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Im Herbstnebel

Ich weiß ja nicht, wie es bei Ihnen war, aber bei mir kam in den nebligen Tagen mal wieder so Einiges zusammen. Reformationstag, Allerheiligen, Halloween. Haben sich bei Ihnen die Gespenster verzogen? Oder spukt es noch? Im rechten Glauben ausgebildeten Katholiken wird ja um diesen Dreh rum immer die ewige Welt der Heiligen sichtbar. Hat bei mir noch nie geklappt, aber ich komme ja auch aus einfachen Verhältnissen. Wir hatten ja nichts. Nur den kleinen Katechismus und den auch nur vorübergehend.

Als ich am Halloween-Wochenende dem ersten Gespenst die Tür geöffnet hatte, dachte ich dann aber mal ganz kurz, diesmal hätte es geklappt. Ach du Schreck. Was war das denn? Komisches Gespenst. Der Sohn vom Nachbarn? Oder hatte Schäuble jetzt auch so einen spitzen Hut? Süßes oder Saures! Schokoriegel oder Steuererklärung? Ich entschied mich für Schokoriegel und wünschte auch weiterhin einen erfolgreichen Abend. Dann ging ich in mich rein und interviewte den Schweinehund: Ist Alkohol eine Lösung? Soll ich Schnaps trinken oder besser wieder ins Bett gehen? Ist es eigentlich noch dunkel oder schon? Zeitumstellung. Verflucht, auch das noch. Ich weiß ja nicht, wie es bei Ihnen war, aber bei mir ging das so in einer Tour.

Und dann denkt man immer, man hätte einen Vorsprung durch Erfahrung. Weil man ja alles schon mindestens einmal erlebt hat. Ich weiß ja nicht, wie es bei Ihnen ist, aber bei mir ist es so: Wenn es im November so neblig wird, so schummrig, so mit ganz schwachen Kontrasten, dann frage ich mich oft: Hey, wo hast du denn jetzt wieder diese Altersweisheit liegenlassen? Und dann suche ich und suche ich – und irgendwann merke ich dann, dass ich doch nur wieder die Begriffe verwechselt habe. Es heißt natürlich nicht Altersweisheit, es heißt Altersweitsichtigkeit. Mit anderen Worten: Ich bin nicht auf der Suche nach der verlorenen Vernunft. Was mir fehlt, ist die Lesebrille.

Man kann natürlich auch Radio hören. Bei mir ist es aber so: Wenn ich zu lange ohne Lesebrille Radio höre, dann konzentriere ich mich so stark aufs Sehen, dass mir das Hören auch noch vergeht. Ja sicher, das kann manchmal auch ein Segen sein. Es gibt ja diese Nachrichtentage, da wäre man sehr froh, wenn einen das Schicksal in frühester Kindheit in einen großen Topf mit Ohropax geworfen hätte. Zum Beispiel, wenn sie Brüderle schon morgens um sieben Uhr im Originalton senden. Dann will ich verstehen, was gesagt wird. Brüderle aber war schon vor den frühen Vögeln auf, hat mindestens ein Weinfest eröffnet und spricht auch so. Anders bei Merkel. »Wir sind auf einem guten Weg.« Ich verstehe jedes Wort, aber ich stelle mir das Gesicht dazu vor und weiß: Sie lügt, sie lügt.

Ich weiß ja nicht, wie es bei Ihnen ist, aber bei mir spukt es immer noch. Vorhin hat es wieder an der Tür geklopft. Ein Mann in einer gelben Uniform hat mir ein Paket gebracht. Ich bin verunsichert. In den Nachrichten war in den letzten Tagen des öfteren von Paketen die Rede. Immer in einem unguten Zusammenhang. Terrorismus und so. Das war vor einiger Zeit noch ganz anders. Da wurden dauernd Rettungspakete verschickt. Bei mir ist aber nie eins angekommen. Bei Ihnen?

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