Читать книгу ZwischenWelten - Friedrich von Bonin - Страница 7

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Erstes Buch:

Der Rat der Sieben

1.


Fanfaren gleich strahlte der Ruf durch den schwarzen Raum, klingend, ein Ruf, fordernd, hell, triumphierend, Kommandos gebend selbst dem Unendlichen, in dessen Weiten ich mich fast verloren geglaubt hatte. Fanfaren auf der Erde bedeuteten Freude, begeisterter Aufruhr, Helligkeit. Für mich, hier im grenzenlos scheinenden Universum, bedeuteten sie nur eins:

Den Ruf nach Rückkehr, ohne Verzug, sofort, in die Zentrale.

Ich befand mich gerade im sechsten Bezirk, als er erklang, befehlend, jeden Widerspruch sofort ausschließend, die Töne durchdrangen mühelos die dichte Schwärze des Universums, versuchten, es aufzuhellen, ohne Erfolg indes. Mein Auftrag im sechsten Bezirk war nichts Aufregendes, eine Routineangelegenheit, und so ließ ich alles stehen und liegen, froh, der undurchdringlichen Schwärze entfliehen zu können, sei es auch nur, um im grellen Licht der Zentrale von ihm neue Befehle zu empfangen, zum Guten oder zum Schlechten, ich wusste es nicht.

Gedankenschnell war ich zurück, in dem großen Versammlungssaal, wo wir uns trafen, alle waren wir dem Ruf gefolgt, es gab keine andere Möglichkeit als die des absoluten Gehorsams. Und kaum war eine kleine Zeit vergangen in dem hellen, alles durchdringenden Licht der Zentrale, als ich mich schon wieder nach dem Dunkel sehnte, nach den unendlichen Sphären des Universums, in denen kein Raum und keine Zeit war, nur Schwärze, ich und mein Auftrag.

Aber jetzt war ich hier und gerade drei Wimpernschläge später waren wir vollzählig und warteten, aber nicht zu lange.

Er erschien, wie immer in den langen schwarzen Radmantel gehüllt, dem Mantel, der innen mit Seide gefüttert war, in Rot, einem Rot wie Menschenblut, und der in starkem Kontrast zu dem schneeweißen Gesicht stand. Glühende, kohlschwarze Augen starrten aus dunklen, tiefliegenden Höhlen, fixierten jeden Einzelnen von uns, lange, intensiv und angsteinflößend, wenn es uns denn gegeben wäre, Angst zu empfinden.

„Verehrte Kollegen!“ Wie lange hatte ich diese Stimme nicht mehr gehört, diese vollkommen farblose Stimme wie aus vergangenen und zukünftigen Zeitaltern, hohl wie aus einem tiefen Brunnen und ohne jede Emotion, selbst mich durchlief jedes Mal ein Schauer, fast wie menschliche Angst, wenn ich sie hörte. Und von wegen Kollegen. Er war der Fürst, er wusste es und wir wussten es, aber er nannte uns Kollegen.

„Verehrte Kollegen, es hat sich alles geändert. Wie Sie wissen, ist es uns verboten, den Menschen anzutasten, uns auch nur in seine Belange einzumischen. Wir sollen ihn gewähren lassen, so ist die Vorgabe der Schöpfenden Kraft. Diese Vorgabe hat sich geändert.

‚Tastet mir nicht das Menschengeschlecht an‘, so lautet nach wie vor die Maxime. ‚Tut ihnen nichts, aber jetzt: Geht zu ihnen, führt sie auf ihren eigenen Weg, beseitigt sie nicht, aber sie werden nicht mehr gehindert sein, ihren eigenen und Ihren Versuchungen zu folgen.‘ Also versucht sie.“

Er schwieg und fixierte uns mit den brennenden Augen.

„Probieren wir unsere Kräfte an ihnen aus. Sieben von Ihnen werden zu ihnen gehen und diesen Auftrag erfüllen. Gehen Sie zu den Menschen, führen Sie sie in Versuchung und stellen Sie sie auf die Probe, ob sie sich nicht selbst zerstören.“

Unruhe machte sich unter uns breit. Niemals hatten wir den Menschen ernsthaft auf unseren Weg der Zerstörung führen dürfen, dieses eigenartige Produkt der Mischung zwischen Tier und Engel, das der Schönheit der Schöpfung Hohn sprach, indem es sündigte, was das Zeug hielt, seit es das Böse erkannt hatte, das Böse, das notwendig zur Schöpfung gehörte.

