Читать книгу Sag der Straße der Sünde auf Wiedersehen! 3 mitreißende Romane - G. S. Friebel - Страница 7
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ОглавлениеSeit Jahren lebten sie im selben Silo. Wie lange schon, das konnte keine von ihnen genau sagen. Man war einfach da! Hier führte man weder Tagebuch, noch merkte man sich sonst etwas. Überhaupt war dieses Haus wie ein Taubenschlag. Und wenn man länger als drei Jahre bei der Zunft war und hier wohnte, dann war man schon uralt. So wurde man von den neuen Dirnen gerufen. Natürlich bildeten sich die uralten Mädchen etwas ein, und man musste kuschen, sie erst fragen, wo man stehen durfte und so weiter. Dass sie außerdem die besten Zimmer hatten, darüber brauchte man wirklich kein Wort zu verlieren.
Puffwirt Ralph Schiel nahm sich auch nichts mehr heraus. Er hatte sogar ein wenig Angst vor den dreien. Und wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte er sie lieber von hinten als von vorn gesehen.
Die drei Mädchen hatten wirklich Haare auf den Zähnen. Und man sagte ihnen nach, dass sie V-Leute für die Bullen seien. Aber das konnte man nicht wirklich behaupten. Auf jeden Fall war man mit dem Quatschen vorsichtig, wenn man sie in der Nähe wusste. Wie sollte es denn auch sonst anders zugehen, dass sie keinen Zuhälter hatten und doch von der Zunft und Innung in Frieden gelassen wurden? Da war etwas im Busch, aber sie verrieten es selbstverständlich nicht. Und wenn wirklich mal ein neues Nüttchen vor Neugierde platzte und die drei fragte, dann blickten sie nur erstaunt und sagten: »Es hängt mit der Person zusammen. Wir haben es eben nicht nötig.«
Ja, so eingebildet und hochnäsig waren sie, und die anderen kochten vor Zorn, wenn sie sich mit den schummrigen Plätzen auf der Rampe zufriedengeben mussten. Sie konnten erst ins volle Licht treten, wenn eine von den dreien mit einem Freier oben auf dem Zimmer war. Aber sie kamen nur zu bald wieder herunter, und dann ging der Ärger von vorne los. Wie zum Teufel sollte man ordentlich Geld verdienen, wenn man den Kerlen nicht seine Reize vorgaukeln konnte. Die wollten doch erst was sehen, bevor sie anbissen. Hatten sie ihr Soll nicht zusammen, dann bekamen sie Prügel vom Zuhälter oder von dessen Hilu. Das Leben war wirklich nicht einfach im Puff. Und so manche kleine Hure weinte bittere Tränen, besonders dann, wenn sie nicht ganz freiwillig gekommen war. Und andere, die gehofft hatten, hier mal eben auf die Schnelle das große Geld zu machen, waren auch enttäuscht.
Gewiss, man verdiente in einer guten Nacht ziemlich viel. Hin und wieder konnte es sogar ein Tausender sein, und die Startüllen brachten es sogar auf zwei. Aber so leicht, wie man es verdiente, so leicht zerrann es auch zwischen den Fingern. Und dann sahnte ja zuerst mal der Zuhälter tüchtig ab.
Das Leben einer miesen, kleinen, ungeschützten Hure war wirklich nicht leicht. Einige stellten doch tatsächlich irgendeinen Knatsch an, bloß mal um in den Bunker zu kommen und gesiebte Luft zu atmen. Dann waren sie eine kurze Zeit von dem Zuhälter erlöst und konnten sich in Ruhe nachts ausschlafen, bekamen am Morgen keine Prügel, und zu hungern brauchte man im Knast auch nicht.
Aber manchmal hatten sie auch Pech, und man lochte sie gar nicht erst ein, sondern sie bekamen eine Verwarnung oder, was noch schlimmer war, eine Geldbuße, und dann ging der Zirkus erst richtig los. Die Polizei war ja nicht auf den Kopf gefallen. Die kannten ihre Pappenheimer. Es musste schon ganz dicke kommen, aber dazu waren sie meistens viel zu labil. Es kam öfter vor, dass eine ungehorsame Nutte abgemurkst wurde, als dass ein Zuhälter ins Gras beißen musste, obgleich so manche Dirne Tag für Tag mit Rachegedanken herumlief. Aber wenn sie es dann wirklich durchführen sollten, verließ sie der Mut, und so blieb alles beim Alten.
Wie gesagt, mit diesem Problem brauchten sich die drei Stammnutten nicht herumzuschlagen. Zuerst einmal war da Carola. Sie war an die vierzig, was auch an ein kleines Wunder grenzte. Die anderen Dirnen in ihrem Alter waren nicht mehr im Silo beschäftigt, sondern lagen ganz tief unten in der Gosse, und man konnte sie für drei Mark oder einen Schnaps so auf die Schnelle vernaschen.
Carola aber nicht, sie tat es überhaupt nicht unter fünfzig Märker, wie sie immer stolz sagte. Und es war wirklich nicht gelogen, wenn man sagte, dass die meisten Stammkunden ihr einen blauen Schein hinlegten. Und von diesen Kunden hatte sie eine ganze Menge.
Das verstanden die anderen Nutten einfach nicht. Das Alter, nun, das ging ja noch an. Mit viel Puder, falschen Wimpern und Zopf kann man sich auf jugendlich trimmen. Aber Carola war nicht nur vierzig – übrigens sah sie wirklich sehr gepflegt, aus, ohne falsche Mittelchen, das hatte sie noch nicht nötig – und sie war auch am ganzen Körper hübsch straff, richtig knuffig, wie einige ihrer Stammkunden lachend von ihr sagten. Carola war auch ziemlich dick, so etwas wie ein rollendes Tönnchen. Und darum hatte sie auch den Spitznamen Muttchen erhalten. Dass sie Carola hieß, das wusste nur noch die wenigsten. Die Neuen kannten sie nur als Muttchen und waren wirklich felsenfest davon überzeugt, dass sie Mutter von zwei bis drei Kindern war. Aber sie war, was diese Angelegenheit betraf, immer sehr fix und auf der Hut gewesen. Nicht dass sie Kinder hasste, im Gegenteil, sie liebte sie über alles. Aber sie wusste auch, wie sehr Kinder darunter zu leiden hatten, wenn die Mutter eine Hure war. Und sie in ein vornehmes Heim zu stecken, wie es die anderen Startüllen taten, davon hielt sie nichts. Liebe bekamen die Würmer dort auch nicht.
