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Die Isar-Nixe war ein hochmütiges Fräulein von der Burg Grünwald! Oder: Das Isar-Ufer hatte schon immer etwas Magisches an sich.

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Die folgende Geschichte soll den Leser, zu einem Spaziergange an der Isar verführen. (»Verführen« ist hier genau das richtige Wort, wie man bald sehen wird!) Zwischen Harlaching und Thalkirchen mag das sein, am besten beginnt man an der Marienklause nahe dem Tierpark Hellabrunn, denn hier waren, noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts, verschiedene Marterl aufgestellt, die an den Tod zahlreicher Flößer in den Stromschnellen der Isar erinnerten.

Und schuld war stets eine Nixe, die mit ihrem lockenden Ruf die Vernunft und den Orientierungssinn der Männer in jeder Hinsicht aus dem Lot gebracht hat.

Also, das war so:

Dereinst, da lebte auf der Burg Grünwald – es war just die Zeit, als noch die »Geister von densölben / Nachts in den Gewölben…« spukten – ein ganz wunderschönes Burgfräulein.

Allerdings sollte man sich nicht allzu schnell in die hier geschilderte Person verlieben. Denn leider ist es nicht immer so, dass äußerliche Schönheit auch einer inneren Schönheit und Feinheit des Charakters entsprechen muss.

Dagegen mag man zwar einwenden: »Halt! Ist es nicht die moderne Psychologie unserer Tage und gar die Esoterik, die uns da lehren mögen, dass der Körper und damit ›das Äußerliche‹ die Vermittlerfunktion der ›Innenwelt‹ zur ›Außenwelt‹ darstellen und also das äußere Erscheinungsbild eben genau dem ›inneren Zustand‹ zu entsprechen habe?

Und ist nicht gerade in den Sagen des Mittelalters ›Schönheit‹ mit ›schön im Geiste‹ gleichzusetzen?«

Wir wissen es nicht. Vielleicht war dieses Burgfräulein gar nicht so schön, wie wir wohl annehmen sollen.

Für einen jungen, hübschen Spielmann aber, von dem wir gleich hören werden, war sie die Schönste der Welt. Diese Absolutsetzung einer leichten Verwirrung des Geschmacks und das, dadurch ausgelöste, von allen Sinnen verlassene Gebaren im Minnedienst sollten für ihn tödlich enden.

So hört:

Vor über 500 Jahren, es war um das Datum 1487 herum, da vermählte sich der Bayernherzog Albrecht IV. mit Kunigunde, der Schwester des späteren Kaisers Maximilian I.

War das eine mittelalterliche Prunkhochzeit! Wer etwas galt im Lande, der ward geladen und kam auch prompt angereist, all die Großen und Mächtigen erschienen in München (wie heute doch auch, wenn man gesehen wird) zum großen Hoffest.

Fast alle Künstler, Spielleute, fahrenden Sänger, die einen Namen hatten zur damaligen Zeit, waren da. Und des Fressens, Saufens, Grölens war schier kein Ende. Daneben gab es natürlich die vornehmen und höfischen Darbietungen und Wettbewerbe, wie etwa das Lanzenstechen.

So befand sich unter der Gästeschar auch ein junger Edelmann, der war als Musikant angereist gekommen (er besaß eine ausgesprochen musische Ader, war aber träumerisch und nicht besonders den Finessen des Lebens gewachsen), der verstand es wirklich vortrefflich, den Dudelsack zu pfeifen und fremde Vogelstimmen nachzuahmen.

Als dieser Schöngeist das stolze Burgfräulein von Grünwald sah, da war es, als hätte ihm eine fremde Macht jeden Verstand aus dem Schädel gerissen.

Nur noch ein einziges Ziel hatte er: Sie.

Die merkte das bald. Kein Wunder. Denn bei jeder sich bietenden Gelegenheit stammelte er ihr von seiner Minne.

Wir sehen ja gerne ein, dass die Macht der Liebe besonders stark daherkommen mag, das steht dieser Macht zu, allein schon der Gedichte und Gesänge wegen, die daraus entstehen. Geht es bei diesem Spiel doch immerhin um den Fortbestand der Menschheit! Aber muss das Manöver denn gleich Todesopfer verlangen!

Nun also. Der junge Spiel- und Edelmann gestand seine Liebe. Immer und immer wieder tat er das, gerade überall, wo er das stolze Fräulein erwischen konnte.

Das schmeichelte dem Ding, selber empfand sie aber keinerlei Gefühle für ihn. Da war sie in ihrer Auffassung ganz modern: Kühler Blick nach vorn und warten auf den Märchenprinzen.

So begann sie, geschmeichelt, aber doch ärgerlich, weil sie ihren Verehrer als zu gering für sich erachtete, mit ihm, seinen Gefühlen und, weil der Teufel sie ritt, mit seiner Seele zu spielen:

»Der Mann, den ich liebe, der muss durchaus sein Leben für mich riskieren wollen!«

(Oh, du Dummkopf! Jetzt hättest du merken müssen, wie es mit der »inneren Schönheit« der jungen Herrin bestellt war. Aber er sah nur die roten Haare unter der Spitzhaube, die ergossen sich wie glühende Lava aus ihrem bösen Haupte, flammend, Verderben signalisierend, aber gleichzeitig verführerisch, und brannten ein schlimmes Loch ihm in Herz und Verstand.)

