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II.

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Es gibt ein bekanntes Theaterstück, das in der ganzen Welt, auch in Deutschland, viel gespielt wird und das auf die Frage Antwort geben kann, was 1933 und später in Deutschland geschehen ist. Ich denke an das Drama »Die Nashörner« von Ionesco. In den »Nashörnern« erleben wir eine kleine, zufälligerweise französische Stadt, in der bislang das Leben so normal verlaufen ist wie in allen anderen Gegenden der Welt. Das Städtchen verwandelt sich aber schnell im Laufe des Stückes, als ob ein Virus plötzlich wirksam würde. Am Anfang erscheint ein Nashorn. Die Leute halten das zunächst für sehr absonderlich. Von Szene zu Szene werden es immer mehr Nashörner, bis am Schluß, im letzten Akt, die Einwohner der ganzen Stadt – mit einer einzigen, zudem nicht ganz unproblematischen Ausnahme – zu Nashörnern geworden sind, schreien und grölen, wie eben Nashörner brüllen. Wir erleben auf der Bühne die Entstehung einer Massenpsychose, einer Massenkrankheit.

Man hat im In- und Ausland den Eindruck gewonnen, daß Ionesco auch an die nazistische Bewegung in Deutschland gedacht hat, und einige Witzbolde hierzulande haben erklärt, das Stück habe auf deutsch einen falschen Titel. Im Wort Nashorn sei das a überflüssig. Das Stück müßte eigentlich »Die NS-Hörner« heißen, weil es darum geht, wie aus braven Bürgern Nazis wurden.

Der Zuschauer fragt sich, was denn eigentlich die Ursache dieser seltsamen Wandlung sei. Anfänglich scheint es, als gehe es um jenes uns allen bekannte Phänomen, daß Mode ansteckend wirkt. Ionesco selbst gibt keine klare Antwort. Man ahnt den tieferen Grund, wenn man das ganze Werk von Ionesco kennt, der ein sehr harter Kritiker unserer Zeit ist. Bei Ionesco treten fast immer die gleichen Menschen unserer Gegenwart, unseres 20. Jahrhunderts auf. Ein Amerikaner, David Riesman, hat in seinem Buch »Die einsame Masse« dargestellt, wie heutzutage Vorstellungen schnell konventionell werden. Man denke an Filmvorbilder, an Illustrierte, an Reklame und Propaganda, die erreichen, daß letztlich alle in der gleichen Richtung laufen und wie eine Herde erscheinen, die dem Hammel folgt. Niemand will eine Ausnahme machen, niemand will auffallen. Wie Riesman die »einsame Masse« in Begriffen der Soziologie zeigt, so sind in Ionescos Kunstwerken die Menschen einsam, heimatlos und im Grunde ständig gelangweilt, sie reden immer aneinander vorbei, selbst in der Familie. Ehegatten sprechen, als wenn sie sich fremd wären und zum ersten Male sähen, mögen sie auch Kinder zusammen haben. Die Menschen sind isoliert und begreifen sich nicht. Ähnlich sind auch die Menschen in jener französischen Kleinstadt der »Nashörner«. Sie sitzen beieinander in einem Café und reden, aber keiner redet zum anderen; jeder spricht einen Monolog; das Gespräch greift nicht ineinander. Aus der großen Einsamkeit des einzelnen, aus dem Fehlen eines wirklichen menschlichen Kontakts mag nach Ionesco die Krankheit eines Massenwahns kommen. Die großen Parolen scheinen die Massen aus ihrer menschlichen Einsamkeit, Langeweile und Heimatlosigkeit herauszuführen; sie glauben, die Unzulänglichkeit ihres Daseins am ehesten überwinden zu können, wenn sie sich zur Masse zusammenfinden, im Gleichschritt gehen und im gleichen Takt brüllen.

Die Theorien der Massenpsychologie, wie sie besonders nach der Jahrhundertwende, also in der Zeit der wachsenden Konzentration der Massen in den großen Städten und in den Fabriken, aber auch der wachsenden politischen Bedeutung der Massen, formuliert wurden – z. B. von Gustave Le Bon -, zeigen zwar genau die Phänomene dieser kollektiven Krankheit, suchen dann aber nicht nach fortschrittlichen Wegen, die Menschen durch bessere soziale, politische und individuelle Bedingungen zu heilen, sondern kommen mehr oder weniger eindeutig zu der Schlußfolgerung, daß man eben die Massen von oben her in Zucht halten müsse. Die Faschisten und Nationalsozialisten haben die Erkenntnisse dieser Theoretiker der Massenpsychologie wenn nicht gekannt, so doch instinktiv erfaßt und in ihrem Sinne gehandelt.

Sie haben verstanden, die Reaktionen bewußt hervorzurufen und so die Menschen zu manipulieren.

Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns

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