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3. Der Beweis

66 nach Christus - Sommer (20. Augustus)

Imperium Romanum – Mogontiacum

Bevor Gerwin den großen schweren Vorhang vor seines Herrn Dienstraum zur Seite schob, holte er noch einmal tief Luft. Er wusste nie wie ihn Verginius Rufus, nach einer Abwesenheit, empfing.

Die Bewegung des dunklen Vorhanges wahrnehmend, blickte der Legat auf.

„Na endlich… Wo warst du die ganze Zeit?“

Es waren weder in der Wahl, noch in deren Aussprache, Worte der Freude. Trotzdem nahm Gerwin zur Kenntnis, dass ihn der Legat vermisste. Der eingebettete Vorwurf zeugte von Unzufriedenheit und zumindest auch, in einem kleinen Teil, von Sorge.

„Herr, es gab so einige Überraschungen…“ Gerwin wollte keinen Zorn herausfordern und schon gar nicht mit Missachtung gestraft werden. Er wusste noch immer nicht, welchen Grad der Anerkennung und des Vertrauens er dem Legat bisher abringen konnte. Eines Teils schien sich Verginius Rufus mit seiner Anwesenheit abgefunden zu haben, ihn sogar zumeist wahrzunehmen und trotzdem neigte er oft dazu, ihn überhaupt nicht zu beachten.

Der junge Hermundure gedachte, unter Nutzung der vergangenen Ereignisse, seinen Wert in den Augen des Legatus Legionis aufzubessern. Wollte er die Einhaltung des zwischen ihnen geschlossenen Paktes, dann bedurfte er der Anerkennung. Diese sollte sich aus seinen Verdiensten ergeben, die Einhaltung seines Teils des Paktes beweisen und damit den Nutzen für den Legat erkennbar machen.

Bisher schien der Römer ihn lediglich hinzunehmen, weil dieser den Vergobret der Haeduer zu überlisten vermochte. Jetzt kam die Erhaltung des Lebens des Legats dazu und Gerwin war entschlossen, die Bedeutung seines Handelns in das richtige Licht zu rücken.

„Was für Überraschungen…“ blaffte Verginius Rufus zurück.

„Eigentlich nichts, worauf ich nicht vorbereitet gewesen wäre…“

„Wo sind die Treverer?“ Der Legat wurde nicht freundlicher.

„Dort, wo ich sie haben wollte!“ Gerwin zog, wie selbstverständlich, den Korbsessel vor den Arbeitstisch und lies sich darin nieder.

„Deren Wunden sind versorgt, den Ort des Verbergens kennen nur ausgewählte und vertrauensvolle Männer und ich habe Durst.“

Der Legat schluckte etwas ungehalten, ließ seinen angeblichen Diener aber gewähren. „Hol dir, was du brauchst!“ Er nickte in die Richtung der Tür zum Nebenraum.

Gerwin erhob sich erneut, verschwand hinter der Tür und kehrte kurz darauf mit zwei Pokalen und einer Karaffe zurück. Er schenkte dem Legat und sich vom Wein ein, verdünnte diesen mit Wasser und trank genüsslich einen tiefen Schluck. Danach versank er wieder in dem Korbsessel. Der Legat verfolgte jede seiner Handlungen.

Plötzlich begann der alte Fuchs zu lächeln. „Soll ich dein Handeln soeben, in der Art verstehen, dass dir mein Diener zu sein widerstrebt?“

„Nein, Herr, ich halte es für angemessen und werde mich auch in Zukunft an meine Rolle halten, andererseits…“ Gerwin lauerte.

„Was ist andererseits…“ Der Legat stieg in das Gespräch ein.

„… könntest du mir mit etwas mehr Freundlichkeit und auch Anerkennung begegnen, zumindest wenn nur wir anwesend sind…“

„Ist das nicht zu viel gefordert, Hermundure?“

„Weißt du, großer Römer, eigentlich ist das doch nur ein kleines Entgegenkommen deinerseits, gemessen an meinen Leistungen dir gegenüber…“ Diesmal lächelte Gerwin.

Der Legat schwieg und dachte offensichtlich darüber nach, wie er diese Herausforderung beantworten sollte.

Gerwin nutzte die Gelegenheit. „Von deiner Seite gesehen, bin ich nur ein dummer Germane, der sich anmaßte, dich zu einem Pakt zu zwingen. Ich besaß nur insofern Bedeutung für dich, weil du meine Freunde als Werkzeuge deiner Macht brauchtest. Aber wir überlebten deine Absicht und daraus entstand eine gewisse Bedrohung für dich. Noch immer scheint es in Rom Männer zu geben, die du fürchtest. Schickte ich einen meiner Vertrauten nach Rom, könnte dies für dich unangenehm werden… Nur…“ Gerwin ließ den Legat an einer langen Leine zappeln.

„… mir liegt nichts daran… Ich bin nicht der dumme, ungebildete Germane, den du in mir siehst… Schlecht für dich, dass sich gestern zeigte, dass deine Feinde näher zu dir heranrückten…“

Der Legat schwieg weiterhin und überließ Gerwin das Sprechen.

„Ich will den Frieden Roms!“ setzte der Jüngere fort. „Was du bisher vielleicht noch nie bedacht hattest, ist die Tatsache, dass mir nur ein Legat diesen Frieden garantieren kann…“ Er lächelte den älteren Römer an.

„Dieser Legat bist du! Solange du hier in Mogontiacum bleibst, wird es keinen neuen Angriff geben… Das hat auch nichts damit zu tun, dass ich dein Diener bin und dein Vorgehen beobachte…“ Gerwin wusste sich im Vorteil. „Du bist der Legat, der keinen dritten Angriff wagen kann, denn scheitert dieser, verlierst du nicht nur die Legion… Auch dein Kopf könnte rollen…“ Gerwin forderte den Legat geradezu heraus. „Ein neuer Legat könnte versucht sein, deine Fehler zu wiederholen… Deshalb bot ich an, dich zu beschützen…“

Verginius Rufus erhob sich und trat ans Fenster. Er brauchte Zeit zur Überlegung. Den Rücken Gerwin zugewandt, beobachtete er die Vorgänge auf dem Platz.

„Herr, mein Abenteuer beim Vergobret der Haeduer sicherte dir alle Vorteile für eine zukünftige Entscheidung, falls die Kelten tatsächlich, mit der Waffe in der Hand, gegen Rom aufbegehren sollten… Diese Tatsache dürfte dir keinesfalls entfallen sein…“

Indem ihm der Legat den Rücken zuwandte, vermied dieser, dass Gerwin die Betroffenheit des Älteren erkannte. Aber nicht nur diese Gefühlsaufwallung bedurfte der Beherrschung. Auch die Herausforderung im Verhalten und in den gesprochenen Worten regte den Zorn des Legats an. Obwohl Verginius Rufus diese gegensätzlichen Empfindungen beherrschten, begriff er dennoch, dass der Hermundure sich im Recht zur Anklage und Aufzählung befand.

„Dann war es meine Klinge, die dich von deinem frühren Obertribun befreite, der zu viel von dir und deinen Entscheidungen wusste und sich, aus deiner Zuneigung befreiend, zu deinem Mörder aufzuschwingen gedachte… Vielleicht strebte dieser auch nach der Macht eines Legat…“ Der Kerl begann weiter in der geöffneten Wunde herumzustochern.

„Auch der Überfall des gestrigen Tages, die Falle, die dir die Brüder stellten, solltest du berücksichtigen…“ Der junge Hermundure verharrte im Schweigen, bevor er auf den vergangenen Tag zu Sprechen kam.

