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Vorspiel

1.

Einmal während dieses Auftrags wollte ich teilnehmen, an ihrem Leben, an ihren Freuden, an ihren Qualen und Ängsten. Sein wie sie, obwohl das verboten war.

2.

Als Jakob Rheidt war ich zu ihnen geschickt worden. Nachdem ich mich eine Zeit als Kellner durchgeschlagen hatte, bewarb ich mich in Wasserburg, dieser großen Stadt am Strom mit den ausgedehnten Hafenanlagen am Nordende, bei der Sparkasse um eine Lehrstelle. Ihr Gebaren mit Geld wollte ich lernen, wie sie damit umgingen, mit denen, die ihnen ihr Vermögen anvertrauten und mit denen, denen sie Beträge in großer Höhe liehen. Drei Jahre lang arbeitete ich dort. Ich lernte, mit einem unleidlichen Ausbilder auszukommen, der mich ständig wegen der leichten Verwachsung an meinem linken Fuß aufzog, der mir jeden Tag mindestens dreimal erklärte, aus mir würde niemals ein ordentlicher Banker werden, ich würde es nie lernen. Allen seinen Unkenrufen zum Trotz konnte ich nach einem Jahr Kunden beraten in einer Weise, dass sie sich gut aufgehoben fühlten bei unserer Sparkasse und wir trotzdem an ihnen Geld verdienten. Nach der Hälfte des zweiten Lehrjahres hatte ich mindestens vier vermögende Stammkunden, die ausdrücklich nach mir verlangten, wenn sie in der Anlage von Geld beraten werden wollten.

Auch das brachte mir aber das Lob des Ausbilders nicht ein. „Sollten Sie ja wohl auch können, nach über zwei Jahren“, quetschte er aus dem Mundwinkel heraus und sah mich nicht an.

Überhaupt sah er mich nie an. Aufträge erteilte er mir, wenn überhaupt, abgewandten Gesichtes, meistens sogar ließ er mir meine Aufgaben über Dritte mitteilen, über die anderen Mitarbeiter unserer Abteilung etwa oder sogar über meine Lehrlingskollegen. Ahnte er etwas? Ich ließ es mich nicht anfechten und erledigte meine Arbeiten so gut ich konnte.

Ein halbes Jahr später bestand ich die Prüfung zum Bankkaufmann mit der Note „sehr gut“, widerstand aber dem Werben des Vorstandssprechers der Sparkasse, ich solle doch bleiben, die tarifliche Bezahlung sei doch beispielhaft, sie würden mir die Lehrgänge finanzieren, die ich für mein weiteres Fortkommen in der Bankenwelt brauchte. Ich wollte nicht das Geld der Bankkunden anlegen, ich wollte das Gefühl erleben, selbst ausreichend Geld zu haben.

3.

Ich habe wieder von ihr geträumt. Glauben Sie nicht, dass ich zu derlei Dingen nicht fähig bin, etwa, weil ich zu alt wäre, weil ich zu viel gesehen hätte, weil ich mittlerweile desillusioniert sein müsste. Natürlich trifft all das zu, aber ich habe wieder von ihr geträumt.

Ich weiß nicht, vor wie vielen Jahren ich ihr begegnet bin, wann ich zum ersten Mal dieses Gesicht gesehen habe, diese weich aufeinander liegenden Lippen, diese Augen, die dich anstrahlen, wenn sie lächelt. Ein Madonnengesicht, würde man in meinen Kreisen lästern, zu schön, um wahr zu sein, zu vollkommen, um noch schön zu sein, und was dergleichen abfällige Bemerkungen mehr sind. Aber ich bin kein Spötter. Ja, ich sehe schon die verblüfften Gesichter meiner Umgebung, wenn sie diesen Satz von mir hören, aber in dieser Frage: nein, ich bin kein Spötter.

Sie kam die Treppe hoch in meinem Traum, nachdem sie lange angekündigt war und ich mit einer Sehnsucht auf sie gewartet hatte, die mir selbst im Traum das Herz fast zerbrochen hätte, wenn ich denn eines in meiner Brust trüge. Und dann, nach dieser langen Wartezeit, kam sie herauf, immer noch mit diesem wiegenden Schritt, der künstlich wirken würde, wenn es nicht sie wäre. Eine Wendeltreppe war es, ich beobachtete sie schon, wie sie die erste Stufe betrat, unter mir, sie hatte mich noch nicht wahrgenommen.