Muttchen hatte schwarzes Haar und blaue Augen. Sie waren so blau wie der Himmel im Hochsommer. Man konnte sie einfach nicht vergessen. Hatte man erst diese Augen entdeckt, vergaß man alles. Sie waren wie ein Magnet. Und darin strahlten sie außerdem auch noch so mütterlich. Da konnten die Männer einfach nicht Nein sagen. Auch der Mann mit den stärksten Nerven sah sich plötzlich nach dem Rausch im Bett von Muttchen und fühlte sich dann furchtbar schuldig, weil er doch seiner Frau treu bleiben wollte. Er war nur mal mit Kollegen und Freunden über die Straße gegangen. Oder auch einfach aus Neugierde, oder weil man es auch mal gesehen haben musste. Und dann war man eben auf Muttchen gestoßen. War um hundert Mark leichter und hatte nun dieses furchtbar eklige Gefühl in der Magengrube.
Muttchen kannte sich damit aus.
»Das ist doch kein Fremdgehen«, tröstete sie dann den zerknirschten Mann und tätschelte ihm die Schenkel. »Sieh mal, Jungchen«, sie sprach alle ihre Freier, ob jung oder alt, mit Jungchen an, »sieh mal, fremdgehen, der eigenen Frau richtig weh tun, das heißt, so ein gemeines Biest an der Hand zu haben, eine, die es nicht für Geld macht, aber die dich becirct und dich behext, dass du an nichts anderes mehr denken kannst, und die dir einen Floh ins Ohr setzt, dass du schon drauf und dran bist, deine nette Familie zu verlassen, alles für diese Xanthippe, das ist gemein.«
Der Mann sah sie sprachlos an.
»Wirklich?«
»Wenn ich dir das sage!«
Und dann kniff sie ein Auge zu, begann zu kichern und wälzte ihren massigen Körper recht elegant vom Lustbett herunter und sagte neckisch: »Oder hast du jetzt eben vielleicht mit dem Gedanken gespielt, mich zu ehelichen?«
»Nein, bei Zeus«, lachte der Kunde auf.
»Siehste! Also, wenn es dich ganz tüchtig beruhigt, dann denke doch einfach, ich sei eine Sehenswürdigkeit von Hamburg, die man gesehen haben muss.«
Da lachte der Mann schallend, und im gleichen Augenblick merkte er, dass er gar nicht mehr niedergeschlagen war.
»Du bist ein Original«, sagte er, noch immer lachend. »Wie heißt du eigentlich?«
»Muttchen!«
»Hast du keinen richtigen Namen?«
»Och, schon, aber da muss ich erst im Stammbuch nachsehen, weißte, den vergess ich immer so rasch.«
Wieder stieg das Lachen des Mannes gluckernd an die Oberfläche.
»Und man hat mir immer erzählt, alle Dirnen seien hier gemein und verdorben, und man müsse auf der Hut sein.«
»So, du sprichst also auch jedes Blabla nach, wie?«
Nun war sie wirklich ein bisschen böse, aber auch nur ein bisschen, denn wütend sein, das strengte an, und da konnte sie vielleicht ein Viertelpfündchen verlieren.
»Nein, nein«, sagte er rasch. »Ich bin doch fremd hier, nur auf einer Tagung. Man hat es mir gesagt, Muttchen. Würde ich das wirklich glauben, dann wäre ich doch gar nicht gekommen. Ist doch logisch, oder? Weil ich eben nicht das glaube, was man mir zuflüstert, darum bin ich gekommen. Ich wollte mich selbst davon überzeugen.«
Muttchen hatte sich jetzt wieder fix und fertig angezogen und kam hinter dem Wandschirm hervor. Sie warf einen kurzen Blick auf ihre Kuckucksuhr, sie war sehr für Nostalgie, und sagte: »Also, wenn du noch länger bleiben willst, musste was zuzahlen, deine Zeit ist um.«
»So genau bist du?«
»Wie eine Parkuhr, die kriegste auch nicht nur mit guten Sprüchen dazu, dass sie langsamer tippelt.«
Der Freier stand auf, küsste Muttchen die Hand und sagte: »Darf ich dich weiterempfehlen? «
»Also, wenn deine Freunde so sind wie du, dann ja! Aber schick mir bloß keinen blöden Landklüngel, denen das Geld in der Tasche fest angewachsen ist und die schon vom Glupschen eine nasse Hose kriegen. Also, die Sorte will ich nicht bei mir sehen, ich hab’ Stammkundschaft genug, klar?«
Nun war der Mann doch ein wenig verdattert. Las man nicht ständig in Zeitungen und Zeitschriften, dass die Nutten wild auf jeden Freier waren? Dass sie ihr Soll zu erfüllen hatten? Wieder ertappte er sich dabei, dass er wie die Allgemeinheit dachte. Er verkniff sich diese Frage und ging mit Muttchen nach unten.
Es war Vorschrift, wie so vieles im Silo, wovon die Freier nichts wussten. Würde er allein gehen, wäre der Teufel los, und wenn die anderen Dirnen das rechtzeitig bemerkten, konnte er damit rechnen, dass er den Hof überhaupt nicht verlassen konnte.
Kam der Freier allein aus dem Haus, war das das höchste Alarmzeichen, und wenn man sich vorher noch so gezankt und verfeindet hatte, dann hielten die Nutten zusammen, musste doch jede damit rechnen, dass sie die Nächste sein konnte. Eine Dirne lebte nun mal gefährlich, und wenn ein abartiger Kunde in Ekstase geriet, konnte das ganz gut geschehen, dass er sie so würgte, dass sie keine Luft mehr bekam und somit das Zeitliche segnete, schneller, als sie dazu Lust gehabt hatte,
Muttchen kam also unten auf der Rampe an und verabschiedete sich von ihrem neuen Kunden.
»Wenn ich wieder nach Hamburg komme, schaue ich herein!«
»Fein, darauf freue ich mich schon.«
Beschwingt traf er auf seine Freunde oder Kollegen. Natürlich waren die Führer Hamburger, und als er denen erzählte, mit wem er sein Schäferstündchen verbracht hatte, waren sie voll des Lobes ob seines guten Geschmacks.
»Muttchen hat doch Niveau, mit der macht das noch Riesenspaß, ehrlich, wenn sie bloß nicht so teuer wäre.«
Und in den nächsten Stunden lief der Mann mit geschwellter Brust herum und vergaß ganz, dass es einen Augenblick gegeben hatte, in dem er ganz geknickt gewesen war und Muttchen ihn wieder aufrichten musste. Dieses stolze und glückliche Gefühl hielt sehr lange an, und er musste wirklich an sich halten, um nicht seiner Frau von Muttchen zu erzählen. Aber da hatte er doch das dumpfe Gefühl, dass sie nicht ganz so lustig zuhören würde wie die Kollegen und Freunde.
Die zweite im Bunde, das war Gerda oder auch die Bohnenstange genannt. Im Puff war man sehr schnell mit Spitznamen, und sie trafen auch immer wie die Faust aufs Auge.
