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5. Die Anklage

66 nach Christus - Sommer (20. Augustus)

Imperium Romanum – Mogontiacum

Dieses Mal schlug Verginius Rufus den schweren Vorhang zu seinem Arbeitsraum selbst zur Seite. Mitten im Raum saß der Gefangene auf dem Boden und Tremorinus im Korbsessel, etwa zwei Schritte von dem Mann entfernt.

Tremorinus spielte, in seinen Händen, mit einem kleinen zierlichen Dolch, dessen Klinge zu einer äußeren Rundung gezogen war und in einer nach Innen verlaufenden zweiteiligen Spitze endete.

„Ich sehe, ihr habt euch inzwischen angefreundet…“ bemerkte der Legat mit Sarkasmus und Hohn in der Stimme.

„So kann man es auch bezeichnen…“ knurrte der Gefangene und erhob sich. Ein Blick von Tremorinus warnte ihn.

„Gut, dann werden wir jetzt einen kleinen Gang an die frische Luft unternehmen und unsere Gemüter etwas abkühlen. Ich könnte mir vorstellen, dass dies deine Erinnerungen auffrischt und du mit weiterem Wissenswertem aufwarten wirst…“

Gerwin ergriff das Ende des Strickes, das in der Schlinge um den Hals des Treverer mündete. In seiner kompletten Verschnürung blieb dem Gefangenen nur übrig, in Folgsamkeit jedem Ruck am Ende des Seils, zu gehorchen.

„Verdammt Legat, du könntest mich von dieser lästigen Verpackung meiner Arme befreien und auch die Schlinge erscheint mir, nach unserer Übereinkunft, unangebracht.“

Der Legat überging die Worte des Gefangenen.

Ein kurzer Ruf, mit der Forderung von zwei Legionären zur Begleitung und die Anweisung, das Ende des Seils und die Arme des Gefangenen zu ergreifen, vergrößerte die Gruppe, die zielstrebig auf die Principia und die dort befindlichen Arbeitsräume des Legatus Augusti pro Praetore zuhielten.

Als die Posten am Eingang zur Principia erkannten, wer auf sie zumarschierte, ergriff die Männer einesteils Verblüffung und andererseits Neugier. Alle jemals als Wachen dort eingesetzten Miles wussten von der Tatsache, dass Verginius Rufus das Betreten dieses Gebäudes tunlichst vermied. Es stellte sich dem Aufzug, weder in einem der Korridore, noch am Eingang zum Allerheiligsten des Statthalters, auch nur ein Legionär in den Weg. So verbissen wie der Legat der Primigenia blickte, schien ein Aufhalten des Zuges schier unmöglich, ohne einen Ausbruch des Vulkans in Verginius Rufus herauszufordern. Die Tür zum Arbeitsraum des Statthalters flog auf und der Blick des Scribonius erfasste einen in Wut entbrannten Legatus Legionis.

Nach einigen wenigen Schritten zur Seite tretend, gab der Legat den Blick auf einen Gefangenen frei. Im gleichen Augenblick trafen Stoss und Tritt, den am ganzen Körper Gefesselten, so dass dieser auf Bauch und Brust landete, ohne sich mit den Armen abfangen zu können.

„Was soll der Auftritt, Verginius Rufus?“ Zorn wallte in dem Mann auf, der die Macht im Militärterritorium ausübte. Sein Gesicht lief hochrot an, sein ins Graue wechselndes Kopfhaar stand wie immer und verlieh ihm den Ausdruck eines hinter einem Tisch stehenden Ungetüms, das nur darauf lauerte, sich auf den Eindringling zu stürzen.

„Herr, ich klage an und fordere die Verurteilung dieses Mannes!“ Verginius Rufus schrie ebenso laut wie der Statthalter. Die beiden Römer maßen sich mit vor Zorn und Hass geweitetem Blick.

Gerwin, der dem von den beiden Wächtern, mit einem Stoss freigegebenen Gefangenen, den Tritt verpasste, blieb neben der noch immer geöffneten Tür stehen.

Der Gefangene versuchte, sich über die Seite drehend und den einen Fuß aufstützend, ein Erheben. Allein sein aufwärts gerichteter Kopf reichte, den Statthalter zu warnen.

Scribonius Proculus erkannte den Mann, besann sich schnell und schnauzte den neben der Tür stehenden Germanen an.

„He, du da, wer auch immer du bist, schließe die Tür!“

Gerwin stellte sich, als verstand er nicht, dass er gemeint war. Es wäre auch ihm sicher schwer gefallen diese Tür zu schließen, wenn in deren Rahmen ein Centurio und zwei Legionäre Front zu den Eindringlingen machten.

Noch immer im Zorn über die Unverschämtheit gefangen, schnauzte der Statthalter den Centurio an. „Verschwinde! Tür zu!“ und der Mann gehorchte.

Legat Verginius Rufus war von seinem Zorn auf eine Mäßigung herab gestiegen und wartete darauf, dass auch der Statthalter sich beruhigte.

