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I.
Der Gegenstand der Erziehung: Der Blinde.

Inhaltsverzeichnis

1. Einfluß der Blindheit auf die körperliche Entwickelung.

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Als unmittelbare Folge der Blindheit in körperlicher Hinsicht kommt, abgesehen von einer öfteren Verunschönung des Gesichts und dem Fehlen des belebenden Elements im Gesichtsausdruck und Mienenspiel, nur ein Umstand in Betracht: Die Beschränkung der Bewegungsfreiheit. Der Blinde ist mehr oder weniger an den ihm durch vielfache Übung bekannt gewordenen Raum gebunden; will er die Grenzen desselben überschreiten, so ist er auf fremde Hilfe angewiesen, er muß sich führen lassen. An dieser Tatsache ist nichts zu ändern; eine verständige Erziehung kann die drückende Beschränkung wohl mildern, aufzuheben vermag sie dieselbe aber nicht.

Alle sonstigen auffälligen körperlichen Eigentümlichkeiten des Blinden sind indirekte Folgen der Blindheit; sie treten nicht in jedem Falle ein, machen sich auch nicht bei allen Blinden in gleichem Grade bemerkbar, sind abhängig von Erziehung und Alter und davon, ob die Blindheit in früher Jugend oder im vorgeschrittenen Alter eingetreten ist.

Bei vielen Blinden zeigt sich eine gewisse Ängstlichkeit und Zaghaftigkeit in der Bewegung. Sie strecken die Arme weit vor, um nicht anzustoßen, schieben die Füße vorsichtig tastend vorwärts und schleichen in gebückter Haltung dahin. Besonders bei Späterblindeten kann man diese Beobachtung häufig machen, seltener bei jugendlichen Blinden. Haben die letzteren nicht übertriebene Fürsorge oder grobe Vernachlässigung im elterlichen Hause erfahren, so bewegen sie sich in bekannten Räumen und auf bekanntem Terrain meist mit anerkennenswerter Sicherheit und Leichtigkeit. Es hat dies darin seinen Grund, daß sie in ausgedehntem Maße die ihnen für die Orientierung zu Gebote stehenden Mittel, insbesondere Druck- und Schallempfindungen zu verwerten wissen, während Späterblindete die erforderliche Übung hierin schwerer gewinnen[3].

Die mit der Blindheit gegebene Beschränkung der Bewegungsfreiheit führt häufig dazu, daß der Blinde die Bewegung auf ein Mindestmaß herabdrückt. Erschwerend kommt bei älteren Blinden noch dazu, daß sie vielfach auch durch die Ausübung ihres Berufes zum Sitzen gezwungen werden. Die mangelnde Bewegung und der ungenügende Aufenthalt in frischer Luft wirken ungünstig auf die Gesundheit ein. Namentlich treten Verdauungsbeschwerden häufig auf. Im Zusammenhange mit diesen stehen Hautausschläge und Geschwüre, die vielfach erst im vorgeschrittenen Stadium bemerkt werden und dann ärztliche Eingriffe notwendig machen. Ein blasses, kränkliches Aussehen gibt Zeugnis von der ungenügenden Durchblutung der Haut und dem nicht ausreichenden Einfluß von Licht und Luft auf den Körper. Da die Muskeln, namentlich die der Beine und des Rumpfes, zu wenig Übung haben, bleiben sie schwach, und deshalb stellt sich bei vielen Blinden selbst schon nach einem kürzeren Spaziergange Ermüdung ein, ein weiterer Grund, um die Bewegung abzukürzen. Mit der geringen Muskelbetätigung hängt ein größeres Wärmebedürfnis zusammen, das man besonders bei Mädchen häufig beobachten kann; überheizte Zimmer, übermäßig warme Kleidung und schwere Federbetten findet man bei älteren weiblichen Blinden, die sich im Hause nach ihren Wünschen einrichten können, nur zu oft.

