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Оглавление4. Der Wegelagerer
66 nach Christus - Sommer (20. Augustus)
Imperium Romanum – Mogontiacum
Der Legat strebte seinem Arbeitsraum zu. Schweigend folgten ihm Präfekt Axius und der Obertribun. Auch Gerwin, der den gefangenen Wegelagerer vor sich her stieß, drängte dem Legat nach, die Treppe hinauf. Den Dienstraum erreichend, nahm Verginius Rufus auf seinem Stuhl, hinter dem großen Arbeitstisch Platz und Axius ließ sich in den Korbsessel sinken.
Obertribun Tremorinus blieb links neben der, durch den schweren Vorhang geschlossenen Tür. Also wählte Gerwin den Platz rechts der Tür, nachdem er den Gefangenen in die Mitte des Raumes gestoßen hatte. Noch immer war der Mann gefesselt und trug den Strick um den Hals, der in Gerwins Hand endete.
Der Wegelagerer musterte den Raum, grinste anzüglich und wandte sich Verginius Rufus zu.
„Wenn du mir jetzt die Fesseln nehmen würdest und statt dessen einen Pokal mit Wein reichtest…“
Julius Tutor brachte den Satz nicht zum Abschluss. Der Legat unterbrach ihn barsch.
„Was glaubst du, welche Vergünstigungen ich einem solchen Meuchelmörder wie dir noch zugestehe?“
„Ja, du hast recht…“ seufzte der Gefangene. „Wäre unser Anschlag gelungen, bräuchte ich deine Gastfreundschaft nicht zu schätzen und könnte, mit Freunden, statt eines Bechers Wein eine ganze Amphora leeren…“ Er zuckte bedauernd mit den Schultern. „Andererseits hegte ich die Hoffnung, dass unser Gespräch zivilisierter verlaufen könnte… Du bist Legatus Legionis und ich kann mich rühmen ein römischer Bürger zu sein und als Präfekt für das Imperium Roms gedient zu haben…“
Der Wegelagerer nahm die aktivere Rolle für sich in Anspruch. Leicht ging er über die Bedrohung seines Lebens hinweg. Indem er den Tod überging, auf seine Verdienste für Rom verwies, sich als Gleichgestellter darstellte und auch noch Wünsche, fast als Forderungen, offenbarte, gewann er an Ansehen. Ein Anderer in gleicher Lage wäre der Verzweiflung nahe, nicht jedoch Julius Tutor…
„Es ist richtig, ich bin Römer in dritter Generation und trotzdem als Treverer geboren… Warum sollten wir uns dann nicht in Vernunft verständigen können?“
Diesmal war es der Legat, der in Sarkasmus und Spott versank. „Diese ‚deine Vernunft‘ brachtest du wohl im Angriff auf mein Leben zur Geltung? Wie also sollte ich dir auf gleicher Stufe begegnen? Wäre dir die Folter demnach recht… Denn ich glaube kaum, dass ein guter Römer, der ich unzweifelhaft bin, eine solche Tat anders würdigen dürfte… Andererseits…“ Verginius Rufus ließ dem Treverer Zeit zum Eingreifen.
„Was möchtest du mir anbieten, Legat?“
„Glaubst du wirklich, dass ich dir etwas anbiete? Deine Lage gleicht eher der eines Verurteilten. Also böte ich dir etwas an, dann wäre es auf der einen Seite Folter und ein qualvoller Tod oder aber ein kurzer Schnitt am Hals…“ Der Legat vollführte, mit seiner rechten Hand, den angezeigten Schnitt und auch der Wegelagerer wusste die Bewegung zu deuten.
„Der Menschen Hoffnungen täuschen sich doch allzu oft… Ich hoffte auf etwas Verständnis…“ erwiderte der Gefangene.
„Wofür…“ lächelte der Legat.
„Zumeist sind es Erfolge, die geschätzt werden… Ich bin nun mehr dazu geneigt, den eingetretenen Misserfolg schätzen lernen zu müssen… Gleichwohl denke ich, das auch du mein Scheitern zu schätzten scheinst und hoffe deshalb auf dein Wohlwollen…“
„In der Tat könntest du dir etwas Wohlwollen meinerseits verschaffen, ob dass dann aber ausreicht…“ Verginius Rufus ließ das Ende offen. Auch er spielte nun, nur besaß er die bessere Position.