„Was bedeutet dein Eindringen, Verginius Rufus?“

„Herr, ich klage diesen Mann, Julius Tutor, des versuchten Meuchelmord und des Verrats an Rom an und erwarte, dass du diesen Tutor hinrichten lässt!“ Verginius Rufus Stimme klang zwar noch immer wütend, mäßigte sich aber in der Lautstärke.

„Was hat der Mann getan?“ Proculus Scribonius befreite sich von seinem Zorn und nahm die zuvor geschriene Anklage in sich auf. In dem er den Gefangenen musterte, erkannte er seinen Beauftragten, verriet aber mit keiner Miene, dass er wusste, wen seine Augen erblickten.

„Was genau wirfst du dem Mann vor?“ Scribonius setzte sich in seinen Stuhl.

„Du gabst mir den Befehl, mich zum Stapellauf einer neuen Liburne einzufinden und ich ritt, deinem Befehl zu folgen…“

„Hast du meine Nachricht nicht erhalten?“ Verwunderung klang in des Statthalters Frage mit.

„Welche Nachricht?“ Verginius Rufus wirkte überrascht.

„Der Stapellauf fiel aus, oder besser, wurde von mir verschoben… Die Liburne war nicht bereit…“

Verginius Rufus starrte den Scribonius an. Mit einem Mal begriff er die Hinterlist in des Mannes Verhalten. Wenn nicht er das Spiel bereits eröffnet hätte, mit dieser Täuschung wäre die Auseinandersetzung eingeleitet.

„Nein!“ Zorn markierte die Gesichtszüge des Unterstellten. „Es gibt keine Nachricht von dir!“

„Und doch, frage den Secretarius oder wen du aus meinem Umfeld auch immer antriffst. Der Stapellauf wurde von mir verschoben und das schon lange vor dem Tag…“

„Du …“ Verginius Rufus beherrschte sich gerade noch einmal. ‚Du lügst‘ wollte er den Anderen anklagen, verkniff es sich aber im letzten Moment. „… hast den Stapellauf verschoben?“

Scribonius nickte. „Würdest du, so wie ich, die Principia nutzen, könnte auf dem Weg zu dir keine Nachricht verschwinden… Wer auch immer Schuld an der Übermittlung trägt, ich werde ihn finden und strafen!“

Diesen Teil der Eröffnung gewann Scribonius. Auch das Auffinden dieses Schuldigen würde kaum bis zu Verginius Rufus vordringen. Somit blieben die Täuschung zum Stapellauf und sein vergeblicher Marsch mit nur geringer Bedeckung, wie von Scribonius einst gefordert, ein Ereignis, an dem Scribonius kaum Schuld zuzuordnen gelingen würde.

Verginius Rufus fing sich und plötzlich wusste er, wie sich dieser Umstand nutzen ließe. Bisher war die Teilnahme Treverer Auxiliaren erwiesen und er beabsichtigte diesen Sachverhalt in seiner Klage aufzuzeigen. Verschwieg er jedoch die Teilnahme eigener Auxiliaren und schrieb den Überfall nur Wegelagerern zu, würde unter diesen gegeben Umständen, auch der Treverer Julius Tutor über diesen Verlust schweigen. Somit käme das diesem Mann bekannte Verbringen verletzter Treverer zum Handelshof nicht zur Sprache und der Versuch, diese Männer schon auf den Weg dorthin abzufangen, bliebe ebenso ein Geheimnis… Schwieg er gänzlich zu den Treverer Auxiliaren, würde vermutlich auch Julius Tutor keinen der Männer erwähnen. Somit wäre auch der im Carcer verschiedene Optio aus dem Spiel…

„Hänge diesen Kerl, vierteile ihn oder schlage ihm den Kopf ab, aber tue etwas. Der Kerl war als Wegelagerer dabei, als mein Trupp von einer Übermacht angegriffen wurde. Auf einen meiner Männer kamen mindestens drei Wegelagerer… Nur die Tapferkeit meiner Begleiter bewahrte mein Leben…“ Verginius Rufus war erneut in seiner Wut angelangt und Scribonius hörte nicht nur dessen Worte, er spürte auch dessen Zorn.

„Warum lebt der Kerl dann noch? Ein Carnifex, etwas Folter und ein kleiner Schnitt… Wer hätte wohl Fragen gestellt?“ fauchte der Statthalter.

„Na, du! Wie doch immer, verurteilst du doch jede meiner Taten…“ Verginius Rufus sah, dass diese Anschuldigung saß.

Den Erfolg abmildernd, fügte er an: „Meinst du, ich wüsste dies nicht? Wir fingen zwei von diesen Kerlen… Der Andere gab seinen Geist schon beim Carnifex auf… Sollte der hier mir auch noch unter dessen Händen abkratzen, wem würdest du wohl die Schuld geben, dem Carnifex oder mir?“ Ein kleiner Blick zu Gerwin und die empfangene Botschaft ‚weiter so!‘ bestärkten ihn.

„Außerdem war der Mann etwas gesprächiger…“ Verunsicherung schien den Statthalter zu erfassen.

