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6 Der Zeitungsverkäufer

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Wie an jedem Wochenende sitzt er auf einem rostigen Drahtrohrstuhl vor dem Discountladen „Netto“, nahe der Post am S-Bahnhof Birkenwerder. Neben sich in einer hohen Plastiktüte die Zeitungen gestapelt.

Er trägt ein verblichenes rotes Baskap etwas schief auf dem Kopf, beobachtet mal still und nachdenklich, oder sich einfach geborgenfühlend unter den Menschen, die mit dem Einkaufswagen in den Laden ein- und ausgehen.

Meistens spricht er jemanden an: „Hallo! Wie geht‘s? Schönen Gruß an Klaus.“ „Na, meine Kleine, willst du nicht an die Hand der Mama?“

Er spricht angestrengt, mühsam, formuliert die Wahrheiten, die er sieht, aber durchdacht und grundehrlich, sich niemandem anbiedernd, in immer gleicher etwas überlauter Tonlage.

Ich schiebe meinen Einkaufswagen an mein Fahrrad, beginne den Einkauf in meine Fahrradtaschen umzupacken. Plötzlich steht er neben mir, kann seine spastisch gelähmten Beine und Arme nur mühevoll steif und ungelenk bewegen. Er fasst meinen Wagen, schiebt ihn wortlos näher an mein Rad. Ich blicke halb erschrocken, halb erstaunt den Gehweg entlang, vermute einen Rollstuhl, dem er Platz schaffen möchte. Doch hat er meinen Einkaufswagen näher ans Fahrrad gerückt, damit ich bequemer umpacken kann. „Du denkst“, er reagiert auf meinen erschrockenen Blick, „ich will mit dem Wagen abhauen.“

„Nein“, sage ich, „das denke ich nicht. Vielen Dank.“

„Meine Mutter, mein Vater haben mir beigebracht, immer höflich und nett zu den Leuten zu sein“, sagt er laut. „Die Leute waren in der DDR noch netter. Damals war ich Garderobiere im Stahlwerk Hennigsdorf.“

„Ja, ja“, sage ich, „heute sind die meisten bloß noch nett, wenn sie Geld vermuten. Hoffentlich gehöre ich nicht dazu, sonst würde ich mir selbst in den Hintern treten ...“

„Dein Gesicht kenne ich“, sagt er.

„Ja“, sage ich, „ich kaufe jedes Wochenende hier ein. - Ich nehme eine Zeitung.“

Er reicht sie mir. „Zeitungen verkaufe ich seit acht Jahren, damit ich unter Menschen komme. Es bringt nicht viel ein. Schönes Wochenende.“

„Das wünsche ich dir auch. Verkühle dich nicht!“

2001

Immer den Fluss entlang

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