„Dann bliebe noch mein Handeln beim Überfall. Ich sah dich noch die Toten Auxiliaren betrachten… Du dürftest erkannt haben, dass nur zwei dieser Verräter Wunden eines Gladius aufwiesen… Der Centurio, oder war er nur Decurio, wurde ein Opfer meiner Klingen. Weitere fünf Auxiliaren dürften, weil auch diese nur Wunden meiner Klingen aufwiesen, als Beweis meiner Aufrichtigkeit dir gegenüber, Anerkennung finden… Aber auch damit ist diese Angelegenheit noch nicht bis zum Ende betrachtet…“

Gerwin trank aus dem Pokal. Er hatte Zeit und er brauchte die Anerkennung durch den Legat, denn nur dann konnte sich zwischen ihnen beiderseitiges Vertrauen aufbauen. Dieses Vertrauen war es, was der junge Hermundure zu erreichen trachtete. Er, so glaubte Gerwin, hatte genügend Beweise geliefert und indem er diese aufzählte, bot er dem Legat die Möglichkeit zum Abwägen.

„Leider gab es im Verlaufe des gestrigen Tages, nach deiner Rückkehr zum Castellum, noch eine Überraschung.“

Plötzlich wandte sich der Legat ruckartig um.

„Du hast recht! Jeder Dienst ist einer Würdigung wert! Auch deiner und der deiner Gefährten… Ich habe bisher gezögert, dir diese Anerkennung zuzubilligen… Der Legat griff nach dem Pokal mit Wein und nahm einen heftigen Zug, bevor er seine Worte fortsetzte.

„Für Rom bist du tatsächlich nur eine germanische Wanze, die sich in Roms dickes Fell zwängte und gelegentlich zubiss… So empfand ich, als du mich zu deinem merkwürdigen Packt zwangst! Du gabst dich selbst in meine Hand… Welche Dummheit … oder Kühnheit… Glaubst du, ein römischer Legat hätte Bedenken, einen Germanen zu opfern oder gar selbst zu erdolchen? Du wärst nicht der Erste, dem dieses Unglück widerfuhr… Doch du kamst vom Haeduer zurück… und auch noch ohne jede Schramme… Aber du hattest doch Viator, den gerissenen Hund… Warum sollte ich dir den Erfolg zugestehen, wenn dieser dich begleitete? Doch am gestrigen Tag war kein Viator oder Paratus in der Nähe und es stimmte, deine Klingen waren mein Schutz…“

Gerwin begriff augenblicklich das Zugeständnis und das war der Moment, den er nutzen musste.

„Herr, dann kann ich dir jetzt auch den Grund der Verzögerung nennen. Du entsinnst dich, die beiden Centurionen durchkämmten mit ihren Milites den Wald…“ Der Legat nickte.

„Ofilius und Flaminius fanden nichts und dennoch standen plötzlich Wegelagerer vor uns und forderten die verletzten Treverer von mir.“

„Waaaas?“ Wut entstellte das Gesicht des Legatus Legionis. Schnell beruhigte er sich. „Wie viele?“

„Ich meine, es waren vier Wegelagerer, ein Auxiliar und ein Optio der Treverer…“ Gerwin lächelte.

„Und?“

„Der Optio und ein Wegelagerer sitzen unten bei deiner Wache! Die anderen brachen zu ihren Göttern auf…“

„Aber du warst doch allein…“ fuhr Rufus hoch. „Wie ist dir dies gelungen?“

„Herr, ganz allein war ich nicht.“ Gerwins Antwort kam ganz gelassen.

„Wieso?“ fuhr Verginius Rufus erneut hoch.

„Wie hätte ich zwei Schwerverletzte, die nicht mehr gehen konnten, viel Blut verloren hatten, allein in Sicherheit bringen können? Centurio Flaminius half mir mit zwei ihm treuen Legionären und seinem Pferd.“

„Der Centurio kehrte doch mit mir zurück!“ Rufus wunderte sich.

„Aber sicher zu Fuß…“

„Jetzt, wo du es sagst, in der Tat…“ gab der Legat zu. „Habe ich richtig verstanden? Die Fremden wollten die Verräter ihrer Sache… Die Treverer kämpften sicher nicht?“

Gerwin schüttelte zur Bestätigung den Kopf.

„Dann waren die Burschen doch wieder an Zahl überlegen…“

„Herr, so schlimm war das nicht! Die Legionäre hielten sich sehr gut. Ich holte mir zuerst den Optio, dann kam ich aus der Richtung, in der die Angreifer den Optio vermuteten. Der Kerl lag mit gebrochenen Knochen besinnungslos am Boden. Sie hörten und sahen mich nicht. Deshalb überlebte auch noch einer der Wegelagerer…“

„Wo sind deine tapferen Begleiter? Ich will sie belohnen…“

„Herr, davon rate ich dir ab…“

„Warum?“ brauste Verginius Rufus auf.

„Denke an den Mann, der den Auftrag für den Überfall erteilte. Was wäre das Leben dir treuer Männer wert, wüsste dieser Mann von ihnen? Welche Blutspur zöge der Besagte, falls ihm einer dieser Treuen in die Hände fiele? Es wäre, sowohl an diesen Männern und meinen Helfern, am Versteck der Treverer, ein schlechter Dienst… Diese beiden Legionäre kennt nur Flaminius und der wird Schweigen… Das Versteck kenne nur ich und die beiden Legionäre.“

„Aber die Männer begleiteten dich doch durch die Porta?“

„Nein, Herr, dort kam nur ich an. Den Wegelagerer hatte ich gebunden und am langen Strick um seinen Hals. Der verfluchte Optio wäre kaum einer meiner Klingen entkommen… Dennoch versuchte er mich zu überlisten…“

„Wie?“ Verginius Rufus verkündete Überraschung und Neugier.

„Er teilte der Wache mit, er sei von mir, in der Ausübung eines Auftrages des Statthalters, hinterlistig überfallen worden.…Wenn sie den Gehalt seiner Klage prüfen wollten, sollten sie doch beim Statthalter nachfragen… Er würde gern so lange warten… Nur müssten sie mich gefangen setzen…“

„Und wie konntest du dem Ausweichen? Der Kerl war zweifellos schlau und durchtrieben?“ stutzte der Römer.

Der Hermundure nickte zur Bemerkung des Legats. „Ich stimmte dem Vorschlag zu.“

„War dies nicht gewagt?“ wandte Verginius Rufus ein.

„Was sollte ich tun, hatte ich doch genau diesen Moment in meinen Überlegungen übersehen… Also unterbreitete ich mir bewusst werdende Bedenken…“

„Welche?“

„Erstens…, sagte ich, …übernehme ich das Verbringen selbst, habe ich doch den bisherigen Weg auch ohne Hilfe überwunden… Dann glaube ich kaum, dass der Statthalter weiß, was ein einzelner Optio seiner Treverer Auxiliaren treibt… Ich sah, dass der Optio verunsichert wirkte. Also schob ich eine weitere Wahrheit nach. Der Statthalter könnte, falls eine derartige Anfrage auf eine Belästigung hinaus lief, sicher recht ungehalten handeln…“ Gerwin war sich seines Erfolges sicher. „Letzteres überzeugte den Optio Custodiarum wohl, denn er winkte mir mit der Hand, dass ich passieren sollte. Vermutlich dachte er daran, dass der Statthalter recht zornig werden konnte und dessen Wut herauszufordern, schien ihm wenig zu gefallen… Ich konnte mir ein Grinsen gerade noch so verkneifen. Schließlich war die Wache von der Macedonica. Mein Glück war, dass dieser Optio mich schon kannte…“

„Wenn Scribonius Proculus von dem Optio erfährt, bist du dir deines Lebens nicht mehr sicher…“

„Herr, das bereitet mir im Moment wenig Sorgen… Allerdings müsste ich jetzt erst einmal Flaminius aufsuchen, der seine Legionäre abholen sollte und dann empfehle ich ein Verhör des Optio und dieses Wegelagerers… Der Carnifex sollte sich bereithalten, denn der Optio wird nicht sprechen wollen…“

„Gut, du benachrichtigst Flaminius und sorgst dafür, dass Obertribun Tremorinus zu mir kommt… Schicke auch eine Botschaft zum Präfekt Axius. Diese Beiden sollen mich aufsuchen. Mache schnell, nicht das uns Scribonius an unseren Absichten hindern kann…“ Gerwin trank noch einen kleinen Schluck seines Weines und verschwand.

