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1. Die Pflicht des Schweigens

66 nach Christus - Sommer (19. Augustus)

Imperium Romanum – Mogontiacum

Die beiden römischen Legionäre führten die Pferde auf denen die verletzten Auxiliaren saßen. Der Überfall lag schon eine Spanne zurück, denn sowohl der Kampf mit den Wegelagerern hatte seine Zeit gefordert, mehr noch jedoch die Bergung eigener Verletzter und deren Wundversorgung. Auch das Zusammentragen der eigenen Toten und vor allem der Angreifer erforderte Zeit.

Das schnelle Eintreffen am Ort des Überfalls durch die beiden Centurien der Legio XXII Primigenia garantierte die Sicherheit des Legatus Legionis. Lucius Verginius Rufus war inzwischen, im Schutz der beiden Centurien, abgerückt. Der Legat war unverletzt und wusste mit Sicherheit auch, wem er diese Tatsache verdankte.

Der Überfall kam zu überraschend und die Übermacht erwies sich als erdrückend. Zu schnell war der Legat in einen Zweikampf verwickelt, als das ihm Zeit gegeben war, das Getümmel zu überschauen.

Es war der junge Germane, sein Diener, der trotz der Schnelligkeit des Ansturms, den Blick über die Angreifer schwenken ließ, deren Anführer erkannte und ihn aus dem Weg schaffte.

Dem bissigen Rat des Germanen folgend, musterte Verginius Rufus die in seinem Umfeld liegenden Toten und stellte fest, dass nur zwei dieser Angreifer von einem Gladius erschlagen worden waren. Den Meisten dieser Männer waren Dolchstöße zum Verhängnis geworden.

Mit dem Dolch kämpfte nur sein Germane und wenn er es richtig erkannte, bedeutete die Bekanntschaft mit diesen schlanken, aber kurzen Waffen den Tod.

Der Legat und die Centurien befanden sich auf dem Marsch zurück zum Castrum. Die Jagd im Wald, auf geflohene Angreifer, brachte nichts. Diese nutzten die Zeit, bis zum Eintreffen der gerufenen Verstärkung, um das eigene Fell zu retten. Mut war nun einmal nicht die vordringlichste Eigenschaft eines Wegelagerers und auch Pflichterfüllung zeichnete diesen Abschaum nicht aus. Schnell verdiente, leicht gewonnene Münzen waren deren Ziel. Als Einige der Kerle das Wüten der den Legat schützenden Männer bemerkten, zogen diese es vor, Fersengeld zu geben.

Am Ort der Ereignisse blieben am Ende allen Kampfes nur zwei vermeintliche Römer und ein Germane zurück.

Gerwin war es, der sich diese beiden Legionäre von Centurio Flaminius erbeten hatte. Es lag nicht in seinem Interesse, allzu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Deshalb wartete er mit den zurückgebliebenen Legionären auf den Abmarsch und das Verschwinden beider Centurien. Erst dann brachen die Verbliebenen in das Dickicht ein und fanden das, was der Germane suchte.

Eigentlich waren diese beiden, im Gebüsch hockenden Auxiliaren schon längst tote Männer. Der Erste trug eine Wunde am Oberschenkel davon. Der Schnitt erreichte eine ziemlich unangenehme Tiefe im Muskel, blutete stark und ohne die Hilfe seines Gefährten, der das Bein oberhalb der Wunde abband, wäre der Wegelagerer längst verblutet. Einige miteinander verknotete Enden der Pteryges, die durch Drehen mit einem Stock so eng am Oberschenkel des Verletzten anlagen, verhinderten des Verletzten Blutverlust.

Der Andere war an der Schulter getroffen. Ein Stich von Gerwins Dolch war in die Brust eingedrungen, die Klinge an einer Rippe abgelenkt, an der Seite wieder ausgetreten. Der Auxiliar hatte Glück, dass der Germane den Dolch wieder aus der Wunde herauszog, wie er ihn zuvor hinein stieß. Weil der Stich das Herz und andere wichtige Organe verfehlte, blieb es bei einer tiefen Fleischwunde. Auch diese Wunde war, zumindest behelfsmäßig, versorgt.

Beide Männer waren Auxiliaren der im Vicus Weisenau untergebrachten Ala der Treverer. Wieso verfolgten diese Treverer, die in Treue zu den in Mogontiacum stationierten beiden römischen Legionen stehen sollten, das Ziel der Tötung eines der beiden Legaten?

Das dieser Umstand zutraf, erbrachte das kurz zuvor vom Legat, im Beisein seines Dieners, geführte Verhör. Verginius Rufus wusste, wer den Auftrag erteilt hatte. Auch Gerwin verstand den von beiden Männern gleichzeitig geflüsterten Namen.

Verginius Rufus entschied sich, diese Männer nicht für deren Frevel zu strafen, sondern deren Leben zu bewahren. Der Legatus Legionis der Primigenia verstand sehr schnell, welche wirksame Waffe er in der Hand hielt, würde einer dieser Männer überleben. Vorerst schafften es beide. Auch Gerwin erkannte den sich ergebenden Vorteil sofort.