„Glaube mir, was dieser Mann sagte, dürfte auch dich und unseren göttlichen Kaiser interessieren… Der Kerl barmt um sein Leben… Führe du die Untersuchung, finde du die Urheber und richte, wenn du alle Fakten kennst… Diesen Dienst bist du Nero schuldig, du bist sein Vertreter hier und dir steht das Recht des Richters zu!“

„Was wurde aus den übrigen Angreifern?“ Scribonius lenkte von seinen Befürchtungen ab.

„Tot oder geflohen?“ knurrte der Legat.

„Warum habt ihr sie nicht verfolgt?“ Der Vorwurf brachte erneut das Blut in Wallung. Scribonius wusste warum er dies bezweckte. Die Wirkung schien in die gewünschte Richtung zu schwenken.

Wutentbrannt stand Verginius Rufus vor dessen Tisch. „Was glaubst du, wie viele meiner Männer überlebten?“

Die Fäuste des Legaten, lagerten zur Faust geschlossen, auf der Platte des Tisches und waren bis auf Äußerste geballt, so dass die Knöchel weiß hervortraten. Verginius Rufus schäumte vor Wut.

Scribonius sah es und verstand. In diesem Zustand musste er den Anderen halten, um von dem Treverer abzulenken.

„Du hast doch auch überlebt… Warum befahlst du keine Verstärkung heran?“ blaffte er den Legat an.

„Id…“ Verginius Rufus verkniff sich die Beleidigung. „Was glaubst du, tat ich? Wie lange wird wohl ein Bote, selbst wenn er zu Pferde war, gebraucht haben? Noch weit schlimmer, wie lange brauchten die Centurien bis zu uns? Schließlich waren wir schon kurz vor dem Ziel…“

Verginius Rufus war in einer Stufe der Wut angelangt, die ihn hätte fast über das Ziel hinausschießen lassen. Plötzlich begriff er Scribonius Absicht. Der Vorwurf des Überlebens sollte ihn noch weiter von seiner Anklage abbringen. Oh ja, er verstand den Statthalter.

Verginius Rufus trat vom Tisch zurück, straffte sich und meldete.

„Herr, mein Trupp wurde auf einem Ausritt von Wegelagerern überfallen. Wir ergriffen zwei der Schuldigen. Der Erste starb bei der Befragung. Diesen hier, dessen Name angeblich Julius Tutor sein soll, römischer Bürger in dritter Generation, bringe ich dir und klage ihn des Meuchelmordes sowie des Verrats an Rom an. Dem Mann ist der Tod von acht treuen Tribunen und Legionären zuzuschreiben. Der Kerl sagte im Verhör, dass er im Auftrag eines Kelten vom Stamm der Haeduer handelte. Als ihm die Folter drohte, bot er mir die Streitmacht dieses Kelten an, zöge ich an der Spitze unserer Legionen gegen Rom…“

„Wie hieß dieser Haeduer, du würdeloser Hund?“ Der Legat Verginius Rufus drehte sich abrupt um, fixierte mit seinem Blick den Treverer und lenkte damit die Aufmerksamkeit auf den Gefangenen.

Sein junger Diener näherte sich von Hinten dem Treverer, der die kommende Gefahr wohl spürte. Gerwins Hände griffen zum Kopf des Gefangenen. Seine Finger fanden das Gelenk im Kiefer und schon ein leichter Druck brachte Erinnerungen.

„Eporedorix hieß der Kerl, der Vergobret der Haeduer…“ quetschte der Gefangene zwischen seinen Lippen hindurch und bewahrte sich dadurch vor einem weit größeren Schmerz.

„Wer bist du Germane?“ fauchte der Statthalter.

„Herr…“ schnarrte des Legats Stimme „ …das ist mein Diener!“

„Was macht der Kerl hier? Schick ihn weg! Das geht den Kerl nichts an…“

„Nein!“

„Was bedeutet ‚nein‘?“ Für einen kleinen Augenblick war der Statthalter verunsichert.

„Er ist ein Zeuge!“

„Doch kein Germane, bringe andere Zeugen, oder…“

„Was oder, Herr?“

„… du kannst deine Klage vergessen…“

„Das wagst du nicht, Scribonius Proculus! Nur eine kleine Botschaft und…“ Verginius Rufus ließ den Rest der Worte unausgesprochen.

Sofort war sich Scribonius seines Fehlers bewusst. Dem Germanen die Zeugenschaft zu verwehren und die Klage des Legats im Sande verlaufen zu lassen, wäre zwar seinen Zwecken dienlich, doch auf diese Art nicht ausführbar. Die Drohung des Legats besaß durchaus Gewicht. Er maß diesen Unterstellten mit einem hassvollen Blick und besann sich.

„Welche Anklagepunkte bringst du noch vor?“

„Mein Tod war das Ziel! Das gab der Mann eindeutig zu! Der Tod an deinem Legat, an einem Heerführer der siegreichen Legionen unseres glorreichen Herrschers, des Imperator Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus!“

„Stimmt das?“ Die Frage traf den Gefangenen unerwartet. Bisher war der ganze Ablauf an ihm vorbeigeglitten. Bis auf die Bedrohung durch den Germanen blieb er verschont. Er glaubte zu erkennen, dass Scribonius in ständiger Furcht davor verbrachte, dass er dessen Beteiligung an der geplanten Ermordung erwähnt hatte. Merkwürdigerweise fiel seitens des Legats kein Wort zu seinen Offenbarungen oder gar zu den Treverern… Verstand er richtig, blieb es lediglich ein Überfall von Wegelagerern und nun bot ihm der Legat sogar an, die Kelten als Verursacher des Überfalls zu benennen. Was hatte der Kerl vor?

