Читать книгу Alle Zeitfenster auf Kippe - Fritz Eckenga - Страница 7
ОглавлениеDas unten anhängende Gewächs
Ein paar Bemerkungen anlässlich des Valentinstages
Jedes Jahr am 14. Februar ist Valentinstag. Viele von uns erfahren davon immer kurz vorher aus den Verbrauchernachrichten und treffen sich dann nachts in der Tankstelle ihres Vertrauens. Dort gibt es auch zur Geisterstunde noch alles, was man braucht, um die Herzensangelegenheit geschmeidig abzuwickeln. Zum Beispiel Überraschungseier. Nun aber zum Hintergrund.
Es gibt unzählige Mythen, die sich um den Ursprung dieses Tags der Liebenden ranken. Viele, die meisten, haben einen sogenannten »religiösen« Hintergrund. In ihnen ist von der Ankunft des himmlischen Bräutigams Jesus die Rede. Oder von Bischof Valentin von Terni, der im 3. Jahrhundert lebte und als christlicher Märtyrer starb. Mit allen unangenehmen und bis heute unappetitlichen Folgen. Zahlreiche Skelette des Bischofs klappern um die Wette. Viele europäische Kirchengemeinden streiten sich darum, welche denn nun die Reliquien, also die Originalknochen des italienischen Liebestagsstifters besitzt. Andere Legenden gehen noch den einen kleinen logischen Schritt weiter, also vom Spirituellen zum Spirituösen. Manche Liebenden, so steht es geschrieben, hätten den berauschten Zustand der hormonellen Unordnung mutwillig mit hochprozentigem Treibstoff angefeuert, vulgo: Sich diese oder jenen schlicht und ergreifend schöngesoffen.
In Wahrheit ist es selbstverständlich so, dass der V-Tag den allermeisten Menschen ungeheuer viel bedeutet. Den Frischverliebten, den Gutabgehangenverliebten, den Schon- und Baldvermählten, den Nochnichtgeschiedenen, vor allem aber natürlich den Parfüm- und Blumenhändlern, die die Deutschland-Verwertungsrechte an diesem Feiertag in den fünfziger Jahren vom Lizenzinhaber gekauft haben. Es handelt sich um einen US-amerikanischen Mischkonzern. Er verschachert unter anderem Olivenöl, intelligente Waffensysteme, Tomatenketchup, Doktortitel, Solarstromanlagen und arabische Diktatoren. Außerdem vergibt er Lizenzen für Feiertagsmarken wie Halloween, internationaler Frauentag, Tag des Waschlappens und eben auch Valentinstag.
Zum artgerechten Umgang unter Liebespaaren gehört ja vor allem die richtige Ansprache. Er nennt sie zärtlich »Kätzchen«, sie entgegnet mit einem angemessenen »Hase«. Das sind natürlich nur willkürlich aus dem Bussi-Brehm herausgepickte Beispiele. Der erotozoologischen Phantasie sind da überhaupt keine Grenzen gesetzt, wobei schon auffällig ist, dass die beliebtesten tierischen Koseformen mindestens niedlichen, etwa »Mäuschen«, meistens aber flauschigen Ursprungs sind. »Chinesischer Nackthund« zum Beispiel kommt meines Wissens so gut wie nie vor. Selten hört man auch von Liebenden, die sich gegenseitig »Glatthaardackel« nennen. Besser, die Süßen haben ein Fell, noch besser, einen Pelz. »Bär« ist ganz groß im Rennen, »Bärchen« noch beliebter, wobei die Anwender ja keine Ahnung haben, wie schlimm die Viecher aus dem Hals riechen. Ungefähr so übel wie der Heringsfresser Pinguin, was dessen allgemeiner Beliebtheit aber keinen Abbruch tut.
Wenn es einen erwischt hat, hat es einen erwischt. Da kann man nichts machen. Da wird was mit einem gemacht. So, als würde man ferngesteuert. Wieso sind wir manchmal so besinnungslos verknallt? Woher kommt das? Das kommt von der Libido. Libido ist lateinisch und bedeutet »Begehren, Begierde, Wollust«. Mit der Libido verhält es sich, was ihren Wohnsitz angeht, ungefähr so wie mit der Seele. Man weiß, man hat eine, man weiß aber nicht, wo man sie hat. Was man weiß, ist, von wem die Libido mit Kraftstoff betankt wird: Vom »unten anhängenden Gewächs«. Nein, das ist jetzt nicht das, was Sie denken. Sie denken zu niedrig. Das unten anhängende Gewächs hängt zwar unten, aber nicht unten unter dem Gürtel, sondern unten im Gehirn. Damit es nicht dauernd mit etwas Vulgärem verwechselt wird, lässt sich das unten anhängende Gewächs viel lieber mit seinem lateinischen Namen ansprechen: Hypophyse. Und wenn schon auf deutsch, dann so: Hirnanhangdrüse. Wenn die Hypophyse unter Volllast arbeitet, drüst sie wie nichts Gutes und flutet die labile Libido mit einem nicht endenwollenden Hormonstrom, einem wahren Sekret-Tsunami. Da sich der ganze Vorgang im Gehirn abspielt, wird der dort ebenfalls ansässige Verstand vorübergehend außer Kraft gesetzt. In dieser bio-chemisch verursachten Denkpause ist der Mensch dann in der Lage, Sätze zu sagen, zu denen er sonst nicht fähig ist. Zum Beispiel: »Ich kann ohne dich nicht leben.« Irgendwann aber zieht sich die Flut zurück. Der gewöhnliche Verstand erhebt sich nach und nach aus den moddrigen Feuchtgebieten. Es ist Ebbe. Und dann ist manchmal gar keiner mehr da, mit dem man durch das Watt waten kann.