Deshalb ließ der junge Hermundure die Centurien ziehen und forderte nur zwei kampfesmutige, zuverlässige Legionäre zur Begleitung der verwundeten Gefangenen. Nur der Legat, diese Milites und sein germanischer Diener wussten vom Überleben der verletzten Treverer.

Des Legat Warnung beim Verlassen des Castellum, das Merkwürdige Ausbleiben des Statthalters oder zumindest der angekündigten Centurie, der dem Statthalter unterstehenden Legio IV Macedonica, führten im Augenblick des Angriffes zur Gewissheit, dass dieser Anschlag nur dem Leben des Legatus Legionis Verginius Rufus gelten konnte, sagte aber nichts über den Grund aus.

Centurio Flaminius verstand schnell, was Gerwin von ihm wollte und wusste auch die richtigen Männer zum Einsatz zu befehlen. Das vom Centurio überlassene Pferd und Gerwins Stute Arasoa trugen die Verletzten.

Gerwin voran, der Noriker Arpagius, Flaminius Pferd führend, und neben ihm der Kelte Grattus, mit Gerwins Stute am Zügel, folgten einem vom Hauptweg abzweigenden Pfad, der zum Ufer des großen Flusses abschwenkte.

Gerwin verlor nur wenige Worte zur Erklärung und diese ihn begleitenden Legionäre verstanden ohnehin. Fiel einer ihrer verletzten Gefangenen in die Hände der gedungenen, zuvor geflohenen Wegelagerer, dann blieb diesen wenig Gelegenheit um ihre Götter zur barmherzigen Aufnahme zu bitten. In den Händen des Feindes verbliebene Verletzte mussten zwangsläufig zu Verrätern der eigenen Sache geworden sein. Wie anders wäre sonst ihr Überleben zu erklären…

Das begriffen auch die Gefangenen. Für den Legatus Legionis Verginius Rufus waren diese Treverer zu Zungen geworden. Zungen konnten reden und die Beiden, den Kampf Überlebenden, wussten, dass sie ihr Leben nur behielten, weil sie den Namen des Mannes nannten, der angeblich hinter dem Überfall stand.

Führte sie der Legat mit ins Castellum in Mogontiacum, besaß ihr Leben nicht mal den Wert eines Quadrans. Dort herrschte in letzter Instanz der Legatus Augusti pro Praetore und dieser Statthalter des Kaisers aller Römer war kein Freund des ihm unterstellten Legatus Legionis. Was also würde geschehen, hörte dieser von der Einbringung eines Gefangenen?

Das Merkwürdige an dieser Sache war der unglückliche Umstand, dass der von den Treverern geflüsterte Name dem des Statthalters glich.

Stand also der Legatus Augusti pro Praetore hinter dem Anschlag, dann überlebten beide Gefangenen ein Eintreffen im Castrum nicht allzu lange. Dass sie diesen Namen dennoch verrieten, war der Tatsache geschuldet, dass wohl beide ihrem gegenwärtigen Dasein, trotz ihrer erheblichen Wunden, mehr abgewannen, als schon zu diesem Zeitpunkt die Bekanntschaft mit den Dolchen des Germanen zu erneuern. Nur die sofortige Nennung des Namens erhielt ihr Leben.

Warum die beteiligten Auxiliaren der Treverer den verhängnisvollen Namen kannten, erschloss sich Gerwin nicht. War es Überheblichkeit, Vertrauen in die Übermacht, Zuversicht in den erfolgreichen Ausgang… Es war Dummheit, Auxiliaren in solch ein wichtiges Geheimnis einzuweihen.

Als der Germane den Namen hörte, hegte er Zweifel. Dennoch vermied er es, seinen Widerspruch anzumelden. Der Legat schien die Mitteilung fast erwartet zu haben. Er glaubte den Treverern sofort.

Gerwin entsann sich der Warnung des Legat. Dessen Frage an die Wache, als sie das Tor des Castellum passierten und die darauf erhaltene Antwort, regten wohl das eigene Misstrauen des Legats an. Als dieser dann den von den Gefangenen geflüsterten Namen seines Intimfeindes hörte, folgte er dem Bekenntnis der Gefangenen nur zu willig.

Aber Gerwin wusste inzwischen auch, dass dieser Legatus Augusti pro Praetore noch einen Bruder besaß, der gleich ihrem Statthalter, im benachbarten Territorium herrschte.

Woher also, drängte sich in Gerwins Gedanken, wusste Verginius Rufus sofort, wer hinter dem Anschlag stand, wenn doch für die Tat zwei verschiedene Statthalter gleichen Namens stehen könnten…

Gerwin begriff es, als sie bereits auf dem Weg waren. Die Statthalter der Römer waren Brüder. Was also lag näher, als das sich, im Bestreben Verginius Rufus zu beseitigen, diese Beiden einig waren…

Diese Erkenntnis bewirkte, dass der junge Hermundure, von diesem Augenblick an, damit rechnen musste, erneut überfallen zu werden. War der von ihm getötete Centurio oder Decurio klug genug gewesen, dann stand ihnen eine erneute Begegnung mit weiteren Versprengten des vorigen Überfalls bevor. Scheiterte auch der Mord an Verginius Rufus, durfte ein Überlebender der Wegelagerer oder auch einer der wenigen Auxiliaren, niemals zum Verräter werden. Falls dies dennoch geschah, musste ein erneuter Anschlag den Tod des Verräters nach sich ziehen.