„Was schwebt dir vor, Legat?“
„An den Optio hatte ich so einige Fragen… Einen Teil der Antworten darauf kenne ich bereits, nur… war der Mann in mancher Beziehung zwar eindeutig, mitunter seine Antworten aber entweder unwillig, unvollkommen oder nicht der Wahrheit entsprechend… Irre ich, wenn ich glaube, dass du da mehr Wissen anbieten könntest und deine Antworten zur Vollkommenheit führen möchtest?“
„Das glaube ich, hängt von der Frage ab und von einigen Rahmenbedingungen…“
„Was meinst du mit ‚Bedingungen‘?“
„Unzweifelhaft habe ich mich, in deinen Augen, einer Tat schuldig gemacht… Nun aber läge mir an einer gewissen Verzeihung…“
„Was, wäre der Anschlag gelungen, kaum deine lebensfrohe Seele erschüttert hätte…“ konterte der Legat.
Der Gefangene seufzte. „Das ist es doch gerade… Ich bin dein Gefangener und wäre jetzt, mit dem Wissen meiner Lage, gern dein treuester Freund…“
Der Legat grinste. Er wusste, er ritt ein hohes Ross. Der Gefangene bettelte um sein Leben, selbst wenn sein Verhalten nicht auf ein Verzagen oder Bedauern hinauslief.
Der Treverer feilschte und lotete alle Möglichkeiten aus. Letztlich spielte Verginius Rufus mit, weil in seiner Hand die Macht lag. Er könnte, unter gewissen Umständen, verzeihen. Doch der Vorschlag dazu musste vom Treverer kommen…
Ging es jedoch auf diese Weise nicht, blieb ihm immer noch der Germane, mit dessen Botschaft des Schmerzes, der Carnifex mit Knochenbrechen, Feuer und oder anderen Künsten, sowie letztlich noch die Möglichkeit eines schnellen Todes. Sollte doch der Treverer selbst wählen…
„Du bist der, der Wissen begehrt… Ich nur das Opfer, das zwar so Einiges, dich Interessierende kennt und auch davon berichten könnte, nur…“
Verginius Rufus merkte auf. Der Treverer schien einzulenken. „…nur?“
„Nehmen wir einmal an, ich wüsste was dich interessiert. Ich teile es dir mit und du nutzt deine hervorragende Lage…“
„Was meinst du?“ Der Legat stellte sich, als begriffe er nicht.
Der Treverer machte die weithin bekannte Geste an seinem Hals.
„Du fürchtest um dein Leben?“
„Nun ja, Furcht ist es wohl eher nicht, aber natürlich lebe ich gern… Es macht wirklich mehr Spaß am Leben zu bleiben, als ein Leben lang tot zu sein… Außerdem gibt es da noch die Weiber und den freudvollen Genuss mit ihnen, auf den ich ungern verzichten würde…“
„Dann pack doch in deine Antworten so viel Überzeugung hinein, dass mir an deiner Freude mit Weibern mehr liegt als an deinem Tod!“ fauchte Verginius Rufus.
Der Gefangene gab sich einen Ruck. „Gut, versuchen wir es doch damit. Ich beantworte dir deine Fragen, sagen wir zum Auftraggeber, dessen Gründen, zum gesamten Komplott, den Zielen der darunter vereinten Männer sowie deren erhofften Erfolgen und als Zugabe obendrein, warum gerade du in den Blickwinkel dieser Männer geraten bist… Im Gegenzug erhalte ich meine Freiheit.“
„Damit könnte ich Leben…“ Der Legat grinste. Er wusste, dass die Sache noch einen Hacken besaß…
„Sicher verstehst du meine Sorge, dass ich nach meiner Bereitschaft zwar eine Freiheit genießen darf, es aber nicht die ist, dich ich anstrebte… Auch der Tod ist eine Freiheit…, wenn auch die vom Leben!“
Sein Gefangener hing also am Leben und wenn es nicht Furcht war, die ihn erschütterte, er zu Gewalttaten bereit war, auch Meuchelmord nicht scheute und sich selbst, in einer solchen ausweglosen Lage, zu behaupten trachtete, musste der Mann entweder eine sehr dunkle Seele besitzen oder aber von einer Zuversicht, Klugheit und Verwegenheit getragen sein, deren er sich bedienen sollte. Es wäre einen Versuch wert, einen solchen Mann für eigene Interessen zu gewinnen. Er müsste den Mann nur auf seine Seite ziehen…
„Dann scheint mir, ist dein Angebot noch nicht von der Güte, die mich überzeugen kann…“ Verginius Rufus beobachtete genau, wie Tutor diese Mitteilung aufnahm. War es auch nur ein winziger Augenblick, so sah er dennoch die Betroffenheit. Der Treverer wusste nicht weiter… Sollte er ihm auf die Sprünge helfen oder einfach abwarten…
„Treverer, hast du schon einmal daran gedacht, die Seiten zu wechseln… Vielleicht sind die hingeworfenen Knochen deines bisherigen Herrn nicht so mit nahrhaftem Fleisch behaftet, wie die von Verginius Rufus? Möglicherweise sind Aufträge von dieser Seite nicht ganz so blutig oder aussichtslos…“ warf Präfekt Axius ein.