Unser Fürst selbst hatte dessen Einführung vorgeschlagen, dort, wo alles entsteht. Die Welt sei unvollkommen, hatte er vorgebracht, wenn nicht das schlechthin Böse darin sei, da könne keine noch so allmächtige Weisheit etwas anderes ersinnen. Wenn keine Wahl bestehe, das Gute oder das Böse zu tun, könne es gar kein Gut geben, eben weil ja die Wahl nicht sei. Und bei allem Respekt für die allwissende Schöpfungsgewalt: Immer, wenn diese eine Welt denke und schöpfe, die nur aus dem Guten bestehe, lasse sich eine andere, vollkommenere, bessere denken, nämlich eine, die seinen Geschöpfen die Freiheit lasse, dem Willen des Allschaffenden eben nicht zu folgen, eine Welt, in der auch das Böse seinen Platz finde.

Lange hatte man sich besonnen, wohl bedenkend, dass unser Meister und seinesgleichen die andere Seite der Welt, die dunkle, die mordende, brennende, sengende, sofort für sich reklamieren und sie nach Kräften befördern würden, um dann, wenn dieser Teil überhandnahm, Zerstörung zu fordern, Vernichtung. Nicht mehr Schöpfung, sondern das Gegenteil, sondern Einsicht in Fehlentwicklungen. Um es rundheraus zu sagen: Irrtümer wollten wir zeigen, begangen von der Allwissenheit. Wie wollten wir triumphieren, welch schreiendes, allumfassendes Gelächter, wenn wir der allmächtigen Schöpfungskraft, die alles wusste, Fehler in der Schöpfung nachweisen konnten.

Welch seltener Widerspruch, welche Genugtuung bei uns!

Die schaffende Kraft musste das Böse in der Welt zulassen, klar erkennend, dass sie damit ihre eigene Schöpfung hässlich machte und gemein, aber eben auch einsehend, dass alles andere den Anspruch auf Vollkommenheit schlechterdings nicht mehr würde erheben können.

Und so setzten wir durch, dass mit dem Bösen in den schwächsten Teil der Schöpfung, den Menschen, erst die Todesangst gepflanzt wurde und dann alle die Eigenschaften, mit denen er sie bekämpfte, als da sind Gier, Allmachtsphantasien und Raub- und Mordlust. Ausgerechnet in den Menschen, den die Kraft schon gegen unseren Widerstand geschaffen hatte, ein Wesen, anders als die unfruchtbaren Engel fruchtbar und anders als die bewusstseinslosen Tiere mit Bewusstsein. Und zu unserer großen Freude und Befriedigung kam die allmächtige Weisheit auf die Idee, gerade dieser Mensch müsse das Bewusstsein nicht nur von sich selbst, sondern auch von seinem Wahlrecht bekommen, die Wahl kennen zwischen Gut und Böse und zu allem Überfluss in ihn den Wahn zu pflanzen, das Gute zu wollen.

Was für eine verquere Idee, die in uns Zweifel an der Allwissenheit nährte.


2.

Ich erinnere mich noch gut, wie unser Fürst dort, bei der Schöpfungsgewalt, den Anspruch auf Zerstörung geltend machte, forderte, dieses merkwürdige Wesen habe aus der Schöpfung zu verschwinden. Und dann plötzlich waren es nicht mehr wir, die Vernichtung forderten, sondern die schaffenden Kräfte selbst, die der Welt in ihrem Zorn über die unsäglichen Untaten der Menschen eine gewaltige Flut schickten, die über die bewohnten Teile der Erde floss. Erst im letzten Augenblick scheint man sich besonnen und einige wenige Exemplare der eigentlich zum Untergang verurteilten Geschöpfe gerettet zu haben. Und damit nahm die Geschichte ihren Lauf.