Gerda war dreißig Jahre alt, hatte kastanienbraunes Haar, braune Augen und war groß und sehr schlank. Zuerst wollte man sie Twiggy nennen, aber dazu war sie zu groß und zu dunkel und zu alt. So nannte man sie Bohnenstange. Aber wenn man jetzt glaubte, sie sei auch so dünn und platt wie ein Bügelbrett, irrte man sich gewaltig. Ihr Erker, oder Balkon, wie die Bayern es nannten, der war nicht zu verachten. Sie hatte genug Holz vor der Tür, um die Männer wild zu machen. Das war es ja eben, was sie so verwirrte. Da stand nun die Bohnenstange auf der Rampe, von unten angestrahlt. Im Hof die Freier, die Gesichter emporgereckt wie Fische im Wasser, die nach Luft schnappten. Und dann sah man nur Beine, Beine, die in den Himmel zu wachsen schienen. Herrliche Beine, du mein Gott, rassige Beine, und dann wippten sie auch noch, und man bekam einen ganz engen Hals, und die Krawatte musste erst gelockert werden.
Du meine Güte, einmal über die Beine streicheln, das musste die Seligkeit sein. Aber dann besann man sich einen Augenblick später, dass die Liebe nicht aus Beinen bestand. Dass man eben noch ein wenig mehr wollte zum Knutschen. Besonders bei einer Dirne. Schon wollte man sich enttäuscht zur nächsten wenden, man warf nur noch eben einen letzten Blick auf dieses seltsame Geschöpf, und der blieb eben an den Butterballen hängen. Man war verdutzt. Die Relativitätstheorie kam ins Wanken. Das gab es doch nicht, man wusste doch ganz genau, hatte man ein dünnes Weib vor sich, hatte dieses auch keinen Busen. Damit musste man sich abfinden, wenn man daheim so ein Exemplar hinter dem Ofen sitzen hatte. Aber dieses Lustgeschöpf hatte einen! Man kniff die Augen zusammen, schließlich hielt man sich für einen Experten in dieser Sache. Das ging eben nicht mit rechten Dingen zu. Natürlich, diese verdammte Hure hatte sich ausgestopft. Man sollte nur darauf reinfallen, und wenn man erst mal im Zimmer war, dann musste man die Bundesmücken hinblättern und hatte dasselbe Malheur wie zu Hause. Nee, wenn man schon auf den Strich ging, dann wollte man auch sein Vergnügen haben. Obwohl die Beine einem ganz schön das Gehirn durcheinanderwirbelten.
Wütend keifte man dann nach oben, schließlich standen sie auf der Rampe, und man kam sich ziemlich mickerig vor. Nicht mehr der überhebliche Mann, nein, klein und getreten.
»Bilde dir bloß nicht ein, ich fiele auf deine Tricks herein.« Ja, so mutig kann man sein und eine Nutte ankeifen.
Die Bohnenstange stand gelangweilt da, hob nur ein Lid und blickte träge das Männchen zu ihren Füßen an. Im Geiste rechnete sie aber dabei fix, ob es sich lohnte, mit dem da anzufangen, oder nicht. Denn auch sie hielt auf Charakter, das hieß, unter vierzig tat sie es nicht. Meistens bezahlten die Kunden viel mehr, und für eine schnelle Sache war sie auch nicht. Schließlich dauerte das An- und Ausziehen eben seine Zeit, und sie wollte sich während der Arbeit keinen Herzinfarkt holen.
Das Männchen hatte die Prüfung bestanden. Die Bohnenstange hielt ihn für wert und hatte seine Brieftasche richtig eintaxiert.
»Welchen Trick meinst du denn überhaupt, Süßer?«
»Wetten, dass du im Monat einen Haufen Watte brauchst?«, sagte er lachend.
»Was du nicht alles weißt«, tat sie erstaunt. »Aber du hast wirklich recht, mein Watteverbrauch ist ziemlich groß. Schließlich muss man sein Gesicht mit Gesichtswasser behandeln, wenn man nicht mit vierzig wie seine eigene Großmutter aussehen will.«
Vorhin hatten die Umstehenden noch mit dem Mann zusammen gelacht. Aber nun hatten sie sich zur Nutte geschlagen.
»Eins zu Null«, lachte sie. »Verloren.«
»Natürlich hat sie ihren Busen ausgestopft«, schrie der Mann. »Wenn nicht mit Watte, dann mit Äpfeln. Ich kenne mich da aus.«
»Wirklich!«, sagte Gerda kühl. »Also, ich hab’ ja ein verdammt gutes Gedächtnis, aber vielleicht weiß ich wirklich nicht mehr, ob du mal bei mir warst oder nicht.«
Das Gelächter brandete an der Häuserwand empor. Der Freier kam sich getreten und geschwunden vor.
»Geh doch rauf und überzeug dich«, frotzelten sie weiter. In der Masse war man ja so stark. Man fiel dann erbarmungslos über einen Wehrlosen her. Und wenn es auch nur zur Gaudi war. Aber der, der gemeint war, wand sich wie ein Wurm. Und er wusste ganz genau, wenn er jetzt ging, dann durfte er sich nie mehr hier blicken lassen. Und was noch viel schlimmer war, das Lachen würde ihn viele Straßen lang begleiten. Lust auf eine Dirne hatte er schon lange nicht mehr. Und dabei war er vorhin so voller Tatendrang gewesen.
Ganz weiß im Gesicht sprang er auf die Rampe und stellte sich neben die Bohnenstange.
»Das sage ich dir, du verdammte Hure, wenn du mich angeschmiert hast, kriegst du keinen Pfennig, hast du mich verstanden? Und außerdem blamier ich dich vor den ganzen Kerlen. Überleg es dir also, ob du mit mir gehst oder nicht.«
Wieder dieser träge Blick.
»Du gefällst mir, du sollst es nicht bereuen.« Und jetzt tat sie etwas sehr Nettes. Die Männer standen mit gespannten und schadenfrohen Gesichtern im Hof. Sie alle glaubten, die Dirne sei auf ihrer Seite und wollten dem Freier bis zur letzten Sekunde das Blut kochend machen. Gerda vollendete ihren Satz. ».... sollst es nicht bereuen. Du bist der einzige, mit dem ich schlafen würde. Die anderen gehen mich einen Dreck an. Und jetzt komm.«
Tödliche Stille im Hof. Der Mann aber ging stolz hinter der Dirne ins Haus. Und weil sie Partei für ihn ergriffen hatte, war seine Dankbarkeit so groß, dass er sich auf der Treppe sagte: Wenn sie einen ausgestopften Busen hat, wird es keiner dieser Hunde erfahren. Ich werde schweigen wie ein Grab. Sie ist doch richtig nett.
So mit Freiern umzuspringen, das konnten sich eben nur diese drei im Silo erlauben. Die Zuhälter im Hintergrund, die ihre Pferdchen auf der Rampe stehen hatten, krümmten sich mitunter wie ein Wurm, aber sie griffen nicht ein.