Sie kam langsam, der Drehung der Treppe folgend, hinauf, gewahrte mich, als sie die Hälfte erreicht hatte und wieder sah ich diesen zu mir gerichteten Blick. Ich sah, wie das Gesicht sich belebte, wie die Augen zu strahlen begannen, wie sie zuerst den Blick noch einmal senkte, um ihn dann umso strahlender auf mich zu richten, den vollen Mund mit den weichen Lippen zu einem liebevollen Lächeln geformt. Sie kam auf mich zu, immer weiter die Treppe hinauf, und zerschmolz dann wie im Traum, als der Traum, der sie war, und ich wachte auf.

Lange blieb ich so, verfangen in der Erinnerung, keine Aufgabe, die ich mir für den folgenden Tag gesetzt hatte, konnte mich ablenken, sie war es, die ich in mir trug, als ich aufstand, sie war es, die mich begleitete, als ich in die Sparkasse ging und sie schützte mich auch vor allen Anfeindungen, die der Ausbilder, dem ich jetzt noch für kurze Zeit dienen musste, für mich bereit hielt. Sie war in mir, mir konnte nichts geschehen.

Ich sah sie zum ersten Mal in dem Restaurant, in dem ich vor dem Beginn meiner Lehre bei der Sparkasse als Kellner bediente. Sie war da mit einer Frau, wohl einer Freundin, und sie aßen an einem meiner Tische fürstlich. Ich sah sie und war sofort verliebt wie ein Mensch in meinem Alter in seine erste Liebe. Sie saß da, sprach mit ihrer wohlklingenden Altstimme, lachte und plauderte mit ihrer Freundin und lächelte mich an, als ich ihr die Speisekarte reichte mit der vollendeten Freundlichkeit, die ich bevorzugten Gästen zuteil werden ließ. Immer wieder suchte sie den Blickkontakt, als ich die Bestellung aufnahm, als ich ihr die Vorspeise servierte, den Wein dazu einschenkte, den Hauptgang servierte und danach das Dessert. Ich bediente nur sie, ihre Freundin und die Gäste an meinen anderen Tischen liefen nebenher, sie wurden zuvorkommend behandelt, keine Frage, aber bedient habe ich an diesem Abend nur sie, und sie hat es mir mit ihrem immer wiederkehrenden Lächeln gedankt.

War ich es, dessentwegen sie von diesem Abend an Stammkundin in dem Restaurant wurde? War es Zufall, dass sie immer, wenn sie bei uns Gast war, an einem meiner Tische saß?

Ich jedenfalls ging von diesem Abend an mit einer erwartungsvollen Freude zur Arbeit. Würde sie heute wieder da sein? Durfte ich sie heute bedienen? Und oft genug durfte ich.

Heute Nacht habe ich von ihr geträumt.

4.

„Gut, also dann können wir morgen zum Notar gehen und das alles beurkunden lassen?“

Fragend sah ich zwei Jahre nach meinem Ausscheiden bei der Sparkasse meinen Besucher an. Herr Gaibrich war mir von einem der bundesweit tätigen Makler in mein Büro geschickt worden, die ich angerufen und um ihre Vermittlungsdienste gebeten hatte. Das Geschäft mit Immobilien in Wasserburg war in vollem Gange und auch Herr Gaibrich wollte teilnehmen. Er war ein großer, dicker Mann, gemütlich wirkte er mit seinem gutmütigen Gesicht, seinem breiten schwäbischen Akzent und seinem immer freundlichen Lachen. Mein Haus in der Hoffmannstraße wolle er erwerben, hatte er mir telefonisch als Anlass für seinen Besuch genannt, und ob ich ihm am Telefon schon einen Preis nennen könne. Das war ein schwieriger Moment gewesen, ich hatte das Objekt vor drei Monaten für hundertzwanzigtausend Mark erworben.

„Ja“, hatte ich gedehnt, während ich fieberhaft überlegte. Verlangte ich zu viel, sprang er ab, forderte ich zu wenig, hatte ich eine Chance vertan. „Sechshunderttausend Mark müsste ich schon haben“, sagte ich dann entschlossen.

Daraufhin war er angereist, wir hatten uns in meinem Büro getroffen.

„Sechshunderttausend Mark sind eine Menge Geld“, sagte er nach der Begrüßung.