Es dauerte nicht lange und der Praefectus Castrorum erschien im Dienstraum des Legatus Legionis. Der Vorhang schwenkte nur eben zurück, als sich Tribunus Laticlavius Sextus Tremorinus hindurch schob.

Verginius Rufus begrüße die Männer.

„Es gibt Neuigkeiten. Der Hermundure ist zurück.“

„Wo war er?“ fragte Präfekt Axius, der von den bisherigen Ereignissen nichts wusste.

„Das wollte ich dir gerade sagen, wenn du mich lässt…“ Verginius Rufus setzte eine ernste Miene auf. Er mochte den alten Bock und weil er diesen in seine Befragung der Gefangenen einzubinden beabsichtigte, gewann er dessen Aufmerksamkeit.

Ihm schien, dies reihte diesen ehrlichen und zuverlässigen Krieger in seine Reihen ein. Präfekt Axius erfreute sich nicht nur unter vielen Legionären, und dies in beiden untergebrachten Legionen, eines guten Rufes. Er galt auch unter den Offizieren als ein anständiger, wenn auch gestrenger Vorgesetzter. Nicht wenige der Männer kannten Geschichten über den ‚alten Bock‘, wie ihn die Meisten in Ehrfurcht und mit einem Grinsen im Gesicht nannten, die an Heldenverklärung heranreichte. Außerdem galt Axius Urteil als unbestechlich und sein Ruf, auf einer außerordentlichen Auctoritas basierend, als unanfechtbar. Dies bewog Verginius Rufus auch diesmal auf den Präfekt zu bauen.

„Am gestrigen Tag sollte ich, auf Befehl des Scribonius, am Stapellauf einer Flussliburne teilnehmen. Also zog ich mit geringer Bedeckung, drei der jüngeren Tribune und dem Germanen, los. Im Waldstück zum Hafen wurden wir von Wegelagerern überfallen. Dieser Hermundure ist ein äußerst flinker Bursche…“

Verginius Rufus beabsichtigte nicht, dem Hermunduren den Lorbeer zuzuschanzen. Noch immer war er der Legat und sollte dann auch die Führungsrolle für sich beanspruchen, geriet er in einen Kampf. Er wusste, dass es diesmal anders abgelaufen war. Um diese Tatsache abzumildern, verschwieg er einige der Einzelheiten des vergangenen Kampfes bewusst.

„Wir konnten den Überfall abwehren und mit heran gerufenen Centurien den Wald durchkämmen. Scheinbar hatten wir alle Wegelagerer erwischt.“ Seine Worte energisch unterstreichend, hieb er mit seiner rechten Hand durch die Luft, als würde er einen Gladius führen. „Der Hermundure blieb mit einem Auftrag zurück. Er kam erst heute an, weil er ein weiteres Mal von versprengten Wegelagerern überfallen wurde…“

Rufus nahm, durch diese kurze Schilderung, auch den Ruhm dieser Auseinandersetzung für sich in Anspruch.

Nur kehrte er nicht allein zurück…. Er brachte zwei Gefangene mit. Ich möchte, dass ihr dem Verhör beiwohnt…“

Der Vorhang glitt zur Seite und Gerwin stand im Raum.

„Ist alles erledigt?“ fragte Verginius Rufus und der Hermundure nickte nur.

„Dann lasst uns gehen…“

Verginius Rufus erreichte den Vorhang, schritt die Treppe hinunter und wandte sich, Gerwin folgend, zu dem Wachraum, in dem die Männer seiner Legion ihre freie Wache verbrachten. Diese freie Wache, die bisher beide Gefangene bewachte, verließ den Raum. Die Türen wurden geschlossen und die Ankömmlinge gruppierten sich um den verletzten Optio und den Wegelagerer.

Zuerst musterte Verginius Rufus die Gefangenen. Den Wegelagerer schien er nicht weiter zu beachten. Seine Augen hefteten sich auf den Optio. Der Mann war etwas größer als er selbst und wirkte auf ihn, trotz seiner Verletzung, gelassen. Verginius Rufus sah die Bandage, die Enden eines Stockes, der offensichtlich zur Schienung eines Knochenbruches diente und bemerkte in den Augen des Auxiliaren eine Unruhe, die von Angst zeugen könnte.

„Wie ist dein Name, Optio?“ fragte Rufus.

„ Den habe ich verloren…“ lautete die Antwort.

„Das scheint mir auch so… also übergehen wir den Teil einfach…“ Der Legat grinste.

„Wo dienst du?“

„Ala der Treverer“ knurrte der Gefangene.

„Im Vicus Weisenau?“

„Wo sonst?“ erklang es bissig.

Der Treverer mochte schon einige Zeit bei den Auxiliaren dienen, hatte sich wohl auch zum Optio hinauf gestreckt und glaubte von sich, auch den nächsten Schritt erreichen zu können. Sein Ziel war es Decurio zu werden und das Angebot dieses Julius Tutor schien ihm die Gelegenheit dafür zu bieten. Schon sein Vater diente in Roms Auxiliartruppen. Der Nächste nach ihm, der diesen Weg beschritt, war sein jüngerer Bruder.

Warum sollte er nicht auch, wie der Vater, Centurio oder zumindest Decurio werden können? Mit etwas Glück, und dieses brachten ihm seine Götter urplötzlich, sie warfen es ihm förmlich in seinen Schoß, musste der Aufstieg gelingen…

Ihm war die Aufgabe zugefallen, den Ort des Überfalles, im Anschluss daran, zu bereinigen und jeden auch nur geringfügig auf Treverer Auxiliaren hindeuten Umstand zu beseitigen. Dazu übergab ihm der Decurio vier der Männer. Weder dieser Auftrag, noch der Überfall überhaupt, schienen auf Gefahr hinzudeuten.

Als die Botschaft eintraf, das Ziel ihres Auftrages wäre unterwegs und in seiner Begleitung befänden sich nur etwa fünfzehn Reiter, glaubte keiner der Treverer und auch keiner der übrigen Wegelagerer an eine Bedrohung. Sie lachten und waren sich des Erfolges sicher. Er befahl seinen Männern den Rückzug in die Tiefe des Waldes und blieb selbst als Beobachter zurück.

Ein fröhliches Klopfen auf die Schulter des jüngeren Bruders, eine spöttische Bemerkung und der Jüngere nahm seine Kampfposition ein, während er selbst sein Pferd im Dickicht verbarg. Kurz zuvor noch dachte er darüber nach, den jüngeren Bruder für seine eigenen Aufgabe anzufordern, verzichtete jedoch aus zwei Gründen darauf. Einmal schien der Überfall sich nicht als schwierig zu erweisen und brachte dem Bruder sicherlich Ruhm ein. Sein Ersuchen hätte den Jüngeren sicher nicht begeistert. Zum Anderen wäre es nicht die richtige Botschaft an die anderen Mitstreiter gewesen… Also beließ er es bei der Festlegung des Decurio.