Gerwin lies sich zwischen die beiden Pferde zurückfallen. „Hört mir alle gut zu.“ forderte er und erzwang die Aufmerksamkeit der Reiter.

„Treverer, sagt mir, ob ihr bei dem Angriff einen eurer Männer nicht gesehen habt?“ Er blickte zu den Gefragten auf. Diese schüttelten ihre Köpfe.

„Es hat also keiner der Männer gefehlt, die zur Centurie der Treverer gehörten?“ Gerwin blieb misstrauisch.

„Na, ja…“ hob der Beinverletzte an. „Als wir zum ersten Mal zusammentrafen, war der Optio dabei… Der aber fehlte heute …“

Gerwin schwieg und überdachte die Antwort. Er ließ sich Zeit.

„Sollte uns eine Überraschung erwarten, dann bedenkt was ihr tut!“ Gerwin sprach leise, aber immerhin so laut, dass auch die vor ihm laufenden Legionäre mithörten. „Die Centurien fanden keine weiteren Wegelagerer… Dennoch könnten Einige von denen entkommen sein und gibt es noch einen einzigen beteiligten Treverer, dann ist dessen Auftrag das Sammeln der Versprengten und die Verhinderung eures Überlebens…“ Er hörte ein Schnaufen und begriff, dass seine beiden Gefangenen von dieser Mitteilung überrascht wurden.

An den Optio hatten beide Gefangenen nicht gedacht und glaubten auch nicht, noch in Gefahr zu schweben. Sie hatten ihr Leben bewahrt und hofften, dass dies so blieb. Mit der Mitteilung Gerwins kehrte die Angst zurück. Selbst nicht in der Lage sich zu wehren, brauchten sie den Schutz der Legionäre. Eine ihnen jetzt gegenübertretende Übermacht würde ihre Begleiter zersprengen und sie selbst ausliefern.

Der Hermundure spürte die Furcht der Gefangenen. Fielen diese in die Hände der Wegelagerer, würden Beteuerungen nicht mehr helfen… Weshalb sollten die Treverer auf einen glücklichen Ausgang, eines aussichtslos erscheinenden Kampfes, hoffen?

„Werden wir erneut überfallen, bleibt ihr auf den Pferden sitzen! Rührt euch nicht und versucht nicht zu fliehen… Überleben werdet ihr nur, solange ihr in meiner Nähe verbleibt. Flieht ihr und sie erwischen euch, könnt ihr kein Erbarmen erwarten… Auch von mir nicht, denn dann werde ich euch suchen… Finde ich euch und ich werde euch finden, dann hilft weder ein Gebet, noch ein Wunder…“

Er hatte noch nicht ganz zu Ende gesprochen, als Arpagius und Grattus stockten. Die Pferdeköpfe rammten den jeweiligen Vordermann im Rücken und Gerwin hörte das Wort ‚Optio‘.

Ein Griff zum Schwanz seiner Stute, die dem Zwang seiner ziehenden Hand folgte und mit dem Hinterteil plötzlich quer zum Weg stand, gab Gerwin die Möglichkeit, ungesehen im Dickicht unterzutauchen. Er drang in den Wald ein und überholte dort die eigene Truppe. Selbst von Büschen und Bäumen verborgen, sah er, was sich vor seinen beiden Legionären aufbaute. Er zählte fünf Männer, ob Wegelagerer oder Auxiliaren, erschloss sich ihm nicht. Fast wäre er zu frühzeitig aus dem Dickicht gesprungen.

Das Fehlen des Optio aber ließ ihn zögern und dann sah er den Auxiliar. Der Mann stand, mitten auf dem Weg, vor seinem Pferd. Zwischen dem Optio und den Wegelagerern dürften etwa zehn Pferdelängen liegen, die diesem ausreichend Zeit erbringen sollte, falls ihn ein Scheitern des Überfalls abermals zur Flucht zwang.

Gerwin drang tiefer in den Wald ein. Sich ungesehen glaubend, stürmte er vorwärts und wandte sich erst dann dem Weg wieder zu, als er sich sicher war, im Rücken des Optio auftauchen zu können. Er wusste, dass ihm nicht viel Zeit blieb. Fiel nur einer der Legionäre, hätte der noch Kämpfende zu viele Gegner und das Überleben der Gefangenen wäre dann nur von kurzer Dauer.

Glücklicherweise verhielt sich das Pferd des Optio ruhig. Der Treverer hielt die Zügel und war auf die Ereignisse vor seinem Angesicht ausgerichtet. Indem Gerwin das Tier zwischen sich und den Optio brachte, schlich er näher. Er erreichte das Tier.