Überrascht blickte der Legat zum Praefectus Castrorum und grinste diesen, nach einer geraumen Weile, an. Der freundliche Gesichtsausdruck wanderte jedoch erst über Verginius Rufus Gesicht, als der Treverer nachdenklich auf seine eigenen Füße starrte.
Dessen sich hebender Blick sah in Erwartungen, die sich im Gesichtsausdruck des Legats ausbildeten.
„Was schwebt dir vor, Legat?“
„Das werde ich dir mitteilen, wenn du mir Antworten geliefert hast!“
Der Legat zeigte sich abweisend.
„Das ist wohl das beste Angebot, das ich bekommen konnte…“ Bedauern klang in der Stimme des Julius Tutor mit.
„Gut, ich willige ein. Ich sage dir, was ich weiß und biete dir meine Dienste in der Zukunft! Das gilt!“
Der Treverer Julius Tutor gab sich in des Römers Lucius Verginius Rufus Hand. Es wurden keine Einschränkungen vereinbart, keine Bedingungen angeführt und weil dies so alles und nichts in sich barg, war es ein Bündnis, das auf einem Versprechen beruhte. Solche Bündnisse zerbrachen schnell…
Julius Tutor begriff seinen erlangten Vorteil auch. War er erst einmal aus dem Machtbereich des Legats entwichen, und dieser Weg war nur sehr kurz, konnte er erneut tun, was ihm beliebte.
Auch Verginius Rufus erfasste die Fragwürdigkeit dieses Bündnisses. Wollte er die Treue dieses Mannes erzwingen, brauchte er ein neues Spiel… Der Legat hüllte sich in Geduld und er tat noch etwas, womit der Treverer nicht rechnete.
„Präfekt Axius, ich habe das Gefühl, deine Zeit schon über die Maßen ausgenutzt zu haben. Deine umfangreichen Erfahrungen, dein außerordentliches Wissen und deine Treue zu Rom, zum Kaiser und Senat, veranlassten mich, dich in dieser doch sehr komplizierten Lage zu rufen, um deinen Rat zu erfahren und auch um mich deiner Unterstützung zu versichern. Ich glaube, du gabst den entscheidenden Einwand, der den Treverer überzeugte und deshalb verdanke ich dir, einen neuen und treuen Verbündeten gefunden zu haben, wo ich eigentlich nur einen verbrecherischen Anschlag zu untersuchen trachtete.“
Verginius Rufus begann eine neue Intrige, bei der ein ehrlicher Mann wie Axius eher hinderlich wäre. Mit einem Dank für seinen entscheidenden Einfluss schickte er den Präfekt zu seinen sonstigen Pflichten.
Was sollte Flavius Axius in der Situation anderes tun, als sich zu erheben und den Raum zu verlassen. Als gestandener Soldat, ohne jeden Dünkel, ohne Beleidigungen oder Zurücksetzungen zu vermuten, glaubte er in seiner Ehrlichkeit, seine Pflicht gegenüber seinem Legat erbracht zu haben. Also hob er seinen Arm, beugte ihn zu seinem Herz und grüßte den Vorgesetzten, bevor er sich, durch den bei Seite gedrückten Vorhang, entfernte.
Verblüfft starrte der Treverer den Legat an. Dieses Manöver begriff er nicht, Obertribun Tremorinus aber umso mehr. Er nahm den Platz im Korbsessel ein.
Verginius Rufus wandte sich an Julius Tutor.
„Ich höre!“ lautete sein Befehl.