Der Überfall aber verlief anders als gedacht. Es ging alles sehr schnell.

Sein Bruder war der, der den Legat zuerst angriff. Sich seines Sieges sicher, zögerte der Bruder nicht mit seinem Vorpreschen und sah sich plötzlich dem Legat allein gegenüber. Der Optio verstand nicht, wie dies geschehen konnte…

Vier Auxiliaren, darunter sein Bruder, war der Angriff auf den Legat befohlen, doch nur sein Bruder hielt sich an den Befehl. Die übrigen Treverer rückten nur langsam voran und so zahlte der Bruder mit seinem Blut. Der Optio starrte auf den vom Pferd rutschenden Toten, sah dessen Aufschlagen auf dem Boden und stand wie zu einem Stein gehärtet.

Er brauchte Zeit zur Besinnung. Als sich sein Blick wieder aufklarte, sah er den Decurio sterben. Der Diener des Legats griff zuerst seinen Decurio an. Der Bursche, scheinbar ein junger Germane, wütete danach unter seinen Auxiliaren, die den Legat nun weit aus energischer attackierten. Der Decurio tot, sein Bruder tot… Er müsste die Führung übernehmen…

Was geschah hier? Die Zahl der Angreifer verringerte sich zunehmend. Aus fast vierzig Wegelagerern und weiteren zehn Treverern der Auxiliaren war ein Häuflein Elender geworden, die fast nur noch die Flucht anstrebten. Mit dieser Gegenwehr war nicht zu rechnen und auch nicht damit, dass diese Gedungenen mehr an ihr Überleben dachten, als an den Erfolg des Überfalles. Deren Prahlen hörte sich noch vor kurzer Zeit ganz anders an. Schon versucht, sich auch in das Gemetzel zu stürzen, blieb er dennoch in seiner Position. Er allein würde kaum etwas bewirken können. Sollte er seine Männer holen? Das würde Zeit kosten… Inzwischen schmolz die Zahl der Angreifer weiter…

Die einzige Befriedigung, die ihm blieb, sah er in den Toten des Legats. Doch der, dem der Angriff galt, überlebte. Die Überlebenden betrachtend, begriff der Optio, das die Zahl seiner Männer nicht reichte, den Angriff fortzusetzen.

Er war schon im Begriff sich zurückzuziehen, als er den Legat auf verwundete Treverer zuschreiten sah. Was gesprochen wurde, hörte er nicht. Dennoch deutete er die Bewegungen des Legats und auch des Germanen. Plötzlich drehte der Legat ab und beschimpfte einen seiner jungen Tribune. Als des Optios Blick zu dem Germanen zurückkehrte, verfolgte er dessen Blickrichtung. Er sah zwei Auxiliaren in ein Gebüsch wanken und wusste sofort, was der Legat und sein Germane beabsichtigten. Mit einem Mal begriff er, was zu tun war. Es durfte keine Zeugen oder Zungen geben. Diese Verräter waren dem Tod geweiht.

Langsam zog er sich zurück und überließ das Kampffeld dem Sieger. Kurz darauf fand er seine Männer. Fast im gleichen Augenblick tauchte noch ein anderer Mann auf. Auch Julius Tutor stieß auf seinen Trupp.

Dem früheren Präfekt einer Kohorte aus Thrakien, unter dem Kommando des Scribonius Rufus, dem Statthalter des Exercitus Germania Inferior, sah man seinen Wert nicht an. Bisher hatte er den Mann, unter den Angreifern, nicht wahrgenommen. Zerlumpt, schmutzig und verschwitzt, ließ sich dieser auf den Boden gleiten und streckte seine Glieder weit aus, dann erhob er sich entschlossen.

„Das ging schief! Verschwinden wir besser…“ waren des Mannes Worte, der sich offensichtlich schnell vom Fehlschlag erholte.

„Das können wir nicht, so gern ich möchte… Dieser verfluchte Germane schaffte es, aus zwei unserer Männer Verräter zu machen. Er versteckt die Kerle im Dickicht und sein Legat spielte dabei natürlich mit. Der lenkte die Übrigen ab und was das bedeutet, weißt du sicher, Präfekt.“ Der Optio sprach den Mann mit seinem früheren Titel an.

Die übrigen Männer seines Trupps horchten auf. Sie waren alle als Wegelagerer verkleidet. Verschmutzt, das Haar mit Asche des Feuers verunreinigt, Schlamm an der Kleidung, auf blanken Körperteilen und außer ihm trug keiner der Männer die Lorica Hamata. Warum auch, sie sollten nicht kämpfen…

„Wir müssen die Kerle suchen! Los auf, folgt mir!“ Der Befehl genügte und auch Tutor bewegte seine Beine.

Zuerst nahmen sie, mit Glück, noch die heranrückende Centurie der Primigenia wahr, zogen sich in die Tiefe des Waldes zurück und hofften, die Spur der Verräter zu finden.

Irgendwie war ihnen das Glück hold, bis der verfluchte Germane erneut auftauchte. Mit den Legionären wären sie fertig geworden, dann aber tauchte der Germane, und ausgerechnet in seinem Rücken, auf…

Das der Angriff scheitern konnte, war bei der Übermacht nicht nachzuvollziehen und schon gar nicht vorauszusehen. Der Tod seines Bruders jedoch traf ihn mit Schmerz und ließ ihn, zuerst nur in Trauer, dann aber in Wut versinken.

Der Mann, der seinen Bruder tötete, verlangte jetzt von ihm den gleichen Verrat, den er selbst durch die Befreiung oder Tötung der gefangenen Treverer zu verhindern trachtete. Sie hatten die Verräter gefunden und dennoch versagt. Auch sie wurden zu Gefangenen, mehr noch, erniedrigt, bloßgestellt, beleidigt und von wem, einem lumpigen und noch dazu blutjungen Germanen…

Der Optio begriff die ausweglose Lage, in der er sich befand. Dem Bruder hatte er nicht helfen können, der Überfall misslang, sein Aufstieg schien unmöglich und nun drohte auch ihm ein schneller Tod… oder gar Folter…

Gerwin trat vor den Mann. „Herr, erlaube, dass ich mich einmische. Der Kerl hat keinen Anstand… Ihm sollte geholfen werden…“ Spott begleitete die gesprochenen Worte.

Verginius Rufus nickte.

„Höre Optio, mir gefällt dein Auftreten nicht… Der Legat verdient mehr Achtung und ich bin sicher, dass du gern bereit bist, diese auch zu zeigen…“

Das Folgende lief so schnell ab, dass weder der Gefangene, noch die Beobachter sahen, was Gerwin ausführte. Es waren seine Messer, die urplötzlich auf beiden Seiten in den Hals des Optio stachen und genauso schnell wieder verschwanden.

Beide Wunden waren nicht tief, es war die Schnelligkeit und Treffsicherheit der Handlung, die zum Erschrecken führten.

Die Dolche trafen, seitlich am Genick. Sie hinterließen, an Stellen die keine Gefährdung des Lebens mit sich brachten, den Eindruck, den der Hermundure zu erzielen beabsichtigte. Gerwin verschränkte seine Arme vor der Brust und wartete. Plötzlich plätscherte es zwischen des Optio Beinen. Er hatte sich eingepisst.