Dann ging alles sehr schnell. Ein Sprung und Gerwin saß im Sattel. Dem Pferd die Hacken in die Seiten schlagend, stieg das Pferd und erwischte den Optio, mit der vollen Wucht der Hufe. Dies warf den Mann vor sich zu Boden. Im selben Augenblick kniete Gerwin neben dem Überraschten und zwei Germanenfäuste schlugen von beiden Seiten aus zu. Der Kopf des Mannes, der auf dem Bauch lag, ruckte erst rechts auf den Boden, dann landete der Schädel auf der anderen Seite. Ein kurzer Griff von hinten an beide Schultern und das Knie im Genick ließen einen merkwürdigen Laut und unmittelbar darauf einen überraschten Aufschrei erklingen.

Gerwins Arme und Beine handelten wie von selbst, während seine Augen die nur wenige Sprünge vor ihm ablaufenden Handlungen verfolgten. Drei der Angreifer hatten sich auf Grattus gestürzt und brachten den Kelten in arge Bedrängnis. Grattus wehrte sich, in der linken Hand den Dolch, rechts den Gladius. Sein Scutum lag neben ihm am Waldrand. Er hatte die Wendigkeit seiner Handlungen dem Scutum und dessen Schutz vorgezogen.

Arpagius stach soeben seinen ersten Angreifer nieder und versuchte seinen anderen Feind mit wuchtigen Schlägen zu bezwingen. Gerwins Blick erfasste den Auxiliar, der sich den Angriffen vorerst wirksam widersetzte.

Aufspringend, sich vergewissernd, dass der Optio sich nicht rührte, saß Gerwin auch schon auf dessen Pferd. Sein Schrei und die in die Seiten des Tieres gestoßenen Füße brachten das Pferd vorwärts. Es waren nur fünf oder sechs große Sätze und schon lag einer von Grattus Bedrängern, von Pferdehufen getroffen, am Boden. Gerwin selbst flog vom Tier auf den dritten Angreifer des Kelten zu und seine beiden schlanken Dolche erwischten den Wegelagerer, nahezu gleichzeitig, in Rücken und Brust. Der Mann fing nicht nur den Schwung des Germanen auf, bevor dieser abrollen konnte, sondern stürzte, von der Wucht des Aufpralls umgerissen, in das Dickicht.

Als Gerwin auf seinen Füßen stand, sah er Arpagius Gladius in der Schulterbeuge von dessen Gegner versinken. Der Noriker hatte den Mann wohl nicht nur mit dem Scutum und dem Gladius bearbeitet. Den Schild wegwerfend, traf den Wegelagerer die Faust der frei gewordenen Hand und fällte den Kerl. Im Begriff, sich aufrichten zu wollen, fand ihn die Gladiusspitze, noch in der Hocke.

„Grattus, brauchst du noch Hilfe, oder schaffst du den Kerl allein?“ verkündete der Noriker, als er, außer dem Einen, keinen anderen Gegner stehend vorfand.

Gerwin ging zu dem Angreifer, der ihn, ob Grattus wütender Schläge, nicht bemerkte. Ein gezielter Schlag in den Rücken des Wegelagerers brachte den Mann zum Erstarren. Dann fiel er, steif wie ein Brett, auf seinen Bauch und das Gesicht.

Gerwin besah sich den angerichteten Schaden. Mit dem Kopf in Richtung des Optio nickend, sprach er Arpagius an: „Kannst du den Optio zu uns bringen, aber lass ihn am Leben… Ich glaube fest daran, dass der Kerl nur schläft. Der Legat wird sich freuen, den Burschen kennenzulernen….“

Arpagius trottete zum Optio, wuchtete sich den Kerl auf die Schulter und brachte ihn näher. Inzwischen beäugte der Germane die übrigen Angreifer. Einer war am Stich eines Gladius verendet. Dem Zweiten war Arpagius Gladius von oben in die Halsbeuge zum Herz gestoßen worden. Die Bekanntschaft mit Gerwins Dolchen bekam dem Dritten nicht. Der Vierte überstand die Wucht des heranpreschenden Pferdes nicht. Sein Kopf hing merkwürdig leblos auf der Seite. Was auch immer den Mann getroffen hatte, zerstörte sein Genick. Sechs Angreifer, vier Tote und zwei neue Gefangene, kein allzu schlechtes Ergebnis, wenn er ihre eigene Stärke bedachte.

Grattus wischte sich den Schweiß aus den Augen. „Verdammt, das war knapp! Für mich war es einer zu viel… Danke Germane!“

Der Angesprochene zuckte nur mit der Schulter. „Sie nahmen sich deiner zu dritt an. Du schienst der Schwächere zu sein…“

Gerwin blickte zu den Reitern. Beide verletzte Treverer saßen auf den Pferden, hatten sich keinen Fuß weit bewegt und starrten den Germanen an. In ihren Augen erblickte er blankes Entsetzen.

Der Optio fiel Gerwin vor die Füße. Arpagius stand vor ihm und suchte seine Augen. „Nur gut, dass ich nicht noch weiter auf dich eingedrungen bin…“ Der Riese schüttelte sich. „Deine Klingen sind wie Tänzer in den Händen eines Meisters… So schnell habe ich noch keinen Krieger gesehen…“ Er streckte seinen Arm aus. „Schlag ein und mögen alle meine verdammten Götter geben, dass ich dir nie begegne, wenn du in Wut bist…“

„Das kann dir nicht geschehen, Noriker!“

„Warum nicht?“ verwunderte sich der Größere.