„Herr, du wirst es kaum glauben, aber ich versichere dir, dass es so und nicht anders zusammenhängt…“
„Sprich schon! Ob du lügst oder mir deine Wahrheit gefällt, entscheide ich später.“
„Mein Auftraggeber ist Scribonius Rufus. Er gab mir das Gold für die Wegelagerer, schickte mich zum Bruder Scribonius Proculus, um dessen Zustimmung und Unterstützung zu erlangen… Sicher weißt du selbst, dass dein Statthalter nicht allzu gut auf dich zu sprechen ist… Dessen Wut dir gegenüber schien mir eine Angelegenheit des Herzens zu sein…“ Der Treverer grinste auf anzügliche Art. „Warum er dir in der Art zürnte, erschloss sich mir erst nicht. Aber er beklagte den Verlust des Vertrauens für die Brüder. Ich hörte, dass einst Nero ihm und seinem Bruder diese Gunst schenkte… jetzt scheinbar aber dir und dies nahm er in zweierlei Art zur Kenntnis. Er begann dich zu hassen.“ Verginius Rufus nickte, dies wusste er bereits.
„Verweigerte ihm der Kaiser seine Zuneigung, musste er diese an anderer Stelle suchen… Er wandte sich an den Senat. Dort, so ließ er durchblicken, war man nicht abgeneigt… Vielleicht hängt die Entscheidung des Senats, die Brüder Scribonius in die eigene Führsoge aufzunehmen, auch mit den am Rhenus stehenden Legionen zusammen… Vermutlich interessierten den Senat diese Legionen, die in ihrer Gesamtheit wohl ein Drittel der römischen Streitkräfte umfassten? Wir wählten den Zeitpunkt, die Umstände und den Ort des Überfalls gemeinsam aus. Mit diesen Ergebnissen ging ich zurück zu meinem Statthalter.“
Der Auftrageber war eindeutig benannt, die Übereinkunft der Brüder und deren aktives Mitwirken bezeugt und trotzdem ließen sich Beweise noch nicht greifen. Außer den in Worten geäußerten Anschuldigungen blieb nicht viel übrig. Bewahrte er den Treverer im Carcer für eine Gerichtshandlung auf, konnte ihm Scribonius Proculus leicht einen Strich durch seine Absicht machen. Hier war Scribonius die Macht und würde seinen Gefolgsmann kaum anklagen lassen oder wenn schon, dann zumindest im Anschluss freisprechen… So konnte er weder dem Scribonius, noch dem Treverer beikommen.
„Welche Rolle spielt der Senat in Rom in dieser Sache?“
Überrascht blickte der Treverer auf. Er war wieder in die Betrachtung seiner Füße versunken. Der Legat schreckte ihn auf.
Verginius Rufus sah den Mann zögern, so als ob er sich vergewissern wollte, ob dieses Geheimnis geöffnet werden sollte.
„Scribonius Proculus zeigte mir, zum Beweis der Zustimmung des Senats eine Botschaft, die von einigen Senatoren unterzeichnet war…“
„Konntest du die Unterschriften erkennen?“
„Nein, Herr! Er zeigte mir nur den Kopf und den Text des Pergaments, den Teil mit den Unterschriften verdeckte er.“
Das war zwar gelogen, wie aber sollte der Legat die Lüge durchschauen? Ließ er jedoch Namen fallen, war das Leben der Männer keinen Quadrans mehr wert…
Verginius Rufus überging das Dokument, als wäre es, bei Unkenntnis der Unterschriften, wertlos.
Für sich aber begriff er durchaus, dass dies der Beweis einer Schuld des Senats war. Gelangte er, durch was auch immer, in den Besitz dieses Dokumentes, würde sich eine Schuld der Brüder Scribonius und ein Verrat römischer Senatoren beweisen lassen. Mit der Argumentation, die Macht über zumindest sieben Legionen zu erlangen, wäre auch der Senat bloßgestellt und nicht wenige Köpfe von Senatoren würden dann rollen…
Lucius Verginius Rufus begriff das Ausmaß der Verschwörung.
„Warum war gerade ich das Ziel?“
„Das weiß ich nicht so genau. Ich könnte es niemals beweisen, dachte aber selbst darüber nach und kam zum Schluss, dass du wohl der Mann des Kaisers in Germanien sein müsstest… Ich betrachtete die Legatus Legionis in beiden Militärterritorien entlang des Rhenus. Zwei Männer stachen mir ins Auge. Der eine warst du, der Andere Fabius Valens. Valens steht unter der Kontrolle des Statthalters in der Colonia Claudia Ara Agrippinensium, du aber schobst dich vor die Brüder und selbst den Verlust von Kohorten schien dir Nero zu vergeben… Wenn also der Senat an die Legionen wollte, musstest du weichen…“
Diese Darlegung schien Verginius Rufus einleuchtend, zumal er selbst schon einen derartigen Verdacht hegte. Als er diese Bestätigung erhielt, schloss sich für den Legat der Legio XXII Primigenia der Kreis.