„Ja, Herr!“ antwortete Julius Tutor.

„Was ja, Herr?“ blaffte der Statthalter zurück.

Julius Tutor begriff, dass er Zeit gewann. Weder der Auftraggeber, noch die Beteiligung des Senats kamen zur Sprache. Die Treverer Auxiliaren blieben ungenannt, lediglich der Tod, des unter der Folter gestorbenen Gefährten wurde erwähnt. Es gab keine lebenden Gefangenen, was wohl nicht so ganz stimmte, aber nur er wusste, wo die Kerle zu finden waren… Alles zeigte in eine Richtung… Der Legat schützte ihn vor Scribonius Rache, falls dieser Verrat witterte… Der Pakt mit dem Legat schien zu halten… und das in dieser Lage. Der Legat spielte ihm alle Vorteile in die Hand. Damit war die Bedrohung von dieser Seite gewichen… Um die Zuneigung des Scribonius konnte er sich zu späterer Zeit Gedanken machen…

„Ja Herr, ich war bei diesem Überfall dabei. Der Tod des Legats war das Ziel. Der Auftraggeber ist ein Haeduer Stammesfürst mit Namen Eporedorix. Ich kenne den Mann.“

„Dann bist du nicht nur ein Wegelagerer, sondern der Vertraute des Haeduer und für den Überfall verantwortlich?“

„Nein!“ schrie der Treverer. „So ist das nicht. Ich bin von Geburt Treverer und sah diesen Haeduer bei einer früheren Begegnung…“ Tutor nutzte seine Möglichkeiten, um von der Anklage abzulenken.

„Dennoch bekennst du deine Schuld?“ Der Statthalter sprach jedes Wort deutlich und alle Worte langsam aus.

„Herr, ein Beutel mit Münzen… Ich bin ein armer Mann und von Unglück geschlagen…“

„Woher weißt du dann von den Auftraggebern? Einem Wegelagerer dürfte dieses Wissen kaum übergeben worden sein…“

„Ich hörte die Anführer darüber streiten, Herr…“ fügte Tutor an.

Plötzlich begriff Gerwin. Die Beiden, Statthalter und Treverer, lenkten ab und bereiteten einen Gegenschlag vor. Dabei lenkte der Treverer den Statthalter. Diese Absicht vollzog sich so geschickt, dass der Statthalter die Überzeugung gewann, sein Beauftragter habe über ihn, seine Beteiligung und das Ziel nie gesprochen, dafür aber den Vergobret der Haeduer als Schuldigen gekennzeichnet.

Gerwin befand, dass er das Spiel so weiter laufen lassen sollte. Fand der Statthalter jetzt den Ausweg, der ihm seinen Verbündeten am Leben erhielt, ohne die Anklage abschmettern zu müssen, dann war Verginius Rufus Spion geboren. Sollte der Treverer tatsächlich, wenn er in Sicherheit wäre, an ihnen Verrat begehen, dann verloren sie keinen Freund, gewannen keinen Feind als Freund und an der übrigen Bedrohung seines Legats änderte sich auch nichts. Auch der Hass zwischen beiden Legaten blieb erhalten…

Scribonius Proculus dagegen war verwirrt. Der Gefangene zeigte seine Beteiligung am Überfall an, verwahrte sich dagegen, der entscheidende Bote gewesen zu sein und wüssten die Anderen mehr darüber, würden sie den Treverer sicher als Lügner bezeichnen… Doch Verginius Rufus schwieg. Der Gefangene leugnete die Teilnahme nicht, aber verweigerte die Schuld… Er sei nur ein armer Mann… Er, Proculus, wusste es besser.

Inzwischen wusste Scribonius längst, was der Treverer eigentlich für ein Halunke war, dennoch konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, dass dessen Bemühungen zuvor sehr auf den Tod des Legats ausgerichtet waren. Er spürte, dass sich daran nichts geändert zu haben schien. Nur war der verlogene Hund in die Hände des Mannes gefallen, aus denen er sich, scheinbar mit Erfolg, auch wieder herauslog.