„Ich komme nicht in Wut!“ Gerwin schlug in den gereichten Arm ein und ließ Arpagius stehen. „Wollen wir doch einmal sehen, wer da in unsere Hände fiel…“

Der Optio lag auf dem Rücken vor Gerwins Füßen. Der Hermundure beugte sich zu diesem hinab, befühlte die Knochen in der Schulter, nickte und wandte sich an Grattus: „Ich brauche zwei stabile Stöcke, so lang wie deine Arme!“

Der Kelte verschwand im Wald und kam kurz darauf zurück.

„Arpagius, sei so gut und bringe die Toten ins Dickicht! Holt sie euch Morgen und lasst sie begraben. Die armen Kerle gehörten zwar beim ersten Mal nicht zu den Tapferen, schlugen sich hier aber nicht schlecht… Ehre die Toten, auch wenn es deine Feinde waren, denn erwischt es dich selbst, sollte der dich Besiegende von gleicher Veranlagung sein… Einem Toten auch im Tod noch Leid zuzufügen, ist eines guten Mannes unwürdig!“

„Wenn du meinst… Wir sind da nicht so nachsichtig.“ brummte der Noriker.

Gerwin richtete sich auf, blickte zum Legionär und lächelte. Der Noriker stutzte und erwiderte das Lächeln. „Ich werde mich deiner Lehre annehmen, denn ehrlich gesagt, ist es mir lieber, dich auf meiner Seite zu wissen…“

Der junge Hermundure erkannte einen ehrlichen Mann.

Gerwin nahm die von Grattus gereichten Stöcke entgegen, brachte diese an der Schulter des Optio an und verband den Mann mit dessen, von ihm in Stücke geschnittener Tunica. Der Kerl stöhnte ob der Behandlung und erwachte.

Der Kelte Grattus stand, auf seinen Fußballen wippend, vor dem zu sich gekommenen Optio. „Na Treverer, gut geschlafen? Schade, du hast den ganzen Trubel gar nicht verfolgen können…“

„Grattus, hör auf! Übrigens, du hast da einen Schnitt im Arm… Lass mich das ansehen.“ bestimmte Gerwin.

Grattus blickte auf seinen Arm. „Ach, das ist nichts!“ Er wollte mit der anderen Hand den Schnitt verbergen.

„Finger weg, Idiot!“ fauchte Gerwin! „Ich kenne eine Heilkundige, die dir für diese Dummheit die verletzte Hand zwar heilt, dir aber dann den Kopf abschlägt…“ Der Kelte wich zurück. War es die Überraschung vor der Warnung oder die Angst vor der Drohung….

„Zeige mir den Arm und halte deine Dreckfinger weit von der Wunde weg. Die meisten Römer sterben nicht an tödlichen Stichen oder Schlägen, sondern an Dummheit! Sie sind einfach zu dumm, eine Anfangs nur kleine Wunde richtig zu behandeln. Sie sterben an Entzündungen… Also her mit dem Arm!“ Gerwin war unnachgiebig. Er betrachtete den Arm.

„Finger weg von der Wunde. Bis zu unserem Ziel wird es gehen. Lass das Blut dran. Blut reinigt die Wunde. Hast noch genug davon…“

Grattus grinste als Antwort.

Die ganze Unterhaltung lenkte von der Erstarrung der Gefangenen ab. Beide Reiter fanden zu sich. Schließlich fragte der mit der Wunde im Bein: „Was wird jetzt?“

„Wir ziehen weiter!“ bestimmte Gerwin und wandte sich an den Optio. „Was ist, kannst du laufen?“

Der Angesprochen nickte. Er rollte sich auf die Seite, zog den ersten Fuß an, stellte ihn auf und erhob sich. Plötzlich schwankte der Mann und wäre fast gestürzt. Gerwin griff zu. „Das geht vorbei!“ behauptete er nachsichtig.

Arpagius tauchte auf. „Jetzt haben die Burschen vorerst Ruhe. Ich habe sie mit Zweigen bedeckt. Ich hoffe, davon läuft keiner weg…“ Er lachte und fast gleichzeitig löste sich die Spannung, nicht nur bei ihm…

Bisher war er in einen Zustand gefallen, den er so noch nie erlebte. Er kannte Kämpfe, er besaß auch Verwundungen und dennoch hatte er das Gefühl, dass er sich noch nie so dicht am Tod vorbei zwängen musste. Ein Blick zu Grattus bestätigte ihm, dass auch der kleine Vangione diese Erfahrung noch verarbeitete.

„Was machen wir mit dem da? Der schläft noch immer… Wacht der wieder auf?“ Arpagius wies auf den Liegenden.

„Wenn ich ihn bitte, sicher!“ behauptete Gerwin, beugte sich hinab, drehte den Mann auf den Bauch und schlug ihm mit der Faust auf einen Punkt im Rücken. Der Liegende zuckte, stöhnte dann und erstarrte erneut. Gerwin trat näher.