„Natürlich“, antwortete ich, „aber das Objekt ist das auch wert, Sie müssten es sich ja sowieso ansehen. Wir sollten das vielleicht als erstes tun.“

Ich wusste, war er erst einmal dort, würde er den Preis immer noch herunterhandeln, aber das Haus war repräsentativ, mit einer klassischen Fassade, einem stabilen Windfang und die Wohnung, die ich ihm zeigen konnte, war solide hergerichtet. Er würde sich dann schon auf meine Größenordnung einlassen. Dass die Hoffmannstraße nicht in der besten Wohngegend Wasserburgs lag, konnte er als Fremder nicht sehen. Nun hatte er das Haus besichtigt, der lichte Frühlingstag hatte es im besten Licht erscheinen lassen. Es hatte ihm sehr gut gefallen und jetzt saßen wir wieder in meinem Büro.

„Ja, ich will den Vertrag abschließen“, antwortete Gaibrich auf meine Frage, „aber können wir nicht noch heute beim Notar beurkunden? Dann spare ich eine Übernachtung und kann heute noch nach Hause fahren, das wäre dann weniger lästig.“

Das war einer der Grundsätze in diesem Geschäft: Hast du den Kunden erst mal an der Angel, schlepp ihn sofort zum Notar, ehe er sich das anders überlegt. Aber auch: Lass ihn drängen, drängele nicht von dir aus. Und da hatte ich ihn nun.

„Ich weiß nicht“, sagte ich mit bedenklichem Gesicht, „dazu müsste ich einen Notar finden, der den Vertrag heute noch vorbereitet und dann auch beurkundet.“

„Kennen Sie denn hier nicht einen Notar, der das für uns machen würde?“ Breit lächelte Gaibrich mich bittend an. Ich griff zum Telefonhörer.

„Rheidt hier, Frau Gerber, ist der Notar da?“ Ich wartete.

„Guten Tag, Herr Dr. Manscher, ich habe einen Kunden, der möchte ein Haus von mir kaufen, er ist aus Stuttgart und möchte nach Möglichkeit heute noch zurück. Können wir den Vertrag im Laufe des Tages bei Ihnen beurkunden?“

„Ich weiß nicht, Herr Rheidt, dazu müssen wir doch den Vertrag erst noch entwerfen.“

„Deshalb rufe ich ja an, aber Herr Gaibrich, das ist der Käufer, würde gerne heute abschließen. Der Kaufpreis ist fünfhundertfünfzigtausend Mark.“

Ich wusste, das würde ihn reizen, seine Gebühren würden für Wasserburger Verhältnisse überdurchschnittlich sein.

„Ja, gut, geben Sie mir die Daten durch, dann können wir uns um sechs Uhr in meinem Büro sehen.“

Ich nannte ihm Käufer, Objekt und Kaufpreis.

„Das haben Sie ja toll hingekriegt“, strahlte Gaibrich, „dann gehe ich jetzt Kaffee trinken und um sechs treffen wir uns beim Notar.“

Herr Gaibrich war nicht der einzige. Ich hatte mich nach der Lehre und nachdem ich meinen Vertrag bei der Sparkasse gekündigt hatte, darauf spezialisiert, alte Mehrfamilienhäuser zu kaufen, so billig wie möglich, und sie dann mit einem kräftigen Aufschlag zu verkaufen, ohne daran etwas zu verändern.

Seit einiger Zeit dachte ich darüber nach, in die Häuser geringfügig zu investieren, um meine Gewinnspanne noch zu erhöhen, aber dieser Vertrag brachte mir erst einmal über vierhunderttausend Mark Gewinn, davon die Steuern ab, und ich konnte endgültig das Auto, das mir seit längerer Zeit ins Auge stach, kaufen und noch genug zurücklegen, um in ein neues Projekt zu investieren.

5.