Und was den Freier betraf, der sich zuerst für geneppt hielt, der sollte sein blaues Wunder im Zimmer der Dirne erleben. Nicht nur, dass er mit seinen eigenen Augen sehen konnte, dass sie wirklich nicht ausgestopft war, nein, er sollte auch eine Liebe kennenlernen, von der ein einfacher Mann nur träumt. Er war so hingerissen von ihr, dass er meistens ihr Stammkunde wurde.
Gerda hatte mal eine Zeitlang in Paris gelebt und die Liebe studiert wie keine andere Dirne in Hamburg. Sie hatte sich wirklich Notizen gemacht und darüber nachgedacht. Für sie war Dirne ein richtiger Beruf, da war nichts Gemeines dran, sie nahm ihn ernst und gab bei jedem Kunden ihr Ganzes her. Und nicht das Geld befriedigte sie, sondern, wenn sie sah, dass sie einem unzufriedenen Kunden vom Hof wirkliches Glück gebracht hatte.
So kam es oft vor, dass sie mehr Geld bekam, als sie forderte. Und im guten Einvernehmen ging man auseinander.
Gerda konnte wirklich mit ihrem Bankkonto zufrieden sein, so wie Muttchen.
Die dritte im Bunde war Tiger-Lilly. Rassig, mit langen schwarzen Haaren und ebenso schwarzen, funkelnden Augen. Sie war immer elegant gekleidet und bevorzugte teures Parfüm. Das war Tiger-Lilly, oder auch Linda genannt. Sie war fünfundzwanzig Jahre alt und das Küken, aber eines hatte sie mit den beiden gemeinsam, sie war genauso zäh und hart im Nehmen. Und noch eins, sie war nicht dumm, o nein. Nur die wenigsten ihrer Kunden wussten, dass sie das Abitur hatte. Es hatte auch einmal eine Zeit gegeben, da hatte sie studieren wollen, aber das war schon lange vorbei.
Tiger-Lilly war zu ihrer Arbeit im Puff nicht gezwungen worden. Aus freien Stücken war sie eines Tages im Silo aufgetaucht, so wie Carola und Gerda. Die Arbeit machte ihr einfach Spaß, sie wollte sich in keine Form pressen lassen, wie sie immer sägte. Wenn man Tiger-Lilly kennenlernte, musste man unwillkürlich an die Mätressen von früher denken. Natürlich hatte sie viele Liebhaber und nicht nur einen sehr reichen, wie es damals der Fall war. Für laufende Kundschaft gab sie sich nur selten her.
Sie war nicht nur das Küken in der Runde, sie war auch das Lachpferdchen, immer hatte sie einen neuen Witz auf Lager, und sie nahm einfach nichts krumm.
Was ihr am meisten Freude machte, das waren schicke Kleider. Und den Namen hatte sie auch deswegen bekommen. Und zwar, weil sie fast ohne Ausnahme Lederkleidung trug. Nicht die, die gewöhnliche Sterbliche zu kaufen pflegten. O nein, die blickte sie nicht mal an. Zum Beispiel ihr letzter Schrei. Anders konnte man ihn wirklich nicht nennen.
Zu ihrem schwarzen Haar hatte sie sich ein giftgrünes, hautenges Schlangenlederkleid gekauft. Es sah einfach umwerfend aus, und wenn es in der Mitte nicht geschlitzt gewesen wäre, hätte sie sich nicht mal darin bewegen können, so eng war es. Sie musste nackt darunter sein, sonst hätte sich alles abgezeichnet. Tiger-Lilly hatte einmal gesagt, sie brauche diesen Reiz auf ihrer Haut. Lang und breit hatte sie dann allen, die es hören wollten, erklärt, wie sich das Leder um die Haut schmeicheln würde, wenn man auch nur einen Schritt damit machte.
Natürlich war das Geschmackssache, und nicht jeder konnte so etwas tragen und es sich schon gar nicht kaufen, weil es ein Sündengeld kostete. Aber Lilly tat alles dafür.
Kein Wunder also, dass die Kunden weg waren, wenn sich Lilly mal unten auf der Rampe zeigte. Und eben in der Kleidung sah sie gefährlich aus, man hatte das Gefühl, ein Raubtier vor sich zu haben, das nur die Krallen eingezogen hatte. Und so war sie denn zu ihrem Spitznamen gekommen, auf den sie übrigens sehr stolz war.
Diese drei Dirnen waren also die Säulen des Bordells an der Ecke. Auf der Straße gab es noch mehrere Silos. Aber dieses war mit Abstand das beste. Die anderen Mädchen waren aber auch nicht zu verachten, sie mussten schon gut sein, sonst hätten sie neben diesen Mädchen ein schweres Auskommen gehabt.
Aber wie gesagt, keine war so lange hier wie die drei. Weshalb sie keinen Beschützer hatten, darüber zerbrach sich die ganze Straße den Kopf. Natürlich hatten es einige Zuhälter versucht, diese Mädchen einzufangen. Doch sie bissen da auf Granit. Das erste, was die drei getan hatten, war, sofort mit der Arbeit aufzuhören. Unmissverständlich. Und als man ihnen Prügel androhte, hatten sie ihrerseits gesagt, sie würden eine Anzeige wegen Zuhälterei erstatten, die ja in Deutschland verboten war. Daraufhin hatten die Zuhälter eine furchtbare Wut auf die Mädchen. Aber was sollten sie tun? Unter Zwang gingen sie nicht auf den Strich. Sollten sie sie einfach umbringen? Sie dachten wohl daran, aber dann hätten sie einen Mord auf dem Gewissen gehabt. Und die drei hatten doch tatsächlich verbreiten lassen, dass die Polizei bestimmte Namen vorliegen hätte. Wenn ihnen etwas passieren würde, dann würde man schon den richtigen Kerl herausfischen und in den Bunker stecken. Und das für alle Zeiten.
Man hatte sie aus dem Silo geworfen, denn solche Nutten konnte man dort auf keinen Fall gebrauchen. Würden die anderen dann nicht vielleicht auch aufsässig werden? Das Ende vom Lied: Die drei nisteten sich in der Vorstadt ein, und die Männer kamen in Scharen. Mit der Zeit sprach sich das herum, und sie wollten sie alle sehen. Der Zustrom ließ merklich nach, der Silo an der Ecke verwaiste. Dort gab es nur noch ziemlich abgetakelte Dirnen. Man wollte aber mal außergewöhnliche Ware sehen und auch kaufen können.
Die Zuhälter der Straße hatten sich zusammengetan und beratschlagt. Langsam bekamen sie so etwas wie Hochachtung vor den dreien. So handeln konnte nur jemand, der einen eisernen Willen besaß und nicht auf den Kopf gefallen war. Und selbstverständlich musste man eine schussbereite Knarre jederzeit zur Hand haben. Dieses den Zuhältern zu hinterbringen war denn wirklich nicht schwer gewesen. Die drei Mädchen überließen nichts dem Zufall.