Seine eigenen Geheimnisse schienen geschützt zu sein… Wäre dem nicht so, hätte der Legat dies sicher, in seiner Wut, herausgebrüllt. Er konnte sich nicht an ein solches Wort erinnern… Wenn seine Interessen und Geheimnisse bewahrt sind, gewann er Zeit und konnte sich dem Schutz des Treverer widmen. Was wäre machbar? Abweisen der Anklage… Nein, unmöglich! Was dann? Was ihn dann als Botschaft seiner Klugheit erreichte, zwang zum Lächeln. Der Legat ist doch immer so versessen auf seinen Kaiser…

„Verginius Rufus, ich habe mich entschieden. Ich nehme deine Anklage an! Ich werde den Sachverhalt weiter untersuchen, den Ort besichtigen, deine Überlebenden befragen und wenn mein Bericht vollständig ist, diesen und den Gefangen unserem göttlichen Kaiser Nero in Rom überstellen. Der Imperator wird dann das Urteil sprechen. Deine Angaben zur Rolle dieses Haeduer, scheinen mir von so großer Bedeutung, dass der Kaiser nicht nur davon wissen sollte, sondern auch die Möglichkeit erhalten muss, nach seinen Vorstellungen zu handeln. Ich hoffe, deine Zustimmung zu erhalten?“

„Herr, ich bin einverstanden. Erlaube, das wir uns zurückziehen?“

Der Statthalter nickte gnädig mit dem Kopf. Legat, Tribun und Legionäre grüßten und verließen, einschließlich Gerwins, den Raum.

Die Tür schloss sich. Der Gefangene und der Statthalter blieben allein.

Es war Gerwin, der den Abmarsch verzögerte. Selbst wenn der Gefangene gebunden war, sollte ein Ruf des Statthalters eigene Legionäre herbei fordern. Doch aus dem Dienstraum des Statthalters erreichte ihn kein Laut… er wusste, was dies bedeutete…

Zwischen Principia und Praetorium war es kein langer Weg. Verginius Rufus voran, von einer Zufriedenheit durchdrungen, schritt zügig aus. Der Obertribun und der Hermundure folgten ihm nahezu gleichauf.

„Herr, zügele deine Ungeduld etwas… Wir sind, wollen wir unseren Vorteil wahren, jetzt zwar gezwungen, schnell zu handeln, dennoch sollte dies klug sein… und deine Hast könnte zu Fehlern verleiten…“ Der Legat machte kürzere Schritte.

„Es scheint, dass unsere Absicht gelang… obwohl… der Verlauf von unseren Vorstellungen abwich. Dennoch Herr, hast du alle Möglichkeiten ausgeschöpft, den Statthalter erfolgreich zu täuschen… Um aber genau zu wissen, woran wir sind, müssen wir schnell handeln…“

Ohne seine Blickrichtung, die bisher den Legat verfolgte, zu verändern, richtete der Hermundure eine Frage an Tremorinus.

„Obertribun, ist dein Gefährte Belletor verfügbar? Er sollte sich ins Praetorium begeben und auf der Empore, vor dem schweren Vorhang, auf allzu Neugierige achten. Bringe ihn vor Ort und dann stürze zu mir ins Zimmer. Wer auch immer dort anwesend ist, nimm ihn fest! Stecke ihn in den Carcer. Der Legat und ich werden noch einen kleinen Umweg nehmen, damit du Zeit für diese Vorbereitungen hast. Warte vor meinem Zimmer auf uns.“

Tremorinus zeigte sein Erstaunen. „Herr…“ sprach er den Legat an, wurde jedoch sofort unterbrochen.

„Tue, was Gerwin dir sagt!“

Tremorinus schwenkte ab und suchte seine Unterkunft auf, dort seinen Gefährten und Freund vermutend.

„Herr, vertraust du deinem Obertribun?“ Gerwins Frage überraschte den Legat.

„Hast du mich nicht selbst seiner Treue versichert…“

„Ich traue ihm, nur ist das nicht wichtig… Du musst ihm vertrauen… oder ihn wegschicken… Wenn wir in deinem Dienstraum verschwinden, ist dort deine Sicherheit geprüft. Deine eigenen Wachen versehen ihren Dienst im Praetorium.“

„Warum deine Sorge?“ Verginius Rufus schien ungehalten.

„Herr, mit unserem Rückzug vom Scribonius ist dein Leben, selbst hier im Castellum, bedroht. Er ist der Befehlshaber und wird seine Macht nutzen, um dir zu schaden… Vielleicht dich selbst hier zu töten versuchen… Der Treverer könnte auch uns getäuscht haben…“

Ein nicht mehr so ganz zufriedener Legat begann über des Hermunduren Worte nachzudenken. Gerwin sah aus seiner entfernten Position, wie Belletor und Obertribun Tremorinus das Praetorium betraten.

Obertribun Tremorinus, die Wachen nach dem Legat sowie dem Germanen befragend, drang anschließend in das Zimmer des Hermunduren ein. Bei offener Tür übersah er den Raum und fand weder den Germanen noch einen Anderen vor. Er schloss die Tür und begann zu warten. Belletor stand bei der Wache am Aufgang zur Empore und sprach mit dem Posten.

Der Legat und sein Germane betraten das Gebäude, passierten die Posten am Eingang, strebten dann der Treppe zu und stiegen empor, um dort auf den Obertribun zu treffen. Gerwins Blick wanderte von Mann zu Mann, musterte jeden Miles und fand keinen Fremden. Trotzdem blieb er aufmerksam und folgte seinem Herrn sowie Tremorinus durch den schweren Vorhang. Ein dann folgender kurzer Blick in des Legaten Schlafraum bestätigte ihm die Ungestörtheit. Der Germane wandte sich dem Legat zu. Bevor er auch nur eine weitere Bemerkung machen konnte, fuhr ihn der Legat an.