„Weiß du, mutiger Optio, Tote pissen und scheißen sich schon Mal ein, wenn der letzte Moment gekommen ist… Du aber tust das, ohne wirklich richtig verletzt worden zu sein, schon beim Anblick meines Legaten…“ Gerwin reizte den Mann durch Erniedrigung und Beleidigung.

„Du Hund stirbst, wenn ich überlebe…“ Der Treverer sprach in Wut.

„Nimm es als kleinen Dank für deine Hinterlist an der Wache… Ein Hermundure vergisst nie!“

„Ich auch nicht!“ fauchte der Treverer.

„Dann können wir jetzt doch sicher fortsetzen und du, Treverer, antwortest.“ Verginius Rufus riss das Verhör erneut an sich.

„Ich werde gar nichts sagen. Ich bin ohnehin schon tot…“

„Das sehe ich nicht so…“ Der Legat versuchte dem Gefangenen Hoffnung zu machen.

„Du könntest dir die Sache einfach machen… Du beantwortest meine Fragen und ich entscheide danach, was mir dir geschehen wird. Also, wer befahl den Überfall?“

Schweigen.

„Der Anfang fällt dir wirklich schwer…“ machte der Legat sich und dem Gefangenen Hoffnung.

„Wenn du Optio bist, wusste dann dein Decurio vom Auftrag?“

Schweigen.

„Warst du der einzige Auxiliar?“

Schweigen. Der Gefangene spielte auf Zeit. Auf was hoffte er? Er musste doch wissen, dass sie den Kampfplatz und die Angreifer untersucht hatten und somit wussten, dass Treverer hinter dem Überfall steckten.

„So wird das nichts!“ beschied Verginius Rufus. „Gerwin, rufe den Carnifex!“

Gerwin überlegte. Sollte er die Folter übernehmen? Besser nicht, sollen sich die Römer doch selbst abmühen… Andererseits kannte er den einen oder anderen Schmerz, der das Schweigen schnell überwand.

„Herr, der Bursche ist verstockt. Warte noch mit dem Carnifex… Es gibt so viele Möglichkeiten, das Sprechen zu erzwingen und dennoch muss kein Blut fließen…

Der Legat ließ dem Germanen erneut den Vortritt. Der Hermundure umfasste den Treverer oberhalb der Hüfte und plötzlich rang der Mann nach Luft. Als sich seine Lungen füllten, brüllte er. Mit dem Nachlassen des Druckes, den seine, an einer bestimmten Stelle in den Rücken gedrückten Finger verursachten, vergingen der Schmerz und der Schrei. Der Gefangene erholte sich. „Ich kann das noch einmal wiederholen…“ Gerwin lächelte den Mann an.

Der Treverer verzog keine Miene. Als Gerwin einen Schritt auf ihn zu machte, wich der Mann zurück.

„Wir können auch etwas Anderes versuchen…“ Gerwin zückte einen seiner Dolche und entfernte die von ihm selbst angelegte Bandage. Die beiden Stöcke fielen zu Boden und im selben Augenblick landete Gerwins Hand auf dem gebrochenen Knochen an der Schulter. Der Treverer stöhnte auf. Gerwin zog seine Hand zurück.

Ein gebrochener Knochen konnte zu ungeahnten Ergebnissen führen…

Gerwin gab dem Mann Zeit. Als er sicher war, dass der abklingende Schmerz ein Zuhören ermöglichte, begann er zu sprechen.

„Weiß du Treverer, du magst ein noch so tapferer Mann sein, sollte ich auch mein gesamtes Wissen erst einbringen müssen, am Ende sprichst du doch… Der Carnifex bricht dir die Knochen, er sticht, drückt oder brennt dich und wie ich im Dulden des Schmerzes deiner Schulter sah, wirst du dies alles hinnehmen, bis genug Blut aus dir heraus lief und dann schläfst du qualvoll ein.“ Er wartete auf die Wirkung seiner Worte.

Der Gefangene starrte ihn an, als wäre er ein Geist.

„Was ich dir antue, wirkt auf lange Zeit kaum bedrohlich, aber schmerzhaft. Der Druck im Rücken kann von mir noch gesteigert werden und ich kann meine Handlung so oft wiederholen, wie es mir behagt… Damit treibe ich dich vor mir her in einen dauerhaften Schmerz, der immer nur kurzzeitig gelindert wird… Immer erholst du dich wieder. Es sei denn, ich beende dort dein Leben.“

Der Gefangene sagte kein Wort, aber Hass loderte aus seinen Augen.

„Schweigst du weiter auf die Fragen, wird es noch schmerzhafter. Was glaubst du, wie lange du durchhältst?“

„Verfluchter germanischer Hund!“ zischte der Treverer.

„Wer gab den Auftrag?“

Erneutes Schweigen antwortete.

Gerwins Handlungen waren schnell, unerwartet und vermittelten Schmerz. Seine Finger stießen vorwärts und trafen genau den Punkt.

Der kurze Schlag zweier Hände, seitlich des Kopfes, reichte vollkommen aus. Der Gefangene schrie sofort. Der Schmerz betäubte alle seine Sinne. Der Mann presste seine Hände gegen den Schädel, schrie und schwenkte sein Haupt.

Der Germane wartete, bis sich der Auxiliar beruhigte. „Dieses Mal ist es nur schmerzhaft…“ Gerwin zeigte auf das Kiefergelenk.

„Es könnte jedoch auch anders verlaufen… Du kannst nicht mehr essen, das Sprechen fällt schwerer und der Schmerz zertrümmert alle übrigen Empfindungen… Mir blieben noch ein paar andere Möglichkeiten … Möchtest du wirklich, dass ich fortsetze…“

Der Gefangene schüttelte den Kopf. „Nein…“ knurrte er und Schmerz entstellte sein Gesicht.

„Herr, gib ihm noch etwas Zeit. Wenn er sich richtig erholte, wird er sprechen.“ Der junge Hermundure verkündete seine Zuversicht.

Flavius Axius, der in Roms Legionen ergraute Präfekt war sichtlich erschrocken. „Du bist ein verdammt gefährlicher Bursche… Ich habe schon viel erlebt… Die Kunst eines Carnifex erblasst gegenüber deinem Vorgehen.“

Gerwin winkte ab. „Herr, wer glaubst du, zeigte mir diese Stellen und erklärte die Wirkung von solchen Angriffen?“

Axius zuckte mit der Schulter.

„Eine Heilerin meines Stammes, also ein Weib mit Kenntnissen, wie sie ein Medicus besitzt.“ Axius starrte ihn an, als brauchte er Zeit, diese kaum erwartete Erklärung zu begreifen.

Inzwischen kehrte der Treverer langsam ins Leben zurück. Als er sich soweit erholt hatte, setzte Verginius Rufus seine Fragen fort.

„Wer gab den Auftrag?“

„Ein Treverer. Sein Name ist Julius Tutor. Er dient unter Statthalter Scribonius Rufus.“ Diesmal musste Verginius Rufus nicht auf die Antwort warten.

„Warum dieser Anschlag?“

Der Gefangene zuckte mit der Schulter, verzog dabei sein Gesicht, weil ihm der gebrochene Knochen eine Botschaft des Schmerzes sandte.

„Weißt du es nicht oder willst du nicht sprechen?“

„…weiß es nicht…“ zwängte sich eine geflüsterte Antwort zwischen die Lippen.