In der Vorstadt verdienten sie nicht schlecht. Aber dort kamen sie mit der normalen Welt zu sehr in Kontakt, und sie hatten viele Schwierigkeiten, besonders mit den dort ansässigen Frauen. Diese versuchten die Dirnen zu vertreiben, denn sie hatten Angst, dass ihre Männer und Söhne das schwer verdiente Geld zu diesen leichten Weibern brachten.
Linda, Gerda und Carola verhielten sich äußerst korrekt und sehr diskret und zurückhaltend. Sie machten nie Stunk oder schimpften herum, wie es andere gemeine Dirnen zu tun pflegten, wenn sie angegriffen wurden. Aber es half nichts, es war jedes Mal ein Spießrutenlaufen, wenn sie ihr Haus verließen. Und den Kunden ging es nicht anders.
Sie hatten schon beschlossen, Hamburg ganz zu verlassen, als das Angebot der Zuhälter kam. Zuerst hielten sie es für eine Finte und dachten gründlich darüber nach.
Das Angebot lautete folgendermaßen: Sie durften in das Ecksilo zurück, brauchten keinen Beitrag an die Innung zu bezahlen, konnten frei arbeiten, mussten aber dafür jede Nutte, die man neben sie stellte, dulden, durften über diese nicht schimpfen und die Freier von diesen fernhalten. Sobald sie aber an Zugkraft verlören, würden sie hinausgeworfen.
Die Zuhälter hatten zum ersten Male klug nachgedacht und nicht einfach wild losgeprügelt oder sie auf andere Art und Weise aus dem Verkehr gezogen. Anfangs hatten sie es versucht, aber nun sahen sie selbst, was sie damit angerichtet hatten. Mit Recht hofften sie auch, wenn die drei wieder da waren, würde der Zustrom stärker werden, und sie konnten nicht alle Freier bedienen. Außerdem hatten sie die drei sehr genau beobachtet und festgestellt, dass es meistens Stammkunden waren, die zu ihnen kamen. Die blieben dann so lange, dass sie viel Zeit mit ihnen verbrachten und wenig auf der Rampe standen.
Die Männer, die erst mal den Kontakthof betreten hatten, das war ja am schwierigsten, wollten auch mit einer Dirne schlafen. Waren die drei besetzt, dann nahmen sie eben ein anderes Mädchen. Und die Zuhälter hatten wirklich nichts dagegen, dass die drei ihre Preise immer mehr in die Höhe schraubten, denn die meisten Kunden waren knickerig und freuten sich, wenn sie ein anderes Mädchen für weniger Geld bekommen konnten. Viele waren ja schon froh, nur einen Blick auf die drei berühmtesten Nutten geworden zu haben.
Linda, Gerda und Carola dachten sich die Zukunft natürlich anders, aber sie sagten nichts davon. Wichtig war erst einmal, dass sie von hier fortkamen. Wenn man sie im Silo in Ruhe ließ, nun denn, dann konnten sie ungestört arbeiten.
Linda wurde als Abordnung zu den Zuhältern geschickt.
»Wir sind damit einverstanden. Aber wenn ihr euer Versprechen nicht haltet, so sind wir auch an nichts gebunden, klar? «
»Klar«, sagten sie.
So waren sie denn wieder eingezogen, und gleich in der ersten Nacht war der Zustrom so gewaltig, dass ein paar Hilus den Verkehr in der Durchfahrt regeln mussten. Der Andrang der Männer war so stark, dass die, die hinauswollten, von den Nachdrängenden einfach wieder zurückgeschoben wurden und somit überhaupt nicht Platz machen konnten.
Am Nachmittag war nämlich das Gerücht wie ein Lauffeuer durch sämtliche Kneipen und Bars gegangen. »Die drei haben den Kleinkrieg gegen die Zuhälter gewonnen.« Und die Taxifahrer, die auch alles wussten, gaben diese Kunde an die weiter, die sie um Auskunft fragten. Und das waren sehr viele Kunden, besonders nachts. Wer nach Hamburg kam, wollte nun mal was erleben. Man hatte so viel von der berühmten Straße gehört.
Gerda, Tiger-Lilly und Muttchen hatten alle Hände voll zu tun. Die Stammkunden hielten sich heute völlig zurück, denn diese Hetze waren sie nicht gewöhnt. Aber auch die anderen zehn Dirnen kamen aus der Arbeit nicht heraus. Diese Nacht brach alle Rekorde. Und als sie am Morgen den letzten Kunden nach unten brachten, konnten sie weder sitzen noch stehen. Sie hatten so viel eingenommen, dass sie ruhig einmal rund um die Uhr schlafen konnten.
Der Auftakt war wirklich ein Erfolg, und die Zuhälter rieben sich die Hände. Sie beglückwünschten sich gegenseitig.
»Das war schon lange nicht mehr so. Herrje, die Nutten sind wirklich Klasse. Wenn wir doch unsere Pferdchen auch so erziehen könnten, dass sie eine persönliche Note haben.«
Sie dachten darüber nach, wie man das wohl bewerkstelligen könnte, aber auf die Idee, dass sie es selbst waren, die alles zerstörten, kamen sie natürlich nicht. Sobald einem Zuhälter ein Mädchen in die Hände fällt, ist es gewöhnlich für alle Zeiten verloren. Er bricht ihm den Willen und das moralische Rückgrat. Der Beruf bringt es dann außerdem mit sich, dass sie sehr labil werden. So leben sie nur apathisch vor sich hin und sind froh, wenn sie jeden Morgen ihr Soll erfüllt haben und sie nicht noch grün und blau geschlagen werden. Sich gegen einen Zuhälter aufzulehnen, dass hieß wirklich, Mut zu besitzen. Die drei waren zäh und hatten diesen Beruf eben ganz anders angepackt. Das war ihr Geheimnis.
Sie verdienten in der Folgezeit recht viel, aber doch nicht so viel wie die Luxusdirnen. Davon gab es in der Stadt natürlich auch einige. Die waren sehr reich und hatten jeden Luxus, sie bedienten auch nur prominente Kunden. Aber sie blieben auch nur Dirnen, wenn auch pelzverbrämte.
Tiger-Lilly, die Bohnenstange und Muttchen wussten ganz genau, dass sie gesellschaftlich eine Stufe tiefer standen. Und dass es für sie sehr schwer sein würde, in die normale Gesellschaft zurückzukehren und von dieser anerkannt zu werden. Grundbedingung war natürlich, dass man erst einmal viel Geld hatte. Geld deckt viele Schandflecke zu, das ist schon eine alte Weisheit.