„Es gibt da noch etwas, was du wissen solltest…“
Verginius Rufus wusste genug. Die Schuldigen am Überfall, deren Absichten, den Einfluss des Senats und dessen Ziele lagen so eindeutig vor ihm, dass er nur noch dieses Dokument des Senats benötigte, um die Verschwörung beweisen zu können. Weil er das vorgegebene Ziel war, wurde seine Bedeutung für das Imperium Romanum und für Kaiser Nero eindeutig nachgewiesen. Er sollte sich in dieser Sache bescheiden und bedeckt halten und würde zweifelsfrei daraus seinen Nutzen ziehen.
„Was noch?“
„Es gibt noch ein anderes Dokument!“
„Sooo?“ Rufus dehnte seine Frage. „Von wem?“
„Von einem Gallier, dem Vergobret der Haeduer… Sein Name lautete, so weit ich mich erinnere, Eporedorix…“
Verginius Rufus stand auf und trat zum Fenster. Der Treverer sollte nicht sehen, dass ihn diese Mitteilung beunruhigte. „Was will der Gallier?“ fragte er, mit dem Rücken zum Raum.
„Dies, Herr, entzieht sich meiner Kenntnis. Dein Statthalter prahlte mit der Botschaft, vermied jedoch jeden weiteren Hinweis auf den Inhalt.“
„Höre auf, mich zu belügen, Treverer!“ Verginius Rufus drehte sich ruckartig um und fauchte den Gefangenen an.
„Gerwin, ich habe das Gefühl, der Gefangene benötigt eine Auffrischung seiner Erinnerungen…“
Ein Ruck am Seil zog die Schlinge um den Hals des Gefangenen zu. Der Mann schrie auf und forderte mehr Luft. Ein kleiner Wink und Gerwin lockerte die Schlinge.
„Herr, der Haeduer fragte bezüglich eines Bündnisses an. Er bot seine Krieger, es wären inzwischen über einhundert mal Tausend Mann, und wünschte Auskunft, ob der Scribonius als Imperator eines Imperium Gallicum, als Magister Militum an der Spitze einer einigen Streitmacht, Kaiser Nero hinwegfegen wollte, oder ob er den Ereignissen abwartend gegenüber stehen könnte?“
Verginius Rufus verstand. Sein Blick suchte erneut das Fenster und den freien Platz davor.
Bot der Vergobret den Brüdern seine Unterstützung an, ging es diesem erneut um den beabsichtigten Aufstand, um dessen Rolle bei der Ergreifung der Macht und auch um ein mögliches Verzeihen, falls auch diese Absicht fehl schlug. Außerdem musste sich der Vergobret der Absichten der Brüder versichern… Würden diese die Macht beanspruchen, was Verginius Rufus sofort annahm, war Eporedorix gezwungen, sich zu bescheiden.
Sogleich durchschoss ihn ein Gedanke. Ihm machten sie ein Angebot, den Brüdern und wem noch? Es ging nicht um Statthalter und Legaten, sondern einzig um die Legionen… Der Legat, der diese Truppen brachte, durfte im Kreis der Aufständischen mitreden, sollte er jedoch eine zu laute Stimme erheben, bald daran ersticken… Dieser Haeduer verfolgte seine Ziele unerbittlich.
Verginius Rufus drehte sich zum Treverer um. Während er den Gefangenen zu mustern schien, sandten seine Augen eine Botschaft an den Germanen: ‚Schweige!‘
Ein leichtes, den Kopf senken, gab dem Legat Sicherheit.
Dieses Komplott war aufgedeckt. Selbst wenn er ohne die Dokumente keine Anklage erheben könnte, wusste er, wer in wessen Interesse am Spiel um die Macht beteiligt war. Der Anschlag war vorbei, dieser Feind zerschlagen. Dafür gewann er einen Spion…
Das vage Bündnis mit Tutor sollte ihm helfen, beide Brüder und auch die Absichten anderer Legaten, im Auge zu behalten. Nur müsste aus diesem versprochenen Bündnis ein Pakt wachsen, den niemand zu erschüttern vermochte… Diesem aber stand der scheinbar windige Charakter des Treverer im Weg.
Rufus wandte sich wieder zum Fenster um. Er grübelte über einen Plan nach. Seine Gedanken kreisten um das zweifelhafte Bündnis mit dem Treverer. Sollte er ein Wagnis eingehen?