„Reicht die Aufforderung noch nicht? Sei dir sicher, noch lebst du!“ Ein Tritt in die Rippen ließ den Mann Aufschreien und Aufspringen. Seine Hand zuckte zum Messer an seiner Seite und griff ins Leere.

„Du hast zwei Möglichkeiten…“ unterbrach Gerwin die Verblüffung des Aufgesprungenen.

Der Kerl schaute ihn an und begriff scheinbar gar nichts. Er schüttelte den Kopf, suchte dann das Messer an seiner Seite, blickte zu seiner leeren Hand und dann sprang er vorwärts auf Gerwin zu.

Doch dort, wo sein vermeintlicher Feind zuvor stand, stieß er auf Leere. Dafür umarmten ihn zwei Arme mit einem Griff, als wären es Klammern aus Eisen.

„Ich sprach von zwei Möglichkeiten… Es sind aber eigentlich drei…“

Der Hermundure gab den Wegelager, mit kraftvoller Drehung, frei.

„Zuerst könnte ich dir die Kehle durchschneiden, dann könnten wir dich fesseln und hinter uns her schleifen. Die dritte Möglichkeit wäre deine freiwillige Begleitung…“

„Ich ziehe die vierte Möglichkeit vor …“ sprach der durchaus kampffähige Fremde, machte zwei Schritte rückwärts von Gerwin fort, drehte sich um und wählte zur Flucht die Richtung in den Wald. Eigentlich, wenn man seiner Sinne Herr ist, die Klügste der Möglichkeiten… Nur hatte der Mann übersehen, dass einer seiner Füße längst an einer Leine hing, die am Sattel von Arasoa befestigt war. Das Ende des Seils in Anspruch nehmend, war sein vierter Sprung der Letzte. Er landete auf dem Bauch und ehe er es sich versah, waren seine Arme gebunden und ein weiterer Strick schloss sich um seinen Hals.

Gerwin klatschte sich in die Hände. „Deine Wahl hast du selbst getroffen…“

„Da wir auch das endlich klären konnten, ist es an der Zeit, unseren Weg fortzusetzen. Grattus, du führst beider Pferde. Arpagius, geh voran und bleib auf diesem Weg. Ich werde unseren kühnen Wegelager begleiten und achte ein wenig auf den Optio… Also vorwärts!“

Der Trupp setzte sich in Bewegung. Es ging nur langsam voran. Der Optio hatte sichtliche Schmerzen, der Wegelagerer dachte an Flucht und verzögerte, mit allerlei Tricks, die Vorwärtsbewegung und auch die Reiter spürten, mit zunehmender Dauer, den Schmerz der erlittenen Wunden.

Die Dämmerung zog herauf. Es folgte Dunkelheit und irgendwann hämmerten des Germanen Fäuste an ein großes Tor. Es wurde geöffnet. Der Trupp zog ein und hielt vor einer kleineren Villa.

Gerwin verschwand kurz, kehrte mit einem großen Kelten zurück und anschließend entstand, bis die Gefangenen eingesperrt waren, ein großes Durcheinander. Als die Dunkelheit undurchdringlich wurde, tauchte ein Medicus auf und nahm sich der Wunden an.

Für den Optio ließ Finley einen Vorratsraum, der nur wenige Schritte in seiner Breite und Tiefe aufwies, ausräumen. Dieser Gefangene und der weitere Überlebende verschwanden in dem fensterlosen Raum. Vor der Tür bezog einer der Alten des Amantius Position. Eine Flucht war somit ausgeschlossen.

Inzwischen brachten Gerwin und die Legionäre die beiden anderen Gefangenen in die mittlere Etage, beräumten den großen Tisch, breiteten weiße Laken darauf aus und legten den am Bein Verletzten darauf. Fackeln warfen ein gespenstiges Licht auf das verletzte Bein.

Der Medicus, ein kleiner, etwas rundlicher Grieche, beugte sich über die Verletzung, schüttelte seinen, bis auf einen spärlichen Haarkranz, glatten Schädel und brummte etwas, was der Gefangene, falls er es hörte, als ‚hast noch mal Glück gehabt‘ verstehen könnte.

Der Grieche richtete sich auf, entnahm seinem Beutel ein hartes Stück Holz und reichte es dem Auxiliar.

„Dein Leben verdankst du dem, der das Bein abband! Du wärst längst verblutet…“ Er lauerte auf eine Erwiderung. Der Treverer aber schwieg.

„Na auch gut… Das Holz brauchst du, damit du nicht schreist, beiß einfach darauf. Die Tortur wird etwas schmerzhaft, aber ich denke, du möchtest dein Bein behalten…, wir können es aber auch absägen…“ Der Grieche zog eine Säge aus seinem Beutel und hielt sie so, dass der Liegende das Gerät sehen konnte. Der Blick des Treverer, vom Medicus gebannt verfolgt, zeugte von Erschrecken.

„Das Bein bleibt dran, verfluchter Salbenmischer!“ fluchte der Liegende.