Sie hatten alle drei den Wunsch, eines Tages damit aufzuhören. Und weil sie sich schon so lange kannten, hatte sich zwischen den dreien so etwas wie Freundschaft entwickelt. Das gab es auch sehr selten im Dirnenmilieu. Freundschaft, Liebe, das waren Dinge, daran glaubte man nicht mehr.
Tiger-Lilly, die Jüngste, machte sich die wenigsten Sorgen. Sie hatte eines Tages den Ausspruch getan: »Kinder, wenn wir zusammen eine Million vorzeigen können, dann hauen wir von hier ab und machen auf ganz nobel. Was haltet ihr davon?«
»Die Idee ist wirklich nicht schlecht«, meinte Muttchen nachdenklich. »Aber was fangen wir mit dem Geld an?«
»Na, was denn schon? Irgendeinen Laden machen wir auf.«
»Ach nee, da muss man ja richtig arbeiten«, maulte Bohnenstange.
»Oder eine Bar«, sagte Muttchen.
»Dann säufst du dich tot«, lachte Tiger-Lilly.
»Was also dann?«
»Ach, wenn es soweit ist, dann fällt mir schon was ein. Ihr werdet schon sehen, ich bringe uns alle unter einen Hut.«
»Na, da bin ich aber wirklich gespannt.«
Sie hatten das Geld noch nicht zusammen. Aber Tiger-Lilly war der Ansicht, dass man auch jetzt nicht den Kontakt verlieren dürfe.
»Was willst du damit sagen?«, wollte Muttchen wissen.
»Das ist doch ganz klar, sonnenklar. Solange wir hier leben, sind wir in gewisser Weise abgeschirmt und können uns benehmen, wie wir wollen. Wir kriegen keinen Stunk. Hier sind sie alle von der Zunft. Hinter der Mauer beginnt das andere Leben. Wenn wir den Anschluss versäumen, ecken wir später ständig an, und die merken sofort, dass mit uns etwas nicht stimmt.«
»Kapier ich noch immer nicht«, sagte Bohnenstange.
»Pass mal auf, wenn du ein paar Jährchen im Knast bist, siehste und hörste nichts, von wegen Politik und Kultur und so’n Kram. Und dann kommste raus und bist hilflos wie so’n Baby. So ergeht es uns auch, wenn wir nicht aufpassen. Wir müssen uns auf dem Laufenden halten, Kinder. Wir dürfen einfach die Fehler der anderen nicht auch machen, sonst riskieren wir eine Bauchlandung und bleiben ewig bezahlte Dirnen, und dazu hab’ ich wirklich keine Lust.« Tiger-Lilly starrte abwesend vor sich hin.
»He, ist bei dir ’ne Schraube locker, oder warum stierst du so komisch herum?« Muttchen stieß sie an.
»Ich denke gerade über etwas nach.«
»Und worüber?«
»Wie das mit dem Lieben wirklich ist! Ob man wirklich Spaß dabei hat, und dann dieser ganze Kram, den man in den Romanen lesen kann. So richtig mit Herz und Treue und Schwüren. Ist das nicht alles großer Schwindel?«
»Es gibt sie wirklich«, sagte die Bohnenstange. »Ich habe sie schon erlebt.«
»Mann, dann erzähl doch mal«, rief Tiger-Lilly. »Los, wie war es denn wirklich? Haste wirklich so’n Herzpumpern gehabt und all so’n Quatsch mit Rotwerden und Händchenhalten?«
»Du weißt ja eine ganze Menge«, meinte die Bohnenstange.
»Ich bin ja nicht von gestern, außerdem les ich haufenweise Liebesromane, aber ich glaub den Quatsch einfach nicht.«
»Es ist aber trotzdem wahr, und das war auch der Grund, weswegen ich hierher kam. Ich hatte es satt und wollte es vergessen.«
»Mann, also ist doch ein Kerl schuld daran, du meine Güte.«
»Früher, da ging man aus Liebeskummer ins Kloster«, sagte die Bohnenstange.
Tiger-Lilly war nachdenklich geworden. Sie hatte auf einmal ein richtig komisches Gefühl in der Magengegend. Sie blickte die Bohnenstange von der Seite an. Diese machte aber ein ganz kühles Gesicht. Sie wusste also mehr, viel mehr! Herrje, sie hätte was darum gegeben, zu wissen, wie es war.
»Hast du denn wirklich noch nie geliebt?«, staunte nun auch Muttchen. »Ich meine, hast du noch nie was dabei empfunden, wenn du mit einem Kerl schläfst? «
»Nee, es macht mir Spaß, wie die sich da abstrampeln, ehrlich, und ich muss höllisch aufpassen, dass ich nicht vor Lachen losplatze, das gäbe dann Ärger.«
»Aber die wollen doch, dass die Hure mitmacht, dass sie das Gefühl haben, uns so richtig glücklich gemacht zu haben.«
»Na klar weiß ich das, und das bisschen Stöhnen und so, das ist doch nun wirklich nicht schwer. Das mach ich mit der linken Hand. Bin eine feine Schauspielerin. Sagt jetzt bloß, ihr habt Spaß an der Freud?«
»Früher hatte ich einen festen Freund«, sagte Muttchen. »Mit dem hab’ ich mich fein amüsiert, und wir hatten mächtig tolle Liebesstunden. Also das kannst du nicht verstehen, wenn du das nicht selbst erlebt hast.«
Fast so etwas wie Neid stieg in ihr hoch. Die beiden wussten es also ganz genau.
»Wie kann ich das denn nun lernen?«
»Tja, das ist wirklich nicht so einfach. Da musste einen Mann haben, den du schon mal liebst, verstehst du, mit dem Herzen, der dich rein verrückt macht. Das andere kommt dann ganz von selbst. Wichtig ist, dass ihr euch beide liebt.«
»Und wo findet man nun so einen Kerl?«
»Hier in der Puffstraße ganz bestimmt nicht«, sagte Muttchen.
Tiger-Lilly schob ihr Kinn vor. »Also wenn das so ist, dann werde ich es lernen, wenn wir wieder anständig geworden sind. Vielleicht hab’ ich dann auch ein Gefühl dafür.«
»Mein Gott, Lilly, du stellst dir das so einfach vor. Du verstehst wohl noch nicht, dass wir für alle Zeiten einen Stempel aufgedrückt bekommen haben, wie?«
»Nee, wenn wir uns anpassen, ich meine, wenn keiner was merkt? «
Und jetzt war sie wieder beim alten Thema.