Er wandte sich um, musterte seinen Obertribun und sprach ihn dann an. „Wärest du allein in der Lage, mit dem Treverer hier im Raum zu verbleiben? Ich würde zu gern nachsehen, welchen Erfolg der Carnifex beim Optio erzielte… Gerwins Begleitung wäre mir willkommen, denn falls ich noch keine Antwort bekomme, könnte er noch einmal für etwas Entgegenkommen wirken… Ich kann, wenn du möchtest, dir noch zwei der Wachen schicken?“
„Herr, lassen wir den Treverer gebunden, die Wachen vor der Tür und es sollte gehen…“ grinste Tremorinus.
Der Legat nahm Gerwin mit sich.
Kaum waren beide verschwunden, stand der bisher so gleichgültig erscheinende Obertribun auf und näherte sich dem Treverer.
„Du bist ein kluger, gerissener und hinterlistiger Bursche…“ begann der Obertribun. „Mag der Legat dir den großen Teil deines Schwindels abgenommen und, auf dem Weg zu seiner Wahrheit, einige Erkenntnisse gewonnen haben, ich jedoch glaube dir nur wenig und eines möchte ich dir versichern…“
„Willst du mir drohen?“ fuhr Tutor hoch.
„Ich drohe nie, ich verspreche nur!“ Aus Tremorinus sprach Gift. „Eine Drohung kann auch vollkommen leer sein, du kennst diesen Zusammenhang gewiss, ein Versprechen aber lässt immer Taten folgen…“ Der Gefangene verharrte in Schweigen.
„Wessen Name stand unter dem Dokument des Senats? Im Gegensatz zum Legat weiß ich, dass du gelogen hast… Also, ich warte…“
„Was möchtest du tun, mich töten, wenn ich schweige? Mir Schmerz zufügen… Alles das dürfte deinem Legat wenig gefallen…“
„Nein, wo denkst du hin… Ich bin kein Haudrauf und habe durchaus andere Möglichkeiten… Einige davon sind, weil mich mein Schicksal nach Britannien, Gallien, an den Rhenus nach Vetera, ins Noricum und auch zu den Armeniern trieb und ich überall Vorgesetzte, auch Legionäre, also zumeist Freunde zurückließ, die mir durchaus noch immer zugetan sind, werde dich von diesen verfolgen lassen… Immer wenn du glaubst unbeachtet zu sein, wird einer meiner früheren Gefährten auftauchen und dich bei deinen Eiern packen…“
Tremorinus griff zu und quetschte das, was dem Treverer zwischen den Beinen hing. „Verstehst du, was ich meine? Enttäuschst du meinen Legat, werden dir diese Dinger vielleicht irgendwann auch abgeschnitten…“
Der Gefangene schrie auf, japste nach Luft und wurde von einen vor der Tür stehenden Legionär erlöst.
Der Vorhang glitt zur Seite. „Herr,…“ zeigte sich ein Kopf „… brauchst du Hilfe?“
„Nein Miles… des Kerls Eier bekomme ich allein klein… Dazu brauche ich deine Pfoten nicht, aber danke der Nachfrage… Verschwinde oder glaubst du, ich fürchte mich vor einem Gefesselten?“
Der Kopf des Postens verschwand.
„So und jetzt möchte ich Namen hören… Und zwar solche, die auf dem Schreiben standen, sonst fallen schon jetzt deine Glocken…“
Plötzlich hielt Tremorinus einen kleinen, zierlichen Dolch in seiner Hand.
„Suetonius Paulinus stand darunter…“
So schnell der Name draußen war, so schnell griff Tremorinus zu.
„Nein nicht! Der Name stand nicht darauf…“ wimmerte der Gefangene und Tremorinus ließ los.
„Du siehst, ich meine das ernst… Also…“ grinste Tremorinus seine Bereitschaft.
„Ich gebe es zu, Paulinus war nicht dabei, dafür stand ein anderer Name darunter, den ich zuvor noch nie gehört hatte…“
„Ich höre noch immer…“
„Fonteius Capito, ein anderer Name war Gallus, soweit ich mich erinnere…“
„Ist das alles?“ Tremorinus wirkte ungehalten.
„Ein Turpilianus war noch dabei, die übrigen Beinamen konnte ich nicht erfassen…“
„Gut, das soll genügen… Ein Capito, Gallus und Turpilianus… Dein Glück, Treverer. Zukünftig denke stets an die Sicherheit deiner Glocken und an mein Versprechen…“
Tremorinus drehte sich ab, warf sich erneut in den Korbsessel. Er versank in seinen Gedanken. Es würde wohl ein langer Bericht an den Kopf der Adler der Evocati werden…
Der Treverer atmete auf, als sich der Obertribun von ihm zurückzog.
