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3. Statistik des Blindenwesens.

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Inhaltsverzeichnis

Eine zahlenmäßige Übersicht der Häufigkeit der Blindheit, der Verteilung auf die verschiedenen Lebensalter, der Ursachen der Erblindung, der beruflichen Stellung der Blinden, der Fürsorge in unterrichtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht: kurz eine Statistik des Blindenwesens ist in vieler Hinsicht wertvoll. Ein Interesse an einer solchen Statistik haben in erster Linie die Staatsbehörden und Kommunen, die Ärzte, die Blindenlehrer und diejenigen Menschenfreunde, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, den Blinden zu helfen und ihnen ihr Los zu erleichtern. Die Statistik ist in mancher Beziehung der Ausgangspunkt der Fürsorge für die Blinden; sie bildet die Grundlage für Maßnahmen zur Verhütung der Blindheit und zur Errichtung von Unterrichts- und Beschäftigungsanstalten; auch ist sie, wenn sie in rechter Weise ins Publikum gebracht wird, ein vorzügliches Mittel, um Aufklärung zu schaffen, um der Allgemeinheit das Gewissen zu schärfen, ihr den Segen mancher hygienischen Einrichtungen zum Bewußtsein zu bringen und sie an die Pflicht zu erinnern, die sie dem Unglück der Blindheit gegenüber hat.

Die Aufstellung und Verarbeitung des statistischen Materials über das Blindenwesen ist nicht immer in einwandfreier Weise geschehen. Die Fehlerquellen der Blindenzählungen liegen besonders darin, daß nicht Ärzte, sondern Laien die Zähllisten ausfüllen. Infolgedessen werden häufig Personen, die nur noch ganz schwache Sehreste besitzen, die also im praktischen Sinne blind sind, nicht als blind bezeichnet, wie es auch andrerseits vorkommt, daß Personen mit ganz gutem Sehvermögen als blind in die Listen eingetragen werden. Mit dem zunehmenden Bildungsgrad der Bevölkerung sind die Zählungen freilich genauer geworden; so hat z. B. eine Nachprüfung des im Königreich Bayern durch die Volkszählung vom Jahre 1900 ermittelten Zählmaterials ergeben, daß das bei der Volkszählung gewonnene großzügige Bild nach Zahl und Alter der Blinden im allgemeinen richtig war; es ergab sich für die Gesamtblindenzahl von ca. 3500 Personen nur eine Differenz von 60 als Minus zur ersten Zählung.

Bei der Wichtigkeit, welche die Statistik für das Blindenwesen hat, ist es begreiflich, daß die Blindenlehrer an der Durchführung, Vervollkommnung und Verwertung der Blindenzählungen gerne mitwirken. Sie halten es insbesondere für ihre Pflicht, im Verein mit den Staatsbehörden und den Ärzten dazu mitzuhelfen, daß die vermeidbaren Erblindungen immer mehr zurückgehen. Es wurde deshalb bei Gelegenheit des XII. Blindenlehrerkongresses in Hamburg eine „Kommission für internationale Blindenstatistik“ ins Leben gerufen, die in dem oben bezeichneten Sinne tätig ist.

Im folgenden können nur einige allgemeine Angaben und einige wichtige Tabellen gebracht werden; Ausführliches enthält die unten genannte Literatur.

Europa hat annähernd 300000 Blinde; die Zahl der Blinden auf der ganzen Erde wird mit über einer Million anzunehmen sein. Die Häufigkeit der Blindheit in einigen europäischen Ländern zeigt folgende Tabelle:

Zahl der Blinden: Auf 100000 Einwohner entfallen Blinde:
Deutsches Reich (1900) 34334 60,9
Österreich (ohne Ungarn)(1900) 14875 56,9
Schweiz (1895) 2107 72,2
Dänemark (1901) 1047 42,8
Schweden (1900) 4313 66,4
Norwegen (1900) 1879 84,6
Frankreich (1883) 32056 84,3
Britisches Reich (1891) 31966 79,9
Italien (1881) 21718 76,2
Finnland (1880) 4460 178,4

Nach dieser Tabelle ist die Blindheit am häufigsten in Finnland, am seltensten in Dänemark.

Im Deutschen Reiche entfielen auf 100000 Einwohner

im Jahre 1871 88 Blinde
1900 61

Die relative Abnahme der Blindheit betrug in 30 Jahren rund 30%.

Nachstehende Tabelle gibt die Zahl der Blinden in den größeren Bundesstaaten des Deutschen Reiches nach der Zählung von 1900.