»Haste eben schon mal von gesprochen.«
»Ach ja, hab’ ich schon wieder vergessen. Also, wir werden den Kontakt nicht abbrechen. Dazu gehört, dass wir regelmäßig in die Stadt gehen, nobel essen, feine Lokale aufsuchen und uns gesittet benehmen, und das Theater müssen wir auch besuchen und Konzerte und so. Das gehört alles zur feinen Bildung. Wenn man Geld hat, erwartet man das einfach. Kapiert?«
Die Bohnenstange und Muttchen schnappten nach Luft.«
»Du bist wohl total verrückt, was? Theater? Das hab’ ich ja noch nie von innen gesehen.«
»Dann wird es höchste Zeit«, schnaufte sie. »Ich werd das schon alles machen. Wenn wir nicht als Sumpfschicksen enden wollen, und darauf warten die Aasgeier doch nur, dann müssen wir auch an uns arbeiten.«
Damit hatte sie genau ins Schwarze getroffen. Die Zuhälter sagten sich: Lange bleiben sie nicht die Startüllen im Viertel, und dann schlagen wir zu, dann gehören sie uns, und wir kommen an ihr Geld.
Die drei Dirnen wussten das ganz genau. Zwar lebten sie nun schon fünf Jahre im Viertel. Aber Muttchen war schon vierzig, es wurde also wirklich langsam Zeit, dass sie sich etwas ausdachten.
Gerda meinte: »Wenn wir noch ein Jahr machen und nicht so viel Geld ausgeben, ich meine, dann hätten wir den Brocken zusammen. Und dann ziehen wir ab. Nur schade, dass das heimlich geschehen muss. Die Gesichter möchte ich sehen, wenn sie merken, dass wir ihnen durch die Lappen gegangen sind.«
Tiger-Lilly kicherte.
»Na, dann fangen wir gleich morgen an.«
Muttchen wurde schon ganz schwach, und die Fransen an ihrem Kleid begannen zu zittern.
»Was muss ich denn tun? Also hungern tu ich nicht, klar? «
»Das brauchst du doch nicht, du bist doch unser Muttchen und führst deine erwachsenen Töchter aus.«
»Nun denn«, schnaufte Bohnenstange, die schwer zu begeistern war. Sie war nämlich sehr faul und schlief für ihr Leben gern.
»Zuerst einmal müssen wir uns alle anständige Kleidung kaufen«, sagte Tiger-Lilly.
»Waaas? Meine Sachen sind anständig«, keuchte Muttchen.
»Ja, aber viel zu auffällig. Für hier sind sie schick, aber ich war heute in der Stadt und hab’ genau aufgepasst, was man trägt. Dezent muss es sein.«
»Du liebe Güte.«
»Und wir müssen vornehm sprechen lernen. Gesittet, so mit spitzem Mund, und nicht so laut, klar.«
Die Bohnenstange amüsierte sich über Muttchens Gesicht.
»Mitgefangen, mitgehangen.«
»Und weil wir heute sowieso einen auf Lau machen wollen, fangen wir sofort damit an.«
Muttchens Fransen hörten gar nicht mehr auf zu wackeln. »Könnt ihr das nicht ohne mich?«, schnaubte sie. »Ich hab’ heute keine Zeit, ich …«
»Was hast du denn so Wichtiges vor?«, bohrte Tiger-Lilly hartnäckig weiter.
Wenn sie mal einen Gedanken hatte, dann musste sie ihn auch gleich in die Tat umsetzen, da kannte sie kein Pardon.
Die Bohnenstange fand das alles sehr lustig, aber Muttchen wollte ihre Ruhe, und überhaupt, warum ausgerechnet heute? Morgen war doch auch noch ein Tag.
»Ich, ich wollte, ja, ich wollte …« So stotterte sie herum und überlegte fieberhaft, welche Ausrede sie gebrauchen konnte. Aber ihr fiel so schnell keine ein.
»Siehste«, triumphierte Tiger-Lilly. »Du willst nur kneifen, das kommt aber nicht in Frage. Jetzt baden wir fein, ziehen uns an, und dann gehen wir los.«
Muttchen erhob sich und schleppte sich zur Tür. Mit der Zeit hatte sie gelernt, dass es bequemer war, Linda nicht zu widersprechen. Das würde auch noch vorübergehen. Überhaupt, die Kleine bildet sich da so einiges ein. Nun, sie würde von selbst von ihrem Höhenflug herunterkommen. Und dann kicherte sie auf der Treppe, als sie daran dachte, was Linda vorhin gesagt hatte. Drei Nutten im Theater, o du liebe Güte, das war noch nie dagewesen, und wenn die Leute das erführen, würde es einen Aufstand geben, todsicher.
Als sie sich dann in die Wanne gesetzt hatte und eifrig planschte, grübelte sie aber doch über alles nach und kam zu dem Entschluss: Warum eigentlich nicht? Sie waren Menschen wie alle anderen auch, und ein Theater war ein öffentliches Gebäude. Tiger-Lilly hatte wirklich recht, na klar, sie durften nicht den Anschluss verpassen. Und als Schlampe wollte sie nicht enden. Noch hatte sie Stammfreier genug und brauchte sich keine neuen dazu zu suchen. Wenn sie trotzdem hin und wieder unten auf der Rampe stand, dann nur, um sich ein wenig mit den anderen Dirnen zu unterhalten. Außerdem war ein neuer Kerl in ihrer Menagerie auch nicht zu verachten. Richtig lustig konnte das werden.
Sie hatte sich genügend geschrubbt und ging in ihr Zimmer, um Ausschau nach dezenter Kleidung zu halten. So sehr sie auch den Schrank durchsuchte, sie fand nichts Richtiges. Sie hatte nun mal einen Tick für knallige Farben, obgleich die ihr gar nicht gut standen. Aber sie liebte sie heiß und innig. Als sie dann wenig später mit dem Täschchen startbereit auf dem Flur stand, bunt wie ein Papagei, fielen Tiger-Lilly bald die Augen aus dem Kopf.
»Bist du übergeschnappt?«
»Wenn ich nackt gehe, dann sehe ich dezent aus«, kicherte Muttchen. »Soll ich?«
Lilly suchte, fand aber keinen Ersatz und musste sich fügen. Zum Glück sah die Bohnenstange etwas manierlicher aus.
»Aber jetzt werde ich die Kleiderfrage übernehmen«, sagte Lilly mit strenger Miene.
»Sollen wir uns das von dem Küken gefallen lassen?«, wandte sich Muttchen an Gerda.
»Immer machen lassen. Ist doch ganz lustig so, oder?«
»Na ja, wir wissen ja noch nicht, was auf uns zukommt«, sagte Carola.
»Nur nicht wundern und die Klappe halten«, lachte Lilly und marschierte los.
Als sie ein Taxi herbei winkte, hellten sich Carolas Züge merklich auf. Sie hatte schon Angst gehabt, dass zum neuen Leben auch ein Fußmarsch in die Innenstadt gehörte.