Kaum waren der Legat und Gerwin aus dem Praetorium getreten, als der Legat den Hermunduren am Arm ergriff. „Warte, der Optio interessiert mich nicht. Ich brauchte nur Zeit, mit dir ein neues Spiel zu durchdenken. Glaubst du wirklich, der Treverer würde mir nützlich sein?“
„Nein, Herr! Lassen wir ihn frei und glauben seinem Schwur, den wirst du ihm doch sicher noch abnehmen, verschwindet der Kerl trotzdem und wird von uns nicht gefunden werden können…“
„Dann stimmen wir darin überein. Er ist ein Diener der Brüder und bleibt es auch, sollten wir deren Glauben an dessen Treue nicht erschüttern…“
„Tust du aber genau das, werden sie ihn töten und du, Herr, besitzt auch keinen Nutzen…“ warf der junge Hermundure ein.
„Dann sind wir schon wieder der gleichen Meinung!“ Der Ältere sah den Jüngeren an und zum ersten Mal traf Gerwin das Gefühl einer Ehrlichkeit, die er diesem Fuchs eines Legats gar nicht zutraute…
„Siehst du einen Weg, das Leben dieses Treverer zu erhalten und ihn mehr an uns, als an seine bisherigen Freunde zu binden?“
„Herr, lass mich hier zurück, hole dir das Ergebnis der Folter und ich denke mir etwas aus…“
Der Legat legte den Weg zum Carcer zurück und kam nur kurz darauf erneut auf Gerwin zu. „Der Kerl ist tot!“ verkündete er wütend. „Der Carnifex erfuhr, erst mit dessen letztem Atemzug, dass ich dessen jüngeren Bruder beim Überfall erstach. Der Bruder war der Erste, der auf mich zu stürzte. An den Stoss erinnere ich mich noch…“
„Herr, ich habe eine Idee, weiß aber nicht, ob sie dir gefallen wird…“
„Sprich, das finden wir danach heraus…“
„Dieser Julius Tutor ist doch römischer Bürger, wie er uns versicherte… Damit steht dem Statthalter die Gerichtsbarkeit zu. Klagen wir den Mann vor Scribonius des versuchten Mordes an. Schildern wir den Überfall, bezeugen dessen Ergreifung und lassen den Statthalter im Dunkeln über die genaueren Umstände… Wer wird dir widersprechen, wenn du die Ergreifung des Mannes schilderst und ihn dabei wie einen Feigling und Dummkopf aussehen lässt… Meinst du, er wird widersprechen und versucht sein, sich selbst zu opfern? Zumal er zu diesen Zeitpunkt auch nicht erahnen kann, wohin ihn seine Reise mit uns führt…“
„Dieser Teil hört sich gut an…“ warf der Legat ein.
„Sagen wir, ich hätte ihn bewusstlos geschlagen und ihn ergriffen, als er sich vom Ort des Überfalls schleichen wollte. Wird mir Scribonius das zutrauen, ohne misstrauisch zu werden?“ fahndete der Germane nach des Legats Ansicht.
Verginius Rufus betrachtete sich Gerwin genauer. „Jeder sieht dir deine Jugend an. Letztlich bist du doch nur mein Diener… Warum soll dir nicht ein Glücksfall widerfahren sein, zumal der Kerl förmlich auf deine Füße zu kroch… Der Gladius in deiner Hand war wohl überzeugend genug.“ Rufus lächelte. „Du bist ein gerissener Hund! Und weiter…“
„Das reicht, um den Treverer vor dem Statthalter zu erniedrigen… Jetzt lügen wir ein wenig… Von den Brüdern, dem Senat und dem Auftrag zu deiner Tötung wird, aus unserer Richtung, kein Wort fallen. Das hört der kluge Treverer und wird sehr wohl begreifen, dass unser Schweigen dazu einen Grund besitzt.“
Gerwin lächelte den Legat an und dieser grinste zurück.
„Dafür bezichtigen wir ihn ein falscher Hund zu sein, der dir, im Auftrag der Gallier, einen Vorschlag unterbreitete, den du als Verrat an Rom bezeichnest und niemals annehmen würdest… Der Kerl verdiene den Tod, die schlimmste Folter und den Zorn aller gerechten Götter! Du kannst an dieser Stelle ruhig all deine Wut über den Überfall ausnutzen, nur musst du darauf achten, kein falsches Wort auszusprechen.“
Der Legat nickte. Er verstand und je weiter des Germanen Worte drängten, desto sicherer wurde er sich im bevorstehenden Spaß.