»Mein Leben, es gehört Euch. Alles tue ich, was Ihr verlangt.«

Da kokettierte das üble Weib, zierte sich spielerisch, aber gekonnt, rückte die Haube zurecht, überlegte aber mit messerscharfer Genauigkeit, was wohl die schlimmste Gemeinheit sei, die sie dem Spund jetzt antun könne: Und sie warf, weit ausholend, ihren Ring in die Isar, die an dieser fürchterlichen Stelle besonders reißend sich durch Untiefen ergoss. Für jedermann ersichtlich, ein Todesurteil.


Das hochmütige Ritterfräulein warf den Ring in die tiefsten Strudel der Isar, die sich unterhalb der Burg ergossen. (Ansicht von Grünwald nächst München, Radierung, Mitte 19. Jahrhundert); 12

»So spring hinein und hol ihn mir!« befahl sie.

Schon war er im eiskalten Flusse, mitsamt Kleidung, Schwert und Kopfbedeckung, für Überlegungen hatte er keine einzige Gehirnzelle zur Verfügung. In dem Moment, da er aufs Wasser klatschte, riß es ihn hinab und dort blieb er für immer.

Ertrunken in tiefer Sehnsucht. So wie es um ihn stand, war dieser schnelle Tod vielleicht noch eine Gnade gewesen.

Seine Leiche hat man bis heute nicht gefunden. Schade um ihn. Schade?

Hier soll angemerkt werden: Zu den klassischen Rittertugenden zählt neben Zucht, Ehre, Milde, Stete, Frömmigkeit, Mannhaftigkeit, Treue… eben, und vor allem, auch die »Maße«.

Die Mäßigung also. Und damit auch das Maßhalten mit den Gefühlen. Damit war es bei dieser besinnungslosen Hingabe des Minnerekruten natürlich nicht weit her. Maßlosigkeit ist oft eine tödliche Untugend. Schon mancher angesehene Ritter der Artusrunde hat wegen Unmäßigkeit (auch mit Frauen), also wegen des Verlustes der Mitte, eine lange und beschwerliche Aventiure-Fahrt auf sich nehmen müssen. Denken wir an Erec und Enite! Doch der Sänger war kein Erec. Für Läuterung blieb ihm keine Gelegenheit. Eines Burgfräuleins Schabernack willen in die tiefsten Untiefen der wütenden Isar zu springen, das eben war nicht Man-nheit, sondern schlicht Blödheit.

Sie aber hätte es wissen müssen. Sah sie doch von Anfang an in seinen Augen, dass er mit sich machen ließ, was sie wollte. Mag auch der übrigen Menschheit ihre Missetat verborgen geblieben sein, der höheren Macht blieb nichts verborgen.

Sofort tat sich die Erde auf, viele Klafter tief, und weg war das lose Ding.

Wer an einsamen Abenden, vor allem im Spätsommer und Frühherbst, wenn die Jahreszeit des Vergessens erste Schleier über das Land zu breiten beginnt, wer dann dort am Isarstrande spazierengeht, der vernimmt gar oft das sehnend-lockende Gesäusel des verwunschenen Fräuleins.

»Das ist der Lockvogel«, sagen die einen.

»Die verwunschene Nixe!« die anderen.

Und keiner traut der Geschichte so recht.

Wahr ist, dass die hochmütige Evastochter augenblicklich in eine Nixe verwandelt wurde, mit einem glitschigen Fischschwanz statt langer Beine, und dass sie fortan bei einem stets grantigen Wassermann leben muss in einer finsteren Wassergrotte, gleich bei Großhesselohe. Dem alten Lustgreis muss sie dauernd die hässliche Glatze kraulen, aber schlecht aufgelegt bleibt der trotzdem und hat kein gutes Wort für sie übrig. Er lässt sich nur bedienen, erachtet dies als selbstverständlich, und sie, das ehedem so hochnäsige Geschöpf, kann nichts dagegen tun.

Ihr Hass auf Männer ist dadurch nicht besser geworden. Im Gegenteil!

Da sie besser aussieht denn je (Beobachter, denen man Glauben schenken darf, berichten: strahlend hellgrüne Nixenaugen, grüne, lang wallende Nixenhaare – nur einige wenige erzählen, sie hätten rote Haare gesehen –, Traumfigur, anmutig langer Hals), da sie also nach wie vor so blendend mit Blend-Werk ausgestattet ist, nützt sie die Magie ihres Körpers, um biedere Flößer ganz gemein und hinterlistig in den Tod zu locken. Denn diese verblendeten Herren übersehen dann die Gefahren und die Stromschnellen.

Die Flößer wissen dies und haben Angst. Dabei ist Angst überhaupt nicht das richtige Mittel gegenüber so einem Wesen, Vorsicht wäre besser.

Denn Angst ist letztlich das missratene Kind des Stolzes, und da ist die Neugierde gar nicht weit weg. Wer aber neugierig ist und diese Neigung, zusammen mit seiner Angst, zu einer Art Sehnsucht verbindet, der sehnt sich nach der Nixe, wird geradezu süchtig nach dem, was ihre Erscheinung verspricht und nie hält. Sucht aber kann tödlich sein.

Die Flößer bekreuzigen sich deshalb, tragen Amulette bei sich oder fromme Beigaben. Doch kaum singt die Nixe, »sind sie weg«.

Wer sollte die Nixe erlösen? Erlösung geschieht durch Liebe. Sie aber tritt Gefühle mit Füßen. Kein Wunder, dass sie nur begehrt, nie aber geliebt wird. Das macht ihren Zorn aus.

Und sie singt weiter. Drum Obacht geben, lieber Leser, nicht links und nicht rechts schauen, wenn die Nixe auftaucht. Wie immer hilft beten zu Gott am allermeisten. Denn: »Sie« verdreht sofort den Kopf.

Das ist ihr Dreh.

Der Teufelstritt

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