Weitere zwei Jahre später hatte ich elf solcher Immobilien fertig gestellt. Mein Bankkonto wies ein Guthaben von etwas über eine Million Mark aus, das wären, die Währungsumstellung stand bevor, rund fünfhunderttausend Euro. Ich musste mich schon jetzt an den neuen Namen des Geldes gewöhnen. Der Euro sollte zwar erst in zwei Jahren eingeführt werden, aber Aktien wurden ab sofort in dieser Währung gehandelt und mit Aktien wollte ich mich in Zukunft beschäftigen. Seit einem Jahr verfolgte ich intensiv die Kurse, ständig lief in meinem Büro der Aktienticker von „ntv“ und informierte mich über Kursverläufe und die Nachrichten dazu. Die ersten Erfahrungen mit Aktien lagen hinter mir, sie stiegen und fielen sehr schnell. Verluste hatte ich hinnehmen müssen, hier zehntausend Euro, dort fünftausend. Einmal waren dreißigtausend Euro verloren. Aber die Börse versprach dafür horrende Gewinne, wenn man keine Fehler machte und etwas Glück hatte. Per Saldo war ich nach einem halben Jahr rund sechzigtausend Euro reicher, und zwar vorwiegend am sogenannten Neuen Markt. An der Börse wurden Firmen gehandelt, Aktiengesellschaften, die keinerlei Vermögen hatten, keinen Grund und Boden, keine Maschinen, nichts. Die Gesellschaften in diesem Bereich zeichneten sich dadurch aus, dass sie eine gute Idee aufzuweisen hatten, nicht nur eine, eine Fülle neuer Ideen wurden da an den Markt gebracht, alle beschäftigten sich mit den neuen Informationstechniken, manche mit Hardware, die meisten mit Software, aber alle im Zusammenhang mit den neuen Kommunikationsmöglichkeiten. Sie holten sich Geld an der Börse, gaben Aktien aus, um ihre Ideen zu finanzieren und mit diesen Aktien spekulierte ich. Vollkommen neue Begriffe entstanden, die „IT Branche“ wurde zu einem neuen Modewort, man investierte in „start up“ Unternehmen dieses Zweiges und hielt das für eine gute Idee und ich schloss mich an. Ich bat die Sparkasse Wasserburg um Kredite, um in diese Aktien zu investieren und die Sparkasse gab sie gern, nicht nur, weil sie mich ausgebildet hatten und mir daher trauten, sondern weil sie ein gutes Geschäft witterte. Auch sie waren angesteckt von dem Run auf die neuen Aktien, sie spekulierten selbst und finanzierten ihren guten Kunden jeden Betrag. Im April 2001 hielt ich ein Aktienpaket von rund sieben Millionen Euro, sicher hinterlegt auf einem Depot bei der Sparkasse Wasserburg. Der Kredit von etwa drei Millionen, den mir die Bank zur Finanzierung der Aktien gegeben hatte, beunruhigte weder mich noch den Vorstand der Sparkasse, bei dem Aktiendepot?

Im Juni 2001 begannen die Werte zu fallen, bis August summierten sich die Verluste auf neun Zehntel meines Vermögens.

Am 19. August 2001 hatte ich einen Termin bei dem Vorstand der Sparkasse, Herrn Hartmann.

„Herr Rheidt, Ihr Depot ist zusammengeschmolzen auf hundertfünfzigtausend Euro. Wir haben Ihre Kredite neu bewertet, die Sicherheiten reichen bei weitem nicht mehr aus für die ausgegebenen Summen.“

„Aber Herr Hartmann, warten Sie doch einfach noch einen kleinen Augenblick, die Aktien werden ihre früheren Werte mit Sicherheit wieder erreichen. Ich finde, wir sollten uns noch einen Monat geben. Sie wissen ja, ich bin insolvent, wenn ich die Aktien jetzt verkaufe.“

„Das mag sein, aber wir werden nicht weiter warten. Sie müssen jetzt die Aktien verkaufen, sonst werden wir die Kredite kündigen.“

Zum ersten Mal konnte ich die Angst nachvollziehen, die Menschen immer beschrieben, wenn sie pleitegingen. Die Angst, wie sie ihre Familien ernähren sollten, wie sie ihren Freunden und vor allem ihren Freundinnen beibringen sollten, dass sie kein Geld mehr hatten, wie sie den Abstieg verkraften sollten. Nun, ich hatte keine Familie, meine gesellschaftliche Stellung war mir egal, und so sagte ich:

„Gut, wenn Sie wollen, verkaufe ich, aber Ihr Geld werden Sie dann wohl auf keinen Fall wiederbekommen.“

Und so verkaufte ich und ging pleite nach allen Regeln der Kunst, wie sie sagen. So endete mein Ausflug in die Sphäre der Berufstätigkeit.

Aber es ist besser, ich beginne am Anfang.

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