Wenig später waren sie dann mitten im Gewühl. Carola hatte eine Schwäche für Kaufhäuser, dort war man anonym, und dort waren so viele komische Typen, da fiel man nicht auf. Die Bohnenstange dachte ähnlich. Beide hatten Angst, wenn sie die Strichstraße verließen. Dann kamen sie sich ziemlich nackt vor. Lilly ging öfter in die Stadt, ihr machte das nichts aus. So zupfte sie Carola zurück und rief die Bohnenstange an: »Links geht es weiter, meine Damen.«
Vor einem vornehmen Damenoberbekleidungsgeschäft machte sie dann Halt. Carola brachte vor Staunen kein Wort über die Lippen. Durch die Scheiben sahen sie Kristallleuchter, dicke Teppiche und vornehme Damen, die Kunden bedienten.
»Am besten sagt ihr kein Wort«, überlegte Tiger-Lilly. »Wir tun so, als wärt ihr frisch aus Südafrika gekommen, um mich zu besuchen. Und jetzt machen wir einen Stadtbummel. Kapiert?«
»Warum Südafrika und nicht Amerika?«, brummte Gerda.
»Carola kann doch kein Englisch«, lachte Lilly.
»Ich bin jetzt schon stumm wie ein Fisch, und wenn ich erst da drinnen bin, dann sterb ich sowieso, ehrlich, Lilly. Wenn die etwas merken, skalpieren die uns. O du mein Gott, wo sind meine Herztropfen«, stöhnte sie auf.
»Du hast ein Pferdeherz, und jetzt stell dich nicht so an.«
Mit einem Stoß schubste sie die dicke Dirne über die Schwelle. Bohnenstange kam von ganz allein. Sofort wurden sie von einer ernst blickenden Direktrice empfangen. Diese sah aus, als wolle sie zu ihrer eigenen Beerdigung gehen. Lilly dachte: Etwas mehr Fröhlichkeit wäre wohl angebracht. Ihre Knie waren jetzt auch weich wie Pudding. Aber zurückgehen? Nein, wenn sie jetzt schon kniff, würden sie es nie schaffen.
»Womit kann ich den Damen dienen?«, säuselte die Schwarze und klimperte mit ihren falschen Wimpern.
Mann, dachte Carola, wenn ich mich so ankleckerte, ich würde keinen Freier auf die Bude bekommen. Wie lange die wohl für ihre Fassade braucht? Du liebe Güte, ich platze gleich los.
Lilly warf ihr einen strengen Blick zu, dann wandte sie sich an die Verkäuferin und legte los: »Wir suchen etwas Passendes, verstehen Sie! Meine Verwandten kommen gerade aus Südafrika und möchten jetzt für einige Zeit hier in Deutschland bleiben. Würden Sie uns wohl zeigen, was jetzt modern ist? Wir wären Ihnen sehr dankbar für ein paar Tipps.«
»Aber sicher, selbstverständlich, das ist doch mein Beruf. Wenn Sie bitte mitkommen würden, bin ich gern bereit, Ihnen meine ganze Kollektion zu zeigen.«
Als sie ein wenig außer Hörweite war, zischte Gerda: »Bilde dir bloß nicht ein, dass ich hier mein Vermögen lasse.«
Lilly grinste und ging schon voran. Für Carola wurde eigens ein breiter Sessel angeschleppt, was sie einigermaßen friedlich stimmte. Da saßen sie nun, umgeben von Reichtum, und dünne, schlanke Mädchen führten vor, was man heute trug. Vom Straßenkleid über Cocktailkleid, Abendkleid und so weiter. Carola, die die ganze Zeit dachte, auch sie müsse diese Flittergewänder tragen, wurde immer röter im Gesicht. Aber dann kamen einige vollschlanke Mädchen und führten für Carola die Garderobe vor. Lilly sagte mit kühler Stimme, was man alles anprobieren wolle.
Vier Stunden vergingen, und sie waren redlich geschafft. Damit die wertvolle und kostbare Kundschaft sich recht wohl fühlte, wurde von der Geschäftsleitung ständig Mocca serviert. Lilly passte wie ein Höllenhund auf, was Carola sich aussuchte. Aber sie war schon so schwach und entkräftet, dass sie nur noch Ja und Amen sagen konnte. Als man sie in ein flottes, aber wirklich todschickes Kostüm quetschte und sie sich dann im Spiegel sah und sich um die Hälfte zusammengeschrumpft entdeckte, hätte sie bald ihre Rolle vergessen und wäre losgeplatzt. Sie riss ihre Augen weit auf und war sprachlos. Vorsichtig blickte sie sich erst mal um. Stand auch wirklich keine andere da? War sie das tatsächlich? Also, sie verliebte sich sofort in ihr eigenes Spiegelbild.
Auch Gerda vergaß ganz, dass sie hier keinen Heller zurücklassen wollte. Wie ein Rausch war es, hier die Kleider auszusuchen. Nur schade, dass man dabei nicht sprechen durfte. Aber dann fiel ihr ein, dass sie ja Französisch konnte, zwar nicht mehr viel, aber bestimmt würde es reichen. Und so legte sie denn los. Lilly, die erst Bahnhof verstand, lachte sich halb krank.
Die Direktrice riss die Augen auf, wurde rot, stotterte verlegen. Gerda amüsierte sich köstlich. Sofort fühlte sie sich nicht mehr so minderwertig. Sie konnte etwas, was diese hochnäsige Person nicht schaffte. So sprach sie nur noch Französisch. Lilly hatte sie stark im Verdacht, dass sie viele Worte einfach erfand. Aber natürlich sagte sie nichts. Sie durfte auch nicht Gerda ansehen, dann wäre es um ihre Fassung geschehen gewesen.
Endlich hatten sie genug eingekauft. Und weil vieles geändert werden musste, so brauchten sie nur das mitzunehmen, was sie trugen. Die anderen Sachen wollten sie abholen, wenn sie fertig waren. Man wunderte sich zwar ein wenig, weil sie keine Adresse angeben wollten. Es sei Art des Hauses, den Kunden die Ware ins Haus zu liefern. Bis jetzt habe der Kunde noch nie etwas selbst getragen.
»Ich werde sie abholen«, sagte Lilly bestimmt.
Man sah die drei Frauen verblüfft an. Aber schließlich war der Kunde König, und da musste man sich fügen, obgleich die Direktrice recht gern gewusst hätte, mit wem sie das Vergnügen gehabt hatte. Als sie dann aus dem Geschäft gerauscht waren, jede hatte für etwa dreitausend Mark Kleider eingekauft, tuschelten sie noch eifrig zusammen.
Wenn Tiger-Lilly das gewusst hätte, hätte ihre Fröhlichkeit keine Grenzen mehr gekannt. Man hielt sie für hochgestellte Persönlichkeiten, die auf der Durchreise in Hamburg waren und nicht erkannt werden wollten, Frauen irgendwelcher hoher Beamter eines anderen Staates. Und dass sie sich ein wenig komisch benahmen, nun denn, das war doch ganz selbstverständlich. Andere Länder, andere Sitten. Hatten sie nicht gesagt, sie kämen aus Südafrika?