Der Blick des Treverer wanderte zum Germanen, als würde er eine erneute Behandlung fürchten. Er hasste den Legat und jetzt auch den Germanen, für den er bisher nur Verachtung empfand. Der Legat tötete seinen Bruder. Er würde sich hüten, dies dem Mann zu offenbaren… Der Germane quälte und erniedrigte ihn. Außerdem schaffte der Kerl es, ihn dazu zu bringen, dass er sich vor Angst einpisste…

Gerwin erkannte, das der Mann gebrochen war. Bedachte er, wer ihm das Wissen des Körpers eines Mannes vermittelte und verglich mit den Ergebnissen derartiger, auf diese Körperteile abgezielter Angriffe, erschloss sich ihm der Wert der damaligen Belehrung durch die Heilkundige der hermundurischen Gefolgschaft. Wilgard zeigte ihm die Stellen des Kämpfers, die zielstrebig und ohne Waffen angegriffen, den Schmerz verursachten, der dem Krieger die Kontrolle und zumeist auch die Besinnung raubte. Das er diese Zonen eines Angriffes auch immer schnell fand, verdankte er Freunden, die sich im Kampf mit ihm maßen. Er erprobte und erkannte die Gefahr. Indem er die Kraft anfangs nur mäßig einsetzte, überraschte ihn schon damals deren Wirkung.

Mit der Zeit begann Gerwin diese Auswirkungen zu erforschen und fand so zum Verständnis, mit welcher Kraft ein Angriff auszuführen war, ohne das der Angegriffene starb. Der erzielte Schmerz und die anschließende Wut belehrten ihn, diese Handlungen nicht an Freunden zu erproben.

Wie aber sollte er erkennen, mit welcher Kraft, an welcher Stelle, welcher Schmerz verursacht werden konnte? Freunde und Kampfgefährten schieden aus. Wieder half ihm die Heilkundige. Sie zeigte an toten Feinden die Auswirkungen und Gerwin begriff, wo er mit welcher Kraft treffen musste. Diese Stellen zu finden, erlernte er an Gräserpuppen, die er sich einst selbst erschuf. Er wusste damals nicht, wie oft ihn genau diese Fähigkeiten in Zukunft schützten würden.

Noch weniger vermutete er, dass er mittels dieses Wissens zur Folter fähig war. Der Treverer fürchtete ihn und der Legat begriff erneut, wie gefährlich sein junger Diener sein konnte.

„Wer bestimmte den Ort des Überfalls?“ Verginius Rufus brauchte weitere Einzelheiten. Bisher hätte er keine Anklage gegen den Statthalter in Niedergermanien vorbringen können… Doch warum sollte Scribonius Rufus ihn töten wollen? Dafür gab es noch keinen Beweis.

„Der Decurio und ich…“ Die Antwort brachte einen ersten Fingerzeig.

„Wem habt ihr den Ort angezeigt?“

„Weiß nicht. War nicht dabei…“ Der Treverer blickte zu Boden.

Verginius Rufus schloss nicht aus, eine Lüge gehört zu haben… Immerhin sah der Mann zu Boden und vermied einen Blickkontakt mit ihm. Stimmte seine Antwort jedoch, konnte nur der Decurio diesen Ort des Überfalls anzeigen. Doch wem?

„Du meist, dein Decurio benannte den Ort?“ Der Gefangene nickte.

„Wem?“ Erneut folgte ein Zucken des Bedauerns.

Gerwin mischte sich diesmal von allein und ohne um Erlaubnis zu fragen ein. „Du lügst!“ Er trat zwei Schritte auf den Treverer zu.

Nach hinten konnte der Gefangene nicht mehr weit ausweichen. Deshalb hob er seinen noch gesunden Arm und versuchte damit seinen Kopf zu schützen. Gerwin erkannte des Mannes Angst.

„Sprich!“ sagte er und der Treverer kam seiner Aufforderung nach.

„Tutor ließ sich von uns den Ort zeigen… Ich weiß, dass er dann den Statthalter aufsuchte…“

Das war schon etwas, reichte aber noch immer nicht aus.

Die Spannung die sich in dem verhältnismäßig kleinen Raum, zwischen all den Männern aufbaute, war fast zum Greifen. Die Angst des Treverer blickte aus seinen Augen, ließ seine Hände zittern.

Der gefangene Wegelagerer unternahm anfangs den Versuch, sich trotz seiner Fesseln, der Tür anzunähern. Tremorinus, der das bemerkte, drängte den Mann in den Raum zurück. Dann wich der Wegelagerer, in kleinen Stücken, bis in die äußerste Ecke zurück.

Gerwin gewann den Eindruck, dass sich der Gefangene unscheinbar zu machen versuchte. Spürte der Mann Angst? Der Hermundure nahm dessen Bemühungen eigentlich nur am Rande wahr. Er war voll auf den Optio ausgerichtet. Trotzdem wanderten erst seine Gedanken und dann auch sein Blick zum Wegelagerer hin.

Bilder eines unlängst erlebten Kampfes glitten an Gerwins innerem Auge vorbei. Der Wegelagerer stand, mit dem Rücken zu ihm, so dass dieser seine Annäherung nicht wahrnehmen konnte. Plötzlich erkannte er, was der Gefangene beabsichtigte. Der Mann machte sich klein… Gerwin erinnerte sich an dessen Gestalt während des Kampfes. Die Schultern des Wegelagerers lagen in der gleichen Höhe, wie seine eigenen. Inzwischen schien der Mann geschrumpft zu sein… Lumpen, Dreck, das schmutzige Haar, die Schultern zu einem Buckel eingezogen, versuchte der Gefangene den Legat und dessen Begleiter zu täuschen?

„Welchen Statthalter, Rufus oder Proculus?“ Verginius Rufus wirkte erregt.

„Zuerst Scribonius Proculus…“

„Du warst dabei?“ Verginius Rufus kam seinem Ziel ziemlich nahe.

„Nein.“ Die Hoffnung des Legats zerstob.

„Später suchte er noch Rufus auf?“ nahm der Legat den vorigen Gedanken noch einmal auf.

„Das weiß ich nicht. Tutor verschwand.“

„Aber er kam wieder?“

Der Gefangene nickte. „Es vergingen einige Wochen… Ich war nicht dabei, als Tutor mit dem Decurio sprach, sah ihn aber im Vicus…“

„Und? Lass dir nicht jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen… oder soll der…“

Weiter kam der Fragende nicht. Ein schriller Schrei unterbrach die Ankündigung. Der Treverer fürchtete sich.

„Ich bekam einen Beutel Münzen…“

Verginius Rufus begriff. Aber noch immer lag ihm kein Beweis für eine Beteiligung der Brüder Scribonius vor. Dennoch war er überzeugt, die richtige Spur zu verfolgen.

Sein Streit mit Scribonius Proculus war sicher auch dessen Bruder bekannt. Warum aber sollte dieser für einen Mord ausreichen? Wer war noch in den Überfall eingebunden, ohne selbst in Erscheinung zu treten? Wem sollte der Überfall Nutzen bringen? Zweifellos war der Optio gebrochen… Sein Germane zerstörte erst des Mannes Ansehen, dann brach er ihn mit dem Schmerz, den keiner der Anwesenden kannte. Von da an war die Gegenwehr des Treverer ohne nennenswerte Bedeutung und dennoch fehlte ihm ein eindeutiger Beweis zu den diesen Auftrag erteilenden Hintermännern. Fand er nicht bald den Grund oder die Auftraggeber, besaß der Optio keinerlei Bedeutung für seine weitere Suche…

„Optio, was tat ich dir, dass du zu diesem Überfall bereit warst?“

Obwohl der Legat glaubte, der Grund der Beteiligung läge im Gewinn eines Beutels voller Münzen, unternahm er den Versuch. Er hegte keine große Hoffnung und bemerkte deshalb die eingetretene Veränderung zuerst nicht.