Zahl der Blinden: Auf 100000 Einwohner entfallen Blinde:
Preußen 21614 62,7
Bayern 3444 55,8
Sachsen 2715 64,6
Württemberg 1302 60,0
Baden 1003 94,6
Hessen 537 47,9
Mecklenburg-Schwerin 457 76,1
Hamburg 258 36,8
Elsaß-Lothringen 997 58,3
Preußische Provinzen. Zahl der Blinden: Auf 100000 Einwohner entfallen Blinde:
Ostpreußen 1883 94,1
Westpreußen 1233 79,0
Stadtkreis Berlin 1036 54,5
Brandenburg 1899 61,2
Pommern 1158 71,0
Posen 1345 71,0
Schlesien 3012 64,5
Sachsen 1814 64,1
Schleswig-Holstein 897 64,5
Hannover 1462 56,4
Westfalen 1460 45,7
Hessen-Nassau 1087 57,2
Rheinprovinz 3286 57,0

Teilt man die Gesamtzahl der Blinden in zwei große Altersklassen, in Blinde unter 50 Jahren und in Blinde über 50 Jahren, so ergeben sich im Deutschen Reich:

für die 1. Gruppe 14084 Blinde = 42%
2. 20250 = 58%
Auf 100000 Einwohner unter 50 Jahren entfallen 29,5 Blinde
über 230,8

26% aller Blinden sind in früher Jugend, 74% sind später erblindet. Im Alter von 1–5 Jahren erblindeten 15½% sämtlicher Blinden.

Im Alter von 5–15 Jahren, also ungefähr im schulpflichtigen Alter, standen 2340 Blinde = 6,8%. Die Gesamtzahl der männlichen Blinden betrug 17818, der weiblichen 16516 (männlich = 52%, weiblich = 48%). Aus Gemeinden bis zu 2000 Einwohnern (Landgemeinden) stammten 62%, aus größeren Gemeinden (Stadtgemeinden) stammten 38%.

In den ersten 5 Jahren herrscht große Erblindungsgefahr; die geringste Gefahr besteht während der Schulzeit. Vom 16. bis 50. Jahre nimmt die Erblindungsgefahr langsam aber stetig zu; vom 51. Lebensjahre ab steigt sie rasch an. Die höchste Erblindungsgefahr besteht zwischen dem 70. und 80. Lebensjahre.

Folgende Tabelle (nach Hirsch) zeigt die häufigsten Ursachen der Blindheit von 2210 in der Jugend erblindeten Augen.

I. Angeboren. Prozent
Kindlicher grüner Star (Buphthalmus) ––2,4
Kleinauge (Mikrophthalmus) –––3,6
Pigment-Degeneration (Retinitis pigmentosa) —––4,5
Angeborene Krankheit der Sehnerven (Atrophia optica congenita) ——–4,8
Angeborener grauer Star (Cataracta congenita) ––––––––10,1
II. Augenkrankheiten ohne Körperleiden.
Grüner Star (Glaucoma) –1,2
Sehnervenschwund (Atrophia nervi optici) –––3,9
Augenentzündung der Neugeborenen (Blennorrhoea neonatorum) ––––––––––––––––––––––––––––––38,1
III. Durch Körperkrankheiten.
Typhus –1,4
Scharlach ––2,3
Pocken ——3,1
Skrophulose ––––4,6
Gehirnentzündung —–––4,9
Masern ———–6,1
IV. Verletzungen etc.
Verletzungen des Kopfes -0,9
Sympathische Entzündungen ––2,4
Direkte Verletzungen ———–5,7

Eine im Mai 1901 in 33 deutschen Blindenanstalten vorgenommene Ermittelung zeigt (nach Professor Cohn-Breslau) in bezug auf Blennorrhöe, Pocken und äußere Verletzungen folgendes Bild:

Gesamtzahl der Blinden 2175
Zahl der Blennorrhöe-Blinden 432 = 20%
Zahl der Blinden unter 10 Jahren 268
Von diesen durch Blennorrhöe erblindet 83 = 30%
Pocken-Blinde 16 = 0,7%
Durch Verletzung Erblindete 155 = 7%

Prof. Dr. Cohn, Haben die neueren Verhütungsvorschläge eine Abnahme der Blindenzahl herbeigeführt? Kongr.-Ber. Breslau 1901.

Hirsch, Entstehung und Verhütung der Blindheit. Jena 1902.

Die Blinden im Deutschen Reiche nach dem Ergebnisse der Volkszählung am 1. Dezember 1900. Sonderabdruck aus den Medizinal-statistischen Mitteilungen aus dem Kaiserlichen Gesundheitsamt. Verlag von Julius Springer Berlin.

Schaidler, Hauptergebnisse der amtlichen Blindenzählungen im Jahre 1900. Kongr.-Ber. Hamburg 1907.

Wagner, Statistische Blindenerhebung und gegenwärtiger Stand der Blindenstatistik in Europa samt Änderungsvorschlägen. Wie vor.

Derselbe, Bericht über die Schlußberatung der Kommission für internationale Blindenstatistik in Prag am 7. Oktober 1908. Prag, Klarsche Blindenanstalt 1909.

Wagner, Bericht über die Tätigkeit der Kommission für internationale Blindenstatistik. Kongr.-Ber. Wien 1910.

Erziehung und Unterricht der Blinden

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