Zum letzten Mal hatten wir die Zerstörung gefordert, nachdem ein besonders entsetzliches Muster der Gattung Mensch im römischen Reich nicht nur eine ganze Stadt in Schutt und Asche gelegt, sondern auch Tausende Seinesgleichen mit verbrannt hatte.

Nero, der römische Kaiser, war ein selten verdorbenes Exemplar Mensch, selbst unter diesem grauenhaften Geschlecht. Ich war damals an seinen Hof geschickt worden und hatte mich zu seinem Berater hochgedient. Jakobus Rhitus war ich, hochdekorierter Senator und im Capitol so wie am Kaiserhof wohl gelitten.

Der Imperator Roms, wie der Kaiser sich nannte, fürchtete alles und jeden. Seine Frau Poppäa, eine bekannt schöne Frau, war ihm untreu, mit Senatoren, mit Sklaven, mit allem, was einen Schwanz trug und nur annähernd ansehnlich war. Sie betrog Nero, der nichts mehr fürchtete, als dass sie ihn betrog. Aber er wusste nichts davon. Alle seine Spione, alle seine Freunde, die er immer wieder aufforderte, seine Frau zu bewachen und ihm das geringste Augenzwinkern zu melden, das sie einem anderen Mann zuwarf, hinterging entweder Poppäa bei ihren Affären oder sie bestach sie. Ich zum Beispiel, Jakobus Rhitus, wusste von ihren Affären und sie wusste, dass ich ihre Liebhaber kannte. Sie war sehr klug und verstand es, mich zu bestechen, auf die einzige Art, in der ich zu bestechen bin. Erst versuchte sie, mich zu verführen, das verfing bei mir nie. Also lockte sie mich mit Geld, das ich gerne nahm, allerdings ohne ihr Treue zu versprechen. Und schließlich verfiel sie auf die Idee, mich bei ihrem Mann, dem Kaiser, hoch zu loben, bis er mich zu seinem ersten Berater ernannte und behielt. Dafür gelobte ich ihr Schweigen.

In kurzer Zeit als Berater bekam ich heraus, dass Nero nicht nur fürchtete, von seiner Frau betrogen zu werden. Hinter jedem Vorhang witterte er Verrat, vermutete er einen Mörder, er duldete daher keine Vorhänge in seinem Palast.

Und dann machten die Christen ihm zu schaffen. Das war eine neue Sekte, die seine Vorgänger energisch verfolgt hatten, weil sie der Meinung waren, eine neue Religion verderbe die Menschen, es gebe außer Jupiter, dem Staatsgott, nur noch den Imperator, den Kaiser, selbst gottgleich. Die Christen verstießen daher gegen die Staatsräson, sie wurden verfolgt und, wenn gefasst, hingerichtet.

Nero intensivierte die Verfolgung vor allem deshalb, weil er ihrer neuen Religion gegenüber unsicher war. Was denn, wenn sie Recht hätten, wenn es einen Gott gäbe, der die Taten der Menschen nach deren Tod beurteilte und strafte? Dann könnte Gott auch ihn nach seinem Tode richten. Ich nährte nach Kräften seine Zweifel an der Richtigkeit der christlichen Thesen und riet ihm, sie so grausam wie nie zuvor zu jagen.

Die Unnachsichtigkeit, mit der er meinem Rat folgte, entsprach nicht nur meinen Ratschlägen, sondern war auch Ausdruck der Rache an denen, die ihn verunsichert hatten. Er ließ sie in Massen hinrichten, in Felle wickeln und den wilden Tieren zum Fraß vorwerfen, ließ sie kreuzigen und so ihren Gott verhöhnen, der angeblich ebenfalls gekreuzigt worden war. Er trieb sie in Arenen zusammen, wo er sie wehrlos abschlachten ließ. Selbst das römische Volk, sonst eher nicht zimperlich im Ansehen von blutigen Hinrichtungen, opponierte mehr und mehr gegen diese Art der Verfolgung.

Deshalb verfiel Nero auf die Idee, sie für ein großes Unglück verantwortlich zu machen. Er verzog auf sein Landhaus, ungefähr fünfzig Kilometer von Rom entfernt und gab Sklaven den Auftrag, die Stadt in Brand zu setzen. Rom brannte, vier Tage und vier Nächte lang.