Die Haltung des Blinden ist häufig unschön, eckig und linkisch. Seine Verbeugung ist steif, er weiß bei der Unterhaltung Arme und Hände nicht zu lassen, spielend tastet er an Stuhl und Tisch entlang oder sitzt steif und ungraziös da. Bei den Mahlzeiten macht dem ungeübten Blinden die Handhabung von Messer und Gabel Mühe. Durch Berührung der Speisen überzeugt er sich, wie weit der Teller oder der Becher gefüllt ist, zuweilen sind sogar die Finger bei der Beförderung der Speisen zum Munde in abstoßender, unappetitlicher Weise behilflich. Es ist selbstverständlich, daß solche schlechten Manieren bei wohlerzogenen Blinden nicht zu finden sind; leider ist es aber Tatsache, daß auch gebildete Eltern dieser äußerlichen, aber doch wichtigen Seite der Erziehung ihrer blinden Kinder nicht immer die nötige Sorgfalt zuwenden.

Häufig findet man bei Blinden allerlei häßliche, undisziplinierte Bewegungen: sie bohren mit den Fingern in den leeren Augenhöhlen, wodurch ihnen angenehme Lichtempfindungen hervorgerufen werden, sie drehen unaufhörlich den Kopf, wackeln mit dem Oberkörper, zappeln mit den Händen oder Füßen usw. Diese häßlichen Bewegungen halten zuweilen stundenlang an, so daß sie für die Umgebung des Blinden ganz unerträglich werden. Leicht führt die Blindheit auch zur Unsauberkeit. Die tastenden Hände kommen mit den verschiedensten Dingen in Berührung, vor Staub und Schmutz wird der Blinde weniger gewarnt als der Sehende, und es fehlt die Kontrolle des Auges über Sauberkeit oder Unsauberkeit am eigenen Körper und seiner Umgebung.

Erziehung und Unterricht sollen die in körperlicher Hinsicht mit der Blindheit zusammenhängenden Nachteile und Mängel soviel als möglich auszugleichen suchen.

Die Sicherheit der Bewegung wird gefördert durch Turnen, Tanzen, Spielen im Freien, durch strenge Beachtung der allgemein geltenden Bewegungsregeln, durch Übung im Gehen und Ausweichen und durch Vermeidung entbehrlicher Führung. Das letztere ist um so notwendiger, als es Blinde gibt, die auf selbständige Bewegung nahezu verzichten und sich, wo immer angängig, einem andern in den Arm hängen. Man dulde solche Trägheit nicht; wer dazu neigt, sollte zu öfteren kurzen Botengängen und Arbeiten, mit denen Gangbewegung verbunden ist, herangezogen werden. Zu fleißiger Bewegung regt besonders ein großer Garten an. Wo der Blinde nur auf die Anstaltsräume und einen kleinen kahlen Hof angewiesen ist, da wird er schwerlich zu einer leichten und sicheren Gangart kommen; wenn er sich dagegen auf einem großen Terrain, zwischen Bäumen und Buschwerk tummeln kann, lernt er ohne besondere Anleitung Hindernissen ausweichen und seine Sinne zur Orientierung brauchen. In manchen Anstalten erhalten die älteren Zöglinge praktische Anleitung zur Bewegung auf der Straße. Eine solche Anleitung ist für männliche Blinde, die in ihrem späteren Berufsleben ganz besonderen Wert auf möglichste Unabhängigkeit von einem Führer legen müssen, sicher nützlich.