Der Auxiliar wurde plötzlich äußerlich sehr ruhig. Das Zittern in Händen und Füßen verschwand. Der Blick des Optio festigte sich und suchte die Augen des Legats.

Diese Veränderung hätte der Optio, aufgrund der Unaufmerksamkeit des Fragenden, überspielen können. Doch gerade diese Frage schien seinen Widerstand erneut zu wecken. Als hätte Verginius Rufus eine Seite in den Gefühlen des Mannes getroffen, die dessen zuvor erkanntes Aufgeben urplötzlich zur Seite drängte.

Mit einem Schlag begriff Verginius Rufus, dass es nicht der Gewinn eines Beutels Gold war, was den Treverer zur Teilnahme bewegte. Forderte er mehr zum Motiv des Gefangenen heraus, könnte dieser Dinge verraten, die ihn zu Beweisen führten.

„Welche Schuld wirfst du mir vor?“ Der Legat änderte seinen Angriff.

Der Gefangene entspannte sich. „Warum sollte ich dir die Befriedigung einer Antwort geben… Letztlich bin ich längst ein toter Mann…“

„Nun, diese Entscheidung traf ich noch nicht! Andererseits kannst du dir sicher sein, dass ich die Entscheidung dazu treffe.“ wies der Legat den Gefangenen zurück.

„Dann Legat, beantworte du mir meine Fragen…“

Das traf Verginius Rufus unerwartet. Der Gefangene kroch von der Folter und stellte ihm Forderungen…

Verginius Rufus willigte ein. „Ich höre…“

„Der Überfall sollte deinen Tod bedeuten… Ich war dabei! Warum sollte mich das am Leben erhalten?“

„Diese Frage habe ich schon beantwortet!“ knurrte der Legat.

„Dein Germane beschloss längst meinen Tod…“

„Weil er dich beleidigte, erniedrigte, auf seine Art folterte…“

„Nein, schon als er mich auf ein Pferd setzte, vergaß mir die Augen zu verbinden, verhinderte, dass ich Männer zu Gesicht bekam, die ich wiedererkennen könnte, es versäumte dessen Schlupfloch zu verbergen und weil er zwei meiner Treverer zu Verrätern unserer Sache machte…“

Verginius Rufus blickte zu Gerwin. Er verstand die Verstocktheit des Treverer. Der Mann wusste längst, dass er sterben würde. Sein Germane hatte dessen Tod beschlossen. Plötzlich kam ihm eine Erleuchtung. Auch Gerwin spielte mit…

Doch spielte dieser auf eigene Rechnung oder diente dessen Vorgehen seinem eigenen Zweck? Irgendwo in einem Versteck saßen zwei Treverer, die ihre Kameraden verrieten. Diese, seine Zungen, bewahrte der Germane vor dem Tod. Dem Hermunduren nützten die Gefangenen nichts, für ihn selbst aber besaßen diese Männer eine enorme Bedeutung… Von ihnen erfuhr er, dass ein Scribonius hinter dem Überfall steckte. Beide verletzte Treverer nannten den Namen der Brüder. In der Hitze des soeben beendeten Kampfes versäumte er, nach dem richtigen Scribonius zu fragen. Die Aussagen des Optio deuteten auf den Statthalter im benachbarten Territorium hin. Doch diese Aussage ist nahezu bedeutungslos. Jeder weiß von der Einigkeit der Brüder. Was der Eine ausheckte, deckte der Andere. Der Plan des Überfalls stammte sicher von Rufus, die Auxiliaren, die nicht entdeckt werden sollten, kamen aus dem Vicus Weisenau. Diese gehörten zum Mannschaftsbestand der Auxiliaren, die den in Mogontiacum stationierten Legionen zugeordnet waren und diese befehligte letztlich Bruder Scribonius Proculus. Alles lag klar vor ihm…

Die Zerwürfnisse mit Proculus reichten nicht aus, einen Mord anzustreben. Wenn aber der Senat hinter der Sache stecken sollte, begann der Überfall Sinn zu machen… In seinem Revier starben Senatoren, noch zumal auf dem Weg zu ihm. Deren Untersuchungen hätten zu seiner Ablösung, wenn nicht gar zu seinem Tod führen können, fanden die Senatoren Tatsachen und konnten Verfehlungen begründen… Er wusste, dass er gegen die Interessen des Senats handelte, als er die Kohorten zu den Hermunduren schickte. Immerhin galten diese schon über längere Zeiträume als Freunde Roms… Der Kaiser duldete seine Vorgehensweise und im Nachhinein beschützte er ihn auch. Dem Senat aber deshalb die Stirn zu bieten, vermied Kaiser Nero.

Verginius Rufus wusste, dass der Imperator seinen Ausflug zu den Hermunduren billigte. Also blieb letztlich nur eine Schlussfolgerung übrig. Der Senat war an seinem Tod interessiert…

Im Raum herrschte Schweigen. Tremorinus und der alte Bock starrten Verginius Rufus an. Der Optio richtete seinen Blick auf seine Füße und aus dessen Haltung sprach Trauer.

In der äußersten Ecke kauerte sich der Wegelagerer zusammen und begriff scheinbar, dass, mit dem Vorwurf des Optio an den Germanen, auch sein Leben verwirkt war. Er sah das Gleiche und dies gab ihm Gewissheit, dass er diesen verfluchten, kleinen Raum kaum jemals lebend verlassen würde…

Nur der junge Hermundure blieb von Aufmerksamkeit beherrscht. Ruhig sah er zum Antlitz des Legats und versuchte in diesem zu lesen.

Nein, Gerwin spielte nicht auf eigene Rechnung. Verginius Rufus erinnerte sich an dessen Auftreten bei seiner Rückkehr. Auch dessen Verhalten, einschließlich der merkwürdigen Folter, schienen die Worte des Germanen zu unterstreichen. Er brauchte ihn und deshalb tat er, was er zu tun veranlasst war…

Was aber wusste der Germane von gescheiterten Kohorten, vernichteten Senatoren, von den Widersprüchen zwischen dem römischen Senat und dem Kaiser…

Der Schleier vor Verginius Rufus Augen lichtete sich. Der Germane wusste alles und er selbst war es, der ihn zu diesem Wissen führte… Somit ergab sich nur eine wichtige Frage, nutzte der Hermundure sein Wissen ausschließlich zum eigenen Nutzen oder deckten sich dessen Absichten mit seinen eigenen?

Der Römer begriff, dass der Germane die Zügel in der Hand hielt und wieder beschlich ihn das gleiche Empfinden, das ihn schon damals am Stein des Drusus in seinen Bann schlug.

Ihre Blicke trafen sich. In Verginius Rufus Augen formte sich eine Frage. ‚Was erwartest du von mir?‘

Er wollte nicht glauben, dass der Germane den Ausdruck seiner Augen verstand. Wenn dennoch, dann müsste er diesen jungen Burschen umso mehr fürchten.

Plötzlich sah er die Antwort, und zwar genau dort, wo diese niemals auftauchen durfte: in den Augen des jungen Hermunduren.

,Du hast die Macht!‘ riefen die fremden Augen. ‚Du weißt, wer deinen Tod bezweckt, also finde auch den Beweis! Er liegt vor deinen Augen, du musst ihn nur aufheben…‘

Verginius Rufus Blick schweifte durch den Raum. Wo verbarg sich der Beweis? Verflucht, was meinte der Hermundure?

Im Raum befand sich nur ein erneut erstarkter Optio und ein verängstigter Wegelagerer… Das konnte es nicht sein… Der Senat wollte seinen Tod… Wegen verlorenen Kohorten? Wegen toten Senatoren?