„Was soll das? Bist du jetzt der Legat, Tremorinus dein Obertribun und ich…“ Weiter kam er nicht. Eine energische Handbewegung Gerwins unterbrach seine Worte.

„Dass ihr Römer immer nur darauf bedacht seid, eure Ehre zu schützen… Ihr solltet besser an den Erhalt eures Lebens denken, denn dein Leben, Legat, ist ab jetzt, selbst im Castellum, bedroht! Ich sagte es dir bereits und du solltest mir glauben. Also wappnet euch in Geduld und hört mir zu! Dir aber antworte ich noch, dass ich nicht der Legat bin, aber dein Schild! Wenn dir dein Schild sagt, ‚tue dies‘ und ‚lass das‘ dann folgst du seinen Worten…. Oder du wirst am Ende des Tages ein Toter sein… Und Herr, deinen Tod kann ich nun gar nicht gebrauchen!“

Der Legat nahm auf seinem Stuhl Platz. Er wirkte verstört. Erneut belehrte ihn der Germane und besaß auch noch recht. Tremorinus ließ sich grinsend in den Korbsessel fallen.

„Herr, auch ich hatte schon den von dir geäußerten Verdacht…“

„Tremorinus, höre auf, Unsinn von dir zu geben und zum Grinsen fehlt uns die Zeit…“ fauchte der Germane den Obertribun an.

„Aber Gerwin, das lief doch besser als wir hofften…“ unterbrach ihn der Legat unwirsch.

„Ja, sicher, es lief besser als ich glaubte und deshalb schwebst du jetzt in Gefahr…“

„Wieso?“

„Hat der Statthalter sein Ziel erreicht?“ Gerwin antwortete selbst. „Nein!“

„Wird er glücklich darüber sein, dass eine dreifache Übermacht nicht ausreichte, deinen Tod herbeizuführen?“ Wieder gab er selbst die Antwort. „Nein!“ „

„Also, zu was ist er möglicherweise gezwungen?“

Der Germane gab seinen Zuhörern keine Gelegenheit einzugreifen.

„Er wird den Angriff ändern! Scheitert Übermacht, muss List und Lüge helfen… Außerdem kommt noch ein Faktor der Unsicherheit zum Tragen: Der Treverer Julius Tutor!“

„Ich verstehe nicht… der ist doch in des Statthalters Händen…“ Verginius Rufus wirkte irritiert. „Der wird ihn doch wohl kaum schon jetzt laufen lassen?“

„Das wohl nicht… Und trotzdem könnte der Treverer, aus Angst vor dem Zorn des Statthalters und aus Furcht um sein Leben schweigen… Andererseits könnte er aber auch über seinen Verrat sprechen… Was wissen wir von deren Verhältnis? Zumindest zuwenig… Was aber weiß der Treverer von uns?“

„Nichts! Was nicht Scribonius bereits jetzt auch wüsste…“ warf der Legat ein.

„Herr du irrst! Er weiß wo die ich die verletzten Treverer hinbrachte.“ Nutz er dieses Wissen, könnte er sich Scribonius Gunst zurückkaufen… und unser ganzer schöne Lug und Trug verfehlt seine Wirkung…“

Sie starrten den Germanen beide an. Gerwin ließ ihnen keine Zeit, noch weitere Vermutungen, Wünsche oder Hoffnungen zu offenbaren und verhinderte auch einen Taumel ins Glück.

„Es wird Zeit, dass ihr zuhört, begreift und zu Handeln beginnt! Dein Leben, Legat, ist kaum noch eine Sesterze wert. Hier befiehlt Scribonius und wenn der den Mut besitzt, stürmt er mit seinen Männern das Praetorium. Dann dir, einem Toten die Schuld anzuhängen, dürfte wenig schwierig werden… Dieser Mut und die zugehörige Entschlossenheit fehlen dem Scribonius! Deshalb wird er einen anderen Weg wählen. Bestimmt lässt er schon heute jeden deiner Schritte beobachten, denn seine Furcht vor dir ist ihm allgegenwärtig. Also, wo sitzen seine Spione? Dort wo du lebst: im Praetorium!“

Gerwins Worte bewirkten Erschrecken. Sie begriffen es beide.

„Derzeit hast du in diesem Castellum, außer mir, nur vier dir treue Verbündete. Das ist Belletor, sein Gefährte…“ Gerwins Nicken in Tremorinus Richtung zeigte, wen er meinte.