„Dachte es mir gleich…“ erwiderte der Medicus. „… sind halt nicht die Mutigsten, unsere Auxiliaren…

Gerwin, der an einem der Fenster lehnte, Finley, mit ausgestreckten Gliedern auf einem der Stühle, der zweite Verletzte Auxiliar, mit dem Stich in der Brust, auch auf einem Stuhl sitzend und die beiden Legionäre zu den Seiten der Tür stehend, verfolgten das Gespräch zwischen dem Griechen und dem auf dem Tisch liegenden Treverer.

„Na gut, sollst deinen Willen haben… Versuchen wir es erst einmal auf die leichtere Art… Das soll aber nicht heißen, dass wir das Bein nicht vielleicht später noch opfern sollten… Ich nehme an, zuerst möchtest du mit Bein leben, dann wäre dir aber ein Leben ohne Bein eher recht, als zu deinen Göttern heimzukehren…“

Ein Grinsen entstellte das Gesicht des Griechen und legte einige dunkel schimmernde Zahnstümpfe frei. Der Mann war eben schon ziemlich alt. Der Vorteil daraus wies auf Erfahrung hin, der Nachteil zeigte sich in einem leichten Zittern der Hände.

„Also, wenn ich es sage, beiß auf das Holz! Zuerst werde ich die Wunde reinigen… Die Tinktur brennt ein wenig…“ Er zögerte und besann sich. „Nein, sie brennt wie Feuer. Aber das geht vorüber. Dann wird es sehr kalt um die Wunde. In dem Zustand werde ich den langen Schnitt zusammennähen. Das wirst du so nicht sehr bemerken… Die Wärme kehrt zurück. Erst dann wird es richtig heftig… Sei darauf vorbereitet! Dann löse ich den Strick, dein Blut schießt wieder in dein Bein. Der Schmerz überrollt dich im Wechsel mit Feuer und Eis. Es kribbelt im Bein, du möchtest weglaufen und kannst dich doch nicht bewegen… Also nimm es hin. Das Kribbeln bleibt eine ganze Weile, aber wenn das nachlässt, empfängt dich ein etwa gleichbleibender Schmerz und der bleibt dir einige Tage erhalten…“ Der Alte grinste.

„Dann heißt es warten und die Wunde beobachten… Sind dir deine Götter hold, heilt das Bein und nur die Narbe bleibt… Entzündet es sich aber, dann kann es eklig werden… Ich werde die nächsten Tage aber nach dir sehen, wenn der Secretarius es will… Der Grieche drehte sich zu Finley um. Statt dem großen Kelten antwortete jedoch der Germane.

„Das wirst du tun und Finley wird dir deinen Lohn geben. Der Rest kümmert dich nicht… Verliert der Mann sein Bein, büßt du mit einem Ohr…“

„Na, dann können wir anfangen…“ gluckste der Alte vergnügt, von Gerwins Drohung unbeeinflusst. „… ihr vier scheint mir kräftig genug, den Auxiliar zu halten. Die Großen an die Beine!“ befahl er und alle gesunden Anwesenden griffen zu. Der Treverer versuchte sich zu entspannen und schob sich das Holz in den Mund.

Danach begann der alte Grieche sein Werk. Er arbeitete geduldig, behutsam und zielstrebig. So wie er ankündigte, folgten die Wellen des Schmerzes. Feuer und Eis wechselten und der Treverer duldete. Als das Blut in sein Bein vordrang, bäumte er sich auf und erschlaffte. Seine Kräfte waren aufgebraucht. Besinnungslosigkeit umnachtete ihn. Zu Viert brachten sie ihn in eine der oberen Dachstuben. Finleys Wirtschafterin übernahm vorerst des Mannes Pflege.

Der Medicus gönnte sich keine Pause. Sofort befasste er sich mit dem zweiten Treverer. Es folgte ein fast gleichartiger Verlauf. Einer Schilderung folgte die Behandlung. Auch der Treverer hielt sich wacker. Die vernähten Wunden waren nicht annähernd so lang wie beim zuvor Behandelten.

Während Finley dem Mann die Treppe hinauf half, packte der Medicus seine Gerätschaften und Tinkturen zusammen.

„Du hast noch eine Wunde zu versorgen!“ senkte sich Gerwins Hand auf des Mannes Schulter.

„Wo?“ Der Grieche sah sich überrascht um.

„Grattus, zeige ihm deinen Arm!“

„Aber Gerwin…“

„Halt dein Maul und tue, was ich sage! Der Arm…“ Grattus zeigte dem Medicus die Verletzung.

„Ist nicht so schlimm…“ quittierte der Alte.

„Sage ich doch, heilt allein…“ mischte sich der Vangione wieder ein.

„Halt dein Maul…“ hörte er erneut vom Hermunduren.

Der Grieche reinigte den Schnitt und legte einen Verband an. „Geh in spätestens drei Tagen zu deinem Medicus. Sage dem alten Gauner Flavius, das ich das gemacht habe. Er wird dafür Sorgen, dass du keine Überraschung erlebst…“

„Was meinst du?“ Grattus wirkte beunruhigt.

