIA.

Man hat von meinen treuen Kammerfrauen,

Von meinen Dienern mich getrennt – Wo sind sie?

205Was ist ihr Schicksal? Ihrer Dienste kann ich

Entraten, doch beruhigt will ich sein,

Dass die Getreun nicht leiden und entbehren.

PAULET.

Für Eure Diener ist gesorgt.

(Er will gehen.)

MARIA.

Ihr geht, Sir? Ihr verlasst mich abermals,

210Und ohne mein geängstigt fürchtend Herz

Der Qual der Ungewissheit zu entladen.

Ich bin, dank Eurer Späher Wachsamkeit,

Von aller Welt geschieden, keine Kunde

Gelangt zu mir durch diese Kerkermauern,

215Mein Schicksal liegt in meiner Feinde Hand.

Ein peinlich langer Monat ist vorüber,

Seitdem die vierzig Kommissarien

In diesem Schloss mich überfallen, Schranken

Errichtet, schnell, mit unanständiger Eile,

220Mich unbereitet, ohne Anwalts Hülfe,

[12]Vor ein noch nie erhört Gericht gestellt,

Auf schlaugefasste schwere Klagepunkte

Mich, die Betäubte, Überraschte, flugs

Aus dem Gedächtnis Rede stehen lassen –

225Wie Geister kamen sie und schwanden wieder.

Seit diesem Tage schweigt mir jeder Mund,

Ich such umsonst in Eurem Blick zu lesen,

Ob meine Unschuld, meiner Freunde Eifer,

Ob meiner Feinde böser Rat gesiegt.

230Brecht endlich Euer Schweigen – lasst mich wissen,

Was ich zu fürchten, was zu hoffen habe.

PAULET (nach einer Pause).

Schließt Eure Rechnung mit dem Himmel ab.

MARIA.

Ich hoff auf seine Gnade, Sir – und hoffe

Auf strenges Recht von meinen ird’schen Richtern.

PAULET.

235 Recht soll Euch werden. Zweifelt nicht daran.

MARIA.

Ist mein Prozess entschieden, Sir?

PAULET.

Ich weiß nicht.

MARIA.

Bin ich verurteilt?

PAULET.

Ich weiß nichts, Mylady.

MARIA.

Man liebt hier rasch zu Werk zu gehn. Soll mich

Der Mörder überfallen wie die Richter?

PAULET.

240 Denkt immerhin, es sei so, und er wird Euch

In bessrer Fassung dann als diese finden.

MARIA.

Nichts soll mich in Erstaunen setzen, Sir,

Was ein Gerichtshof in Westminsterhall,

Den Burleighs Hass und Hattons Eifer lenkt,

245Zu urteln sich erdreiste – Weiß ich doch,

Was Englands Königin wagen darf zu tun.

PAULET.

Englands Beherrscher brauchen nichts zu scheuen,

Als ihr Gewissen und ihr Parlament.

Was die Gerechtigkeit gesprochen, furchtlos,

250Vor aller Welt wird es die Macht vollziehn.

Maria Stuart

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