Einen wichtigen Anteil an der Erziehung zur Bewegungsfreude und Bewegungsfreiheit hat der Turnunterricht. Er wird in den deutschen Blindenanstalten bis jetzt im allgemeinen zwar nur mit derselben Stundenzahl bedacht wie in der Volksschule; es wäre aber wünschenswert, daß ihm mehr Zeit gewidmet würde. Daß das Turnen so oft als möglich im Freien, bei ungünstiger Witterung aber in einer geräumigen Halle zu erteilen ist, dürfte selbstverständlich sein. Man wird auf eine kräftige Betätigung des ganzen Körpers bedacht sein müssen; reigenartige Übungen, die in erster Linie ästhetische Zwecke verfolgen und nur geringe Kraftanstrengung erfordern, wird man einschränken. Neben den Freiübungen ist das Geräteturnen zu pflegen. Turnspiele, die zum Laufen und Springen Veranlassung geben, sind oft vorzunehmen. Steht ein genügend großer Spielplatz zur Verfügung, so empfehlen sich, unter Beachtung der erforderlichen Vorsichtsmaßregeln, Schleuderballspiele, die den gesamten Körper kräftig anregen. Gartenturngeräte sollen den Blinden zur Übung seiner Kräfte auch in der schulfreien Zeit einladen. Eine Kegelbahn wird besonders älteren männlichen Blinden neben angenehmer Unterhaltung eine wohltätige körperliche Bewegung verschaffen. Selbst sportliche Betätigung ist in bescheidenen Grenzen möglich; in erster Linie ist hier das Rodeln und Schlittschuhlaufen zu nennen; in England und Amerika wird auch das Radfahren unter Führung eines Sehenden gepflegt. Daß einige Anstalten ihren besonderen Saal mit orthopädischen Geräten besitzen, die den Zöglingen zur Stärkung ihres Körpers zur Verfügung stehen, soll nur erwähnt werden. Für alle Anstalten sind zu fordern breite, helle, luftige Korridore, die bei ungünstiger Witterung als Wandelhallen benutzt werden können.

Die Verbesserung der Haltung des blinden Kindes und seine Erziehung zu Sitte und gesellschaftlichem Anstande ist ebenfalls wichtig. Feste, unter allen Umständen unverrückbare Anstands- und Gesellschaftsregeln müssen in der Blindenanstalt beobachtet werden. Konsequent halte man darauf, daß die Knaben beim Grüßen ihre Verbeugung, die Mädchen ihren Knicks machen, daß sie um Entschuldigung bitten, wenn sie eine andere Person angerannt haben, daß sie bei der Unterhaltung keine Verlegenheitsbewegungen machen oder Stuhl und Tisch abtasten. Besonders wichtig ist die Erziehung zu guten Manieren beim Essen. Die richtige Haltung des Löffels ist von vornherein zu üben; ältere Zöglinge sind an den Gebrauch von Messer und Gabel zu gewöhnen; die freundliche und geschmackvolle Ausstattung der Speisetische (Tischtuch) und die Beobachtung feststehender Tischsitten werden den Mahlzeiten einen wohltuenden Anstrich geben und die Manieren der Zöglinge günstig beeinflussen. Bietet sich Gelegenheit, die Zöglinge in Gesellschaft von Sehenden zu bringen, so tue man es; sie werden dadurch genötigt, auf die gesellschaftlichen Gewohnheiten und Regeln zu achten und sich manche Zurückhaltung aufzuerlegen, die sie im Verkehr mit ihren Schicksalsgenossen nicht zu beobachten brauchen. Aus diesem Grunde ist auch die gesellige Vereinigung der Anstaltsbeamten und der Zöglinge, wie sie sich z. B. an vaterländischen Gedenktagen und bei Hausfestlichkeiten ermöglichen läßt, zu empfehlen.

Neben die Gewöhnung tritt die Belehrung. Unterricht in der Anstandslehre, der natürlich die besondern Verhältnisse des Blinden berücksichtigt, sollte in keiner Anstalt fehlen.

Die häßlichen, undisziplinierten Bewegungen mancher Blinden lassen sich nur durch häufiges Erinnern und eventl. durch öftere Übung im Stillsitzen und Stillstehen beseitigen. Auch der Turnunterricht wirkt helfend mit.

Unsauberkeit an Körper und Kleidung wird bei dem Blinden von den Sehenden besonders peinlich empfunden. Darum sind die Zöglinge der Blindenanstalt mit größter Beharrlichkeit zur Reinhaltung ihres Körpers, besonders der Hände, ihrer Kleidung und Bücher anzuhalten. Aus Gründen der Sauberkeit empfiehlt es sich, die vielgebrauchten Lehrmittel mit einem feuchten Schwamm öfters zu reinigen; mit den Büchern läßt sich dies leider nicht tun.

Erziehung und Unterricht der Blinden

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