„Was auch immer diese beiden Männer verbindet, wird keiner von den Beiden gefährden… Der Zweite ist dein Obertribun, denn er dankt dir seinen Aufstieg. Die Götter statteten den Tribun mit Vorzügen aus, die ihn weit herum brachten, manche Pflicht auferlegten und ihm, selbst in ausweglosen Lagen, zum Sieg verhalften. War es in Armenien nicht so, Tremorinus? Doch hier, unter dir, Verginius Rufus, fand er den Platz, der ihm gefällt und der ihn aus seinem Geburtsrecht sonst niemals zugefallen wäre… Zeigtest du deinem Kaiser an, dass dir dieser Mann als Obertribun erhalten bleiben sollte, glaube ich kaum, dass dieser, wenn er klug ist, dein Ansinnen ausschlagen würde… Der Dritte, dir bis in den Tod treue Mann ist Centurio Flaminius! Er dankt dir sein Leben. Du warst sein Schild, als sein Leben wertlos wurde. Ich weiß zwar nicht alle Einzelheiten, aber der Charakter des Mannes, seine Klugheit, sein Mut und seine Ehre sind ohne Tadel, aber das weißt du sicher auch schon, oder bist du anderer Meinung? Der Vierte im Bunde ist Centurio Ofilius! Ofilius wurde zum Helden der Legion… Das wisst ihr besser als ich. Flaminius und Ofilius verbinden Erlebnisse, über die keiner von den Beiden spricht. Diese Erlebnisse schmiedeten eine genau solche Freundschaft, wie sie zwischen Tremorinus und Belletor besteht…“

„Woher weißt du das?“ Der Legat war betroffen.

„Das zu erklären, fehlt mir die Zeit. Belletor sichert zurzeit unsere Ungestörtheit. Die beiden Nachbarräume sind überprüft und ohne Gefahr. Belletor und Tremorinus nächtigen in meinem Zimmer und einer von euch ist ständig wach und bereit zum Handeln! Bei Gefahr, ruft die Wache! Prüft des Legats Speisen, sein Trinken und lasst keinen Fremden in seine Nähe, wer immer es auch sei. Das macht ihr, bis ich zurück bin!“

Tremorinus nickte seine Zustimmung. Er hatte noch niemals ein Problem damit, der Anweisung eines Klügeren zu folgen, war dieser auch ein Germane.

„Quintus Suetonius besaß unter den Auxiliaren im Vicus Weisenau ihm treue Männer, die für jeden Auftrag bereit waren. Scribonius vertraut dort den Treverern und wie ist es mit dir, Obertribun? Besitzt du vielleicht inzwischen den Einen oder Anderen vertrauten im Vicus?“

„Ich denke schon…“

„Das ist gut! Dann höre zu! Scribonius nahm die Anklage an. Er muss den Treverer, um uns zu täuschen, unter Bedeckung aus dem Castellum bringen lassen. Wir sollen glauben, er bringt den Mann nach Rom… Das wird jedoch so nicht geschehen… Vermutlich landen Julius Tutor und eine Botschaft vom Statthalter beim Praefectus Alae der Treverer. Julius Tutor wird nicht sehr lange im Vicus verweilen… Vermutlich werden ihn Treverer, noch immer als Gefangenen, aus dem Feldlager bringen, dann aber frei lassen. Ich würde mich wundern, wenn nicht der Präfekt der Treverer selbst zum Handeln verpflichtet wird…“

Legat und Obertribun lauschten den Worten des Hermunduren, begriffen aber nicht das Ziel. Zumindest dies ließen ihre Blicke vermuten.

„Wenn dir wohlgesinnte Auxiliaren ein Auge auf das Tor des Feldlagers hätten, würden wir zweifellos davon erfahren, träten derartige Ereignisse ein… Uns gäbe dies die Sicherheit, dass unser Spion Julius Tutor abgereist wäre…“

Langsam hellten sich die verständnislosen Mienen von Legat und Obertribun auf…

„Das ist dein Teil, Obertribun! Legat, du wirst zur dritten Stunde des neuen Tages den Pilus Prior Gaurus, mit seinen Centurionen Flaminius und Ofilius, zu dir rufen… Zu diesem Zeitpunkt werde ich zurück sein. Du teilst Gaurus mit, dass du Flaminius Centurie für einen sehr wichtigen Auftrag benötigst. Dann löst du deine Männer hier im Praetorium alle ab und behältst nur zwei Schreiber bei dir, die ich dir noch zeigen werde. Die Abgelösten übergibst du Gaurus und setzt an deren Stelle Flaminius und seine Centurie ein. Dann entlässt du Gaurus mit dem Hinweis, dass für den Fall einer Notwendigkeit, dies kann ein Ruf von dir, Tremorinus oder mir nach Centurio Ofilius sein, dieser sofort, mit dreißig seiner besten Männer, am Praetorium zu Erscheinen habe. Mit Flaminius und Ofilius sprechen wir beide dann, wenn Gaurus von dir entlassen wurde.“

„Was soll das?“ warf Verginius Rufus ein.

„Es ist doch eindeutig, unter den Männern, die dir bisher hier dienten, befinden sich Spione. Aus Spionen Mörder zu machen, dürfte nicht schwer fallen… Also wird deinen Schutz der Offizier übernehmen, der die größte Erfahrung darin besitzt. Flaminius schützte einst deinen Imperator und weil dieser bemerkte, dass von seinen gesamten Prätorianern nur ein Munifex eine ehrliche Haut trug, behielt er ihn in einer Krise bei sich, machte ihn dann zum Decurio und erteilte ihm einen schier unlösbaren Auftrag…“

Gerwin beließ es dabei und merkwürdigerweise begegneten ihm keine Fragen oder Bemerkungen. Einen Augenblick stutzend, überging er diese Erkenntnis.

