Читать книгу Alle Zeitfenster auf Kippe - Fritz Eckenga - Страница 10
ОглавлениеSchwarzgelbe Aktien und ein Geschenk für Max
Am 30. November 2010 hielt die Borussia Dortmund GmbH & Co. KG auf Aktien im 10. Jahr ihres Bestehens die nach dem Aktiengesetz vorgeschriebene Jahreshauptversammlung ab. Mein Patensohn Max hat nicht teilgenommen, obwohl er berechtigt gewesen wäre. Der Junge ist neun Jahre alt und wurde von meinem Freund, seinem leider immer noch erziehungsberechtigten Erzeuger, schon vor der Geburt bei Bayern München angemeldet. Ich hatte Max zur Taufe ein stattliches Paket BVB-Aktien geschenkt. Die Gabe sollte einen bösen Zauber im Wertpapierdepot seines FC Bayern-Vaters bewirken und dafür sorgen, dass a) die Fußballvorherrschaft des Großkopferten-Klubs zugunsten meines Vereins beeinflusst wird und b) dass Max Borussia-Fan und finanziell unabhängig wird. Der Plan scheiterte auf der ganzen Linie. Der Kurs der BVB-Aktie ging tief in den Keller, das Kind folgte dem schlechten Vorbild seines Vaters, wurde Bayern-Anhänger, blieb also in jeder Beziehung arm.
Wie alle Jahre wieder stellte sich auch im Advent Nullzehn die Frage: Was schenke ich dem Kurzen zu Weihnachten? Ich war verunsichert. Das erste Weihnachtsgeschenk meiner Eltern, an das ich mich erinnern kann, war ein gelbes Trikot. Dazu gab es noch eine schwarze Turnhose und schwarzgelbe Ringelsocken. Die Borussia-Dortmund-Kluft wurde von Mutti in Heimarbeit hergestellt. Wir reden von der Vormerchandisingzeit. Es gab keine Fanartikelabteilungen. Torpfosten waren aus Holz, Fußbälle aus Leder und die Sportschau in Schwarz-Weiß.
Die kindliche Prägung war so gründlich, dass sie bis heute wirkt. Die BVB-Farben wurden mir nach elterlichem Plan ausdauernd auf die DNS gepinselt. Nach wie vor reagiere ich auf gelbe Trikots wie ein Hund aufs Leberwurstbrot, immer mit Aufmerksamkeit, meistens mit Vorfreude. Die Farbe Gelb und darüber hinaus die Farbkombination Schwarzgelb verheißt etwas Gutes. Taucht sie irgendwo auf, erwarte ich Geschenke. Gibt es sie nicht, bin ich irritiert, enttäuscht, manchmal sogar entsetzt.
So dauerte es eine geraume Zeit, bis mein Wahrnehmungsapparat nicht jedesmal »Borussia« signaliserte, wenn auch im Politikteil der Zeitung oder in den Rundfunknachrichten von »Schwarzgelb« die Rede war. Der Umstellungsprozess ist mittlerweile erfolgreich vollzogen. Das Nervensytem spielt nicht mehr verrückt. Es meldet bei »Schwarzgelb« die Namenspaare »Kagawa/Barrios«, »Hummels/Subotic« oder »Götze/ Bender«. Wird aber »Merkel/Westerwelle« erwähnt, weiß ich, dass es falscher Schwarzgelb-Alarm ist und dass ich sofort vorspulen, beziehungsweise weiterblättern kann: Zum Sportteil.
In den Wirtschaftsnachrichten meldeten sie nun manchmal, dass die Borussia-Aktie im Aufwind sei. Sie stand bei rund drei Euro. Erbärmlich. Ich habe es überschlagen: Max, mein Patenkind, hatte in neun Jahren 70 Prozent Verlust gemacht. Meine Schuld. Andererseits stand schwarzgelb souverän an der Tabellenspitze. Was also schenkte ich dem Jungen zu Weihnachten? Natürlich das schwarz-gelbe Trikot des kommenden deutschen Meisters.
Ich gebe nicht auf. Der Tag wird kommen, an dem ich Max von den Bayern zur Borussia transferiert habe. Ganz ohne Ablösesumme.