Die Stadt war in großen Teilen aus Holz gebaut, sie fiel in einem lodernden Feuer zusammen und in ihm verbrannten Tausende von Menschen, eingeschlossen in ihren Häusern.

Nach dem Brand in die Stadt zurückgekehrt, beschuldigte Nero die Christen dieses Verbrechens und intensivierte, jetzt mit Zustimmung des Volkes, die Verfolgung noch einmal.

3.

Nero sei nur ein Exemplar, allerdings ein besonders ekelhaftes, dieser Spezies, so brachten wir vor, einer Spezies, die von der Welt verschwinden müsse. Sie raube und morde und sündige, dass es nur so eine Art habe, nichts sei vor ihnen sicher, kein Mensch, kein Tier, nicht die Welt und nicht die Himmel. Sie müsse verschwinden, forderten wir von der schöpfenden Allmacht.

Man zögerte.

Allerdings sei dieser Kaiser und seien die Menschen eine besonders verurteilenswerte Erscheinung innerhalb der Schöpfung, aber eben immer noch Teil der Schöpfung und als solcher erhaltenswert. Und man könne nicht umhin, meiner Rolle bei den Taten des römischen Kaisers zu gedenken. Sei nicht ich es gewesen, der ihn beraten und zu den Taten getrieben habe, die jetzt beklagt würden. Sei nicht ich eigentlich der Urheber des ganzen Unglücks? Und dann, habe der Kaiser nicht begonnen, umfangreiche Aquädukte im römischen Reich zu bauen, eine dankenswerte Tat?

Immer wieder hatten wir Vernichtung gefordert, und immer wieder waren wir auf die Unantastbarkeit des Menschen hingewiesen worden.

Und nun plötzlich eine, wenn auch nur kleine, Sinnesänderung?

4.

„Wir werden die Änderung nutzen, und sei sie noch so klein, und nicht danach fragen, was sie verursacht hat. Dergleichen fragt man nicht“, wieder drang die kalte, scharfe Stimme des Fürsten durch den Saal. „Ich werde sieben Vertreter ernennen, die auf die Erde gehen und sie begleiten, sie beraten, die die eigenen Eigenschaften der Menschen fördern und stützen, so lange, bis sie sich selbst dem Untergang weihen.“

Er begann, die Sieben aufzurufen, die bei ihnen wirken sollten. Ich war unaufmerksam, kam ich selbst doch für solche Aufgaben nicht in Frage, seit ich als Berater bei Nero aufgefallen war.

„Jakob Rheidt“. Da fiel mein Name doch noch, als siebter in der Reihe. „Womit sind Sie gerade beschäftigt, Herr Rheidt?“

Wenn der Fürst das fragt, weiß man besser eine Antwort.

„Ich bin im sechsten Bezirk. Dort gibt es auf dem dritten Planeten kristalline Existenzen, von denen man vermutet, dass sie zu Leben erwachen könnten.“

„Unwichtig. Sie werden dem Rat der Sieben angehören. Sie werden im siebzehnten Jahrhundert als Sekretär Wallensteins wirken.“

Das war ja prächtig. Kein langweiliger Dienst mehr bei Kristallen, die, was mich anbetraf, niemals Leben entwickeln würden, stattdessen mitten auf der Erde. Ich dankte überschwänglich.

„Keine Zeit verlieren, meine Herren, bilden Sie den Rat und beginnen Sie ihre Tätigkeit.“

Mit diesem kalt und drohend ausgesprochenen Satz, der wie ein Fluch hängen blieb, war er verschwunden. Die Versammlung verstreute sich, nur wir sieben blieben noch einen kurzen Moment zusammen.

„Sie haben mir alle drei Monate Bericht zu erstatten“, Herr Bürstenfeld, ein entsetzlicher Pedant, war zum Vorsitzenden der Sieben ernannt worden und gab uns seine kurzen Anweisungen, „einmal jährlich werden wir uns hier unaufgefordert versammeln und die Erfolge erörtern.“

Auch er war kurz und überließ uns unseren Aufgaben.

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