,Nein!‘ schrie es in ihm. Er musste nur richtig hinhören, um verstehen zu können und plötzlich verstand er…

Seine Treue zu Kaiser Nero war der Dorn im Fleisch des Senats! Deshalb sandten die Senatoren den Mann, den er einst vertrieb, dann diesen Mann erneut und noch einen Anderen, die aber ein zufälliger Tod fand. Was interessierten den Senat verlorene Kohorten, doch wohl genauso wenig wie den Kaiser… Er saß hier in Germanien und ohne es zu wissen, blockierte er senatorische Absichten… Gewann der Senat, über die Brüder Scribonius, die Militärterritorien am Rhenus, eigentlich besaß er sie doch schon, verfügte er auch über die Macht von mindestens sieben Legionen… Die Brüder hatten sich mit dem Senat verbündet… Er war das letzte Hindernis auf dem Weg zur Erschütterung der Macht…

Verginius Rufus erschrak ob der Erkenntnis. Was sollte er tun? Sollte er sich dem Druck ergeben und den Imperator seinem Schicksal überlassen? Sollte er kämpfen, für den Kaiser oder gar für sich selbst? Sollte er die Macht des Imperators, wie vom Vergobret der Haeduer angeboten, anstreben?

Verginius Rufus schreckte vor allen diesen Gedanken zurück. Nein, niemals ließe er sich verführen…

Eigentlich beurteilte er sich selbst als einen bescheidenen, nicht ganz dummen und keinesfalls unerfahrenen Legat. Er kannte das Spiel, seine Grenzen und wusste Erfolge einzuordnen. Die Vergangenheit belehrte ihn mit Misserfolg und weil das so war, befand er sich in dieser heiklen Lage. Also musste er sich daraus befreien…

Zwei Tatsachen nisteten sich in sein Denken. Optio und Wegelagerer wussten zu viel. Der Hermundure beschloss von vorn herein deren Tod… oder doch nicht…

Der Optio hätte, nach dem Überfall, zu seiner Einheit zurückkehren können und keiner wüsste oder ahnte seine Beteiligung. Wann und wo auch immer, der Mann hätte seine Rache ihm gegenüber ausleben können… Seine Rache? Welche Rache?

Verginius Rufus begriff, dass den Optio nicht Gold blendete, sondern Hass beherrschte… Wäre es nur Gold gewesen, hätte der Mann die Rückkehr in seine Ala vorgezogen und wäre sicher bald zum Decurio aufgestiegen… Deshalb musste es Hass sein…

Warum hasste ihn der Treverer?

Verginius Rufus schaffte es nicht, sich einen Grund vorstellen zu können. Er suchte nach einer Verbindung zwischen diesem Optio, den Auxiliaren der Treverer und seinen kürzlich gefassten Entscheidungen… und fand nichts…

Der Wegelagerer war bedeutungslos… Was sollte der Kerl schon wissen… Sie hatten ihn, wie Andere auch, aus der Gosse gezogen, ein Schwert gereicht und gesagt: ‚Töte und du erhältst Gold!‘ Dieser Wegelagerer versuchte eben sein Glück…

Warum aber vermied der Kerl, nach dem Ende des Überfalles, das Zusammentreffen mit dem Optio dann nicht? Er hätte doch einfach verschwinden können… Er blieb am Leben, besaß sein Gold und ihn zu finden, wäre schier unmöglich…

Es war die nächste Erkenntnis, die den Legat aus den Sandalen hob. Er musterte den Wegelagerer.

„Steh auf!“ befahl er.

Zögernd erhob sich der Fremde. Seine Kleidung war zerrissen und hing nur in Fetzen über einem schmutzigen, braun gebrannten Körper. Der Mann duckte sich, zog die Schultern ein, senkte den Kopf und verweigerte jeden Augenkontakt. Zeigte der Kerl Angst?

Unter den Lumpen gewahrte Verginius Rufus ausgeprägte Muskeln. Das Haar war kurz geschoren, aber äußerst schmutzig. So weit würde sich ein Römer niemals erniedrigen…

Darauf wollte ihn Gerwin aufmerksam machen? Legatus Legionis Verginius Rufus begann zu begreifen… Der Optio war ohne Zweifel wichtig, doch der Wegelagerer verbarg ein Geheimnis, dass zu lüften sich lohnte.

„Richte dich auf!“ befahl Verginius Rufus erneut. „Strecke dich, oder der Germane wird es tun…“

Der Mann blickte ihn, mit einem gespielten blöden Ausdruck in seinem Antlitz, an und erkannte den letzten Versuch des Wegelagerers, in der Unscheinbarkeit verschwinden zu wollen.

„Für einen stolzen Römer bist du wahrlich ein erbärmlicher Anblick! Hast du auch einen Namen? Oder sollte ich dir, für die kurze Zeit deines weiteren Daseins, eine Nummer geben…“

Die Beleidigung traf. Der angesprochene Römer streckte sich, überragte den Optio um einen halben Kopf und ließ den Mann neben sich zu einer Schimäre verkümmern. „Du hast lange gebraucht, Lucius Verginius Rufus.“

Seine Worte trafen Präfekt Axius und Tribun Tremorinus unvorbereitet. Auch die Erscheinung des Mannes änderte sich.

„Den da brauchst du nicht mehr…“ der Gefangene deutete mit seinem Kopf auf den Optio. „Er ist weder mutig noch klug, dünkt sich aber besser als Andere zu sein. Was er weiß, sagte er dir. Also lass deinen Germanen auf ihn los und du hast eine Sorge weniger…“

„Was befähigt dich, mir derartige Ratschläge zu erteilen, obwohl du mir deinen Namen und die Herkunft verschweigst?“ Zorn sprach aus den Worten des Legats. „Gerwin, rufe den Carnifex!“ Der Germane verschwand und kam kurz darauf, mit dem Carnifex der Primigenia, zurück.

„Höre Mann, du nimmst den Auxiliar mit. Dieser Kerl war am gestrigen Überfall beteiligt. Mir scheint sein Wissen von Bedeutung…“ Verginius Rufus blickte zum Optio. Er schien den genauen Auftrag an den Carnifex zu durchdenken. „Ich will von dem Mann wissen, wer den Auftrag erteilte?“ Plötzlich besann er sich.

„Nein, die Antwort gibt mir besser ein Anderer… Frage ihn, warum der Überfall ausgeführt wurde…“ Es dauerte einen Augenblick, dann verwarf er auch diesen Grund der Folter. Er wusste es doch bereits. Seine Ermordung war das Ziel und außerdem würde der Wegelagerer, wenn seine Vermutung zutraf, weit mehr zu erzählen haben…

„Frage ihn, warum er sich beteiligte und warum er mich hasst… Unterziehe ihn deiner Kunst und bedenke, dass ich diese Antworten fordere. Du solltest mir auch beide Antworten liefern. Es gibt für dich keinen Grund, mir eine meiner Fragen nicht zu beantworten…“

Das war das Todesurteil oder aber, der dies ebenfalls Hörende, entschloss sich, im Vertrauen auf das Wort des Legatus Legionis, zum freimütigen Bekenntnis. Der Carnifex verstand und schleppte den Verletzten zum Carcer.

Verginius Rufus verlor jedes Interesse an dem Optio. Gab er seine Antworten preis, konnte er noch immer abwägen und schwieg der Treverer, na dann forderte er seinen Tod selbst heraus…

„Gerwin, bemächtige dich des Römers und bringe ihn zum Arbeitsraum. Wir werden unser Gespräch dort fortsetzen…

Die Legende vom Hermunduren

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