Sowohl der Legat Verginius Rufus, als auch sein Obertribun Tremorinus, versanken in höchst eigenen Erinnerungen und Überlegungen. Der Legat wusste zu genau, wovon Gerwin sprach.

Tremorinus erfuhr vom Geheimnis, dem er schon länger auf der Spur war. Das war es also, was bisher bezüglich Kaeso Flaminius vor ihm verborgen blieb…

Gerwin erzwang erneut ihre Aufmerksamkeit.

„Centurio Flaminius ist nicht nur eine ehrliche und treue Haut, er ist klug, mutig und entschlossen. Sein dritter Vorteil ist der, dass jeder in seiner Centurie ihn achtet. Folgen die Männer Ofilius, weil er ein erwiesener Held ist, gehen Flaminius Legionäre für ihn, ohne Ausnahme, durch jedes Feuer. Was in den Legionen seltener geworden sein soll, gibt es in dieser Centurie. Ich weiß das aus berufenem Mund und weil ich es selbst sah.

„Was wirst dann du tun?“ Verginius Rufus fand, dass der Hermundure auch seinen Einsatz erwähnen sollte.

„Julius Tutor kennt den Handelshof, in dem ich die verletzten Treverer unterbrachte. Daraus ergeben sich Möglichkeiten, die er nutzen könnte… Er könnte es Scribonius anzeigen. Dieser wäre dann in der Lage den Handelshof zu zerstören und die Treverer zu töten… Selbst wenn der Treverer dies nicht ausführt, könnte er sich selbst Zugang verschaffen und die Verletzten überraschen. Schon zwei oder drei tapfere und entschlossene Männer reichten dafür aus… Letztlich möchte ich nicht den leisesten Verdacht auf den Händler fallen lassen. Sollten Legionäre von Scribonius auftauchen, darf keinerlei Spur gefunden werden. Deshalb muss ich dorthin.“

„Du wirst zur dritten Stunde zurück sein?“

„Ja, Herr, und keiner wird bemerken, dass ich außerhalb des Castellum war… Wir sollten sofort beginnen!“ Gerwin drehte sich um und verschwand hinter dem Türvorhang.

„Herr, habe ich mir das alles jetzt ausgedacht oder erlebte ich es wirklich?“ Tremorinus schüttelte sich.

„Du hast es erlebt! Führe aus, was Gerwin von dir fordert. Er erklärte und ich befehle es dir!“

Tremorinus erhob sich, grüßte seinen Legat und schob ebenfalls den Vorhang zur Seite. Er stieg von der Empore herab, blieb neben Belletor stehen, vergewisserte sich, dass niemand seine Worte verstand und sprach leise und eindringlich auf seinen Freund ein.

„Du weißt vom Anschlag gestern. Das Leben des Legats ist bedroht. Der Germane will, dass wir ihn schützen. Du schützt ihn, weil ich noch eine andere Sache bereinigen muss… Lass keinen der Wache und erst recht keinen Fremden an den Legat heran. Misstraue selbst unseren Legionären… Wo ist der Hermundure hin?“

„Er verschwand in seinem Zimmer.“

„Gehe jetzt du in das Zimmer des Germanen, lass dessen Tür auf und jeder der zum Legat möchte, muss an dir vorbei. Ich bin bald zurück. Nur wundere dich nicht, wenn du den Germanen nicht vorfindest…“

Belletor nickte nur. Er wusste wann unnütze Fragen nur hinderten. Langsam stieg er zur Empore hinauf, musterte den Vorhang eindringlich und schwenkte dann auf die ihm bezeichnete Tür zu. Er öffnete die Tür. Der Raum war leer. Wie konnte das gehen? Er sah den Hermunduren doch eintreten… Sein Blick kreiste durch den Raum. Es gab nur die Tür und ein kleines, schmales Fenster. Dann sah er es. Ein mit Leder bezogener Rahmen lehnte an der hinteren Seite des einzigen Tisches.

Der Legionär trat an das Fenster heran und blickte hinaus. Der Kerl konnte doch unmöglich hinab gesprungen sein? Wie wollte er dann, auf gleichem Weg, zurückkehren. Als Belletor seinen Blick, mehr durch Zufall, nach oben richtete, erkannte er das Hilfsmittel des Germanen. Ein Seil hing so vom Dachansatz herab dass es auf halber Höhe zwischen der oberen Kannte des Fensters und dem Dachansatz endete. Stellte sich der Hermundure in das offene Fenster, konnte er das Seil erfassen und sich hochziehen. Auf die gleiche Art, nur mit entgegen gesetztem Verlauf, würde Gerwin zurückkehren.

Belletor griff sich den einzigen Hocker im Raum und stellte ihn so vor die offen gelassene Tür, dass er jede Bewegung am schweren Vorhang des Legats spüren würde und selbst den Aufgang zur Empore im Auge behielt. Er wappnete sich für eine lange Nacht…

Die Legende vom Hermunduren

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