„Ihr Krieger seid zu dumm, einer kleinen Wunde die notwendige Beachtung zu schenken. Ihr glaubt immer erst an die Schwere einer Verletzung, wenn der Medicus die Säge in die Hand nehmen muss… Deine Wunde ist nicht schlimm, doch entzündet sie sich, könntest du den Arm verlieren… Es ist immer das Gleiche…“

Grattus wich sofort einen Schritt zurück. Er besann sich. „… aber das war doch nichts…“

„Nein, natürlich nicht und dennoch…“ Der Grieche ließ den Rest der Worte im Gemurmel untergehen. Er packte sein Zeug zusammen und folgte dem zurückgekehrten Finley in dessen im Untergeschoss befindliches Arbeitszimmer.

Gerwin überließ die Legionäre sich selbst und stieg den beiden Männern nach. Während Finley dem Medicus seinen Lohn aufzählte, betrachtete er den Griechen.

Der Alte verbarg den erhaltenen Geldbeutel unter seiner Tunica und gewahrte dabei des Germanen Aufmerksamkeit.

„Was starrst du mich so an?“ fragte er.

„Als Medicus müsstest du doch ein kluger Mann sein…“ Gerwin lauerte.

„Mir dagegen scheint, dass du ein ziemlich gewalttätiger Bursche zu sein scheinst. Die Stichwunde in der Brust des Treverer stammt sicherlich von dem Dolch, mit dem du vorhin am Fenster hantiertest?“ Der Grieche scheute nicht vor dem jungen Hermunduren zurück.

„Und wenn es so ist?“

„Warum führtest du nicht zu Ende, was du begannst? Warum flickte ich den Burschen zusammen?“ Als Medicus Einiges gewohnt, zweifelte der Alte an der Klugheit des Jüngeren.

„Eine gute Beobachtung und eine kluge Folgerung, alter Mann!“ Gerwin lächelte.

„Du willst doch noch etwas von mir?“ Der Grieche wirkte für einen Augenblick verunsichert.

„Ich wusste, dass du darauf kommst… Wie sehr hängst du an deinem Leben?“ Gerwin grinste den Medicus an.

„Du bist ein ziemlich frecher Bursche…“ Nasenrücken, Wangen, Stirn und die Platte des Griechen liefen rot an. Seine Wut war unverkennbar.

„… der dir Alten einen guten Rat geben möchte…“

„Soooo…“ Der Alte dehnte das Wort bis zur Unendlichkeit. Damit gab er seiner Wut und wohl auch einer gewissen Verwunderung Ausdruck.

„Ich drohte dir mit dem Verlust eines Ohres, sollte der Treverer sein Bein verlieren… Das meine ich auch so! Du wirst beide Verletzte auch an den folgenden Tagen versorgen. Finley zahlt dir dafür den Lohn! Mehr musst du nicht wissen… Erst wenn Finley verkündet, dass er deine Dienste nicht mehr benötigt, bist du erlöst. Solltest du diese Verpflichtung vernachlässigen, lernst du meinen spitzen, kleinen Freund kennen…“

Plötzlich war einer der beiden Dolche in Gerwins Hand zu sehen und kurz darauf wieder verschwunden. Der Grieche erstarrte.

„Dieser kleine Freund könnte dir auch begegnen, falls du über das heute und hier Gesehene oder auch Gehörte plaudern solltest… Du wirst auch verschweigen, wen du behandelt hast, welche Behandlung du durchführtest… Überhaupt, solltest du das an diesem Abend Erlebte vollkommen vergessen…“ Der Hermundure ließ keinen Blick von dem Alten. „Allenfalls behandeltest du hier den Beinbruch eines Kutschers, der unvorsichtigerweise unter ein rollendes Rad geriet…“

Das Erschrecken des Griechen zeichnete sich in sein Gesicht. Hilflos sah er zu Finley und bemerkte dessen Nicken. In diesem Moment begriff er die Gefahr.

„Höre, Medicus… Mir liegt nicht viel daran, dir die Bekanntschaft mit meinem kleinen Freund zu vermitteln…“ Gerwin verlor sich in einem Lächeln.

„Es könnte schon genügen, dass die Kleinste deiner Bemerkungen die Aufmerksamkeit Anderer erregt… Falls das geschieht, kommt mein kleiner Dolch sicher zu spät… Folter und Tod sind dann jedoch unabwendbar! Du kannst nicht wissen, wer sich für diese abendlichen Ereignisse interessiert… Deshalb ist es besser, gänzlich zu Schweigen. Selbst meine Erwähnung reicht für den Tod… Besser, du holst dir die Belohnung für deine Bemühungen bei Finley, statt das ich oder Andere kommen müssen, um dir deine Zunge, Augen und Ohren zu nehmen…“

Gerwin schwieg. Sein Blick ruhte auf dem Medicus. Er lauerte.

„Jetzt kannst du gehen!“ fügte er nach einer kleineren Pause an.

Der Alte packte seinen Beutel und riss die Tür auf. Finley und Gerwin folgten ihm in die Dunkelheit. Ihre Blicke wanderten, mit seinen hastigen Schritten, in Richtung Tor.

„Jetzt wird es aber Zeit für eine Stärkung und deinen Bericht. Schließlich muss ich wissen, in welcher Gefahr wir hier schweben…“

Die Legende vom Hermunduren

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