„Der Kerl ist doch Treverer, also auch ein Kelte und was liegt näher, als zu vermuten, dass der Kerl zu diesen Aufständischen gehört… Scribonius kennt doch diese Zusammenhänge…“ Gerwin wartete auf ein günstiges Zeichen des Legats, sah dessen Glitzern in den Augen und setzte fort: „Er könnte zwei Dinge glauben… Erstens könntest du von dem Haeduer selbst angesprochen worden sein… Das aber schließt du allein durch deine Wut gegenüber dem Treverer aus. In dem du den Namen des Haeduer, wir wissen ja das er diesen kennt, aus dessen Mund abforderst, täuschst du Scribonius und weist gleichzeitig auf deine Quelle für die Mitteilung hin. Was also wird der Statthalter glauben?“
Verginius Rufus schwieg. Er wartete und wollte des Hermunduren Gedanken nicht unterbrechen.
„Erst einmal begreift Scribonius bei dieser Anklage, dass der Treverer Julius Tutor, der diesen Anschlag vorbereitete und durchführte, sowohl zur Beteiligung der Brüder geschwiegen und in seinem Verhör nur vom Haeduer gesprochen hätte… Die Brüder sind, durch des Mannes Täuschung uns gegenüber, sicher und werden den Treverer, für seinen Misserfolg, kaum tadeln… Dessen Täuschung, so werden die Brüder glauben, schließt eine Widerholung des Anschlags doch nicht aus…“ Gerwin wartete, bis der Legat die Hinterlist erfasste.
„Auch Tutor ist über jeden Verdacht erhaben, ja er wird deren Bewunderung ernten, weil er uns erfolgreich zum Narren hielt. Letztlich glauben sie an seine Treue, ihnen und der Sache gegenüber… und lachen sich über unsere Dummheit tot. Was aber denkt der Treverer?“
„Hermundure Gerwin, ich zolle dir Hochachtung. So ein verwerflicher Plan wäre mir niemals eingefallen… Was denkt der Treverer?“ wiederholte der Legat Gerwins letzte Frage.
„Der Treverer sieht sich zwischen zwei Fronten, die ihn beide mit dem Tod bedrohen… Uns fürchtet er, weil nur ein Wort von dir, gegenüber dem Scribonius, dessen Tod bewirkt!“ Der Legat nickte gedankenverloren.
„Das begreift auch Julius Tutor sehr schnell. Weil wir ihn beim Statthalter lassen, könnte er uns, nach dieser Scharade, zwar verraten, doch das würde seine Glaubwürdigkeit deshalb erschüttern, weil er zuvor unsere Lügen mit trug. Dann eine weitere Täuschung anzuführen, er hätte nur geschwiegen, weil wir noch zugegen waren, dürfte bei Scribonius Proculus wenig Verständnis finden…“ Gerwin blickte zu dem neben ihm schreitenden Legat und grinste.
„Der Statthalter neigt zu Wutausbrüchen und erkennt dann kaum seinen eigenen Bruder! Warum sollte ihn dann der Tod des Julius Tutor beirren… Ist Tutor tot, dann ist es eben so… Wir haben keinen Schaden dadurch. Aber Tutor kennt die Brüder und soweit wie ich hörte, unterscheiden sich beide nicht so sehr… Also wird er des Statthalters Wut zu vermeiden trachten und einen derartigen Leichtsinnsfehler kaum begehen… Er wird an uns keinen Verrat begehen. Diese Sache ist zu fein geplant… Also bleibt er in der Gnade der Statthalter Scribonius, wird seinen Verrat an uns verschweigen und hoffen, dass sich an unserem Schweigen nichts ändert. Als Nächstes wird er sich unser Schweigen, mit der einen oder anderen Nachricht, erkaufen…“
Sie gingen langsam zurück, stiegen die Treppe hinauf und plötzlich hielt der Legat Gerwin zurück.
„Was machen wir mit Tremorinus?“ fragte er.
„Den nehmen wir mit! Der Obertribun ist ein zu kluger Mann und was weiß er schon? Sind wir zu dritt, wird es keiner wagen, uns anzugreifen… Außerdem, davon bin ich überzeugt, ist Tremorinus dir treu! Er weiß, was er dir verdankt und solange du Legat bis, bleibt er dir als Obertribun erhalten. Der Mann ist zu gut für einen anderen Posten und höher… kann er kaum steigen…“
„Diese Erkenntnis, Germane, sollten meine Götter gehört haben…“